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Gegen Zentralisierung der SRG: Genfer Staatsrat Hodgers (l.), Berner Regierungspräsident Neuhaus © -

SRG: La Suisse n’existe pas

Robert Ruoff /  Die Zukunft der SRG liegt in ihrer Geschichte. Sie setzt sich durch auch gegen die digitale Technologie.

Vorbemerkung: Der letzte Teil dieses Artikels befasst sich kurz mit früheren publikumsnahen Formaten und Inhalten, unter anderem von Kurt Aeschbacher. «Aeschbi» beendet am 30. Dezember 2018, also heute, um 21.40 Uhr mit der letzten Ausgabe von «Aeschbacher» offiziell seine Karriere beim Schweizer Fernsehen.

«La Suisse n’existe pas – die Schweiz existiert nicht.» Das verkündete die Schweiz vom April bis Oktober 1992 auf der Weltausstellung in Sevilla. Ohne es direkt zu sagen, propagierten Ende November die Regierungschefs der Kantone Genf und Bern wieder einmal diese «Idee suisse» in einem Gastbeitrag im Berner Tamedia-Blatt «Der Bund». Der Satz des französisch-schweizerisch-italienischen Künstlers Ben Vautier – «La Svizzera non esiste» – könnte den beiden jedenfalls als gemeinsames Motto dienen: dem Präsidenten des Genfer Staatsrats Antonio Hodgers und dem Berner Regierungspräsidenten Christoph Neuhaus. Denn die Verschiedenheit ist ihre Gemeinsamkeit: Der eine ist Deutschschweizer, geboren, aufgewachsen und wohnhaft im Aaretal, Mitglied der SVP. Der andere ist Romand, Secondo, argentinisch-schweizerischer Doppelbürger – der Vater war ein Opfer der argentinischen Militärdiktatur –, und Mitglied der Grünen.

Nein zur Zentralisierung

Unterschiedlicher könnten die Beiden kaum sein. Und doch haben Hodgers und Neuhaus gemeinsam in einem Gastbeitrag für den «Bund erklärt: «Nein zur Zentralisierung der SRG!» Sie tun das, weil es die Schweiz nicht gibt als «Einheitsschweiz», als Zentralstaat: die Gemeinsamkeit der Schweiz ist ihre lebendige Vielfalt. So gibt es folgerichtig auch keine «SRG-Schweiz» sondern unter dem gemeinsamen Dach die Sender der Regionen. Die Bindung an die regionalen Sender ist in der Geschichte der SRG tief verwurzelt und auch der Widerstand gegen die Vormacht von Zürich.

In der Gründerzeit ab 1922 haben die vier Radiostationen westlich von Zürich – Basel, Bern, Genf und Lausanne – einen eigenen Verband gegründet, um das damalige Vorhaben der Radiogenossenschaft Zürich zu blockieren, einen nationalen Sender unter Zürcher Führung aufzubauen. Der Widerstand gegen die Medienkonzentration in der Wirtschaftsmetropole Zürich hat grosse Tradition; er wird auch im digitalen Zeitalter nicht so leicht zu brechen sein.

Finanzausgleich als SRG-Kitt

Schon in der Gründungsphase ab 1925 hat zum Beispiel Radio Genève unter der gemeinsamen, parteiübergreifenden Führung des sozialdemokratischen Professors Edmond Privat und des Unternehmers Maurice Rambert seine Eigenständigkeit entschlossen verfolgt, aber gleichzeitig die Zusammenarbeit und den Programmaustausch mit den anderen Radios in der Schweiz angeboten. Eine Einigung insbesondere mit Zürich kam aber nicht zustande, und die Lage blieb blockiert, bis der Bundesrat mit einem klassisch schweizerischen Modell eine Lösung durchsetzte.

Die SRG wurde gegründet, die Verbreitungstechnik in nationale Kompetenz überführt, die Programmgestaltung in der Westschweiz blieb aber weitgehend autonom. Und schliesslich wurde der Finanzausgleich zugunsten der kleineren Regionen von der Landesregierung durchgesetzt. «Der Finanzausgleich ist die Existenzgrundlage der SRG», pflegte später ein SRG-Direktor zu sagen.

Aber das war nicht alles. Radio Bern zum Beispiel arbeitete konsequent an der Programmqualität, wurde 1925 von der britischen «Times» zu «einem der besten Radios von Europa» erklärt, lieferte in den ersten Wochen des Zweiten Weltkriegs das gesamte Programm von Radio Beromünster, machte das Studio an der Schwarztorstrasse (seit 1931) zum Sitz der militärischen Abteilung Presse und Radio und versorgt auch in Friedenszeiten während Jahrzehnten nicht nur das Gebiet des Kantons Bern sondern auch das Oberwallis, Freiburg, Solothurn, die Innerschweiz und einen Teil des Aargaus (Quelle: Radio und Fernsehen in der Schweiz. Geschichte der Schweizerischen Rundspruchgesellschaft SRG bis 1958, Verlag hier + jetzt, Bern 2000). Die sogenannte «Hauptstadtregion», die sich jetzt für das Kompetenzzentrum Radio in Bern einsetzt, hat also eine jahrzehntelange Geschichte seit den Ursprüngen der SRG, die in den letzten Jahren einfach wiederbelebt worden ist.

