Zucker

Der Bundesrat kämpft nur zaghaft gegen den hohen Zuckerkonsum der Bevölkerung © pixabay

Paradoxer Bundesrat: Alibiübungen gegen hohen Zuckerkonsum

Tobias Tscherrig /  Der Bundesrat setzt sich für eine Reduktion des Zuckers in Lebensmitteln ein und fährt gleichzeitig die Zucker-Subventionen hoch.

Zu viel Zucker schädigt das Herz, zersetzt die Zähne und kann Typ 2- Diabetes und andere Krankheiten auslösen. Ausserdem führt er zu Übergewicht und Fettleibigkeit, was wiederum eine ganze Reihe von Krankheiten auslösen kann. Trotzdem konsumieren Schweizerinnen und Schweizer viel zu viel vom süssen Stoff: Durchschnittlich 38 Kilogramm pro Jahr – die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt nur rund die Hälfte davon.

All das weiss der Bundesrat, der sich – zumindest offiziell – dem Kampf gegen den hohen Zuckerkonsum in der Schweiz verschrieben hat. Aber Papier ist geduldig. So verzichtet die Politik nach wie vor auf griffige Regelungen und verlässt sich auf die zögerlichen Versprechen der Industrie – wie schon erfolglos seit Jahrzehnten.

Nun folgt das nächste Kapitel im kruden Zuckerkampf der Schweiz: Der Bundesrat setzt sich für eine Zuckerreduktion in Lebensmitteln ein, stützt aber die Zuckerproduktion in der Schweiz noch mehr als bisher.

Zuckerpreise im Keller
Der Bundesrat greift den Zuckerproduzenten mit Subventionen unter die Arme, weil die Herstellung und der Verkauf von Zucker in der EU seit 2017 weniger stark reglementiert werden: Seit der Aufhebung der Zuckerquoten ist im EU-Zucker ein höherer Isoglukose-Anteil erlaubt. In den USA ist Isoglukose unter dem Namen «High Fructose Corn Syrup» bekannt und wird vor allem in der industriellen Lebensmittelproduktion, zum Beispiel zum Süssen von Getränken, verwendet. Der Sirup wird aus Mais- oder Weizenstärke gewonnen und ist damit deutlich billiger als der Zucker, der aus Zuckerrüben gewonnen wird.

Seit die Zucker-Produzenten in der EU auf Isoglukose zurückgreifen, hat sich die Zuckerproduktion in Europa erhöht, die Preise fielen in den Keller. Damit die heimische Zuckerproduktion wettbewerbsfähig bleibt, erhöht der Bundesrat den Mindestgrenzschutz um fünf Franken pro 100 Kilogramm. Weiter steigt der Einzelkulturbeitrag um 300 Franken pro Hektare.

Dank diesen Massnahmen, die im Januar 2019 in Kraft treten und im September 2021 wieder aufgehoben werden sollen, erhielten die Schweizer Zuckerproduzenten drei Jahre Zeit, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, so der Bundesrat in einer Mitteilung. Zusätzlich arbeitet die Wirtschaftskommission des Nationalrats zurzeit an einer Rechtsgrundlage zur Festlegung eines Zucker-Mindestpreises.

Augenreiben beim Konsumentenschutz
Der bundesrätliche Zickzack-Kurs in Sachen Zucker sorgt bei der «Stiftung für Konsumentenschutz» für Unverständnis. «Man unterstützt die Produktion eines Produktes, vor dem die Prävention warnt», sagt Josianne Walpen, Leiterin Ernährung und Mobilität bei der «Stiftung für Konsumentenschutz» gegenüber dem Online-Portal «nau.ch». «Die Steuerzahler werden so mehrfach zur Kasse gebeten: Bei der Stützung der Produzenten, beim Bezahlen des Produktes und über die Gesundheitskosten, welche sie verursachen.»

Der Ärger der «Stiftung für Konsumentenschutz» kommt nicht von ungefähr. Seit einigen Jahren hat sich der Bund die Reduktion des hohen Zuckerkonsums in der Schweiz auf die Fahnen geschrieben. Doch statt endlich griffige Regelungen zu installieren, gibt es nun gar zusätzliche Subventionen für die einheimische Industrie.

Freiwilligkeit funktioniert nicht
Dabei schaffen es bereits die eingesetzten Massnahmen nicht, den Zuckerkonsum in der Schweiz nachhaltig zu verändern. Denn der Bundesrat setzt mit der sogenannten «Erklärung von Mailand» auf die Freiwilligkeit der Industrie. Im Rahmen dieser Erklärung haben sich seit 2015 insgesamt 14 Unternehmen dazu bereit erklärt, den Zuckergehalt in Joghurts und Frühstückscerealien zu senken. Das Resultat: Im Vergleich zur ersten Erhebung vom Herbst 2016 sank der Zuckeranteil in Joghurts um drei Prozent. Bei den Frühstückscerealien nahm der Zuckeranteil um fünf Prozent ab.

