Kommentar
Politische Geisterfahrer
Für Blocher selbst waren Sozialismus und Sozialdemokratie auch schon ungefähr dasselbe wie der Nationalsozialismus. Heute würde er ein paar Genossen wohl eher zur Kategorie der nützlichen Idioten zählen. Im vergangenen Herbst las man in der Presse vom Projekt einer SP-Volksinitiative zur Bankensicherheit. Begeistert diktierte SP-Nationalrat Corrado Pardini dem «TagesAnzeiger»: «Herr Blocher findet sie nun interessant.»
Geradezu lustig war es, in der «Tages-Woche» – die «NZZ» zitierend – nachzulesen, wie in der Wandelhalle ein Fotograf vergeblich versuchte, die beiden Parlamentarier vor das Objektiv zu bekommen: Pardini hatte sich eilends davon gemacht. Das Interesse Blochers war umso scheinheiliger, als er vor über dreissig Jahren schon die damalige SP-Bankeninitiative wie ein Berserker bekämpfte. Heute braucht es für die SP-Vorschläge zur Bankensicherheit gar keine Volksinitiative mehr. Die Positionierung der Banken in der Schweizer Wirtschaft ist eine Aufgabe von Bundesrat und Parlament, und die SP kann in beiden Gremien dafür Mehrheiten erzielen.
Eine SP-Volksinitiative von Blochers Gnaden wäre aber das Allerletzte, was sich die SP-Basis bieten liesse. Oder glauben die «vernünftigen SP-ler» (Blocher dixit), zu denen auch Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer gehören soll, im Ernst, die SP-Basis würde dafür noch Unterschriften sammeln?
«Soziale Gerechtigkeit» via Verstärkung der Aktionärsmacht
Doch über Volksinitiativen scheint man sich näher zu kommen. Die «NZZ» stellte nach der Annahme der Abzockerinitiative SP-Präsident Christian Levrat die Frage, ob er Thomas Minder einen Platz in seiner Fraktion angeboten habe. Levrat begann seine Antwort mit einer Huldigung an die Adresse des Initianten: «Thomas Minder ist ein bürgerlicher Politiker, und das wird er bleiben. Es gibt eben auch vernünftige Leute bei den Bürgerlichen.» Auf die Frage, warum die SP die Abzockerinitiative, die ja nur die Aktionärsrechte verstärke, befürwortet habe, antwortete Levrat ähnlich wie ein anderer Spitzengenosse, nämlich SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin: «Wir wollen die soziale Gerechtigkeit fördern.»
Das ist noch heute Schwachsinn. Die Abzockerinitiative hatte etwa so viel mit sozialer Gerechtigkeit zu tun, wie die Masseneinwanderungs-Initiative der SVP, die am 9. Februar 2014 zur Abstimmung kommen wird. Kein bürgerlicher Politiker, keine bürgerliche Politikerin ausserhalb der SVP hat sich bisher dafür ausgesprochen. Doch jetzt bekommt die Blocher-Partei Schützenhilfe. «Minder übernimmt», meldete der «SonntagsBlick» kürzlich auf der Titelseite. Ein Geschenk des Himmels. «Er wird in der Vorweihnachtswoche auftreten und sich für unsere Masseneinwanderungs-Initiative starkmachen», frohlockte SVP-Generalsekretär Martin Baltisser. Neuerdings hat sich Rudolf Strahm an die Spitze der Rangliste «vernünftiger SP-ler» gesetzt, indem er ein Ja zur MasseneinwanderungsInitiative empfiehlt und behauptet, die sozialdemokratische Wählerschaft sei «weitherum» dieser Meinung.
Levrat im medialen Schatten Blochers
Zurück zu Christoph Blocher. Sein SP-Liebling scheint Christian Levrat zu sein. In der «Arena» traf er auf ihn, und auch im «Migros Magazin». Vor Jahren schon – zusammen mit Nicolas Hayek – traten Levrat und Blocher gemeinsam gegen die Grossbanken an. Und dieser Tage sitzen die beiden auf der Bühne des Zürcher Bernhard-Theaters. Kunststück: Wenn Blocher mit Levrat auftritt, ist der Nutzen auf Blochers Seite gleich doppelt. Er hat zu jedem Thema ein leichtes Spiel, seinen Kontrahenten in die Ecke zu drängen, und er kann jedes Mal zeigen, wer in der SVP der wirkliche Chef ist, noch immer.
Und manchmal finden die beiden Exponenten ja sogar noch Gemeinsamkeiten. Dies vor allem deshalb, weil Levrat gar nicht schlagfertig genug ist, um auf jede Absurdität Blochers eine vernünftige Antwort zu geben. Und wenn eine solche Show irgendwo über die Bühne geht, werden die bürgerlichen PolitbeobachterInnen in ihrer profunden Analyse vom Zusammenwirken der beiden «Pol-Parteien» bestätigt.
