Sperberauge
«Tendenziell totalitär»
Nach dem 18. Oktober starrt die Nation gebannt auf den 9. Dezember. Tritt Eveline Widmer-Schlumpf zur Wiederwahl an? Erhält die SVP ihren zweiten Bundesratssitz? Alle möglichen und unmöglichen Szenarien werden herumgeboten. Da geht fast unter, dass selbst Freisinnige nicht in Kadavergehorsam gegenüber der erstarkten SVP erstarren. Der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri verkündet in einem Interview mit der «Berner Zeitung», dass er Widmer-Schlumpf zwar nicht mehr wählen werde und die SVP Anspruch auf den zweiten Sitz habe. Fluri stellt aber auch einige Bedingungen.
Besonders sauer stösst ihm auf, dass ein inoffizieller SVP-Kandidat im Falle seiner Wahl zum Bundesrat automatisch aus der SVP ausgeschlossen wird; so sehen es die Parteistatuten vor. Das verstosse gegen Sinn und Geist der Bundesverfassung, nach der jeder Schweizerbürger in den Bundesrat gewählt werden kann. Die SVP wolle damit die Wahlfreiheit des Parlaments einschränken. Und dann folgt der entscheidende Satz: «Ein weiteres Beispiel dafür, dass die SVP tendenziell totalitär ist.»
Rätselhaft und widersprüchlich bleibt, warum ein Demokrat dann überhaupt bereit ist, ein Mitglied einer von ihm als «tendenziell totalitär» bezeichneten Partei in die Regierung eines demokratischen Staates zu wählen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
@Müller-Muralt. Falls Sie die Schaffhauser AZ und das Echo vom Rheinfall, Jahrgang 1921, gelesen haben, war die Diktatur des Proletariats damals auch noch für den SP-Politiker Robert Grimm ein Thema, das mit offenem Ausgang diskutiert werden durfte. Grimm war aus meiner Sicht trotzdem ein Politiker von einer ganz anderen Liga als sagen wir mal Margret Kiener-Nellen oder sogar Leuenberger, in Sachen Belesenheit Blocher mindestens ebenbürtig und diesem in den historischen Analysen weit überlegen. Aber selbstverständlich waren SP und selbst der grosse Bringolf damals «totalitärer» als die SVP, deren Wähler in Zürich gezeigt haben, dass vermeintlicher oder wirklicher Radikalismus bei ihnen nicht zieht und dass sie die Listenplatzierung der Partei wenig respektieren. Noch in meiner Jugend war die SP diejenige Partei mit den allermeisten unveränderten eingelegten Listen. Das bestätigte mir auch der Arbeiterschriftsteller Karl Kloter, der mir seinerzeit eine sehr gute Marx-Biographie schenkte.
Geschichtliche Vergleiche hinken doch oft etwas. Die Frage ist doch nicht wer wie in der Vergangenheit sich organisiert hat, sondern heute: Also wie totalitär ist denn die SP heute! Mir ist nicht bekannt, dass die SP ähnliche Ausschlusskriterien in ihren Statuten hat, doch haben Sie sicherlich auch dafür Belege.
