Kommentar
Nebelpetarden sollen Wahrheitssuche verhindern
«Vertrauen entsteht durch Offenheit und durch Kontrolle. Zur Kontrolle braucht es die öffentliche Kritik des Parlamentes, aber auch der Medien, welche die Untersuchungen der Kommission mitausgelöst haben. Es gehört zu den Voraussetzungen eines demokratischen Staatswesens, dass jede öffentliche Tätigkeit durchschaubar und kontrollierbar bleibt.»
Diese Aussage entstammt dem Schlussbericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission PUK zu Vorkommnissen im EJPD aus dem Jahr 1989. Ausgelöst wurde die damalige PUK-Untersuchung durch ein Telefongespräch der damaligen Bundesrätin Elisabeth Kopp mit ihrem Ehemann. Beim Auftrag der PUK ging es um Drogenhandel und Geldwäscherei. Herausgekommen sind aber auch hunderttausende von Fichen über unbescholtene Schweizerinnen und Schweizer. Diese – unerwarteten – Entdeckungen führten zu einem Zusatzbericht der PUK EJPD. Und diese wiederum zu einer weiteren PUK für das damalige Militärdepartement EMD, da sich in den Fichen Verweise auf das Militärdepartement fanden. Die PUK EMD beförderte eine Geheimarmee und einen geheimen zusätzlichen Nachrichtendienst (P 26 und P 27) zu Tage. Eine erste, genaue Untersuchung hatte eine Kaskade von Erkenntnissen ausgelöst, die aufzeigten: Im Staatsgebilde der Schweiz hatten sich Dunkelkammern gebildet, die den Grundsätzen des Staates zuwiderhandelten. Ohne PUK wären diese nicht ans Licht gekommen.
Heute, etwas über 30 Jahre später, steht das Parlament wieder vor der Frage, ob es zum stärksten parlamentarischen Kontrollorgan, also einer PUK, zur Aufklärung der Affäre der Crypto AG, greifen soll. Und dabei hört und liest man Erstaunliches: «Lieber keine PUK, die könnte erst richtig Schaden verursachen», schreibt Felix E. Müller, ehemaliger Chefredaktor der «NZZ am Sonntag», in den Zeitungen der CH-Media. Seine gewagte These: «Wenn bis heute kein Reputationsschaden für die Schweizer Neutralität festzustellen ist, dann besteht das Risiko, dass das Befürchtete erst durch die Einsetzung einer PUK eintritt. Fänden sich nämlich in den Berner Aktenbergen Belege für eine aktive Beteiligung Schweizer Behördenvertreter an den Manipulationen, dann würde dies sicher kein günstiges Licht auf die Schweiz werfen.» Nein, das würde es nicht. Und das zu Recht! Wieviel ist ein demokratischer Staat wert, wenn er nicht die Fähigkeit zur Selbstkritik und zur Vergangenheitsbewältigung hat, wie schmerzhaft, peinlich oder unschön die auch ist?
Akzeptierten Schweizer Mitwisser die Folter von Hans Bühler?
Allein der Fall des Crypto-Angestellten Hans Bühler ist Grund genug, endlich Klarheit zu schaffen: Er wurde während eines Verkaufsgesprächs 1992 im Iran verhaftet, verbrachte über neun Monate im Gefängnis und wurde gefoltert. Fest steht, dass er nichts von den Machenschaften seiner Firma wusste, schon gar nicht, dass seine Arbeitgeber der CIA und der deutsche Nachrichtendienste BND waren. Es ist unerträglich, sich vorzustellen, dass Schweizer Mitbürger in ihren Büros in Bern davon wussten und ihn nicht nur der Gefahr aussetzten, sondern ihn auch nach seiner Rückkehr im Stich liessen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Mitwisser Politiker waren oder Geheimdienstmitarbeiter – die Schweiz befand sich nicht im Krieg, es gab keinen Grund, einen Schweizer zu opfern.
Was ist von einer Polizei zu halten, die nicht mal Besitzverhältnisse klären kann?