Geschichte als Grundströmung

Mit der gemeinsamen Erklärung der Regierungspräsidenten über die Sprachgrenze hinweg signalisiert Antonio Hodgers als Präsident des Staatsrats der Republik Genf nun auch, dass die Westschweiz bereit ist, mit der Hauptstadtregion Bern die politischen Kräfte auf nationaler Ebene zu bündeln. Die Entscheidungsmacht der Zeitungsverlage in Zürich und die einigermassen rücksichtslos vollzogenen Schliessungen wichtiger Blätter von Zürich aus (L’Hebdo, Le Matin) hat in der Romandie Schockwellen ausgelöst. Gemeinsame Opposition gegen weitere Konzentrationsprozesse nun auch bei der SRG ist daher naheliegend. Der Widerstand, der zunächst nur vom Radiostudio Bern ausging, hat damit einen beträchtlichen und politisch wichtigen Teil der Schweiz erfasst. Die gemeinsame Geschichte der Region seit Niklaus von Flüe und den Burgunderkriegen (15. Jh.) hat sich durch wichtige Entscheidungen immer wieder bestätigt, unter anderem bei der Gründung des Schweizerischen Bundesstaats und der Entscheidung für Bern als Bundeshauptstadt vor ziemlich genau 170 Jahren (28.11.1848). Auch das war ein Beschluss gegen die drohende Übermacht von Zürich, für einen Ort in der Nähe der Suisse Romande und für das Gleichgewicht der Regionen in der Schweiz.

Man kann diese historischen Strömungen bei Unternehmensentscheidungen einfach ignorieren. Aber wahrscheinlich ist es besser, wenn man sie in Rechnung stellt, denn sie pflegen langfristig zu wirken. Entscheidungen, die sich nur nach Geld und Technologie richten, könnten sonst erhebliche politische Kosten produzieren.

Im Übrigen operieren Hodgers und Neuhaus bei ihrer Deklaration gegen die Zentralisierung der SRG auch mit einem etwas eigentümlichen Vergleich: Sie setzen die SRG gleich mit dem Zirkus Knie. Der Vergleich ist aber nicht völlig verfehlt, wenn man den Zirkus Knie als nationale Institution verstehen will, die seit Jahrzehnten zur jeweils gleichen Jahreszeit in den verschiedenen Regione auftritt und klar definierte Bedürfnisse befriedigt. Das ist der gegenwärtigen Führung der SRG vielleicht nicht so wichtig, denn sie argumentiert in der Auseinandersetzung um die Verlagerung der Berner Redaktion ja vor allem mit der Autonomie und Unabhängigkeit der SRG vom Staat und von gesellschaftlichen Gruppierungen und mit der wirtschaftlichen Führung des Unternehmens. Als zweitrangig erscheinen dagegen die Anliegen der Sprachregionen, und das heisst auch: die kulturellen Bedürfnissen des Publikums.

Aber möglicherweise unterschätzt die Leitung des nationalen Medienhauses die Möglichkeit, dass der Rückgang der Zuschauerzahlen und der Abgang von beträchtlichen Teilen des Publikums nicht nur eine Frage der Digitalisierung ist, also zeitversetzten Sehens oder der Plattform- oder Serien-Konkurrenz durch Facebook, Netflix und andere. Vielleicht ist insbesondere das Schweizer Fernsehen (SRF) an einem Punkt angelangt, an dem sein Angebot nur noch begrenztes Interesse weckt.

Medien für das Gespräch der Gesellschaft

Geradezu symbolischen Wert hat für diesen Gedanken die Verabschiedung von Kurt Aeschbacher vom SRF-Bildschirm. Das ist wie ein Signal am Endpunkt einer Entwicklung: einer Verarmung des Service public der SRG. Und wenn man in Zusammenhang mit dem Abschied des Meisters der unterhaltenden Information oder der informativen Unterhaltung von Service public spricht, muss man wohl sofort festhalten, dass sich der Schweizerische Bundesrat schon sehr früh von der Entwicklung der BBC zu einem umfassenden «Public Service» hat inspirieren lassen, der alle Sparten einschliesst. Als die Radiogenossenschaft Zürich 1924 ihre Sendekonzession erhalten hat, wurde notiert: «Unterhaltung, Bildung und Nachrichten bilden die drei Pfeiler des Programms.» «Unterhaltung» an erster Stelle.

Wer in diesem Zusammenhang auf die Programmgeschichte des Schweizer Fernsehens schaut, stellt fest: Sendungen, welche Unterhaltung und Information auf mutige bis kühne Weise verbunden haben, feierten ihre hohe Zeit im Gefolge der 68er Kulturrevolution während knapp zwei Jahrzehnten. Da war das «Karrussell», das von 1977 bis 1988 mit Kurt Aeschbacher und anderen auf angenehme und nur leicht provozierende Weise Information, Service und Unterhaltung verband. Da war die «Telebühne», die ab zwischen 1976 und 1982 live im Studio Publikumsdiskussionen führte: über Sterbehilfe, Homosexualität, Gewalt und Polizeigewalt bei Demonstrationen. Sie tat das unter höchstem Druck von Seiten der Politik und höchstem Druck für die Macher und die Direktion. Da war parallel und etwas länger auch wieder Kurt Aeschbacher, der sich mit seiner Talkshow «Grell-pastell» eine Konzessionsverletzung einhandelte, weil die deutsche Theologin Uta Ranke Heinemann den Papst wegen des Kondomverbots trotz der HIV-Übertragungsgefahr als «Mörder» bezeichnete.

Pelz-Modeschau in der Sendung «grell-pastell» mit Moderator Kurt Aeschbacher (SRF Archiv: «Souvenirs 1 – 40 Jahre Schweizer Fernsehunterhaltung» vom 12. Juli 1993)

All das lief live und mit vollem (politischem) Konzessions-Risiko für die Macher. «Grell-pastell» wurde als wohl letzte Sendung dieses Zuschnitts 1994 beendet. Es waren Sendungen, die den Service public der SRG wirklich zum Forum der Citoyens und Citoyennes gemacht haben. Kurt Aeschbachers letzte Talkshow läuft nun also am Ende dieses Jahres.

Vielfalt und Nähe zum Publikum…

«Telebühne», «Karrussell», «Grell-pastell» waren Sendungen im Geiste des Slogans für die Weltausstellung «Die Schweiz existiert nicht» (1992), der die vielfältige, die ideenreiche, für die Wirklichkeit offene, die nonkonformistische, kreativ freie Schweiz beschwört. In einem Satz: Vielfalt und Unabhängigkeit des Denkens und Handelns. Dafür lohnt sich der Einsatz. – Aber die Programmentwicklung ist ein eigenes Thema.

Mit der Konzentration auf Geld und Technologie – Sparen, Umziehen, Zentralisieren – werden SRG und SRF keine Begeisterung mehr wecken sondern nur mehr Widerstand oder auch gelangweilte Abwendung. «Der SRG weht ein eisiger Gegenwind entgegen», schreiben Hodgers und Neuhaus. Über die Richtung, aus der dieser Wind kommt, sagen sie nichts. Es scheint fast, als ob er gegenwärtig aus allen Richtungen gleichzeitig weht.

…oder Vielzahl der Geldempfänger

Die alten Feinde sind bekannt. Sie arbeiten immer noch an der Reduktion der Gebühreneinnahmen, etwa durch den Verzicht auf die Medienabgabe der Unternehmen. Die alten Konkurrenten aus den privaten Medienhäusern haben sich mit neuen Modellen gezeigt: Peter Wanner und Roger Schawinski wollen eine neue Verteilung des Mediengelds, auch dies zu Lasten der SRG. Und die alten Verbündeten fragen sich, ob der Einsatz für diese SRG sich noch lohnt. Man wird sie wohl nur zurückgewinnen mit einer echten Gesprächsbereitschaft und überzeugenden inhaltlichen Vorstellungen für einen neuen, dynamischen Service public.

Die Forderung nach einer vollwertigen Radioredaktion mit Inlands-, Auslands- und Wirtschaftsredaktion, also einem Kompetenzzentrum in Bern, wird bestehen bleiben und mit gebündelter Kraft vertreten werden. Desgleichen der Widerstand gegen die Zentralisierung in der Suisse Romande. Das macht auf das Jahresende hin die gemeinsame Erklärung von Regierungspräsident Christoph Neuhaus und Staatsratspräsident Antonio Hodgers klar.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter von SRG/SRF

Zum Infosperber-Dossier:

SRG_Dossier

Medien: Service public oder Kommerz

Argumente zur Rolle und zur Aufgabe der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG.

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2 Meinungen

  • am 30.12.2018 um 12:29 Uhr
    Permalink

    In Sevilla hiess aber zweite Inschrift: «Je pense donc je Suisse». Das war genau so originell, wurde aber von niemandem aufgenommen.
    Prosit 2019

  • am 31.12.2018 um 22:28 Uhr
    Permalink

    Nein, das originell abgewandelte Descartes-Wort hatte ich tatsächlich auch nicht gehört. Es gefällt mir. Es hätte den Gehalt, ein Geflügeltes Wort zu werden.

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