Glosse

Sprachlust: C’est le geste qui compte

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Egal, wann die Schule mit der ersten und wann mit der zweiten Fremdsprache beginnt: Zuerst eine Landessprache, darum heisst sie so!

Die französische Redensart klingt einfach, ist aber gar nicht so einfach zu übersetzen: «C’est le geste qui compte.» Wort für Wort wirds furchtbar holprig: «Es ist die Gebärde, die zählt.» Verzichten wir auf die «Gebärde» und nehmen wir das Lehnwort «Geste», so tritt der Sinn zutage: Es geht nicht unbedingt um eine Handbewegung, sondern um irgendein Zeichen, mit dem jemand etwas ausdrückt. Oft wird die Redensart verwendet, wenn bei einem Spendenaufruf auch kleine Beiträge willkommen sind, als Geste der Solidarität.
Die Einleitung mit «c’est» dient der Betonung des «geste»; wird sie mitübersetzt, so wirkt sie schwerfällig. Nötig ist sie auf Deutsch nicht, weil hier Satzbau und Betonung freier sind. «Die Geste zählt» ist aber nur dann eindeutig, wenn der Satz mit Akzent auf «Geste» gesagt wird. Diese Schwierigkeit lässt sich so umgehen: «Was zählt, ist die Geste.» Oder freier: «Auf die Geste kommt es an.» Meistens ist eine Geste des Wohlwollens gemeint; bei einer verächtlichen Geste liesse sich die Redensart höchstens ironisch verwenden. Somit kann die Übersetzung im Normalfall so verdeutlicht werden: «Der gute Wille zählt.»
Welt- statt schweiztauglich?
Und damit wären wir beim Anlass für diese «Sprachlust», den Sie wohl längst vermutet haben: bei der Diskussion ums Sprachenlernen, die seit dem Votum des Thurgauer Grossen Rats gegen Französisch in der Primarschule wieder aufgeflammt ist. Um die pädagogische Frage, ab wann es sinnvoll ist, eine Fremdsprache schulisch zu lernen, geht es mir hier nicht; auch nicht darum, ab welchem Alter eine zweite Fremdsprache zumutbar ist, wenn überhaupt für alle Kinder und Jugendlichen. Und auch nicht darum, wie realistisch die Vorgabe der Erziehungsdirektorenkonferenz ist, am Ende der obligatorischen Schulzeit seien die Sprache eines anderen Landesteils sowie Englisch gleich gut zu beherrschen – egal, mit welcher begonnen werde.
Was die Gemüter erhitzt, ist nur die Reihenfolge des Beginns: Wird in der Deutschschweiz Englisch an die erste Stelle gesetzt, so fühlt man sich in der Romandie als «quantité négligeable» behandelt, neudeutsch gesagt als Peanuts. Denn die pädagogischen Gründe, die für den Englisch-Vorrang angeführt werden (leichtere Sprache, grösseres Interesse der Kinder), überzeugen wenig. Schwerer wiegt wohl die Absicht, wenigstens gute Englischkenntnisse sicherzustellen, falls es für zwei Fremdsprachen nicht reichen sollte. Und dahinter darf man die Ansicht vermuten, Welttauglichkeit mit Englisch sei wichtiger als Schweiztauglichkeit mit Französisch oder Italienisch.
Geste der Verbundenheit
Voilà – dabei wäre eben die Geste wichtig, die «compatriotes» lateinischer Sprachen für voll zu nehmen und eine ihrer Sprachen so gut zu unterrichten, dass am Ende der Schulzeit nicht nur Verständigung möglich ist, sondern zudem ein gewisses Verständnis für Denkweisen, wie sie sich auch in der Sprache manifestieren. Bescheidener dürfen die Anforderungen an den Englischunterricht sein: Mehr als die Grundlage ist nicht nötig, auf der später berufsspezifisch die international nötigen Kenntnisse erworben werden können.
Wie es herauskommen kann, wenn nur noch Dreiecksverständigung via Englisch möglich ist, zeigt gerade «c’est le geste qui compte». Im Internet zirkuliert auch die Übersetzung «der Gedanke zählt», mit Berufung auf «it’s the thought that counts». In der Bedeutung «wichtig ist, dass man daran gedacht hat» kann sich das auf eine Geste beziehen, aber ein Gedanke, der sich überhaupt nicht äussert, zählt sicher nicht im Sinn der Redewendung. In helvetischen Sprachenfragen reichen blosse Gedanken nicht, es braucht auch Worte und Taten, und bei den Worten ist wichtig: «C’est le ton qui fait la musique.» Die Bundesverwaltung übersetzte das einmal so: «Der Ton macht es aus.» Schon recht, aber das Original wirkt besser!
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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2 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 10.09.2014 um 01:21 Uhr
    Permalink

    Le geste qui compte… sans aucun doute. Aber machmal darf man sich auch fragen ob der «auteur» dieser Phrase auch weiss, wovon er spricht.

    In der Tat gibt es in der Westschweiz sehr viele Leute, und v.a. Medienschaffende, welche denken, dass Deutsch (ich sage gewöhnlich «germanique") eine echte Schweizer Sprache sei. «Standardsprache» heisst das Ding mittlerweile in vielen Kreisen, aber für die meisten Deutschschweizer bleibt das eine «Fremdsprache» oder wird zumindest nicht als «Muttersprache» anerkannt. Wenigstens hat meine Mutter mit mir nie «Standarsprache» gesprochen.

    Dieses Problem wird überzeichnet. Im Kanton Fribourg wurde vor noch nicht allzu langer Zeit eine «Bilinguisme» (mit Aussprache des «u") v.a. von der Lehrerschaft verworfen. In der Zwischenzeit haben aber zweisprachige Schulmodelle definitiv an Popularität unter den Schülern gewonnen.

    Wird Fribourg effektiv «bilingue», dann werden wohl bald die meisten Kaderstellen in Bern von Freiburgern übernommen werden. «Who else ?"

    Schweizerdeutsch sollte aber auch von unseren «amis romands» als Srache respektiert werden, selbst wenn die fehlende «Schreibbarkeit» im cartesianischen Sinn als Manco interpretiert werden sollte. Man kann in der Tat sehr wohl auch auf schweizerdeutsch oder französisch diskutieren und die Notizen «in english» auf Papier festhalten. Bei mir hat das wenigstens während Jahren funktioniert.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 10.09.2014 um 01:22 Uhr
    Permalink

    Dadurch, dass ich meine Notizen nicht direkt vorlesen konnte, war auch mein Unterricht in der Regel etwas studentennäher als in der klassischen Version des alten Schulmeisters.

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