infosperberShell

Gleich fünf Tankstellen an der kleinen Grenze zu Italien © Christian Müller

Shell zockt ab, die Italiener dürfen zahlen…

Christian Müller /  Der freie Markt im kleinen Grenzverkehr – zum einseitigen Vorteil der Treibstoff-Multis. Ein Beispiel zum Nachrechnen.

Der Benzinpreis im Südtessin ist deutlich höher als zum Beispiel in der Zentralschweiz. Noch vor wenigen Monaten war es gerade umgekehrt. Warum diese neuen, deutlich höheren Preise jetzt nahe der Grenze zu Italien?

Für die Italiener hat es sich schon immer gelohnt, zum Tanken in die Schweiz zu fahren, da der Treibstoff in der Schweiz meist deutlich billiger ist als in Italien. Und es lohnt sich immer noch, trotz des überhöhten Franken-Kurses gegenüber dem Euro.

Wegen der Wirtschaftskrise in Italien sind die Treibstoffpreise dort in letzter Zeit aber sogar noch gestiegen. Und wie reagierten die Tankstellen auf der Schweizer Seite der Grenze auf diese Veränderung? Auch sie haben kurzerhand die Preise erhöht – ohne höhere Abgaben, ohne höhere Beschaffungskosten, einfach so. Denn trotz der absichtlich erhöhten Preise auf der Schweizer Seite lohnt sich der grenzüberschreitende Tankstellen-Tourismus immer noch. Gemäss Giorgio Tettamanti, inoffizieller Sprecher der Tankstellenbetreiber im Südtessin, hat der Umsatz auf Treibstoff in den letzten Monaten sogar um bis zu 30 Prozent zugenommen, wie die AZ vom 9.5.2012 berichtete. Shell und Konsorten profitieren, die Krisen-gebeutelten Italiener aber werden zur Kasse gebeten.

Infosperber hat schon im März auf dieses Spielchen aufmerksam gemacht. Vor und auch nach dem Erscheinen des Artikels über die Preispolitik der Treibstoff-Multis an der Schweizerisch-Italienischen Grenze hat Infosperber mehrmals versucht, von Shell Schweiz eine Stellungnahme zur Preispolitik innerhalb der Schweiz zu erhalten. Aber Shell schweigt. Der Erdöl-Multi weiss warum: Es ist die reine Abzockerei, die da abläuft.

So stand es im Infosperber Ende März 2012:

Wer kennt nicht Luino am Lago Maggiore mit seinem farbenfrohen Wochenmarkt jeweils am Mittwoch? Aus der Schweiz gelangt man nach Luino mit dem Schiff von Locarno oder Ascona über den See oder mit dem Auto von Vira/Magadino durch den Gambarogno, oder aber von Ponte Tresa am Luganersee dem Grenzfluss Tresa entlang über den Zoll in Fornasette.

Soweit die Geographie. In Fornasette war seit Monaten eine grosse Baustelle. Jetzt ist das Gebäude fertig, bezogen und angeschrieben. Es ist – einmal mehr – eine Tankstelle. Eine weitere von Shell. Nichts Aussergewöhnliches also.

Wer die Gegend allerdings öfters befährt und dabei die Augen offen hält, dem fällt auf, dass hier beonders viele Tankstellen stehen. In Fornasette selber, einem Dorfteil von Ponte Cremenaga mit kaum ein paar Dutzend Einwohnern, sind es deren 5. Auf den sieben Kilometern Strasse von dort bis Ponte Tresa hat es deren weitere 4. Von Ponte Tresa Richtung Lugano, auf den ersten drei Kilometern bis zur Ortsgrenze von Agno, hat es weitere 12 Tankstellen! Und in Suino/Cassinone, einem kleinen Nebenzoll zwei Kilometer von Fornasette entfernt, hat es nochmals eine. Sprich: Auf den rund zehn Kilometern von Fornasette über Ponte Tresa Richtung Lugano bis Magliaso hat es gut und gerne 22 Tankstellen mit zum Teil bis zu zwölf Tanksäulen! Allein Shell hat hier auf diesen zehn Kilometern jetzt drei grosse Tankstellen!

Benzin und Diesel für Italien

Man braucht nicht Hellseher zu sein, um zu sehen, warum hier eine solche Ansammlung von Tankstellen zu finden ist: Treibstoff, sowohl Benzin wie auch Diesel, ist in der Schweiz billiger als in Italien. Also kommen hier Tausende und Abertausende von Italienern mit dem Auto über die Grenze, um hier zu tanken.

Wer profitiert von diesem «kleinen» Grenzverkehr?

Natürlich, die Italiener, die ihre Macchina auf der Schweizer Seite etwas günstiger auftanken als auf ihrer Seite der Grenze. Nehmen wir an, Luigi fährt mit seinem kleinen Peugeot (eine hier auffällig oft gesehene Marke) etwa 15’000km im Jahr und braucht mit seinem hochtourigen Fahrstil gut 7 Liter auf 100km, dann sind das bereits mehr als 1000 Liter Benzin, die er bzw. seine Macchina jedes Jahr konsumiert. Einsparung zu heutigen Preisen gegenüber Italien für diese tausend Liter: bei Benzin ca. 290 Euro, bei Diesel immerhin noch 200 Euro. Bei einem üblichen Monatsgehalt von 1200 Euro ist das alleweil spürbar.

