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Serge Gaillard, SECO-Direktor für Arbeit, in der Tagesschau-Hauptausgabe am 6. Mai 2011 © ts

Tagesschau am Freitag: Hurra, es geht uns gut!

Robert Ruoff /  Die Jubelberichterstattung der Tagesschau über die angeblich so guten Zahlen aus der Wirtschaft.

Das war mal eine freudige Begrüssung zur Hauptausgabe der «Tagesschau» vom Freitag, 6. Mai. «Meine Damen und Herren, guten Abend, am Tag der guten Wirtschaftszahlen und der positiven Arbeitslosenzahlen», begrüsste Franz Fischlin die Zuschauergemeinde, und weil draussen auch noch die Sonne schien, konnte es schöner gar nicht sein.

Das Problem ist nur: Es ist nicht so schön.

Schön ist nur die Statistik

Zuerst spricht Fischlin davon, dass insgesamt «Tausende von Menschen wieder einen Job gefunden haben. Insgesamt sind es über 11’000 Personen, die offiziell nicht mehr als arbeitslos gelten.» Dann darf der SECO-Direktor für Arbeit Serge Gaillard die Lage skizzieren, der früher überaus glaubwürdige Zentralsekretär des Gewerkschaftsbundes, der sich zunehmend als Schönredner der Wirtschaftsentwicklung profiliert.

Drei Gründe sieht Gaillard für die Abnahme der Arbeitslosigkeit: Erstens die gute Konjunktur, zweitens die saisonal übliche Zunahme der Bautätigkeit (und der April war besonders schön), und schliesslich doch noch die Revision des Arbeitslosengesetzes. Gaillard meint, das gelte für etwa 4’500 Personen, die sich beim RAV deswegen abgemeldet haben, sprich: rund 40 Prozent der Abnahme der Arbeitslosenquote ist schlicht darauf zurückzuführen, dass Tausende von (vor allem auch: jungen) Arbeitslosen gesetzlich wegdefiniert werden. Sie sind «offiziell» nicht mehr arbeitslos, weil sie keinen Anspruch auf Arbeitslosigkeit mehr haben. Und in Wirklichkeit sind im April schätzungsweise 16’000 Personen von dieser Gesetzesrevision betroffen (Berner Zeitung mit Bezug auf Serge Gaillard). Mehr werden in den nächsten Monaten folgen.

Nur keine kritischen Fragen

In der «Tagesschau» fällt das ganz einfach unter den Tisch. Keine kritische Nachfrage, keine Nachforschung. Nur der schöne Satz: «Die regionalen Arbeitsvermittlungsstellen werden immer leerer.» Könnte es vielleicht sein, dass dafür die Sozialämter der Gemeinden immer voller werden? Oder wo verschwinden diese «Tausende von Menschen…die offiziell nicht mehr als arbeitslos gelten» ?

Kein Thema für die «Tagesschau». Sie muss weiter gute Stimmung verbreiten.

«Klarer Fall», so der Moderator, »der Schweizer Wirtschaft geht es besser. Schon fast so gut wie vor der Krise.» Dann folgt die einschlägige Grafik über die Wirtschaft, die 2007 noch um 3.5 Prozent gewachsen, in der Krise auf ein Minus von 2.6 Prozent abgestürzt und nun wieder bei 3.1% Wachstum angelangt ist (Stand April 2011).

Es geht uns so gut, dass manche schon wieder von «drohender Überhitzung» sprechen und von der notwendigen kommenden Zinserhöhung. Die Exportindustrie läuft und die Bautätigkeit ist auch im Gange. Und für 2011 wird 2.8 Prozent Wachstum erwartet.

Hurra, es geht uns wieder gut – nur keine kritischen Fragen!

Alles ist Wachstum, Wachstum ist alles

Zum Beispiel: Worauf gründet dieses Wachstum? Wie hoch ist es pro Kopf? Beruht es vielleicht ganz einfach auf der Bevölkerungszunahme? Wie sagte doch der gleiche Serge Gaillard, den die «Tagesschau» vor der Kamera hatte, in einem Interview mit «Le Temps» (am 30. April): «Will die Schweiz ein Wirtschaftswachstum, muss sie auch die Immigration akzeptieren» ?! Aber dieser Zusammenhang ist zur «Tagesschau» offenkundig nicht vorgedrungen und daher auch keine kritische Nachfrage wert.

