Warum sich die Schweiz mit der Zuwanderung so schwertut
Red. Der frühere Schweizer Diplomat Tim Guldimann fasst sein Podcast-Gespräch zusammen. Diesmal mit Staatssekretärin Christine Schraner-Burgener und dem Filmemacher Samir Jamal Aldin.
Beide Gesprächsteilnehmer berichten von ganz unterschiedlichen persönlichen Migrationserfahrungen: Der Filmemacher Samir kam in den 1960er Jahren mit seinen Eltern in die Schweiz. 24 Jahre musste der Sohn eines Irakers und einer Schweizerin auf seine Einbürgerung warten. «Ich wurde durch die Umstände radikalisiert: Ich hasste dieses Land so sehr, dass ich am Schluss gar keine Lust mehr hatte, Schweizer zu werden.» Doch heute sei er «tatsächlich glücklicher Schweizer», sagt er.
Die für die schweizerische Migrationspolitik zuständige Staatssekretärin Christine Schraner-Burgener verbrachte ihre Kindheit in Tokio. Da habe sie selber erfahren, wie man sich «als Ausländerin in einem fremden Land fühlt». Als sie dann mit zehn Jahren in die Schweiz kam, habe sie sich fremd gefühlt.
Entscheidet die Migrationspolitik über die Zukunft des Rechtsstaates, wenn Rechtspopulisten die Zuwanderung zu ihrem zentralen Anliegen machen?
Laut Samir gibt es auf juristischer Ebene bereits seit langem die Tendenz, Ausländer auszugrenzen. «Die Leute, die wir eingebürgert haben, können wir auch wieder ausbürgern.» Das widerspreche grundsätzlich der Idee, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben. Und seit den 1960er Jahren hätten sich die Ausländergesetze tendenziell verschärft. «Die Idee: Eine Arbeitskraft ist eine Arbeitskraft und eben kein Mensch, die ist schon tief drinnen in der DNA der Administration, der Gesetzgebung.»
Christine Schraner hingegen sieht «eine enorme Verbesserung» im politischen Umgang mit der Zuwanderung, insbesondere mit der Flüchtlingsfrage. Sie erwähnt die seit 2014 bestehenden Integrationsprogramme: Die Schweiz habe in diesem Bereich «enorme Fortschritte» gemacht. Laut Schraner funktioniert die schweizerische Flüchtlingspolitik besser als die deutsche, weil Asylentscheide «viel rascher» erfolgten. Schraner weist auf die Migrationspartnerschaften mit acht Ländern hin und auf die 65 Rückübernahmeabkommen und stellt fest: «Es funktioniert wirklich sehr gut.» Zudem zeige die hohe Schutzquote von etwa 60 Prozent, dass eher jene Menschen in der Schweiz Asyl suchen, die den Schutz dann auch tatsächlich bekommen.
Samir widerspricht mit persönlichen Erfahrungen: In seinem Bekanntenkreis gebe es Leute aus Afghanistan, die auch nach Jahrzehnten immer noch nicht wissen, ob sie zurück müssen oder in der Schweiz bleiben können. Er kommt auf die zentrale Frage zu sprechen, als was sich die Gesellschaft eines Landes versteht. In der Schweiz werde im Zusammenhang mit Zuwanderung seit Jahrzehnten der Begriff «Überfremdung» verwendet.
Anders in Kanada, den USA, Neuseeland und Australien. Diese Länder hätten sich schon immer «als Einwanderungsgesellschaften» gesehen, das sei der entscheidende Unterschied zwischen uns und diesen Staaten. «Die offizielle Schweiz muss die Terminologie ändern», sagt Samir. Wir sollten es schaffen, zu sagen: «Ja, wir sind eine Migrationsgesellschaft – und das ist gut so.» So wie das der ehemalige Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, bei seinem Coming-out sagte. Dem stimmt Christine Schraner zu: «Ja, das ist gut so.»
«Debatte zu Dritt»
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Herr Samir: «Anders in Kanada, den USA, Neuseeland und Australien. Diese Länder hätten sich schon immer «als Einwanderungsgesellschaften» gesehen…» – aber gerade diese Länder haben eine äußerst restriktive Einwanderungspolitik, sortieren sehr genau und wollen vor allem Fachkräfte, die sich den Lebensunterhalt auf hohem Niveau selbst erwirtschaften. Australien unterhält menschenrechtlich fragwürdige Flüchtlingslager auf irgendwelchen Pazifikinseln und zwingt auf hoher See Seelenverkäufer voller Flüchtlinge in sichere Ertrinken umzukehren. Die Ureinwohner dieser vier Länder haben mit der «Einwanderungsgesellschaft» auch ganz schlechte Erfahrungen gemacht. Parallelgesellschaften mit Menschen, die ihre Religion im Bauchladen vor sich her tragen, Zwölfjährigen Kopftücher überstülpen und sich aus guter Bildung nichts machen, sind leider die Kehrseite der «Einwanderungsgesellschaft», bei zuerst einmal die Hiesigen befragt werden sollten, ob sie das alles auch möchten.