SRG und Politik: Nach der Zerreissprobe der Annäherungsversuch
SRF-Direktorin Nathalie Wappler weckt mit einer Audiostrategie Hoffnungen für das bedrohte Radiostudio Bern: Die Eckpunkte des Projekts zeigen in Richtung eines Gleichgewichts zwischen der Bundesstadt und Zürich. Ein paar Puzzleteile, die noch fehlen, lassen sich finden.
Der Tag, an dem SRF-Direktorin Nathalie Wappler das Projekt einer neuen Audiostrategie bekanntgab, wurde so ein bisschen der Tag der Fake-News im Medienjournalismus. Der «Klein-Report» titelte: «Radiostudio Bern: SRF-Direktorin Wappler bläst Umzug ab», NZZ-Inlandchef Michael Schoenenberger konstatierte: «Die Politik bestimmt bei SRF jetzt mit», und «20 Minuten» meldete noch Stunden nach der Klarstellung durch die SRF-Direktorin: «Radio-Chefin stoppt Radio-Umzug von Bern teilweise.» Dabei hatte sich Wappler in ihrer Telefonkonferenz für die Medienschaffenden schon am Nachmittag des 27. Mai um 16.30 Uhr zuerst ein bisschen amüsiert gezeigt ob der schnellen Schlagzeilen und dann zur Audiostrategie und zur Zukunft von Radiostudio Bern unmissverständlich klargestellt: «Alles, was ich Ihnen jetzt aufzeige, ist ein Projekt. Entscheide sind noch keine gefallen. Das heisst: Der Umzug von Bern nach Zürich ist weder abgeblasen noch gestoppt.» Und sie fuhr fort: «Ich habe jetzt grade den Kommentar gelesen: für die SRG habe nun ‹der Abschied vom freien Unternehmertum› begonnen und sie werde ab jetzt ein ‹Staatssender› sein.» So schrieb es der Branchendienst ‹persoenlich.com›, der sich dann zügig korrigierte. Die «Berner Zeitung» blieb auch am Tag danach schwarz auf weiss dabei: «Die SRG knickt vor der Politik ein.»
Vielleicht ist es ja nicht ganz so fake. Man konnte die Medienmitteilung von SRF zur Audiostrategie leicht so verstehen, als ob die SRG sich nun dem Nationalrat beugen wolle. Der Rat hatte am 18. Juni mit einer Zweidrittel-Mehrheit den Initiativen zugestimmt, welche die SRG dazu verpflichten wollen, Radio weiterhin schwergewichtig in Bern beziehungsweise in Lausanne zu produzieren und Fernsehen in Zürich und Genf. Das heisst: Aktuell wollte die Politik die Verlagerung des Grossteils der Radioredaktion von Bern nach Zürich verhindern. Nathalie Wappler bestreitet diesen Zusammenhang.
Auf dem Weg zum Kompromiss
Wahr ist, dass die neue SRF-Direktorin ihr Amt schon angetreten hat mit der erklärten Absicht, eine übergreifende Strategie für das gesamte Audioangebot von SRF zu entwickeln, also für das lineare Radio und für On-Demand-Angebote wie etwa Podcasts. Das hat sie in Interviews und vor der Belegschaft deutlich gemacht.
Wahr ist aber auch, dass die neue SRF-Direktorin gerade mal knapp zehn Tage nach der Entscheidung des Nationalrats gegen die Umzugspläne das Projekt ihrer Audiostrategie vom SRG-Verwaltungsrat und von der Generaldirektion hat absegnen lassen. Es gibt dafür zwei strategische Vorgaben: die Audiostrategie wird standortunabhängig geprüft und entwickelt, und die digitale Audioentwicklung erfolgt konzentriert in Zürich. Die «Eckwerte» der Strategie entsprechen etwa zur Hälfte den Forderungen der Umzugsgegner. Man nennt das ein klassisches Kompromissangebot. Prüfen wird SRF aber mehr oder weniger alles.
