Neue Bahnlinie durch Zürich spart wenig Zeit
«Der Fahrplanwechsel am 13. Dezember 2015 wird der anspruchsvollste seit Einführung der ‹Bahn 2000› im Jahr 2004.» Das verkündeten die SBB, als sie ihren Fahrplanentwurf vor zwei Wochen in die bis zum 14. Juni dauernde Vernehmlassung schickten. Hauptgrund: Der zweite Teil der neuen Bahnlinie, die von Altstetten unter dem Zürcher Hauptbahnhof hindurch nach Oerlikon führt, wird Ende Jahr eröffnet. Ihr Bau kostete zwei Milliarden Franken.
Auf dieser sogenannten Durchmesserlinie können ab Ende Jahr acht S-Bahn- und vier Fernverkehrs-Züge pro Stunde und Richtung die Stadt Zürich durchqueren (siehe Tabelle), ohne im alten Sackbahnhof wenden zu müssen. Dazu schrieben die SBB in ihrer Medienmitteilung: «Die Reisezeit nach St. Gallen mit Abfahrt westlich von Zürich (also ab Bern) verkürzt sich mit dieser Verbindung um 18 Minuten.»
Eine Analyse des neuen und der Vergleich mit dem bisherigen Fahrplan aber zeigen: Der Zeitgewinn, den die neue Durchmesserlinie Bahnreisenden von der West- in die Ostschweiz bringt, ist insgesamt gering.
Im Westen nichts Neues
Auf der neuen Bahnstrecke verkehren ab 13. Dezember stündlich folgende vier Fernverkehrszüge (alle in beide Richtungen):
- IC Genf-Bern-Zürich-St. Gallen
- ICN Lausanne-Biel-Zürich-St. Gallen
- IC Brig-Bern-Zürich-Romanshorn
- «Flugzug» Basel-Zürich-Flughafen
Auf dem Weg von Westen (Bern, Biel oder Basel) bis zum Halt im neuen Durchgangsbahnhof, der unter dem HB Zürich liegt, bringt die neue Bahnlinie keinen Zeitgewinn. Im Gegenteil: Der ICN braucht von Biel nach Zürich zwei Minuten mehr als die bislang schnellste Verbindung. Der «Flugzug» von Basel zum Zürcher Flughafen, der bisher über die Tangentiallinie Altstetten-Oerlikon verkehrte, ist auf dem längeren Weg über die Durchmesserlinie sogar elf Minuten länger unterwegs.
Zeitgewinn von null und acht Minuten
Der IC Brig-Bern-Zürich gewinnt auf der Weiterfahrt nach Romanshorn ebenfalls keine Zeit. Grund: Er hält im neuen Durchgangsbahnhof Zürich künftig neun Minuten und damit gleich lang wie heute der gleiche Zug im oberirdischen Sackbahnhof. Von Bern nach Romanshorn bleibt die Reisezeit damit unverändert bei insgesamt 2 Stunden und 16 Minuten.
Von einer Beschleunigung profitiert einzig der IC, der von Genf über Bern (Abfahrt in Bern jeweils zur Minute 32) über die neue Bahnlinie nach St. Gallen fährt. Von den «18 Minuten» Reisezeitverkürzung, welche die SBB dieser schnellsten Intercity-Verbindung zuordnen, entfallen aber nur acht Minuten auf die Durchmesserlinie (dank einer auf fünf Minuten verkürzten Haltezeit im Durchgangsbahnhof). Die übrigen zehn Minuten «sparen» Reisende erst zwischen Winterthur und St. Gallen, weil bei diesem «Sprinter» die Zwischenhalte in Wil, Uzwil, Flawil und Gossau weg fallen – was Bahnreisende in diesen Gemeinden ärgert.
Kapazität erst zur Hälfte genutzt
Neben den erwähnten vier Fernverkehrszügen werden künftig vier S-Bahnlinien im Halbstundentakt, also acht S-Bahnzüge pro Stunde und Richtung, durch den neuen, im Juni 2014 eröffneten Zürcher Durchgangsbahnhof geleitet:
- Dazu gehören die Linien S2 und S8. Diese verkehren schon seit Mitte 2014 zwischen dem Süden (linkes Seeufer) und Norden (Flughafen/Winterthur) der Stadt Zürich; den Zeitgewinn von einigen Minuten haben sie also bereits eingezogen.
- Neu wird die Linie S14 Hinwil-Zürich, die seit Juni 2014 im Durchgangsbahnhof wendet, südwärts weiter ins Knonauer Amt geführt. Als neue Linie verkehrt die S19 von Dietikon nach Effretikon durch den Durchgangsbahnhof. Diese Neuerungen verdichten das Angebot im Agglomerationsverkehr.
Insgesamt erhöht die neue Durchmesserlinie die Kapazität des Bahnknotens Zürich um 25 Prozent. Die total 12 Fern- und Nahverkehrszüge, die ab Ende Jahr pro Stunde und Richtung diese neue Bahnlinie benutzen, lasten diese Kapazität aber erst zur Hälfte aus. Die volle Kapazität der zwei Milliarden teuren Bahnlinie zwischen Altstetten und Oerlikon lässt sich erst nach dem Jahr 2030 voll nutzen. Denn dazu braucht es zusätzliche Bahnbauten im Westen (zwischen Aarau und Schlieren) und im Norden der Stadt Zürich (zwischen Flughafen und Winterthur), ein viertes Gleis im Zürcher Vorbahnhof Stadelhofen sowie zusätzliche Doppelspuren im Zürcher S-Bahn-Netz. Dieser Ausbau der Infrastruktur wird weitere Milliarden verschlingen.
Gegen diese Kostenspirale, die sich nicht nur im Bahn-, sondern auch im Strassenverkehr dreht, gibt es nur ein Mittel: Ein Stopp des Verkehrs-Wachstums.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine