Kommentar
Schweiz am Sonntag: «Unsere provokative Jugend»
Schläft eigentlich unsere Jugend? Diese Frage stellen sich vor allem ältere Semester, Leute, die in jungen Jahren aufbegehrt, sich für mehr Freiheit und für mehr Gerechtigkeit eingesetzt haben, für eine «bessere Welt» kämpften – und es in Einzelfällen bis und mit heute noch tun.
Kommende Woche wird zum fünften Mal das sogenannte Jugendbarometer veröffentlicht, eine von der Credit Suisse in Auftrag gegebene Umfrage unter den 16- bis 25-Jährigen der Schweiz. Die Schweiz am Sonntag hat sich die Ergebnisse schon mal anschauen können und in der heutigen Ausgabe darüber berichtet. Das Resultat ist keine Überraschung: Die heutigen Jungen mögen das traditionelle Familienleben, Kinder haben ist «in», politische Demonstrationen sind «out». Und für jeden Zweiten sind in der Schweiz die Ausländer das grösste Problem. Die Jungen mögen es, Schweizer Traditionen zu pflegen. Und was würden sie tun, wenn sie von irgendwoher 10’000 Franken bekämen? Sie gingen damit in die Ferien.
Überraschend ist das nicht. Die Umfrage bestätigt, was der politisch Interessierte jeden Tag beobachten kann. Überraschend an der Umfrage ist eigentlich nur ein Resultat: Die jungen Befragten halten dieses ihr heutiges Verhalten, diesen ihren heutigen Lebensstil für «modern». Ins Ausland gehen, um im Ausland zu arbeiten und andere Lebensverhältnisse kennenzulernen, das war einmal. Ins Ausland geht man, um Ferien zu machen.
Patrik Müller, der Chefredaktor der Schweiz am Sonntag, nimmt die Umfrage-Ergebnisse zum Anlass für einen Kommentar. Titel: «Unsere provokative Jugend». Auch er stellt sich die Frage, ob die Jungen nun traditionell oder modern seien. Und er kommt zum Schluss: «Die Frage ist müssig. Es mag langweilig wirken, aber vielleicht sind die Jungen weder konservativ noch modern, sondern einfach vernünftig.»
Szenenwechsel
Diese Woche fand in Engelberg im Rahmen der Academia Engelberg eine dreitägige internationale Konferenz zum Thema Food Security statt. 200 Wissenschafter diskutierten die Frage, ob im Jahr 2050 die dann erwarteten 9 Milliarden Menschen auf der Erde noch alle ernährt werden können, und wie. In der Presse fand diese Tagung bis heute kein Echo, nur gerade die Luzerner Zeitung – für die Engelberger also die Lokalzeitung – widmete dem Anlass ein paar Zeilen. Hunger auf dieser Welt ist für die Schweizer Medien kein Thema.
Patrik Müller, Chefredaktor der Schweiz am Sonntag, bekennender 9. Februar-Ja-Sager, hätte seinen Kommentar zum neuen Jugendbarometer auch mit einem anderen Satz abschliessen können: «Wir, die Schweizer Medien, interessieren uns nicht für die Probleme der Anderen. Der Wohlstand von uns Schweizern ist wichtig, nur der interessiert. Das neue Jugendbarometer zeigt es: Wir liegen richtig, das Ziel ist erreicht.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Infosperber war an der Tagung in Engelberg anwesend und wird auf einzelne der dort diskutierten Themen zurückkommen.
Lieber Christian Müller, so ähnliche Gedanken hatte ich heute auch, nachdem ich den unsäglichen Kommentar von Patrik Müller gelesen habe. Der Oberbünzli fühlt sich bestätigt, er ist voll im Trend. Und immer diese billigen Seitenhiebe gegen die «Alt-68-er». Aber wir zwei «alt-68-er» wissen, dass sich ganz schnell alles wieder ändern kann. Man soll jedenfalls die Hoffnung nie aufgeben;-)
Es gibt einige 68er, vielleicht auch Alt-68-er, die sich mit den Jahren gewandelt haben, schliesslich muss man ja seine Hörner abstossen. In frühen Jahren zeigt man mehr Herz und in späteren Jahren mehr Verstand. Nun scheint offenbar die heutige Jugend das Gedankengut ihrer Eltern und vielleicht sogar Grosseltern abzustreifen, das Pendel schlägt zurück. Das heisst allerdings noch lange nicht, dass alles Ausländische abgestossen wird. Im Ausland zu arbeiten kann weiterhin interessant und lehrrreich sein, wenn man denn überhaupt eine Stelle bekommt….! 68er haben durchaus Grund besorgt zu sein, die Zeiten ändern sich halt, Pech gehabt!