@Lieber Fritsche! Belege? Ich war 8 Jahre im AG Verfassungsrat. «Hospitant» der CVP, dort Verfechter von Volksrechten und Gewaltentrennung, war als Aussenseiter bei 3 Abstimmungen auf Siegerseite. Die damalige SP-Fraktion präsidierte mein Lieblingsgegner Kurt Wernli, mit dem ich Rededuelle lieferte, die im Protokoll Unterhaltungswert haben. Wernli war Arbeitersohn und SP-Mann alter Schule. Später Grossratspräsident u. Vorsitzender der Bezirkslehrer. Er glaubte, er dürfe seine Karriere als Regierungsrat fortsetzen. Da stellte die SP eine nachweisbar unbrauchbare Neofeministin auf, verheiratet mit einem dubiosen Anwalt jenseits der SP und man meinte, so die Wahlen zu gewinnen. Der Arbeiterflügel stellte meinen Lehrerkollegen Wernli auf, der «wild», aber triumphal gewählt wurde. Wernli wurde in hohem Bogen aus der Partei gechasst und war ca. 16 Jahre parteiloser Arbeitervertreter in der Regierung, so wie in ZH die besten Leute, Emilie Lieberherr und noch ein Alt68er, Kaufmann, mangels Parteidisziplin von Idioten ausgeschlossen wurden. Selber überstand ich einen Ausschlussantrag aus der CVP ebenfalls nur knapp. Und Sie wissen, dass der Neuenburger SP-Bundesrat, schon gewählt, zur Nichtannahme der Wahl gezwungen wurde. Von mir aus ist das nicht totalitär, sondern ganz normale Parteipolitik von Bünzlis. Eveline Schlumpf war übrigens in Chur 3 Wochen lang meine Schülerin u. wusste mich als von ihr eingeladenen Referenten vor ihrem Departement (über Bruder Klaus) zu schätzen.
@Pirmin. Ja sicherlich ist das Bünzlipolitik und vielleicht haben die Bünzlis ja eine Mehrheit in der Schweiz. Der Unterschied schein aber, dass die SVP die einzige Partei ist, wo der Ausschluss automatisch nach Statut erfolgt; also keine Bünzlipolitik, sondern eine eher totalitäre. (Verweise auch dazu gerne auf die schon viel zitierte Medienmitteilung der SVP). Ich bin im übrigen kein Anhänger irgendwelcher Partei und orientiere mich an Sachfragen.
@Vereinsrecht. In Vereinsstatuten steht oft der Satz, der Vorstand könne ein Mitglied ohne Angabe von Gründen ausschliessen. Ich habe mich jeweils in Vereinen, wo ich Mitglied war, gegen diese Bestimmung gewandt, aber es gehört eben z.B. sogar zur Religionsfreiheit, dass etwa die kath. Kirche ausschliessen kann, wen sie will. (Selber trat ich übrigens seit 42 Jahren für die totale Trennung von Kirche und Staat ein.) Das Recht zur Selbstbornierung von Vereinen, vgl. auch FIFA, gehört nun mal zu einem freiheitlichen Staat etwa nach angelsächsischen Vorbildern, besonders USA.
Anstelle eher unfruchbarer Diskussionen wiederhole ich noch mal, dass ich Ihre (@Fritsche) Voten etwa z.B. betr. Dürrenmatt, Storm usw. im kritischen Sinn als weiterführend empfand, wiewohl ich mich aus Zeitgründen noch nicht selber korrigieren konnte.
Da ich Sie als kritischen Katholiken (wenn überhaupt noch) in Liechtenstein wahrnehme, empfehle ich Ihnen und anderen Infosperber-Lesern mein heutiges ausführliches, in Englisch gehaltenes Interview bei http://www.swissinfo.ch über die Todesstrafe und warum die katholischen Kantone daran so lange festgehalten haben. Für mich ist es normal, dass ich nicht nur an Linken, auch am kath. Lager Kritik übe, früher (1973) sogar ganz radikal am Rechtsintellektuellen James Schwarzenbach, der mir freilich im Alter von 17 Jahren u. noch später dank durchaus vorhandener Brillanz u. persönlicher Förderung noch Eindruck machte. Ich halte mich zur Revision von Meinungen fähig.
@Pirmin. Gerne würde ich Ihr Interview hören/lesen, doch leider nicht auffindbar auf swissinfo. Haben Sie den genauen Link?
Besten Dank.
