So trickste der Kanton Wallis beim Herdenschutz
Der Walliser Staatsrat liefert ein Müsterchen, was den Wolf im Wallis erwartet, wenn das revidierte Jagdgesetz am 27. September vom Volk angenommen wird.
Vom Juni bis August 2018 wurden in den beiden Unterwalliser Tälern Vallon de Réchy und Val d’Anniviers insgesamt 39 Schafe vom Wolf gerissen – 30 davon ohne den vorgeschriebenen Herdenschutz und für die neun restlichen Schafe war nicht klar, ob sie sich ausserhalb oder innerhalb des Zaunes befunden hatten. Damit war klar, dass die gesetzlich geforderte Mindestzahl von 15 geschützten Schafen für den Abschuss des Wolfes nicht erreicht wurde.
Kantonsgericht gibt BAFU, Pro Natura und WWF Recht
Um trotzdem auf die vom Bund geforderten 15 gerissenen Nutztiere zu kommen, griff das zuständige Walliser Umwelt-Departement von CVP-Staatsrat Jacques Melly in die Trickkiste: Es transformierte Alpen, wo Herdenschutz möglich ist, in «nicht schützbare» Alpen. So konnten diese Risse für einen Wolfsabschuss angerechnet werden – ein Entscheid, den die Walliser Regierung stützte.
Das geht aus einem Urteil des Walliser Kantonsgerichts vom 14. April 2020 hervor. Es kam zum Schluss, dass die Bewilligung des Kantons Wallis vom 5. September 2018 für den Abschuss eines Wolfes «bundesrechtswidrig» gewesen ist und nicht hätte erteilt werden dürfen. Das Urteil ist laut Auskunft des Walliser Kantonsgerichts rechtskräftig.
Beschwerde eingereicht hatten das Bundesamt für Umwelt (BAFU) sowie die Umweltorganisationen Pro Natura und WWF. Sie bekamen vollumfänglich Recht.
Kantonsgericht: Abschussbewilligung ist «nicht nachvollziehbar»
Ein Blick ins Urteil zeigt, wie der Kanton Wallis vorging, um auf die nötige Anzahl Nutztierrisse zu kommen. Konkret ging es um die Wolfsrisse auf den Unterwalliser Alpen Singlinaz (24 Risse), Orzival (6 Risse), Arpitettaz (8 Risse) und Ar du Tzan (1 Riss). Die Alpen Singlinaz und Orzival erklärte der Kanton Wallis als «nicht schützbar», im Widerspruch zum Bericht zur Schafalpplanung, der vom Kanton und vom Bund gemeinsam in Auftrag gegeben worden war.
Laut dem Urteil des Kantonsgerichts kann bezüglich der Alp Singlinaz «entgegen der Ansicht des Staatsrats nicht nachvollzogen werden», weshalb das Umwelt-Departement «entgegen den Ausführungen in der Schafalpplanung zum Schluss kommt, diese Alp sei nicht schützbar». Die Alp Singlinaz gelte laut Schafalpplanung als «gut zugänglich und überblickbar» und der Einsatz von Herdenschutzhunden sei «möglich und zumutbar». Folglich sei die Alp Singlinaz «zu Unrecht als nicht schützbar bezeichnet» worden. Die 24 gerissenen Schafe hätten gemäss der eidgenössischen Jagdschutzverordnung «nicht berücksichtigt werden dürfen».
Auch die sechs gerissenen Schafe auf der Alp Orzival können laut Kantonsgericht für die Abschussbewilligung «nicht angerechnet werden». Die Schlussfolgerungen des Staatsrats und des Umwelt-Departements, die Alp Orzival sei «nicht schützbar» beziehungsweise die Schutzmassnahmen seien ausreichend gewesen, ist laut Kantongericht «aufgrund der vorhandenen Akten nicht nachvollziehbar».
Was die neun gerissenen Schafe auf den Alpen Arpitettaz und Ar du Tzan betrifft, geht laut Kantonsgericht aus den Rissprotokollen des Kantons nicht hervor, ob diese Schafe innerhalb oder ausserhalb der Nachtpferche gerissen worden sind. Doch das könne offenbleiben, denn auch mit der Berücksichtigung dieser neun Nutztierrisse werde die «für den Abschuss erforderliche Anzahl von fünfzehn gerissenen Nutztieren nicht mehr erreicht».
