Glosse
Sprachlust: Das Land, das wie eine Armee redet
«Die Schweiz hat keine Armee, sie ist eine Armee.» Das sagt heutzutage kaum noch jemand, nicht einmal der Militärminister. Er will ja nur, dass wir die beste haben, nicht sind. Aber etwas anderes gilt immer noch, nur ist es weniger bekannt: Die Schweiz redet wie eine Armee. Zugegeben, das tut vorwiegend die männliche Hälfte, und auch sie nicht immer, vielleicht sogar immer weniger oft. Und wenn sie es tut, dann meist ohne Absicht und ohne das Bewusstsein, sich beim militärischen Vokabular zu bedienen.
Doch wer neu in die Schweiz kommt, dem wird schon das eine oder andere auffallen. So jenem deutschen Spezialisten, der hier eine Stelle antrat, lange bevor es Mode wurde, und der gleich am ersten Arbeitstag zum «Kaderrapport» musste. Mit «zu Befehl» wird dabei niemand eine Anweisung quittiert haben, das gibts schliesslich nicht einmal mehr beim Militär, aber die heute geltende dienstliche Antwort taucht ab und zu auch im Zivilleben auf: «verstanden». Ansonsten aber bemerken Deutsche eher, dass der Ton im beruflichen oder auch privaten Umgang weniger zackig ist als in ihrer Heimat.
Manöverkritik beim Kadi
Es ist indes nicht aussergewöhnlich, wenn an einem geschäftlichen Rapport eine Manöverkritik stattfindet (statt eines neumodischen, aber ebenfalls militärisch angehauchten Debriefing), vielleicht nach geschlagener Schlacht im Weihnachtsverkauf. Und wenn eine Firmenaktion nicht den gewünschten Erfolg bringt, könnte die Geschäftsleitung den Übungsabbruch verfügen. Gut möglich, dass der Verantwortliche, wenn er zum Chef zitiert wird, zur Kollegin sagt, er müsse zum Kadi. Und dabei ganz selbstverständlich an den (Kompanie-)Kommandanten denkt, während ihr womöglich der arabische oder deutsch-umgangssprachliche Richter in den Sinn kommt.
Nicht selten kommt Militärsprache in Sportvereinen oder beim Wandern in Gruppen vor, wenn X Mann (beiderlei Geschlechts) miteinander ausrücken. Da hats Tagwache gegeben, man ist angetreten und muss ab und zu austreten, vielleicht schon vor dem Stundenhalt. Einen Schluck aus der Feldflasche, für ältere Jahrgänge eine Scholle Hanf (für jüngere: keinen Hanf, nur ein Stück Brot), und schon ist wieder Abmarsch. Bald wirds Zeit, richtig zu verpflegen – nicht etwa sich oder die Gruppe: Das Verb leistet seinen Dienst intransitiv, ohne Objekt. Das Gleiche gilt fürs Retablieren, das nach dem Einrücken stattfindet. Schliesslich will man ja auf Vordermann sein, um in den Ausgang zu gehen.
Spatz vom Chuchitiger
Noch reichhaltiger, nur nicht immer druckfähig, ist das Dialekt-Vokabular, das mancher brave Soldat ins Zivilleben mitnimmt. Einen Chuchitiger kanns auch in der Fabrikkantine geben, und dass er einmal Spatz kocht, kann nichts schaden. Denn der Armee-Eintopf ist durchaus beliebt, besonders aus der Gulaschkanone. Dass in der Chefetage das Rösslispiel residiert, braucht niemanden zu verwundern, und manch ein Bürogummi versteht sich darauf, zu verschlaufen, wenn langweilige Arbeit ansteht, die auch andere erledigen können. Er könnte freilich, sobald er wieder auftaucht, mit militärisch angereicherten Kraftausdrücken empfangen werden.
So hat das Milizsystem seine guten Seiten, nicht nur die oft beschworenen staatsbürgerlichen, sondern auch die sprachbereichernden. Dazu gehört das Wort «Milizsystem» selber, das ja in der Politik und im Vereinsleben ebenfalls gern verwendet wird. Zuwanderer aus Ländern, in denen die Miliz eine kasernierte und unzimperliche Polizei ist, werden zuerst einmal zusammenzucken, wenn sie bei uns davon hören. Aber sie gewöhnen sich ja auch daran, dass Bahnhöfe voller Soldaten nicht den Ausnahmezustand bedeuten. Es geht da nur um Wiederholungskurse zur Pflege des helvetischen Wortschatzes.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und Verfasser der Kolumne «Sprachlupe», alle 14 Tage in der Zeitung «Der Bund». Er betreibt die Website Sprachlust.ch
Kleine Ergänzung
… und wenn der Bundesrat Beschlüsse fällt, welche die Redaktionen als wichtig taxieren, reden die Journalisten (nicht aber die weiblichen) von einem «Grosskampftag» und eilen ins Parterre des Medienhauses, um die «Unterlagen zu fassen".
Hanspeter Guggenbühl