Deutlich mehr allerdings profitiert die Schweiz. Zurzeit kassiert der Fiskus in der Schweiz 73.12 Rappen pro Liter bleifreies Benzin und 75.87 Rappen pro Liter Diesel. Vom Geld, das Luigi für die Betankung seiner Macchina in der Schweiz statt in Italien ausgibt, profitiert der Schweizer Fiskus also mit rund 750 Franken pro Jahr. Das scheint, auf den ersten Blick, nicht besonders viel zu sein. Nur: Die Schweiz hat 240’000 Grenzgänger, die am Morgen kommen und am Abend gehen. Hochgerechnet allein auf die Berufsgrenzgänger sind das dann bereits 180 Millionen Franken, die der Schweizer Fiskus aus diesem grenzüberschreitenden Treibstoff-Konsum einnimmt. All die Tausende, die nicht in der Schweiz arbeiten, aber trotzdem hier tanken kommen, noch nicht eingerechnet.

Die transnationalen Konzerne profitieren immer

Zu den Profiteueren aber gehören vor allem auch die Konzerne Shell, Esso und BP. Denn den Gewinn auf dem in der Schweiz gekauften Treibstoff versteuern sie natürlich in der Schweiz (wodurch der Schweizer Fiskus nochmals profitiert). Die Steuern aber in der Schweiz sind deutlich niedriger als in Italien, wo die Firmen zurzeit den Firmengewinn mit über 50% versteuern müssen. Je mehr Italiener also ihre Macchina auf der Schweizer Seite der Grenze auffüllen, umso praller wird die Kasse des Öl-Multis Shell gefüllt und umso mehr profitiert auch der Schweizer Fiskus.

Wo profitiert wird, wird auch verloren

Eine reine Win-Win-Win-Situation für die Italiener, den Schweizer Fiskus und die Erdöl-Firmen ist das allerdings nicht. Denn wo einer oder gar mehrere massiv profitieren, ist mit grösster Wahrscheinlichkeit auch ein Verlierer. In diesem Fall ist es klar: es ist der italienische Staat, dem sowohl Treibstoff-Steuern wie auch Gewinn-Steuern der Öl-Multis entgehen. Und hier geht es dann nicht nur um Millionen, sondern schnell einmal um Milliarden.

Die Öl-Konzerne profitieren sogar zusätzlich!

Nicht genug mit dieser Milchmädchen-Rechnung. Weil Benzin und Diesel in der Schweiz für die Ausländer zu attraktiveren Preisen erhältlich sind als jenseits der Grenze, kann man ja auch noch am Preis pro Liter ein bisschen «schrüblen», wie die Deutschschweizer zu sagen pflegen: ein bisschen «schrauben». Konkret: Der Liter Diesel kostete z.B. in Fornasette direkt an der Grenze bei Shell am 23. März CHF 1.99. In Cham bei Zug in der Zentralschweiz aber zahlte man am gleichen Tag nur CHF 1.92 – und Zug ist ja nicht gerade bekannt als besonders preisgünstiges Einkaufspflaster. Man knöpft den Italienern, die um Geld zu sparen zum Tanken in die Schweiz kommen, also auch noch gleich mehr Geld ab. Zum Nachteil der einheimischen Tessiner, die den höheren Preis natürlich auch zahlen müssen.

Der freie Markt «spielt»

Das alles läuft unter dem Titel «freier Markt». Oder anders ausgedrückt: Hier «spielt» der freie Markt. Der freie Markt heisst freier Markt, weil er den transnationalen Konzernen die Freiheit gewährt, die Staaten gegeneinander auszutricksen und die Käufer zu überlisten und dabei selber als garantierte Gewinner aus dem «Spiel» zu gehen. Auf der Website www.shell.com ist denn auch Genaueres nachzulesen: Shell verdiente im Jahr 2009 12.5 Milliarden Dollar, 2010 20 Milliarden Dollar und 2011 31 Milliarden Dollar. Und das mit 90’000 Angestellten. Das sind also 345’000 Dollar pro Mitarbeiter. Merke: Nicht Umsatz, sondern Gewinn!

Und ausserdem:

Wo Geld ist, sind auch Schweizer, sagt man. Der CEO von Shell heisst Peter Voser. Er ist Schweizer.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

Eine Meinung zu

  • am 25.03.2012 um 13:24 Uhr
    Permalink

    Ein interessantes Beispiel. Fassen wir zusammen: Staaten greifen in den freien Markt ein, verfälschen die Preise, sorgen dadurch für Ungleichheit. Das Fazit des Autors: Schuld daran ist der freie Markt!
    Aber noch ist die Hoffnung ja nicht verloren: Denn die negativen Auswirkungen eines Staatseingriffs behebt man am besten mit einem weiteren Staatseingriff: Und so bekommen die Italiener, die in der Nähe der Grenze wohnen, ihr Benzin verbilligt, um sie vom Tanken in der Schweiz abzuhalten. Und dem Sizilianer, der sich dadurch benachteiligt fühlt, erklärt man nachsichtig, das sei nun eben die Schuld des freien Markts.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...