Der Wolf liess sich nicht erwischen
Damit kommt das Kantonsgericht zum Schluss: Die Walliser Bewilligung für den Abschuss des Wolfs im Val d’Anniviers und im Vallon de Réchy war «bundesrechtswidrig» und «hätte nicht erteilt werden dürfen».
Der Walliser Staatsrat wurde erwischt. Nicht erwischen liess sich der Wolf – trotz staatsrätlicher Abschussbewilligung.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war von 2000 und 2010 Redaktor der Oberwalliser Zeitung «Rote Anneliese». Er ist Autor des Buches «Tal des Schweigens: Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz» (2012). 2013 erhielt er dafür den Prix Courage.
Es zeigt sich wieder einmal wie die Justiz im Elfenbeinturm und veraltete Gesetze der aktuellen Entwicklung hinterher hinken. Die Aufteilung in „schützbare“ und „nicht schützbare“ Alpen hat der Wolf längst ausgetrickst. Er hat, wie in Frankreich schon länger bekannt, gelernt Schutzmassnahmen zu umgehen, in dem er zum Beispiel Elektrozäune überspringt und in den Pferch eindringt, wo er leichte Beute hat, weil die eingezäunten Tiere nicht flüchten können und dem Wolf ausgeliefert sind. Anschliessend schleppt er die halbtoten Tiere aus dem Pferch an einen Ort, wo er ungestört fressen kann. Die Kadaver der geschützten Tiere werden vielfach ausserhalb der Zäune gefunden, weshalb Wolfsversteher behaupten, diese Tiere könnten ja nicht geschützt gewesen sein. Diese Tiere werden dann dem Tierhalter nicht vergütet. Gemäss Wolf CH erlegen Wölfe überwiegend Tiere, die in einem Zustand (z.B. keine Fluchtmöglichkeit) sind, in dem sie für ihn eine leichte Beute darstellen und ziehen ihre erlegte Beute vielfach an einen sicheren Ort, wo sie ungestört fressen können. Weil der Wolf und die Wolfsrudel die Herdenschutzmassnahmen umgehen können, werden sie zunehmend nutzlos und auch als Kriterium für den Schadenersatz unbrauchbar. Weil die Tierhalter für den angerichteten Schaden nur teilweise entschädigt werden, geben immer mehr auf, zurzeit sind es 50 aufgegebene Alpen pro Jahr.
Der Kanton Wallis wurde wieder mal seinem Ruf als «Bananenrepublik» gerecht – so leid es mir tut. Es gäbe noch andere Beispiele!
Soso, der Wolf spring also über den Elektrozaun, um die Beute zu reissen und springt dann mit dem halbtoten Tier wieder über den Elektrozaun aus dem Pferch, damit man dann nicht auf die erforderlichen 15 geschützten Risse kommt, um den Wolf zu erschiessen. Molmol, ein schlauer Fuchs dieser Wolf.
Die ganzen Diskussionen über die «Schützbarkeit» einer Alp sind sonderbar. Eigentlich müsste doch klar sein, dass man keine Schafe hält an einem Ort, wo man sie nicht ordentlich betreuen kann. Es wäre ein Gewinn für die Schweiz, wenn man die Schafhaltung in den Bergen auf ein vernünftiges Mass reduzieren würde.
Herdenschutzhunde sehe ich nur in Verbindung mit einem Hirten als brauchbare Lösung. Die Ideen gewisser Schafhalter, dass sie ihre Schafe durch ein unbetreutes Hunderudel schützen lassen könnten, und dass sie für die Gefährdung, die ein solches Hunderudel für Wanderer darstellen würde, nicht verantwortlich wären, sind zurückzuweisen.
@Aebersold: Schafe ohne Schutz haben gegen einen Wolf sowieso keine Chance, egal ob sie eingepfercht sind oder nicht. Sie sind viel zu langsam, um vor einem Wolf flüchten zu können.