So sollen die Hintergrundsendungen «Echo der Zeit», «Tagesgespräch» und «Rendez-vous» in Bern bleiben, ebenso die Inland und die Ausland-Redaktion. Die Wirtschaftsredaktion ist jetzt bereits zur Hälfte in Zürich und zur anderen Hälfte in Bern angesiedelt. Ob das so bleibt, wird auch geprüft. Die Radiochefredaktion würde ebenfalls halbe-halbe «teils in Bern, teils in Zürich arbeiten». Aus Bern abgezogen werden soll der Nonstop-Nachrichtensender SRF 4 News sowie die Nachrichtenredaktion. Personalpolitisch dürfte das heissen, dass etwa 80 Stellen von Bern nach Zürich verlagert würden. Beim ursprünglich angedachten grösseren Umzug hätte SRF 170 Stellen nach Zürich verlegen wollen.
Im Zielkonflikt
Die Medienmitteilung von SRF strotzt von «würde», «sollte», «soll geprüft werden», und sie vermeidet jeden politischen Zusammenhang. Anders SRG-Generaldirektor Gilles Marchand im kritischen Interview der RTS-Sendung «Forum». Auf die Frages, ob es sich bei diesem Projekt nicht um «Salamitaktik» handle, erklärte der Generaldirektor, die SRG habe versucht, in einem «Zielkonflikt eine intelligente Lösung» zu finden. Es sei der Zielkonflikt zwischen den politischen Verfechtern des Föderalismus und den unternehmerischen Erfordernissen des Medienunternehmens. Wie «die SRG-Organisation in 15 Jahren» aussehe, könne heute niemand sagen. Für heute gilt, so Marchand: In diesem neuen Modell, das das bisherige Umzugsprojekt «Info 21» in der Deutschschweiz ablöst, geht die Aktualität nach Zürich und die Radio-Sendungen mit Hintergrund- und Magazin-Charakter bleiben in Bern. Über die Organisationsentwicklung in der Westschweiz seien noch keine Entscheidungen getroffen worden.
Für die Audiostrategie von SRF-Direktorin Nathalie Wappler heisst das im Einzelnen: «Radio SRF 4 News» geht nach Zürich und wird dort zu einem «Newsroomradio» (Wappler), das weiterhin lineare Programme ausstrahlt und gleichzeitig «on-demand»-Angebote entwickelt. Die Newsinhalte für die Morgensendung von Radio SRF1 könnten allenfalls in Zürich produziert werden. Auch eine Verschiebung von Aufgaben der Redaktion Nachrichten/Teletext von Bern nach Zürich soll geprüft werden.
Konzentration der News
Die Bündelung der Aktualität aus allen Medien – Radio, Fernsehen, Multimedia/Online in Zürich hat ihre innere Logik, die auch manche Umzugsgegner im Radiostudio Bern nachvollziehen. Umstritten bleiben dürfte die Konzentration der «Arbeiten zur Audiostrategie für das lineare Radio und das on-demand-Angebot» in Zürich. Es umfasst unter anderem die «Entwicklung von Podcasts und anderen digitalen Projekten», aber unter anderem auch Komponenten des Marketings und der formalen Gestaltung. Dies und die «Ausarbeitung einer Audiostrategie brauche die Nähe zum Entwicklungszentrum», sagt Wappler. Das stösst bei den Radioleuten in Bern zumindest teilweise auf Kritik, denn Podcasts und Angebote für Smart Speakers wurden auch dort entwickelt – einfach in flexiblen, dezentralen Strukturen und mit knappen Mitteln. Innovation von Radio und Audio hatten bei Wapplers Vorgänger Ruedi Matter keine Priorität.
Und es könnte sein, dass das für das Radiostudio Bern auch in Zukunft gilt. Die Konzentration der digitalen Entwicklung in Zürich löst bei der Belegschaft in Bern «Ernüchterung» aus, «Unsicherheit» und «Perspektivlosigkeit». Das sind die Stichworte, wenn man nach der Stimmungslage fragt. Und es taucht der Wunsch auf, Online-Journalistinnen und -Journalisten in die Berner Informationsredaktionen zu integrieren, um grade bei grösseren Beiträgen enger zusammenzuarbeiten und die Qualität zu sichern. Die föderalistische, regionale Nähe und die multimediale Arbeitsweise sollen miteinander verbunden werden. Und es besteht die Befürchtung, dass «Bern» mit der angekündigten Audiostrategie eben doch auf die Dauer ausgehungert wird. Umso mehr, als der Sparauftrag, der die SRG vor einem Jahr auf die Umzug-Idee brachte, weiterhin auf der Radioinformation lastet.