Zum Beispiel: Ist Wirtschaftswachstum auf der Basis von Bevölkerungswachstum überhaupt wünschenswert?

Oder: Welches Wachstum wäre denn gemeint? Ist es die Zunahme der Autoverkäufe um 12.5 Prozent im ersten Quartal 2011(Vergleich: Vorjahresperiode), nachdem die «Tagesschau» im Januar schon einen entsprechenden Anstieg für 2010 hatte bejubeln können? Oder – siehe Bautätigkeit – ist es das Fussballfeld, das wir in der Schweiz jeden Tag zubetonieren?

Und wer profitiert von diesem «Wachstum»?
Wenn es zusammen mit der Bevölkerungszunahme verläuft, bringt es den Durchschnittskonsumenten und -konsumentinnen bis weit hinein in den Mittelstand gar nichts, ausser der von der «Tagesschau» kräftig geförderten «guten Konsumentenstimmung». Das ist zwar nicht die journalistische Kernaufgabe, aber nach den herrschenden Standards vielleicht wirtschaftspolitisch verdienstvoll.

Kurz gefragt: Hat sich die «Tagesschau»-Redaktion oder die Informationsabteilung des Schweizer Fernsehens schon einmal ernsthaft mit der Frage beschäftigt, ob die herrschende Wachstumsideologie überhaupt eine sinnvolle Leitlinie der Berichterstattung sein kann?

An bitteren Realitäten vorbei

Aber das Wachstum steigert ja bis zur nächsten Krise die Unternehmensgewinne, und das freut zumindest das Management und die Aktionäre. Die grosse Mehrheit spürt davon wenig oder nichts oder sogar einen Niedergang.

Am gleichen Abend, an dem die «Tagesschau» ihren begeisterten Mehrteiler über den Wirtschaftsaufschwung bot – und Mehrteiler sind durchaus wünschenswert -, diskutierte die «Arena» über den Verteilungsbericht des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. Die (einigermassen chaotische) Diskussion zeigte immerhin, dass vom so hoch gepriesenen Wachstum vor allem die ohnehin schon Privilegierten profitieren, beim Vermögen und bei den Einkommen. Die Schere öffnet sich, die Meisten gehen leer aus, der Mittelstand kassiert Verluste. Wachstum für wen?

Aber diese «Arena» war der «Tagesschau» nicht einmal einen Hinweis wert. Denn: «Der Schweizer Wirtschaft geht es besser…». Und da kann man die «Tausende von Menschen», die aus der Arbeitslosenstatistik in die Anonymität der Sozialhilfeempfänger verschwinden, vor lauter Begeisterung über «die guten Wirtschaftszahlen» doch auch mal aus den Augen verlieren. Macht nichts: Der kritische Blick ist ohnehin nicht die Stärke der Wirtschaftsberichterstattung am Schweizer Fernsehen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war von 1981 bis 2004 Mitarbeiter des Schweizer Fernsehens, unter anderem von 1985 - 1990 der Tagesschau.

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4 Meinungen

  • am 13.05.2011 um 18:03 Uhr
    Permalink

    Die Schönredner machen sich immer mehr breit und lallen das Volk voll. So schön will ich auch mal Geld verdienen, haha

  • am 13.05.2011 um 18:20 Uhr
    Permalink

    Meiner Meinung nach ist diese Aussage über die blühende Wirtschaft ein Versuch, den Schweizer Franken hoch zu halten. Alle Tassen hoch !

  • am 13.05.2011 um 19:13 Uhr
    Permalink

    Oder doch lieber mit den ProSeco Gläser anstossen ? 🙂

  • am 17.05.2011 um 02:50 Uhr
    Permalink

    Wer ist denn mit «UNS» gemeint?

    Der «Staat", die Reichen, der Mittelstand? Ach so, den ARMEN geht es gut! Na, dann bin ich ja beruhigt !!

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