Hier ist das Link zu meinem Interview:
http://www.swissinfo.ch/eng/death-penalty_-in-the-20th-century-we-had-a-humanitarian-offensive-/41732866
Die Interview-Antworten sind aber noch zu kurz. Darum ergänze ich: Der mir noch persönlich bekannte Obwaldner Justizdirektor Walter Amstalden (1883 – 1966), an dessen Abdankung ich als katholisches Verbindungsmitglied den Totensalamander rieb, garantierte 1940, nach der Verhaftung von Hans Vollenweider im Hotel Engel Sachseln, «ein schnelles Verfahren». Gewaltentrennung wurde schon seit den mittelalterlichen Landammännern, die oberste Richter waren, nicht allzu «tragisch» genommen. Die Problematik bei der Hinrichtung v. 18. Okt. und dem Urteil: Vollenweider, dem in Zug und Zürich zwei absolut brutale grausame Morde vorgeworfen werden konnten, war in Obwalden nach Meinung des Pflichtverteidigers nur Totschläger gewesen, d.h. der Polizist von Moos wurde beim Widerstand gegen die Verhaftung eher spontan als vorsätzlich niedergestreckt: «Ich wollte den Polizisten nicht töten, bloss frei bleiben.» Obwalden war allein für diese Tat zuständig, wegen Justizföderalismus; trotzdem wurde V. innerhalb 4 Wochen durch 2 Instanzen abgeurteilt, dies 3 Jahre nach eidg. Abschaffung der Todesstrafe, jedoch war Gesetz noch nicht bundesweit vollzogen. Landammann, Justizdirektor und Ständerat Amstalden wollte offensichtlich ein Exempel für die kantonale Souveränität statuieren, die uralte Hoheit über Leben und Tod. Dabei wurde kurzer Prozess gemacht.
PS. Im Vergleich zu einer solchen Hinrichtung, weniger totalitär als bedingungslos reaktionär und aus der Minderheitsposition der damaligen Urschweiz (1. Bundesrat 1963) teilweise erklärbar, aber nicht entschuldbar, ist ein vereinsrechtlicher Parteiausschluss immer noch vergleichsweise Peanuts. In der Tagesschau v. 10. Okt. standen mir nur 2 Sätze zur Verfügung.
Der Totalitarismus-Vorwurf ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man bedenkt, wie die Rechtskonservativen die Medien kaufen und sie – siehe bspw. die Onlineforen von 20Minuten – regelrecht manipulieren. Zudem hetzt die SVP-Anhänger in den Social Media gegen Andersdenkende, indem sie die Wut auch bei den ungebildeten Schichten schüren. Diesen kann man ja die Homo-Mafia, die Verräterin im Bundesrat, den Billag-Steuerzahler oder asoziale Subventionsbezüger besonders gut schmackhaft machen.
Es bleibt die Frage, ob man den rechten Rand mit seiner hohlen Rhetorik lächerlich machen kann, indem man ihm einen Posten gibt, der seinen Mangel an Wirkungskraft offenbar machen kann. Vielleicht hat sich Kurt Flur diese Frage gestellt und kann sie mit Ja beantworten. Ich bin da eher skeptisch.
@Läubli. Entwarnung. Das Primitivitätsniveau linker Beschimpfungen ist schon lange erfreulich am Aufschliessen und noch interessant ist, dass sich diese Leute im Ernst für intelligenter und gebildeter halten. Natürlich strotzt es oft in den Blogs unbeschadet der Meinung im Einzelnen von Halbbildung, aber selbst was in den Zeitungen steht, ist sehr oft, wenn man über ein Gebiet wirklich Spezialist ist, bemitleidenswerte «Information». Hier hat Infosperber in seinen besten Beiträgen eine Aufgabe. Es gibt, nach Jacques Maritain, ein Erhaltungsgesetz der Dummheit. Es lautet: Dummheit bleibt erhalten. Sie wechselt aber immer wieder still und leise das Lager. Jedes Lager hat sodann seine Geheimnisse, wenn diese auskommen, u.a. das Steuergeheimnis, die Geheimnisse des Sozialstaates, wirkt es gegenüber dem Wähler dann und wann kontraproduktiv. «Die Wut bei den ungebildeten Schichten» – fragen Sie sich doch einmal, auf welchen Gebieten Sie auch dazu gehören?
PS@Läubli. Sie nennen im Netz SVP-Leute «Soziopathen» und einen Kulturfunktionär «psychisch krank», sind also gerade das Beispiel für meine Entwarnung betr. Gleichberechtigung rechter und linker Polemiker.