Der SP-Parteipräsident kann sich ja schon fast von Amtes wegen mit allen Parteien und somit auch mit der SVP auseinandersetzen. Aber das sollte er, wenn schon, mit seinem Kollegen, SVP-Präsident Toni Brunner, tun.
So wertet man diese Jahrhundertfigur («TagesAnzeiger») noch auf: indem man sichin seinem gleissenden Licht der Medien sonnt. Und erst noch Fragen diskutiert, die Blocher zu bestimmen scheint, und bei denen er immer das letzte Wort hat, selbst wenn es sein Gegenüber gar nicht merkt.
Und so gibt man denn auch dem abgewählten Bundesrat keinerlei Gelegenheit, einmal wirklich abzutreten und loszulassen, obschon gerade ihm der politische Ruhestand herzlich zu gönnen wäre. Um mit automobiler Logik zu schliessen: Nicht Blocher ist der Geisterfahrer, sondern jene GenossInnen, die ihn auf der Gegenfahrbahn zu überholen versuchen.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Beitrag erschien in «Hälfte/Moitié», dem unabhängigen Mediendienst zur Arbeit und zur Erwerbslosigkeit.
Danke, Oswald Sigg! Es tut gut, zu lesen, dass es auch Sozialisten gibt, die in der «Berner Mechanik» lange dienten, ohne sich dabei das Rückgrat brechen zu lassen.
Bei meinem Vorschreiber hat sich ein Verschreiber eingeschlichen. Es muss heissen: «Sozialisten, die sich der und in der Berner Mechanik bedienten".
Zum Glück werden auch Geisterfahrer der SP in den Ruhestand versetzt! Da irrt der Schreiber aber gleich mehrmals. In der Tat, es gibt aufrechte Sozialdemokraten, Rudolf Strahm gehört zu ihnen, es gibt auch SP-Präsidenten, welche keinen politischen Zweikampf scheuen, gut so! Leider gibt es viel zu viele Genossen, welche nicht in der Lage sind, fortschritlich zu denken! Christoph Blocher hat schon mehrfach bewiesen, dass er bedeutend näher beim Bürger liegt, als die «Sozialdemokraten". Dies wird sich auch am 9. Februar wieder zeigen, auch mit dieser Abstimmung kann die SP nur verlieren. Es wäre ohnehin an der Zeit für die SP, sich endlich für eine glaubwürdige Armee auszusprechen und den unsäglichen Armee-Abschaffungsparagrafen aus dem Parteiprogramm zu streichen, dies wäre ein erster Schritt zur Glaubwürdigkeit und Akzeptanz und Konkordanz im Bundesrat. Nein, leider so nicht, Herr Sigg, auch wenn Sie ein hoher Beamter gewesen sind!
Genosse Sigg gehört halt zu den Edel-Sozialdemokraten, von denen es in unserer Partei leider noch einige zu viel hat. Gegen Blocher zu sein, ist kein politisches Programm. Noch nicht bemerkt? Ich meine unseren Absturz 2007, als Jacqueline Fehr Abstimmungskampf betrieb mit dem Slogan, dass wir ein Einwanderungsland seien. Schön, immer mehr Leute hier, immer dichter und ist unsere Lebensqualität gestiegen? Eben. Mittlerweile haben das nun auch einige Genossen gemerkt, die Grünen noch weniger und beide werden 2015 abgestraft werden, zuerst im April im Kanton Zürich und landesweit im Oktober. Mit Ueberheblichkeit und Ignoranz lässt sich halt nur dann gut politisieren, wenn man eine hohen Bundes-Pension bezieht, gälläd-Sie, Herr Sigg. Schöne Grüsse an Ihren Kollegen Leuenberger
Dass Linke und Grüne die Probleme rund um die Einwanderung viel zu lange nicht angehen mochten, ist sicher richtig. Dass man deswegen sich einem Blocher anbiedern müsste, ist hingegen ein fataler Irrtum. Die Linke muss ihre eigene klare Antwort auf die Fragen finden, auf der Grundlage ihres Engagements für die Rechte der Arbeitenden. Blocher ist nicht «näher beim Bürger», er ist einfach ein begnadeter Populist, der einen Drittel der Schweizer/innen an der Nase herumführen kann, während es ihm nur um sein eigenes Portemonnaie geht.