Diese mickrige Reduktion des Zuckers bezeichnet das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) beschönigend als «auf Kurs». Die wenigen Prozente an Zucker, welche die Industrie in Zukunft abbauen will, sogar als «deutliches Zeichen» der Schweizer Lebensmittelproduzenten und Detailhändler.

Auch in Zukunft nur kleine Schritte
Die salbungsvollen Worte vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass der Bund nur äusserst zögerlich gegen den hohen Zuckerkonsum der Schweizer Bevölkerung kämpft. So hat zum Beispiel das BLV zwei Forschungsaufträge ausgeschrieben, welche die Erkenntnisse bringen sollen, «um wie viel der Zuckergehalt in Joghurt und Cerealien reduziert werden kann, ohne dass dies wahrgenommen und die Qualität der Produkte vermindert wird.» Die Ergebnisse sollen voraussichtlich bis 2019 vorliegen.

Damit geht die Politik den Weg weiter, den sie bereits eingeschlagen hat: Auf die Ergebnisse von aufwändigen Forschungsarbeiten folgen Verhandlungen mit der Industrie an «Runden Tischen», danach verspricht diese zögerlich, den Zuckeranteil um einige Gramm zu senken – um damit griffige Regelungen zu verhindern. Anschliessend ist es am Bund, erneute Erhebungen durchzuführen, um die Versprechen der Industrie zu kontrollieren.

Dieser Zeit- und Ressourcenraubende Weg ist auch das Ergebnis von intensiver Lobbyarbeit der Industrie, die im Bundeshaus fleissig für ihre Interessen wirbt.

Softdrinks sind das grösste Problem
Während die zuständigen Beamten und Politiker um einige Gramm kämpfen und damit der Industrie auch zu einem Heiligenschein verhelfen, kann das Zögern und Zaudern der Politik, die sich um die Einsetzung griffiger Regelungen drückt, am Beispiel der Softdrinks abgelesen werden.

Als der «K-Tipp» zehn Süssgetränke aus Schweizer Läden mit denselben Getränken aus England und Irland verglich, stellte er Erschreckendes fest: Die Schweizer Version der Getränke enthielt oft mehr als doppelt so viel Zucker. Auch im Vergleich mit Frankreich, Deutschland und Österreich sind Softdrinks in der Schweiz teilweise überzuckert.

Der Grund für die massiven Unterschiede ist die Zuckersteuer. England und Irland führten diese am 6. April ein und profitieren im Fall von England nun von 324 Millionen Franken zusätzlichen Einnahmen, die wiederum für Kindersport-Programme und ausgewogene Mahlzeiten an Schulen ausgegeben werden. Und die Industrie hat es dank den finanziellen Anreizen in kürzester Zeit geschafft, die Zuckeranteile in den Getränken erheblich zu senken.

Die Versprechen der Industrie sind nur wenig wert
Dass eine Zuckersteuer funktioniert, zeigt sich auch in Frankreich, Mexiko und Finnland. Auch diverse Studien untermauern deren positiven Nutzen. Und die WHO fordert Staaten auf, die Sondersteuer einzuführen. Aber die Schweizer Lobby-Parlamentarier wollen nicht. Der Ständerat lehnte am 6. März eine entsprechende Standesinitiative des Kantons Neuenburg klar ab. Kommissionssprecher Ivo Bischofberger (CVP/AI) verwies auf die Bemühungen des Bundesrats und auf die freiwilligen Massnahmen der Lebensmittelindustrie zur Reduktion des Zuckers in Lebensmitteln.

Als die Genfer SP-Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle im Jahr 2016 mittels Interpellation verlangte, dass eine Zuckersteuer wenigstens geprüft werden solle, stiess sie auf taube Ohren. Erst wenn die bisher umgesetzten Massnahmen nicht zum gewünschten Ziel führten, sollten weitere Massnahmen ergriffen werden, antwortete der Bundesrat und wies die Interpellation zurück.

Nur – die bisher eingeführten Massnahmen sind fast alle freiwillig. Die Schweiz verlässt sich auf die Versprechen der Zuckerindustrie und geht damit einen mühseligen und aufwändigen Weg der kleinen Schritte. Statt die Zucker-Problematik mit einer Steuer zu lösen und dabei noch Geld zu verdienen.
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Infosperber-Artikel zur Thematik:


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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4 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 22.12.2018 um 11:56 Uhr
    Permalink

    Man müsste lernen, dass weder die Subventionen noch die Gesundheitspropaganda Staatsaufgabe sind.

