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Reto Lipp und Christine Maier in 10 vor 10 zur Immobilienblase © srf

SF-„Arena“: Schafft die Politiker ab!

Robert Ruoff /  In der «Arena» kann funktionieren, was in den News ein Ärgernis ist. ExpertInnen statt PolitikerInnen.

Christine Maier war weniger asketisch geschminkt als auch schon. Das HD-Fernsehen verlangt das wahrscheinlich. Aber sonst war sie höflich, kühl und sachlich wie immer. Ich mag diesen journalistischen Stil.

Korrespondenten statt Experten

Die eigentliche Überraschung in diesem «10 vor 10» vom Freitag, 1. Juni 2012, war: Es trat kein einziger Banker als Experte auf. Und kein Politologe. Und keiner dieser professoralen Dünnbrettbohrer, die ihre Lehrmeinung als wissenschaftliche Erklärung der Welt verkaufen. Das macht schon fast Geschichte. Das müssen wir festhalten. Auch wenn es nicht ganz ohne Universitätsexperten abging.

Es gab klare Schwerpunkte mit einem unverkennbaren redaktionellen Zugriff. Wohnen in der Schweiz – der Kampf um Syrien – der Schweizer Sicherheitsexperte an der EURO in der Ukraine (immerhin einer von uns, der sich qualifizert hat) – und zum guten Ausklang das Thronjubiläum der Queen mit (unter anderen) Peter Balzli und Florian Inhauser als unsichtbaren Gestaltern. Ich habe mich entspannt zurück gelehnt.

Exemplarisch aus meiner Sicht der konzise Einsatz von Arthur Honegger in den USA und Pascal Weber in Kairo mit der Einschätzung des Syrien-Konflikts (was den SF-üblichen kommentierenden Schlenker im Off-Kommentar definitiv unnötig machte). Nicht verzichten mochte die Redaktion auf die zwei Sätze von Roland Popp, des «Nahost-Experten von der Universität Zürich» trotz des eigenen journalistischen Potentials. – Es war überflüssig aber auszuhalten. Vielleicht braucht der Kompetenzaufbau der eigenen Leute noch etwas Zeit, nachdem das in langen Jahren zuvor gründlich vernachlässigt wurde.

Redaktionelle Selbstzweifel gibt es nicht mehr bei Reto Lipp, der mittlerweile von Christine Maier als «Wirtschaftsexperte SRF» präsentiert wird. Er sagte zwar nichts Neues, aber er gab für ein interessiertes Publikum nachvollziehbare Erklärungen, die nicht von Anfang an aus der Sicht der Banken oder der Exportwirtschaft oder der Gewerkschaften geprägt waren. – Eine klassische journalistische Dienstleistung.

Sie liess sich schön mit dem Programmhinweis auf die SF-«Arena» verbinden. Zum nicht mehr ganz neuen Thema «Eurokrise». Ausschliesslich mit «Experten» im Zentrum der «Arena»-Diskussion. Und den eigenen Fachredaktoren und Korrespondenten. Und – leider – ein paar Politikern für die Ausgewogenheit.

Kompetenz gegen Stehsatz

Also bin ich dran geblieben. Obwohl ich die «Arena» in ihrer gewohnten Form für ein Auslaufmodell halte. Das in der Regel vorwiegend der Selbstdarstellung der Politiker-Innen und ihrer Parteien dient. Mit dem besagten Drang zur Ausgewogenheit, bei der jede kleine Mittepartei und jede grosse Pol-Partei präsent sein muss, mit dem immer wiederkehrenden Personal. Ergänzt noch durch «Experten» oder «Journalisten», die sich fast immer als Parteigänger der einen oder anderen Richtung entpuppen. Eine Show, bei der jeder und jede etwas sagen darf und nichts wirklich gesagt wird, so dass am Ende meist gähnende Langeweile sich verbreitet. In der Schweiz sind auch die Ressourcen für den politischen «Superstar» begrenzt.

Ich wollte sehen, wie das wird, wenn nicht der übliche politische Wanderzirkus seine Pirouetten dreht. Um es vorweg zu nehmen: Es hat streckenweise Spass gemacht, durchaus verbunden mit Erkenntnisgewinn. Was ja zusammen gehört.