Der Zensor hat mir den Ausdruck SVP-Hasser verboten. Welche Bezeichnung könnte denn passen? Etwa 39 % der Wählenden haben diese, in intellektuellen Augen gefährliche, totalitäre Partei gewählt. Sind das alles unbedarfte, dumme und von riesigen Propaganda-Geldern verführte Bürger? Im Uebrigen kann ich keine Substanz in den Anti-SVP-Wortmeldungen erkennen.
Ich erlaube mir noch den Hinweis, dass der zum Bundesrat gewählte Neuenburger Nationalrat Matthey nach einer Woche Druck durch die SP Parteileitung das Mandat nicht annehmen durfte.
@Hertig. Vgl. noch die Diskussion um den Artikel von Niklaus Ramseyer über «Ohn-Macht"-Spielchen. Hass hat im Prinzip mit der politischen Richtung, die einer vertritt, nichts zu tun. Ich bin aber der Meinung, dass Herr Gasche mutmasslich bei der Aargauer Zeitung noch zugelassene Aussagen wie die eines extremistischen Helvetas-Mirarbeiters, Ablehner eines Islam-Zentrums gehörten «in eine geschlossene Anstalt», bei Infosperber nicht tolerieren würde. Wir alle sollten zur Diskussionskultur Sorge tragen. In deutschen Leitmedien, auffällig bei der FAZ, aber auch im SPIEGEL, wird die Diskussion etwa um Flüchtlinge jetzt ziemlich pauschal unterdrückt. Dies hilft, angesichts der direktdemokratischen Machtlosigkeit der Deutschen, der Sache nicht und fördert den Extremismus geradezu potenziert.
@Pirmin. Besten Dank für den Link. Das Interview bestätigt ihre – unbestrittene – Kompetenz als Historiker. Im Zusammenhang mit dem Thema hier, wäre vielleicht interessant zu überlegen inwiefern Katholizismus totalitäres Verhalten eher fördert; Befürwortung und Wiedereinführung der Todesstrafe, was gemäss Ihren Ausführung wohl noch heute in katholischen Gegenden erhebliche Zustimmung erfahren dürfte, kann man wohl durchaus als totalitäre Tendenz lesen.
@Sie könnten die im Prinzip gegenseitige Achtung noch bestätigen, wenn Sie was über Todesstrafe in Liechtenstein sagen könnten. Wie lange noch im Gesetz? Im Interview zeige ich, dass 1937, als die Schweiz die Todesstrafe formell abschaffte, was aber bei einem Volksentscheid nicht sofort durchgeführt wurde (quasi Torschlusspanik in Obwalden!), noch viele «Kulturnationen» Exekution als normale Justizgrundlage praktizierten. Noch in jedem Agatha-Christie-Roman droht der Galgen. Begründung hatte mit klassischem Naturrecht der Aufklärung zu tun (Pufendorff), welchem sowohl die Guillotine wie auch der Elektrische Stuhl als «humanitärer Fortschritt» zu verdanken sind. Historisch bedeutet die Todesstrafe nicht automatisch Totalitarismus. Sie radikalisiert zumal den im Prinzip legitimen Vergeltungsaspekt des Strafrechts. Aus meinem zugegebenermassen etwas konservativen Geschichtsbild gehe ich davon aus, dass die Abschaffung der Todesstrafe an gewisse zivilisatorische Bedingungen geknüpft ist, dass man hier also in Sachen Fortschritt dann und wann Nerven behalten muss. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Weil es in Israel die Todesstrafe (mit Ausnahme von Eichmann) kaum mehr gibt, wird bei der Terrorismusbekämpfung dann gleich vor Ort und am besten manchmal anstelle der Festnahme «aufgeräumt» (Vorsicht: möchte es nicht pauschal gesagt haben, nur als Tendenz). Ist dies, wie wohl auch in Frankreich und bei den Amerikanern aus dem Umfeld von Obama, «faire» Alternative zur Todesstrafe?