  • am 22.12.2018 um 16:46 Uhr
    Permalink

    Ja lieber Tobias Tscherrig, das ist alles o.k. nur gibt es einiges zu ergänzen.
    Und dass unsere Behörden uns meist höhere Schadstoffe zumuten ist eine lange Geschichte.
    Hier werden Zuckerrüben angebaut. Und dass ist eine sehr wertvolle Pflanze für die
    Fruchtfolge, was z.B. weniger Chemie am und im Acker bedeutet. Angeblich könnten unsere Bauern etwa 50 % vom jetzigen Bedarf liefern. Und wenn wir den reduziert, kommen wir zur Eigenversorgung. Dazu kommt, dass die Rübenverarbeitung in der Schweiz top ist, die Transportwege relativ kurz. Neben Zucker fallen so Z-Schnitz und sirup an – für hochwertiges Viehfutter. Also macht es Sinn, den Bauern einen kostendeckenden Preis zu bezahlen oder zu subventionisieren. In der Verarbeitung ist die Schweiz Spitze.
    Es besteht also gar kein Grund, dass Schneider-Ammann Zuckerimport verbilligen will.
    Das betrifft meist Zuckerrohr, schlechteste Bedingungen für die Bauern(Palmoil lässt grüssen), überforderte Böden, weite Transporte mit Klimabelastung usw.
    Die WHO hat vor einiger Zeit festgestellt, dass Zucker süchtig macht und an der
    Entstehung vieler Krankheiten beteiligt ist. UND DAS GEBEN WIR UNSEREN BABIES, KAUM SIND SIE AUF DER WELT. Warum herrscht da «Funkstille» Weltweit nachlesen
    unter «Action on sugar"
    übrigens süsse Baby-Nahrung, Junge Schweizer haben ein Verfahren entwickelt, wo
    sie Babynahrung (Gläsli) ohne Zusätze machen wie??? Wer weiss darüber???

    Gruss Elisabeth

  • Portrait_Rainer_M_Kaelin
    am 23.12.2018 um 12:15 Uhr
    Permalink

    Der Bericht von Thomas Tscherrig erinnert uns an «alle Jahre wieder» : 1.Subventiionen versus Konsumbeschränkungen im selben Bereich ;2. «Freiwillige Massnahmen» versus wirksame, gesetzliche Massnamen; 3.offizielle Erklärungen versus sich vor dem Druck der Lobbies ducken. Das sieht anderswo genau gleich aus : 1. Tabakanbauförderung mit ca. 12 Mio pro Jahr versus gleiche Summe Tabakpräventionsfonds. 2. Freiwillige Massnahmen der Beschränkung der Tabakwerbung viâ «Lauterkeitskommission» (dass ich nicht lache !) versus gesetzliche Werbebeschränkungen, aktuelle inexistent 3. Seit 2005 steht die Ratifzierung der WHO – Rahmenkonvention auf der Agenda des Bundes, versus aktuelles Tabakproduktegesetz, das ein richtigehendes Tabakindustrie-förderungsgesetz geworden ist. — Dass verschiedene Lobbies ihren je eigenen Einfluss haben, das ist einmal so, naturgemäss schwer zu ändern. Aber der Stimmbürger und Steuer- und Versicherungsprämienzahler könnte sich besser mit seiner Wählerstimme wehren, falls man wüsste, wie die Parteien und unsere «Volksvertreter» sich von den Lobbies, Multinationalen und Wirtschaftskreisen bezahlen lassen; Ein potentieller Korrekturfaktor unserer Demokratie, den offenbar unser Parlament nicht sehen will, weil er eben einiges korrigieren könnte.

  • am 12.01.2019 um 16:21 Uhr
    Permalink

    Herr Kelin Sie haben recht, aber im Fall Zucker ist es nicht so einfach. Das schlimmste ist, dass wir die Babies oft schon auf Zucker trimmen, kaum sind sie aus dem Bauch.
    Und die Industrie darf das noch als gesind bewerben. Damit sollten sich Anwälte und Richter befassen.
    Das andere ist zweischneidig. Die hiesigen Zuckerrüben können in der Fruchtfolge (Wechsel) eine sehr positive Rolle einnehmen. Auch Auch die Nebenprodukte, die
    entstehen sind gut verwertbar als Futter usw. Transport ist kurz. Die Eigenproduktion
    beträgt ca 60% und wenn wir den Konsum beschränken, brauchte es wenig Import.
    Deswegen wäre die Subvention zu begrüssen. ABER wir Schweizer müssten verlangen, dass besser informiert wird (Wortspielereien) und wir danach fragen und handeln. Dann ist die Industrie sehr lernfähig. (z.Z. Konsum mit leeren Regalen zsw)

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