Ganz ohne Imponiergehabe ging es zwar auch diesmal nicht ab. Mit Daniel Kalt, dem «Chefökonomen» der UBS. Und Daniel Lampert, dem «Chefökonomen» des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds SBG. Und Reto Lipp, dem «Wirtschaftsexperten SRF», wie wir aus «10vor10» noch wussten. Und dem «Ökonomen und Unternehmensberater» Klaus W. Wellershoff, der zwölf Jahre als «Chefökonom» der UBS wirkte – Daniel Kalts Vorgänger –, und der sich jüngst als überzeugter Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens outete («Ich würde tanzen, wenn es angenommen würde.»). Solche Details liess «Arena»-Moderator Urs Wiedmer unerwähnt. Man kann ja nicht alles sagen. Aber es sind Kleinigkeiten, die manches erklären und dem geneigten Publikum reizvolle Beobachtungen ermöglichen.

Wobei die beiden Daniel, Kalt und Lampert, weniger Experten denn Interessenvertreter sind: Vertreter der Banken der eine, der Gewerkschaften der andere. Aber mit Fachwissen ausgestattet, was man, wie sich zeigen sollte, von vielen Politikern nicht sagen kann.

Zuerst aber die Korrespondenten.
Werner van Gent, zugeschaltet aus Athen, den die Sorge umtreibt vor dem Staatsbankrott und die Abneigung gegen Alexis Tsipras, den Führer des Linksbündnisses. Was ihn nicht an klaren Wahrnehmungen hindert – «in Thessaloniki erhalten die Leute in mehreren Spitälern seit sechs Monaten kein Gehalt mehr» -, aber an naheliegenden Schlussfolgerungen: Menschen, die von dem Geld der EU, das nach Griechenland fliesst, keinen Cent sehen, aber ihre eigene Verarmung täglich erleben, werden aus nachvollziehbaren Gründen eine Partei wählen, die das als «Sparprogramm» bezeichneten Verelendungsprojekt ablehnt.

Dann Jonas Projer, der, eingeflogen aus Brüssel, die Nervosität in der EU schildert. Und Zustimmung findet bei Reto Lipp – «ich glaube, Jonas hat recht» – mit seiner Schilderung des nahezu totalen Vertrauensverlustes. So entsteht einigermassen zügig eine grenzüberschreitende Übereinstimmung zwischen dem Banker, dem Gewerkschafter, dem Berater und den Journalisten über die Notwendigkeit eines weiteren Schuldenschnitts im Rahmen der Eurozone. Wellershoff zu Kalt: «Ich glaube, Dani Kalt hat recht.» So etwas wie persönliche Beziehungen, die ja ausserhalb der Kamera auch spielen, dürfen hier aufscheinen. Für einmal ist Diskussion in der «Arena» nicht einfach Machtspiel und politische Taktik sondern gemeinsame Arbeit an einer Situationsanalyse. Ein Gespräch mit einem Hauch von Kollegialität, ohne falsche Vertraulichkeit.

Das Zumutbare und das Unzumutbare

Was durchaus spannend sein kann und Abgrenzung nicht ausschliesst. Wellershoff zum Griechenlandkorrespondenten: «Werner van Gent hat etwas gesagt, wo ich ein bisschen gezuckt habe. Ich glaube, die Griechen haben enorm viel gespart. Wir stellen das immer so dar, als wäre da überhaupt nichts passiert. Das Defizit war 15 Prozent in der Spitze im Jahr 2009, wenn ich’s richtig erinnere; es wird in diesem Jahr irgendwo zwischen sieben und acht Prozent sein. Ich kenne keine Demokratie, die zu Friedenszeiten einen solchen enormen Sparkurs durchgezogen hat. Und von denen jetzt zu verlangen, dass sie noch härtere Sparmassnahmen ergreifen sollen, finde ich persönlich nicht nachvollziehbar. Und ich glaube, das lässt sich politisch auch in Brüssel nicht durchsetzen.»

Eine Kernaussage, der sich auch van Gent und die anderen anschliessen können. Und die den Blick öffnet auf eine grundlegende demokratiepolitische Dimension, die den Technokraten, Bankexperten und Hochschulprofessoren abgeht, die wir in den letzten Wochen, Monaten und Jahren in «Tagesschau», «Rundschau» und in der Regel auch in der «Arena» bis zum Überdruss zu hören und zu sehen bekamen.

