Kommentar
Subkultur in Luftschutzkellern
Volksvertreter haben manchmal bekanntermassen keine Ahnung, worüber sie im Nationalrat diskutieren und abstimmen. So krass wie diese Woche in der Zivilschutzdebatte war es indes noch selten: Stundenlang ereiferten sich die Abgeordneten über den militärischen Nutzen der Luftschutzkeller im Land, in welche bisher insgesamt 12 Milliarden Franken investiert worden sind.
Die bombensicheren Betonbunker mit ihren zentnerschweren Türen, die seit Jahrzehnten zu Tausenden im ganzen Land gebaut worden sind, mussten indes noch nie Menschen im Innern vor Atomkatastrophen, Luftangriffen oder Naturgewalten draussen schützen.
Dafür zusehends umgekehrt: Die schalldichten Luftschutzkeller schützen die Menschen draussen vor der meist sehr lauten Rock- und Blues-Musik, die in ihrem Inneren geübt, komponiert und eingespielt wird. Was als «Bevölkerungsschutz» geplant war und finanziert wurde, hat die Bevölkerung da sogleich zu einem Kulturförderungs-Programm umfunktioniert, auch wenn es Milliarden verschlingt. Und während sich diese Betonlöcher militärisch als weitgehend unnütz entpuppten, war der Erfolg der Schutzbunker kulturell und musikalisch durchschlagend. Tausende von Bands konnten und können sich dank ihnen in der Schweiz entfalten.
Polo Hofer, Gölä, Züri West und Zehntausende anderer virtuoser Musiker kommen aus der Subkultur der Luftschutzkeller. Ohne dieses geniale Beton-Bauprogramm, wären sie kaum geworden, was sie heute sind. Doch diese wirklich nationale Bedeutung der Bunker-Bauerei war im Nationalrat kein Thema. Und er beschloss, die «Schutzraumpflicht für private Bauherren» aufzuheben.
Ein übler Fehlentscheid, der nur den einen Schluss zulässt: Beim Nationalrat handelt es sich um eine Ansammlung von lauter ahnungslosen Kulturbanausen (Kubas). Steht nur zu hoffen, dass der Ständerat im Juni mehr Kulturbewusstsein zeigt – und die Fehlleistung der Volkskammer umgehend korrigiert.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Rock- und Blues-Bassist (Fender)