Lieber Billo, ich pflichte dir bei, es geht um eine eigenständige Antwort, aber die müsste nun endlich klar kommen. Jacqueline Badran wird in der SP weitgehend alleine gelassen. Ich danke aber Blocher für seinen Einsatz gegen die letztlich halt doch uferlose Zuwanderung/Familiennachzug im Sinne von: dem Laissez-fair ein Ende zu setzen, um unseren lieben Gewerbetreibenden nicht noch mehr Leute zuzuführen, die sie ausnützen und von denen jeder mindestens 1000′ Franken im Monat billiger arbeitet, als ein hiesiger Bürger. Im Uebrigen meine ich, von Blocher und seiner üblen Finanzakrobatik, zusammen mit dem Fliegen-Ebner soviel zu wissen, dass keine Gefahr besteht, dass ich mich ihm demnächst an den Hals werfe. Vielleicht ist er mein nützlicher Idiot?
Lieber Markus Schär
Es ist immer wieder belustigend, Ihren Schmerz als ehemaligen Parteipräsidenten der Thurgauer SP zu spüren, beim parteiinternen Postenschacher übergangen worden zu sein. Den leider hat es Ihnen die parteiinterne «Mechanik» zu nicht mehr als den wenig prestigereichen Posten des SP-Kantonalpräsidenten verholfen und nun müssen Sie narzisstisch gekränkt ihre ehemaligen Genossen geradezu reflexartig bashen. Ach, ich wünsche Ihnen weniger Aufgeregtheit und wieder etwas von Ihrem analytischen Verstand von früher zurück. Herzliche Grüsse
Sehen Sie das nicht etwas allzu schwarz?. Der liebe (ehemals)-SP-Schär ist doch zum Köppel in die Weltwoche abgewandert, da geht es nicht nur um Narzissmus, sondern um eine ökonomisch-neoliberale Sekte im Interesse der Besitzenden und im Interesse der Auflage bzw. dem Ueberleben dieses seltsamen Blattes, das ich aber abonniert habe. Der analytische Verstand ist geblieben, aber die Pole wurden irgendwann irgendwie vertauscht. Eigentlich schade um diese Entwicklung bei einem so klugen Menschen. Und jetzt wird er amüsiert unseren Dialog verfolgen. Statt übereinander sollten wir viel besser mit einander reden, meine ich.
Ich kenne zwar Markus Schär nicht und bin auch nicht Mitglied der SVP. Auch bin ich nicht ein vehementer Verfechter des Neo-Liberalismus, sondern ein freidenkender Eidgenosse, der sich aber immer daüber freut, wenn selbst Genossen über ein intaktes Abstrahierungsvermögen verfügen. Wie heisst es doch so treffend: Wer in jungen Jahren nicht rot ist, hat kein Herz, wer im fortgeschrittenen Alter noch immer rot ist, hat kein Verstand. Wohlverstanden, es kommt doch auf den gesunden Mix von Herz und Verstand an. In diesem Sinne sollte man auch den Neo-Liberalismus nicht einfach verdammen, sondern nur seine Exzesse bekämpfen!
Ach, Delf Bucher, Sie sollten sich nicht mit Leuten und Vorgängen hintersinnen, von denen Sie nichts verstehen, und sich stattdessen nach dreissig Jahren als Journalist doch noch mal mit der deutschen Sprache anfreunden. Und könnten wir dann wieder zu Oswald Sigg & Co. zurückkehren? Es war eben andersrum: Gerade Leute wie er und einige Thurgauer Genossen – de mortuis nil nisi bene – liessen mich die SP immer kritischer sehen, ich zog also, wie jeder immer noch lernfähige Mensch, aus Empirie und Analyse meine Schlüsse. (Was der ehemalige Vizekanzler der Schweizerischen Eidgenossenschaft mit Rente in sechsstelliger Höhe von der Schweizer Rechtordnung hält – und offenbar schon im Amt hielt – , ist übrigens morgen in meinem Blatt nachzulesen.)
Wenn die Kontrahenten ihr Duell vielleicht an einem andern Ort zur Durchführung bringen könnten?
Ein eigenartiger Artikel – wirkt auf mich wenig sachlich, schon eher polemisch.
Bin parteilos
Heinzpeter möchte ich bitten, die Diskussion nicht abzuklemmen. die Info von Markus Schär , dass dieser SP-saubere Sigg eine derart hohe Pension kassiert, empfinde ich als SP-Mitglied als Skandal. Von meinen Genossen erwarte ich, dass sie solche Beträge als abartig zurückweisen, diese elenden Bonzen und Abzocker!! Genau weil die Weltwoche solche Infos bringt, habe ich sie abonniert.
Der Artikel und einige obiger Kommentare sind nun, fast ein Jahr später, interessant bezüglich der bevorstehenden Ecopop-Initiative, wo die SP eine Allianz mit Pro-Wachstum Kräften und somit mit den Wirtschaftlobbies samt Blocher. Ich bin nicht gegen «unheiligen» Allianzen «per se», aber diese gibt mir zu denken.
…so sehr, dass ich oben das Verb vergass: «einging». 🙁