Fakten gegen Polit-Ideologie

Auch in dieser «Arena» werden wir davon nicht ganz verschont. Ohne SVP-FDP-CVP-SP geht es nicht, wenn auch nur in der zweiten Reihe. Mit einer jüngeren Garde, die aber schon an den gleichen Wahrnehmungsstörungen leidet wie die alten Schlachtrosse. Mit der Brille ihrer Parteiideologie vor den Augen können sie in der griechischen – und spanischen und italienischen und europäischen – Krise nur sehen, was sie sehen wollen. Zum Zwecke der innen- und parteipolitischen Propaganda.

Das Appenzeller Jungstar Andrea Caroni (FDP) bezeichnet die Eurozone als «Schönwetter-Modell» die europäischen Politiker als «zu weich», und nimmt später die Kurve zur FDP-Initiative gegen die Bürokratie. Der Zuger SVP-Nationalrat und Harvard-Absolvent Thomas Aeschi beklagt die fortschreitende Verschuldung der EU und steuert später zielgenau auf die Initiative gegen die «Masseneinwanderung», verbunden mit dem schon ziemlich verbrauchten Blocher-Dreisatz vom «Abbau von Steuern, Gebühren und Abgaben». – Glücklich machen solche Statements niemanden ausser die Parteisekretäre, aber es ist zu befürchten, dass diese nichts sagenden Schnellredner von ihren Parteien wieder einmal in die «Arena» geschickt werden.

Diesmal fangen sie sich allerdings von Klaus Wellershof, dem Meister der Zahlen und Fakten, eine schmerzhafte Berichtigung ein. Er verweist darauf, dass die Europäische Union bis zum Ausbruch der Finanzkrise eine rückläufige Verschuldungsquote melden konnte und dass diese Quote danach um 28% stieg, im Unterschied zu den 41% in den USA und den 58% von England. Und dass der Euroraum der einzige politische Raum ist, mit Ausnahme der Schweiz, in dem die Verschuldung nicht weiter «grade nach oben geht.

«Ich würde es mir insbesondere von dieser politischen Seite mal wünschen, dass das einmal gewürdigt wird», so Wellershoff. – Ein Wunsch mit wenig Aussicht auf Erfüllung. Aber vielleicht hat sich ja auch die «Arena»-Redaktion die Fakten notiert. Ein paar «facts and figures» sind im schweizerischen Fernseh-Politgeschwätz immer wieder wohltuend, und der Eindruck von Wirtschaftskompetenz kann gelegentlich auch nicht schaden.

Ansonsten gab es noch zwei drei weitere Highlights dieser Art. Kann man nachsehen auf der Website des Schweizer Fernsehens.

Schafft die PolitikerInnen ab!

Der Fairness halber sollen auch die anderen beiden Diskutanten noch erwähnt werden. Der Zuger Landwirt Markus Ritter plädierte einmal mehr für Vertrauen in die Nationalbank und einen attraktiven Wirtschaftsstandort Schweiz – sprich: günstige Steuern. Und bei Jacqueline Badrun (SP) wurde über weite Strecken nicht ganz klar, was sie eigentlich sagen wollte. Dass der Moderator Urs Wiedmer sie kurz hielt, lag wohl nicht nur daran, dass sie die einzige Frau in der Runde war.

Auch wenn das Gespräch der Korrespondenten und Experten mal abhebt in die Gefilde der Fachdiskussion: Korrespondenten, die offenkundig journalistisch engagiert nahe an der Realität operieren, und Fachleute, die sich auf die Sache fokussieren und Klartext reden, sind allemal ertragreicher. Und wenn sie sogar zuhören können, Aussagen von anderen aufnehmen, übernehmen oder sich angrenzen, distanzieren, kritisieren – aber ergebnisorientiert, dann sind sie spannender und unterhaltsamer als der ewig gleiche Schlagabtausch der Parteitaktiker.

Das Fazit für die «Arena» kann eigentlich nur heissen: Schafft die Politiker ab! Programmiert von ihren Parteistrategen und Sekretariaten, geschult von irgendwelchen Medientrainern, befangen von ihrer Parteiideologie, sind sie viel zu oft reine Wiederholungstäter, die den Gegner niederkämpfen und ihren schon längst bekannten Thesen zum Erfolg verhelfen wollen. Es ist die Verbreitung von Langeweile mit den längst schon bekannten Mitteln.