Müller geht aber noch weiter: Er kritisiert auch die Journalistinnen und Journalisten, die angeblich «Skandalisierung» mit einem Thema betrieben, das schon lange bekannt gewesen sei: «Dass die Zuger Firma Crypto AG während des Kalten Krieges (und auch noch danach) manipulierte Chiffriergeräte an rund 120 Länder verkaufte, was der CIA und dem deutschen Bundesnachrichtendienst BND das Mitlesen verschlüsselter Depeschen erlaubte, beschäftigte vor 30 Jahren schon einmal Medien, Politik und Bundesanwaltschaft.» Eben! Das ist genau der Skandal: Dass bereits vor 30 Jahren genügend Hinweise da waren, der Sache nachzugehen – man es aber dabei belassen hat, eine pro forma-Untersuchung durchzuführen. Oder was ist von einer Bundespolizei zu halten, die heute zu Protokoll gibt: Man habe die Besitzverhältnisse angeschaut, sei aber nur bis zu einer Treuhandgesellschaft in Liechtenstein gekommen. Und was ist von einem Geheimdienst zu halten, der nicht erfährt, dass aus der Schweiz Verschlüsselungsgeräte mit Hintertüren verkauft werden? Die Medien hatten berichtet, sie hatten gewarnt, sie hatten Fragen gestellt – doch die Politik und die Strafverfolgungsbehörden haben nicht gehandelt.
Ohne Medien wüsste die Öffentlichkeit nichts
Als 2015 die NSA Dokumente freigab, war es wiederum ein Journalist, Frank Garbely, der die Dokumente durchsah und genügend Indizien dafür fand, dass die Crypto AG unterwandert war. Auch damals passierte nichts. Nach all diesem Nicht-Reagieren heute darauf zu verweisen, es sei ja alles schon bekannt gewesen und deshalb sollten sich die Medien bitte nicht ereifern, ist dreist. Und es lässt die Frage, wer hier was zu verheimlichen hat, noch dringlicher erscheinen.
Politische Spiele um Kontrollorgan
Die Begründung, es brauche keine PUK, weil ja die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) ermitteln könne, greift zu kurz: Das neue Instrument der GPDel wurde 1992 gegründet und ist damals erstmals zusammengetreten. Geschaffen wurde sie als Folge der PUK EJPD und der PUK EMD – siehe oben – um dem Parlament ein Instrument zu geben, auch geheime, anderen Kommissionen verschlossene, Bereiche zu kontrollieren. Die GPDel hätte also seit 1992 handeln können. Sie hat es nicht getan, obwohl schon die Aussagen von Hans Bühler und später weitere Hinweise da waren, dass mit der Crypto AG nicht alles koscher war. Die GPDel hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt, Licht ins Dunkel der Affäre Crypto AG zu bringen. Zudem war sie seit letztem Jahr über die Recherchen der Rundschau-Journalistinnen informiert, hat aber – publikumswirksam – erst in der Rundschau-Sendung eine Untersuchung angekündigt.
Felix E. Müller hat dort recht, wo er anmerkt, dass sich eine PUK bei der Affäre Tinner aufgedrängt hätte: Die Gebrüder Tinner hatten 1998 Pläne für Atombomben nach Pakistan geliefert. Die Akten wurden, als die Sache publik wurde, auf Antrag von Bundesrat Christoph Blocher und genehmigt von der Mehrheit des Bundesrates vernichtet. Der Bundesrat kam damals einem Wunsch des CIA nach, um einen öffentlichen Prozess gegen Tinners zu vermeiden. Aber dass damals nicht genauer hingeschaut wurde, darf nicht als Begründung dienen, auch jetzt nicht zu handeln.
Nur eine PUK ist glaubwürdig
Während sich die Politikerinnen und Politiker streiten, wer denn nun untersuchen soll – eine PUK, die GPDel, eine Historikerkommission – vergessen sie in ihrem Dauerwahlkampf,
- dass Bundesräte aus jeder Partei von Mitwisserschaft betroffen sein könnten. Nicht nur das Verteidigungsdepartement war exponiert, auch das Justiz- und Polizeidepartement und das Aussendepartement. Hier parteipolitisch zu denken und zu handeln wird diesem Geheimdienstskandal nicht gerecht;
- dass die Glaubwürdigkeit des Staates und damit auch ihre Glaubwürdigkeit davon abhängt, ob sie Kontrolle ihres eigenen Tuns zulassen;
- dass jede PUK, die bis anhin eingesetzt wurde, Dinge ans Licht brachte, die sich vorher niemand hätte vorstellen können.
Oder, um es nochmals in den Worten der PUK EJPD zu sagen: «Vertrauen entsteht durch Offenheit und durch Kontrolle.»
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Siehe dazu auf infosperber:
Der Spionage-Skandal rund um die Zuger Crypto AG
«Es ist einfach Bürgerpflicht, die Sache totzuschweigen»
Kaspar Villiger gibt zu, vom Spionageskandal gewusst zu haben
CIA: Verschlüsselungstechnik oder eher Verschlüsselungspolitik?