Im Schatten des Sparauftrags
Die Chefredaktion Radio hat weiterhin den Auftrag, am Standort Bern Einsparungsmöglichkeiten in Höhe von drei Millionen Franken aufzuzeigen. Das kann den Abbau von 20 bis 25 Stellen bedeuten. In einer Übergangsphase mit erheblichen Umbau- und Innovationskosten auf der einen Seite, massivem Rückgang der Werbeerträge auf der anderen, muss man entschieden die Frage stellen, ob nicht auch der Service public ein Anrecht auf Übergangs- und Innovationsförderung hat.
Das Grundproblem der Audiostrategie liegt darin, dass sie jetzt zur Lösung eines durchaus legitimen politischen Problems benutzt wird: Zur Erhaltung der föderalistisch-demokratischen Funktion des Service public. Aber sie müsste im Zusammenhang der Digitalisierung auch konsequent multimedial gedacht werden.
Offenbar will Nathalie Wappler das angehen. Neben der Audiostrategie will sie für SRF eine umfassende Angebotsstrategie für SRF entwickeln, die auch das Fernsehen und den Online-Kanal umfasst. (In: persönlich vom 27.06.2019)
Multimediale Föderalisierung
Unter den Bedingungen der konvergenten und digitalen Medienproduktion ist es durchaus sinnvoll, die schnelle und aktuelle Berichterstattung an einem Ort organisatorisch zu bündeln, also die bisher getrennten Redaktionen miteinander zu verknüpfen und Radio SRF 4 News von Bern nach Zürich zu verschieben.
Umgekehrt wäre es dann wohl auch sinnvoll, die Bündelung von Magazin- und Hintergrundformaten des Service public, etwa im Kernbereich von Politik und Wirtschaft, nicht auch noch in Zürich zu realisieren. Es wäre keine Medien-Revolution, etwa die «Arena» oder die Politik- und Wirtschaftsmagazine auch multimedial in Bern zu realisieren: Im Radio, im Fernsehen und auf dem Online-Kanal sowieso. Das Schweizer Fernsehen ist mit seiner Bundeshausredaktion ja bereits in Bern präsent.
Elemente des Kompetenzzentrums
Es liegen bei der Organisation der SRG in der Region Bern ohnehin noch ein paar lose Teile herum. Bei näherem Hinsehen gilt das schon für den Teil der Chefredaktion, der im Entwurf zur Audiostrategie für die Leitung der verbleibenden Radio-Hintergrundsendungen in Bern bleiben soll: als halbierte Einheit einer eigentlich funktionierenden Abteilung, an deren Zukunftsfähigkeit manche zweifeln, wenn sie von der Digitalentwicklung abgeschnitten wird.
Daneben entsteht die neue digitale Plattform, die als Mediathek Sendungen der vier Sprachregionen für alle SRG-Nutzerinnen und Nutzer «on demand» und personalisiert bereithalten soll. Nach Gilles Marchands Vorstellungen soll das eine digitale Schweiz werden, die die Landesteile verbindet.
Ein weiteres Teil ist die interregionale, «multilinguale» Redaktion, die sich mit so schönen Themen wie «Biodiversität» beschäftigt und mit der «Fête des Vignerons». Unterstellt ist sie der Konferenz der Chefredaktoren aller Unternehmenseinheiten in den Sprachregionen. In der Öffentlichkeit wirkt sie zurzeit noch wie eine Redaktion, die ihren Auftrag sucht. Als Projekt scheint sie aber einigermassen gefestigt. Das hat auch Gilles Marchand vor Kurzem wieder bekräftigt.
Die Leitungsperson wurde innerhalb der SRG gefunden, der Name wird aber noch nicht bekanntgegeben. Zehn bis fünfzehn RedaktorInnen insgesamt sollen aus den Sprachregionen delegiert werden. Sie sollen zunächst in eine Projektphase von drei bis fünf Jahren starten. Diese neuartige Redaktion soll nicht einfach mit «grossen Kisten» betraut werden, wie etwa «Digitalland» oder «Klimawandel» oder der «Fête des Vignerons», sondern auch mit Themen, die uns im Alltag über die Sprachgrenzen hinweg beschäftigen, nach dem Motto: «Wie machen es die Anderen?»