Die Wieder-Entdeckung der Korrespondenten

So brachte Christine Maiers kühler Hinweis auf die «Arena» ein paradoxes Ergebnis. Die Experten (und Expertinnen!), die wir in der «Tagesschau» und «Rundschau» und «10vor10» gern sehr viel seltener sehen würden, können in der «Arena» die Stehsatz-Politiker leicht ersetzen. Oder sie unter kritischen Druck setzen. Wenn sie nicht theoretisieren sondern sich in der Wirklichkeit bewegen und Klartext reden.

Und die Korrespondenten ( und –innen) erweisen sich zunehmend als Gewinn, insbesondere dann, wenn sie ihr Wissen und ihr Urteil mit der persönlichen journalistischen Erfahrung unterfüttern. Ich muss nicht einverstanden sein. Aber es ist subjektive Kompetenz, die mir Stoff zur eigenen Urteilsbildung liefert.

Von dieser Sorte darf es ein bisschen mehr sein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

War bis 2004 Mitarbeiter von SF DRS und SRG.

Zum Infosperber-Dossier:

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Kritik von TV-Sendungen

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4 Meinungen

  • am 6.06.2012 um 14:10 Uhr
    Permalink

    Sachverständige statt Interessenvertreter. Klingt zwar gut, ist jedoch eine gefährliche Illusion, die durch die fixe Idee genährt wird, dass es jenseits von Interessen eine objektive Faktenlage gäbe. Die Demokratie würde zur Monokratie verkommen, wenn auf Experten gehört werden müsste, welche jeweils eklären, was richtig ist. Um die Demokratie, Individualität und Selbstbestimmung und letztlich die Freiheit zu bewahren, müssen wir unbedingt von dieser Illusion loskommen, dass es ein objektiv beurteilbares Richtig/Falsch gibt. Solange die Menschen indivuell sind (und ich denke und hoffe, dass das immer so sein wird), wird es immer unterschiedliche Ansichten geben, welche sich in einer Gesellschaft naturgemäss widersprechen müssen. Somit wird (hoffentlich!) immer um verschiedene Ansichten und Meinungen gerungen werden, wo sich nicht das Beste (das es objektiv, wie bereits erwähnt, gar nicht gibt), sondern das den meisten Passende durchsetzten kann.

  • am 6.06.2012 um 20:19 Uhr
    Permalink

    Ich bn der Meinung in der Arena kommen meistens immer die gleichen zu Wort und dann gibts die immer Dreinredner, das sind auch immer die gleichen Personen, wenn einer sein Argument abgibt. Gut wäre es wenn auch die Fernsehzuschauer direkt mit diskutieren könnten, d.h. dass die Meinungen die geschrieben werden da auch vorgelesen werden würden oder dass das Fernsehen vor der Sendung Umfragen machen würden und die Leute den Teilnehmenden Fragen stellen könnten.

  • am 6.06.2012 um 23:10 Uhr
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    Ich bin froh, dass die Arena vom letzten Freitag hier noch zur Sprache kommt! Dass
    ein Daniel Kalt und ein Klaus Wellershoff als aktueller und ehemaliger Chefökonome
    der UBS zu dieser Runde zugelassen wurden, ist für mich nicht nachvollziehbar. Was
    können wohl diese HH Neues bringen und was nützt es, wenn sie im hjeutigen Zeitpunkt ökonomische Weisheiten von sich geben? Das hätte früher, bevor die
    UBS unterstützt werden musste, geschehen sollen. Kann man ihre Aussagen noch für
    bare Münze nehmen? Ich jedenfalls kann es nicht.
    P. Spätig

  • am 9.06.2012 um 14:46 Uhr
    Permalink

    Herr Ruoff, herzlichen Dank!
    Danke auch, dass Sie sich für uns die Zeit genommen haben, das SF so treffend zu beschreiben. Es wäre wünschenswert (als Talk-Rule), den Selbstdarstellern den Ton abzudrehen, sobald sie es zum zweiten mal versuchen, ungefragte Parteistatements abzugeben.
    Gruss aus Laax.

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