PS. Die Todesstrafe in Liechtenstein wäre deshalb für mich interessant, weil sie mutmasslich im Vergleich zur Französischen oder Russischen Revolution noch eher aus einem katholisch verstandenen Naturrecht begründet wird. Sie könnten, Herr Fritsche, insofern Ihre Frage selber beantworten.
Dazu ein Artikel aus dem Volksblatt: http://www.llv.li/files/dss/pdf-llv-dss-letztes-todesurteil-fl.pdf
Ich teile die Ansicht von Jürg Müller-Muralt voll und ganz. Klar, es ist legitim, das auch anders zu sehen. Aber historische Ereignisse aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hereinzuzerren, um Müller-Muralts Worte zu widerlegen, das scheint mir doch etwas weit hergeholt. Auch wenn ich mich einer Diskussion über die tragischen Vorfälle in unserem Land während dieser dunklen Zeit nicht entziehen möchte. Nur so viel: Die Linke kämpfte damals mit Worten, die Rechte mit Waffen. Dutzende von Gewerkschaftern, Sozialdemokraten und Kommunisten fanden in der Zwischenkriegszeit den Tod. Zum Beispiel die Blutnacht von Genf am 9. November 1932, die 13 Tote und 60 Schwerstverletzte hinterliess.
@Pirmin: http://www.liechtenstein-institut.li/Portals/0/contortionistUniverses/408/rsc/Publikation_downloadLink/14_04_Die_liechtensteinische_Rechtsordnung_und_die_Europaeische_Menschenrechtskonventi.pdf
http://www.liechtenstein-institut.li/Portals/0/contortionistUniverses/
408/rsc/Publikation_downloadLink/
14_04_Die_liechtensteinische_Rechtsordnung_und_die_Europaeische_Menschenrechtskonventi.pdf
@Danke, Kollega Fritsche. Die Thematik der Todesstrafe ist mit «tendenziell totalitär» mindestens überschneidend, hoffe, Herr Müller-Muralt muss sich darüber nicht ärgern. Vielleicht sehe ich Sie mal im Ländle oder dann im Centre Dürrenmatt in Neuenburg.
@Pirmin: Ja, gerne und zu D. ist ja am 14.12. noch einiges zu erwarten, oder!
Totalitäre Tendenzen sind im übrigen weitherum zunehmend zu beobachten, ja sie scheinen der vorherrschende Trend zu sein und wichtiger noch als die Frage nach dem warum und wieso, wäre jene nach einer Strategie deren Entmöglichung. Analysen ohne Lehren bleiben papierern.
@Beutler. Habe in meinem leider als fast einzigem nicht erfolgreichen Buch «Die Einsamkeit des Staatsgefangenen Micheli du Crest» (1999, vergriffen) die Unterdrückung von Volksaufständen in Genf von 1707 bis 1932 dargestellt, wiewohl nicht wie (der für mich sehr anregende) Robert Grimm und Du als Erzsozialisten einseitig aus der Sicht des Klassenkampfes.
Wir sind uns aber möglicherweise darin einig, dass die Schweizergeschichte erstaunlich unbekannt ist. Nicht mal die Geschichte der Neutralität. Habe darüber soeben einen längeren Essay abgeschlossen, in dem das Wort «Marignano» nicht vorkommt, sondern, wie im infosperber-Artikel von Hans Ulrich Jost, der Name des Basler Bürgermeisters Johann Heinrich Wieland, quasi Chefunterhändler am Wiener Kongress, dessen Lektüre von Caesar von mir allerdings anders eingeschätzt wird als bei Jost. Die Wiese ist noch längst nicht gemäht. Es gibt noch viel zu tun!