@Monika Zech. Sind Sie die Altphilologin, die ich 1978 zuletzt bei einer Rheinland-Exkursion nach Bonn und Trier zum mutmasslich letzten Mal gesehen habe? War selber Ostern 1968 als Augenzeuge in Berlin, wenngleich nicht unmittelbar beim Dutschke-Attentat. Verfolgte die Diskussionen der Bürgersöhne und -Töchter betr. Enteignungen, die Begeisterung für Mao, Trotzki, Ho und andere Massenmörder, ehrlich gesagt fand ich da Otto Wanner und Robert Mächler vernünftiger, die 1934 nach Hitlers ersten Massenmorden sich vom Frontismus abgewandt haben. Natürlich war 1968 hochgradige Polit-Pathologie, erinnere mich, wie eine schwangere Studentin sogar in Zürich mich hindern wollte, eine Vorlesung bei Prof. Leisi zu besuchen, «diese Vorlesung ist boykottiert», habe dann Leisi in einem anderen Raum gehört. Selbstverständlich war auch ich etwas angesteckt von diesem 68-er Geist, wenn auch andersherum, organisierte eine Störung eines Theaterstückes von Peter Weiss im Kurtheater Baden, weswegen ich, trug damals Bart wie Christian Müller, im Badener Tagblatt mit Rasputin verglichen und sogar in die faschistische Ecke gestellt wurde. Darauf schrieb ich Otto Wanner einen Brief, ich müsse mich von der Zeitung des ehemaligen Ortsgruppenführers der Nationalen Front nicht als Faschist beschimpfen lassen. Kurz darauf veranlasste Otto Wanner, der gute Beziehungen zur Polizei hatte, bei mir eine Haussuchung, wegen Drohbriefen, die zwar garantiert nicht von mir stammten. So war es also 1968 – 1972.
@) Pirmin Meier: Der Badener Verleger Otto Wanner (Badener Tagblatt, nachmalig AZ) war «Ortsgruppenführer der Nationalen Front», also der Schweizer Nazis? Das sollten Sie schon noch etwas weiter ausführen. Was war da genau?
Das mit Nazis vergelstert Sie, die Frontenszene war komplexer, lesen Sie die Geschichte des Kantons Aargau von Willi Gautschi, wo Wanner zwar geschont wird, Sie verstehen, dass ich das hier nicht ausführen kann. Wanner, Schwarzenbach, Emil Staiger, Robert Mächler und andere wandten sich früh von der Frontenszene ab, mein späterer Freund Franz Keller (Solothurn/Bern) wurde nach dem 30. Juni 1934 Kommunist. Der Begriff «Nazi» ist aus heutiger Sicht ein reiner Kampfbegriff für politische Schweine, welcher der Sache von damals nicht gerecht wird. Aber «gemässigt» waren die Leute sicher nicht, auch die Linken litten an geistigen Kopfschüssen. Davon nehme ich Robert Grimm, den ich soeben in einem Aufsatz in der Argovia (gestern veröffentlicht) gewürdigt habe und den Jahrhundertpolitiker Walther Bringolf aus, obwohl beide noch 1920 die Diktatur ausdrücklich befürwortet hatten.
"Sie verstehen, dass ich das hier nicht ausführen kann.» Nein, verstehe ich ehrlich gesagt nicht ganz. Sie haben es ja in die Runde geworfen. Also: Was war denn nun mit Otto Wanners Vergangenheit als Ortsgruppenführer der Nationalen Front (die zweifellos faschistisch war, und wie!) konkret, und eben nicht – wie Sie selber sagen – beschönigt wie bei Willi Gautschi?
Für solche Recherchen, etwa Alfred Huggenberger betreffend, gab der Kanton Thurgau Fr. 320 000.- aus. Sie können mein Wissen nicht gratis haben. Gewöhnlich erhalte ich für einen Vortrag zwischen Fr. 50.- (letzten Freitag in Schwyz über die Geschichte der direkten Demokratie) bis Fr. 330.- (morgen). Sonst recherchieren Sie gefälligst selbst. Sie haben offenbar gar keine Ahnung von Badener Geschichte.
Wenn man solche Informationen verbreitet, sollte man schon dazu stehen können – ohne Einzahlungsschein.
Ich stehe, wie der verstorbene Kollege Meienberg, mit vollem Risiko, auch beruflich, bis zur lächerlichen Entlassung als erfolgreicher Lehrerfortbildner wegen eines Meinungsverbrechens, zu allem, was ich gesagt und geschrieben habe, aber infosperber ist nicht für alles das Medium. Diese Story, deren Opfer ich und vor allem meine Ehefrau war, gehört in meine Lebensgeschichte, die ich aber vor 70 wegen anderen Projekten nicht schreiben kann. Eine Abrechnung mit dem toten Wanner ist nicht vorgesehen. Wenn Sie trotzdem noch etwas zum Verhältnis der Generation Wanners zum Frontismus nachlesen wollen, müssen Sie über Robert Mächler/PIrmin Meier/Wanner recherchieren, vielleicht auch sich mit dem Leben Robert Mächlers beschäftigen. Mächler war einer der anständigsten Menschen, die je in der Schweiz gelebt haben, ein Charakter fast wie Robert Walser. Er schrieb 1933 ein Gedicht auf Adolf Hitler, das der völkische Beobachter jedoch wegen zu vieler Einsendungen nicht abdruckte. Mächler hätte jedoch, im Gegensatz zu Bert Brecht in Moskau, niemals Erschiessungen gutgeheissen. Ab Beginn der Erschiessungen war bei ihm Ende Hitler. Also recherchieren Sie betr. Mächler.