Solche grossen Alltagsthemen gibt es ja genug: Das Gesundheitswesen, Steuer- und Wirtschaftspolitik, unsere Beziehungen zu den europäischen Nachbarn, die Digitalisierung im Alltag, in Beruf und Privatleben, und der Klimawandel sowieso. Die Klima-Wissenschaftler beklagen sich zu Recht, dass sie seit dreissig Jahren predigen und dass in der Politik nichts geschehen ist. Und diese Untätigkeit der Politik hat auch mit den Medien zu tun. Der Service public muss nicht nur als moralischer und staatspolitischer Verständigungshelfer fungieren, sondern ebenso sehr als Seismograph für unterirdische Erschütterungen, die vielleicht grössere gesellschaftliche Beben ankündigen.
Versöhnung und Verankerung
Die SRG muss sich nicht nur mit der Politik versöhnen. Sie muss sich wieder stärker in der Gesellschaft verankern. Sie muss die lokalen und regionalen Ressourcen erschliessen, nicht nur bei den Eidgenössischen Technischen Hochschulen, sondern auch bei den Universitäten und Verbänden, und bei den kompetenten und artikulationsfähigen Einwohnern, den Eingewanderten und den Eingeborenen. Bis hin zum User generated content und anderen Formen der Einbindung der Bevölkerung in eine interaktive Mediennutzung, wie sie ja auch die Eidgenössische Medienkommission EMEK postuliert.
Bern ist als Standort für diese multilinguale interregionale Redaktion vorgesehen. Sie wäre anders als die technische Plattform eine lebendige Verbindung in die Sprachregionen und für ihren Austausch. Aber Bern ist auch für die Mediathek-Plattform für die ganze Schweiz als technische Einrichtung geplant, und sie soll die Hintergrund- und Magazin-Angebote des Qualitäts-Radios behalten, die künftig linear und on demand angeboten werden sollen. Es liegt auf der Hand, dass die multimediale (Audio- und AV-) Ausgestaltung dieser Politik- und Wirtschaft-Inhalte nur folgerichtig wäre, die also neben dem Radio auch das Fernsehen und den multimedialen Online-Vektor umfasst. Politik und Wirtschaft sind Kernbereiche des Service public, die auch bei den Hintergrund- und Magazin-Angeboten sinnvollerweise gebündelt werden.
Der Blick auf dieses Ganze ist anregend. Multimedial aufgestellte Angebote und eine mehrsprachige, interregionale Redaktion als lebendige Verbindung in die Regionen der Schweiz erscheinen für die digitale Medienzukunft ein sinnvolles Ensemble. Stadt, Kanton und die SRG-Genossenschaft Bern, Freiburg, Wallis sind aus ihrer ganzen Geschichte heraus zweifellos eine geeignete Trägerschaft für eine entsprechende institutionelle SRG-Struktur. Diese Struktur sollte für die Wiederherstellung der guten Beziehungen nach der ganzen Disruption mit einem entsprechenden Beitrag aller Beteiligten wieder gefunden werden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter von SRG/SRF.
Was mich an der Berichterstattung zu diesem Thema vor allem erschüttert: Zuerst wurde aus allen Rohren gegen das ursprüngliche Projekt geschossen und jetzt trampeln die teilweise gleichen Leute auf Frau Wappler herum und unterstellen ihr ein Einknicken gegenüber den Gegnern des Projektes zu denen sich mit Ausnahme von Rainer Stadler eigentlich alle gezählt hatten. Und warum: Es ist halt attraktiver, wenn man sagen kann, Frau Wappler sei «eingeknickt» als wenn man nüchtern darüber berichten müsste, dass nach wie vor alles ziemlich offen ist. Frau Wappler hat einfach ihre Ideen skizziert – vor allem auch ihren Angestellten gegenüber. Was dann daraus wird, weiss heute niemand.
Das ist nichts als Schluder-Journalismus wie er heute immer mehr um sich greift – leider.