@Pirmin Meier. Klar doch: Die Schweizer Geschichte scheint vielen unbekannt. Aber unsere Rechtspopulisten biegen sie wider besseres Wissen zu Recht(s). Der Rütlischwur ist höchstenfalls eine Legende, stattgefunden hat er nicht. Die Tell-Saga war ursprünglich ein dänisches Märchen. Der Bundesbrief ein Falsifikat. Nach 1291 waren die so genannten «Eidgenossen» ganz sicher nicht frei. Statt unter der Knute der Habsburger waren sie Leibeigene von Gutsherren, Attinghausen und Co. Kommen wir noch zu Marignano: Das, was Blocher dem Volk, das heisst den SVP-Wählern, vorgekaut hat, ist Kost, die haargenau auf ein bildungsfernes Publikum zugeschnitten ist. Unser Trost: Bei anderen «Nationen» ist das derzeit auch Mode.
Du unterschätzest Blocher und hast das bedeutende Buch von Stüssi über Marignano nicht gelesen und im Hinblick auf das Rütli die Sicht Rousseaus wohl nicht wahrgenommen und die durchaus eindrücklichen Visionen von Johannes von Müller, die dann der Beromünsterer Geschichtsrevolutionär Josef Eutych Kopp, konservativer Regierungsrat, mit einem grossartigen wissenschaftlichen Werk zerstört hat, wobei der Briefkastenonkel von Radio Beromünster noch 1959 unterstellte, Kopp sei damals von Metternich geschmiert worden. Sowieso solltest Du die Tell-Rezeption der Linken im Spanischen Bürgerkrieg berücksichtigen. Müller und Minder lesen keine Bücher, Blocher schon. Er steht Robert Grimm näher als viele Linke mit schwachem Geschichtsbewusstsein. Empfehle dir ein zweibändiges Standardwerk über Rousseau und die Schweiz, aber weil du mal ein Linker bist und bleibst, was ich selbstverständlich sogar schätze, die grosse Schweizergeschichte von Robert Grimm. Bei Blocher ist natürlich schon das gewaltige Problem – ärgere mich derzeit wieder über sein «Schweiz retten» – der Missionarismus. Sonst gleicht er einem richtigen Politiker, weniger korrupt als Strauss. So war mein Freund, der Arbeiterschriftsteller Kloter, Vegetarier, Pazifist, Volksphilosoph, froh, dass Blocher Annahme des EWR-Vertrags gebodigt hat. Wenn man nun mal wie viele die Europäische Union als Fehlkonstruktion erkennt, kann man den Schaden Blochers nicht so hoch einschätzen wie Du. Bodenmann sieht in ihm «richtigen Politiker».
Du unterschätzest Blocher und hast das bedeutende Buch von Stüssi über Marignano nicht gelesen und im Hinblick auf das Rütli die Sicht Rousseaus wohl nicht wahrgenommen und die durchaus eindrücklichen Visionen von Johannes von Müller, die dann der Beromünsterer Geschichtsrevolutionär Josef Eutych Kopp, konservativer Regierungsrat, mit einem grossartigen wissenschaftlichen Werk zerstört hat, wobei der Briefkastenonkel von Radio Beromünster noch 1959 unterstellte, Kopp sei damals von Metternich geschmiert worden. Sowieso solltest Du die Tell-Rezeption der Linken im Spanischen Bürgerkrieg berücksichtigen. Müller und Minder lesen keine Bücher, Blocher schon. Er steht Robert Grimm näher als viele Linke mit schwachem Geschichtsbewusstsein. Empfehle dir ein zweibändiges Standardwerk über Rousseau und die Schweiz, aber weil du mal ein Linker bist und bleibst, was ich selbstverständlich sogar schätze, die grosse Schweizergeschichte von Robert Grimm. Bei Blocher ist natürlich schon das gewaltige Problem – ärgere mich derzeit wieder über sein «Schweiz retten» – der Missionarismus. Sonst gleicht er einem richtigen Politiker, weniger korrupt als Strauss. So war mein Freund, der Arbeiterschriftsteller Kloter, Vegetarier, Pazifist, Volksphilosoph, froh, dass Blocher Annahme des EWR-Vertrags gebodigt hat. Wenn man nun mal wie viele die Europäische Union als Fehlkonstruktion erkennt, kann man den Schaden Blochers nicht so hoch einschätzen wie Du. Bodenmann sieht in ihm «richtigen Politiker».