Schweizer Linke in der Öffnungs-Falle
«Wir müssen uns eben alle Optionen offen halten», weicht der Solothurner SP-Ständerat Roberto Zanetti auf Fragen zur Forderung seiner Partei nach einem raschem EU-Beitritt der Schweiz aus. Margret Kiener Nellen, Zanettis Berner Parteikollegin im Nationalrat drüben, wiegelt ab: Die EU sei «leider nicht gerade ihr Kernthema». Beide beginnen von den Bilateralen zu reden – und wie wichtig dabei «die Flankierenden Massnahmen» seien.
«Wir halten am Beitritt fest»
So oder ähnlich drücken sich viele SP-Abgeordnete um die EU-Frage. Am Freitag 1. April zeigte sich dieses Muster in der Fernseh-Arena SF1 einmal mehr deutlich. Einer aber laviert nicht: «Wir sind für den Beitritt», sagt SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr. «Und wir halten daran fest.» So steht es auch im neuen SP-Programm vom letzten Oktober in Lausanne, das der ehemalige SP-Chef Fehr entwerfen half.
Die Jusos hatten damals noch «Voraussetzungen» ins Programm schreiben wollen, welche die EU erfüllen müsse, bevor der Beitritt der Schweiz erneut thematisiert werde. Etwa bezüglich der direkten Demokratie oder der Sozialrechte. Umsonst: Die Genossen votierten ohne wenn und aber für Beitritt. Sie folgten der Ideologie der weitgehend unkritischen «Öffnung», die seit Jahrzehnten die Leitschnur fast aller linken Politik ist.
Hungerlöhne für Wanderarbeiter
Doch inzwischen dämmert es vorab Linken in der Westschweiz, dass der neoliberale Nachtwächterstaat namens EU oder Schengen-Raum im schroffen Gegensatz zum SP-Ziel einer «Überwindung des Kapitalismus» stehen könnte. Die Gewerkschaften warnten im Januar in Bern vor Hungerlöhnen, wie sie EU-Richter zu Gunsten der Unternehmer und des «freien Marktes» auch jenen Wanderarbeitern aus fernen EU-Gegenden aufbürden könnten, die in der Schweiz gemäss den «flankierenden Massnahmen» eigentlich zu «Schweizer Löhnen» arbeiten sollten.
Was wunder, gehen kritische SP-Leute wie der Nationalrat und Gewerkschafter Jean Claude Rennwald (JU) vorsichtig auf Distanz zur bedingungslosen Beitritts-Forderung.
Von der sicherheitspolitischen «Öffnung» ihrer SP haben sich die Genossen schon radikal verabschiedet: Statt eine kleine professionelle Schweizer Interventionstruppe für weltweite «Friedens-Einsätze» ins SP-Programm zu schreiben, beschlossen sie kurzerhand die Abschaffung der Armee.
SVP will lieber EU diskutieren als Atom
Die Politforscher vom Berner GfS-Institut, die der SP im Januar schlechte und der SVP gute Prognosen stellten, halten generell fest: Öffnung und internationale Kooperations-Vorstellungen seien in der Schweiz nicht mehr attraktiv.
Das nützt die SVP gnadenlos aus: «Wir werden das Thema EU und Bilaterale im Juni in einer Sondersession traktandieren», bestätigte SVP-Chef Toni Brunner gegenüber dieser elektronischen Zeitung. Die notwendigen 50 Unterschriften schafft die SVP-Fraktion alleine. Brunner sagt: «Wir wollen auch die FDP und die CVP zu klaren öffentlichen Aussagen bezüglich EU zwingen – vorab mit unserem Antrag, dass der Bundesrat sein EU-Beitrittsgesuch von 1992 nun endlich zurück ziehen soll.» Im Kanton Bern ist dieses Kalkül zwar aufgegangen: Mit seinem Kampfruf «Wer nicht in die EU will, wählt Amstutz» gelang es dem SVP Haudegen aus dem Berner Oberland am 13. Februar der SP ihren Berner Sitz im Ständerat abzujagen.
Inzwischen hat jedoch die Kernkraft-Katastrophe in Japan die Schweizer Wahlkampfthematik grundlegend verändert (vergl. «Bürgerliche Parteien im atomaren Abseits») Die SVP gerät als unbelehrbare Atom-Partei zusehends in die Defensive.
SP: Mehrwertsteuer rauf – Krankenkassenprämie weg!
SP-Programmchef Hans-Jürg Fehr hält derweil fest an seiner Forderung nach EU-Beitritt: Für ihn wäre die Schweiz in der EU «viel besser Vollmitglied, als Passivmitglied, wie jetzt». Da hätte sie nämlich «Mitbestimmung statt Fremdbestimmung». Er sieht aber auch die Probleme eines EU-Beitritts: «Es geht vor allem und die Volksrechte und die Mehrwertsteuer.» Nach Vorstellung der SP soll eine auf über 15 Prozent erhöhte Mehrwertsteuer nach dem EU-Beitritt das Schweizer Gesundheitswesen finanzieren: «Kopfprämien, wie wir wie heute haben, würden dann abgeschafft», verspricht Fehr. Und bei den Volksrechten wären «eine EU-Initiative und ein EU-Referendum» denkbar. Damit könnten die Schweizer Stimmberechtigten indes nun indirekt – via Schweizer Regierung auf Brüssel einwirken. Fehr betont auch die neue Möglichkeit von Initiativen in der EU: Volksbegehren mit einer Million Unterschriften aus sieben Mitgliedstaaten können in Brüssel eingereicht werden. Doch eine Abstimmung gibt es drüber nicht: Das Instrument hat somit bloss den Wert einer Petition.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
gar keine