Crypto AG: Schweiz unter einer Decke mit der CIA
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Ich denke, das Vertrauen ist verspielt.
Wir werden auch von unserer Macht-Elite laufend betrogen.
Auch die zweite Schweizer Cryptofirma, Gretag AG, war seit langem ein verlängerter Arm der NSA:
https://insideparadeplatz.ch/2020/02/17/crypto-affaere-auch-banken-lieferant-gretag-gehoerte-amis/#comment-328278
Das Imperium USA hat den totalen «Durchblick» und es wird auch verständlich, warum Russland und China sich vom Swift-System abkoppeln.
Sie haben Recht.
Findet das noch irgendjemand gut?
Lassen wir uns von diesem Imperium wirklich noch neue Kampfjets liefern und in den nächsten Krieg schicken?
Jede Art von Feindbild dient ausschliesslich diesem hinterhältigen Imperium.
Ich denke, es gibt nur einen humanen Weg: Kooperation nur mit ehrlichen Partnern, die mit offenen Karten sich wirklich um die Probleme dieser Welt kümmern.
Auch die Schweiz hat sehr viel Verbesserungspotenzial!
Der Bankrott dieses Imperiums ist absehbar.
Nur die schonungslose Offenlegung in der Affäre Crypto AG kann das Vertrauen in die staatlichen Institutionen wiederherstellen, schreibt Monique Ryser.
Auch die Kriegsmaterialexport-Politik schafft kein Vertrauen in Institutionen :
Laut der offiziellen Statistik des Bundes exportierte die Schweiz von 1975 – 2018 für 18,5 Milliarden Franken Kriegsmaterial. Verkauft wurden diese Rüstungsgüter zu einem grossen Teil an kriegführende Staaten, in Spannungsgebiete, an menschenrechtsverletzende Regimes und an arme Länder in der Dritten Welt, in denen Menschen hungern und verhungern. In den 18,5 Milliarden Franken sind die besonderen militärischen Güter nicht eingerechnet, die ebenfalls exportiert wurden, aber nicht in der offiziellen Statistik erscheinen. Auch die Finanzierung von Waffengeschäften durch Schweizer Banken erscheinen in diesen Zahlen nicht. Schweizer Geldinstitute, die Nationalbank, Banken und Pensionskassen investierten in den letzten Jahren sogar in Firmen, die an der Atomwaffenproduktion, an der Herstellung von Anti-Personenminen und Clusterbomben beteiligt sind.
Zu erinnern ist an die Kriegsmaterialverordnung; Unter Punkt des Artikels 5. Absatz. 2 ist festgelegt:
«Grundsätzlich ausgeschlossen ist die Bewilligung eines Ausfuhrgesuches für Kriegsmaterial, wenn «das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist.»
Trotzdem wurde an kriegführende Nato-Staaten, an Saudiarabien, Pakistan, usw. ständig Waffen verkauft.
Die Schweizer Mitbürger in ihren Büros in Bern
hätten auch kaltarschig zugesehen, wenn die
Perser Hans Bühler erschossen hätten.
Danke für den Artikel Frau Ryser.
Wenn eine PUK von der Staatsanwaltschaft mit einer Gegenanzeige gestoppt bzw. diskreditiert werden soll, und wenn eine PUK einen Maulkorb bekommt und nichts veröffentlichen darf – dann gibt es kein Vertrauen in staatliche Instanzen. Auch der tägliche (sic!) organisierte Filz und Korruption von Behörden, inkl. Justizwillkür demontieren das Vertrauen nachhaltig. Wenn man morgens den Entschluss fasst, heute mal Vertrauen zu schenken, dann veranlassen einen Fakten schon vor dem Mittag, das Vertrauen wieder zu canceln. Und das jeden einzelnen Tag, jahrzehntelang. Man kann sich zwar brüsten eine PUK zu haben (= Opium fürs Volk), aber wenn die Untersuchungsresultate nicht publik werden dürfen? Und wenn doch, zur Volksberuhigung, dann erfahrungsgemäss nur 1 bis 2 Prozent des tatsächlichen Ausmasses. Um ein Vertrauen in staatliche Instanzen wieder herzustellen, bedürfte es schon etwas mehr. Mehr als jedesmal nur einen Blumenstrauss für Gewaltopfer.
Danke für diese präzise Zusammenfassung der wesentlichen Punkte.