Kommentar
Presse: Vom Bannwald zum Wäldchen der Demokratie
«Freies Land und freie Presse», oder auch «Pressevielfalt, Demokratie und Öffentlichkeit» zählen bei uns zu den rhetorischen Mustern der politischen und patriotischen Selbstdarstellungen. Die helvetische Presse und deren vermeintliche Meinungsvielfalt wird, wie Föderalismus und direkte Demokratie, ohne weitere Überlegungen zu den wichtigsten Qualitäten unserer politischen Kultur gezählt. Die helvetischen politische Arithmetik hatte, könnte man auch sagen, aus Meinungsvielfalt und pluralistischer Demokratie eine eiserne, nie mehr hinterfragte Gleichung geschaffen. Doch die Realität hält, wie ein historischer Rückblick zeigt, mit dieser Rechnung nicht Schritt.
Stürme über dem Pressewald
«Rodung im Bannwald der Demokratie» war der Titel eines Artikels, den die NZZ vor fünfzehn Jahren publiziert hat (28./29.12.1996). Um den schweren und harten Kampf der Presse zu unterstreichen, wurden Vergleiche mit Naturgewalten bemüht. «Der Bannwald der Demokratie», hiess es jedoch beruhigend, habe «bereits mehrere Stürme gut überstanden».
Mit diesen an Gotthelf gemahnenden aufmunternden Worten hatte der NZZ-Mitarbeiter seine Analyse der existenziellen Schwierigkeiten der damaligen Presse eingeleitet. Er sprach u. a. vom wirtschaftlich bedingten «Strukturwandel» — das tönt schon viel objektiver und «liberaler» als «Rodungen im Bannwald der Demokratie» —, dem die Verleger sich nicht entziehen könnten.
Ein Jahrzehnt später nahm die NZZ unter dem Titel «Der Blätterwald im Sturmwind» dieses Thema erneut auf (15./16. September 2007). Der Grundton war nun eindeutig alarmierender: «Das klassische, nicht mit oberflächlichen Reizen operierende Informationsgeschäft droht an den Rand gedrängt zu werden». Und der «Lebensraum im Blätterwald» werde für alle Teilnehmer knapper, während «die Sparmassnahmen, Reorganisationen, Kooperationen und Übernahmen» kein Ende nähmen.
Der erwähnte Artikel von 1996 hatte diesbezüglich schon bedenkenswert gewarnt: «Der unternehmerische Wettbewerbsdruck darf nicht dazu führen, dass letztlich der publizistische Wettbewerb verkümmert. Mit andern Worten: Die noble Aufgabe der politischen Presse, die Vielfalt der Meinungen zu widerspiegeln und damit die freie Debatte zu ermöglichen, ist trotz allen wirtschaftlichen Zwängen stets im Auge zu behalten.» Im Artikel von 2007 war die Warnung unverbindlicher formuliert: «Eine Demokratie kann nicht funktionieren ohne Medien, in denen Zeitfragen vertieft abgehandelt werden.» Von «Vielfalt der Meinungen» war nicht mehr die Rede.
Niedergang der Meinungspluralität
In Tat und Wahrheit war die Meinungspluralität spätestens in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wie Schnee in der Sonne geschmolzen. Das zeigt beispielsweise die Geschichte des Untergangs der linken Presse. Um 1900 waren sieben Prozent der politischen Zeitungen sozialdemokratisch, 1930 waren es noch fünf Prozent, und heute gibt es – mit Ausnahme der WoZ – praktisch keine linke Presse mehr. Die Zahl der linken Wähler war etwa drei Mal grösser als die Auflagengrösse ihrer Zeitungen.
Im bürgerlichen Lager war es umgekehrt: die Auflagen ihrer Blätter war mindestens drei Mal grösser als ihre Wählerstimmen. Und bei ungefähr gleichem Wähleranteil wie die Linken (im 20. Jahrhundert), verfügte der Freisinn über 40 Prozent der Parteipresse, während die Sozialdemokraten, wie schon erwähnt, rasch unter die 5-Prozent-Marke sanken. Die Meinungsvielfalt war schon vor dem endgültigen Untergang der sozialdemokratischen Presse in einer bedenklichen Schieflage.
Für dieses krasse Ungleichgewicht gab man auf bürgerlicher Seite den «wirtschaftlichen Zwängen», oder poetischer ausgedrückt, der «unsichtbaren Hand» des Marktes die Schuld. Man sollte jedoch zumindest erwähnen, dass bei der Beerdigung der sozialdemokratische Presse Wirtschaftsführer und Reklameagenturen der unsichtbaren Hand wirkungsvoll beigestanden sind.
«Vor einem Einheitsbrei», hiess es im schon zitierten NZZ-Artikel aus dem Jahre 1996, «ist unser Land zu bewahren». Das ist leider ein frommer Wunsch geblieben. Schon im letzten Jahrhundert hatte sich 95 Prozent der Parteipresse als «bürgerliche Presse» bezeichnet. Die Meinungsvielfalt war demnach relativ. Seither haben Konzentrationsprozesse, Sparübungen und Übernahmen diese Presselandschaft zusätzlich gleichgeschaltet.
Verlust der kritischen Öffentlichkeit
»Bannwald der Demokratie” — das Wort stammt vom vormaligen Verleger und Präsidenten des Zürcher Freisinns, Theodor Gut (1890-1953) — ist jedoch nur eine der Funktionen der freien Presse. Ursprünglich war die Aufgabe der politischen Presse in erster Linie Schaffung von Transparenz und Bildung einer kritischen Öffentlichkeit.
Denn die demokratische Meinungsbildung sei nur möglich, so der Grundgedanke, wenn alle, auch die alternativen Stimmen, sich gebührend zu Wort melden könnten. Vor einem Vierteljahrhundert plädierte die NZZ («Krise der Parteipresse – Krise der Meinungspresse?» NZZ 85, 11./12. April 1987) noch für einen «Informationsauftrag […] wo das Für und Wider erwogen und der Zusammenhang dargestellt wird…», wo also gegensätzliche Meinungen in die Öffentlichkeit getragen werden können.
In den letzten dreissig Jahre ging die Entwicklung jedoch gerade in gegenteiliger Richtung. Anstelle einer das »Für und Wider” darstellenden Presse dominieren auf Sensationen und Alltagsklatsch ausgerichtete Blätter. Diese, heisst es, verkaufen sich besser.
Debatten nur in streng bürgerlichen Zeitungen
Selbst im bürgerlichen Lager geht die Zahl intellektuell unabhängiger Blätter unaufhaltsam zurück. Der Bannwald ist nurmehr ein schütteres Wäldchen. Es dominieren wenige Bäume, und wo ihr Schatten hinfällt, wächst nicht einmal mehr Unterholz. So finden die wenigen einigermassen anspruchsvollen Debatten unseres Landes weitgehend im Schlepptau von ein oder zwei, ideologisch stramm bürgerlich ausgerichteten Zeitungen statt. Man sollte sich auch nicht zuviel Illusionen über die Möglichkeiten und Wirkungen des Internets machen. Als Trost bleibt uns nur, dass der Murdoch-Konzern seine Fangarme noch nicht bis in unser Land ausgestreckt hat.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine