Mordechai Vanunu will nicht mehr Israeli sein
Am 10. Dezember 2010 zeigten Hunderte von westlichen Fernsehsendern einen leeren Stuhl: In Oslo hätte Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis entgegennehmen sollen, durfte zu diesem Zweck aber nicht aus China ausreisen.
Nur zwei Tage später, am 12. Dezember 2010, hätte Mordechai Vanunu in Berlin die Carl-von-Ossietzky-Medaille entgegennehmen sollen. Aber auch er war nicht anwesend: Israel hatte ihm die Ausreise verweigert. Nur: darüber berichtete niemand. Die Medien übersahen das geflissentlich. Wenn zwei das gleiche tun…
Als Spion behandelt
Mordechai Vanunu war der Sohn jüdisch-marokkanischer Einwanderer in Israel. Sein Vater war Rabbiner in Beerscheba in der Wüste Negev. Vanunu arbeitete seit 1976 im lange geheimgehaltenen Dimona Nuclear Research Center in Negev als Techniker. 1986 machte er in der englischen Presse öffentlich, dass Israel an einem Atombomben-Programm arbeitete. Der israelische Geheimdienst Mossad lockte ihn darauf unter falschen Vorgaben nach Rom, dort wurde er ohne Wissen und Zustimmung Italiens gekidnapt und nach Israel verschleppt. Er wurde in einem geheimen Gerichtsverfahren verurteilt und für 18 Jahre eingekerkert, davon 11 Jahre in Isolationshaft. Nach seiner «Freilassung» 2004 wurden ihm sämtliche Kontakte zu Journalisten untersagt, er musste jahrelang ohne Telefon, ohne Handy und ohne Internet leben, und zu zweien Malen wurde er erneut für einige Monate inhaftiert, weil er gegen die Meldepflicht für Reisen verstossen hatte.
Doppelspiel Israels
Israel bestätigte den Besitz von Atomwaffen nie, bis heute nicht. Allerdings dementierte Israel den Tatbestand auch nie. Denn über die abschreckende Wirkung des Atombomben-Besitzes war man durchaus glücklich. Indirekt bestätigte Israel den Besitz allerdings mit der Nicht-Unterzeichnung des Atomwaffen-Nonproliferations-Abkommens. Heute wird Israel im internationalen Powerplay von allen Seiten zu den Atombomben-Besitzern gerechnet. Etliche politische Beobachter und Kommentatoren, auch US-amerikanische, halten deshalb dem Iran auch zugute, mit seinem Atom-Programm nicht eine Vormachtstellung im Nahen Osten anzustereben, sondern in erster Linie gleichlange Spiesse erlangen zu wollen.
In Gedenken an Carl von Ossietzky vergibt die Internationale Liga für Menschenrechte seit 1962 die Carl-von-Ossietzky-Medaille. Carl von Ossietzky war als Journalist und Publizist ein äusserst couragierter Widerstandskämpfer gegen den deutschen Nationalsozialismus. 1931 machte er in der Zeitschrift «Die Weltbühne» die geheime Aufrüstung derReichsweh publik. 1936 erhielt er rückwirkend für 1935 den Friedensnobelpreis, konnte ihn aber nicht persönlich entgegennehmen, da ihm die nationalsozialistische Regierung die Ausreise verweigerte. 1938 starb er an den erlittenen Misshandlungen in deutschen Konzentrationslagern.
Letztes Jahr fiel die Wahl für die Carl-von-Ossietzky-Medaille auf Mordechai Vanunu. Der freute sich über diese Auszeichnung aus Deutschland und wäre im Dezember gerne zur Entgegennahme nach Berlin gereist. Doch Israel liess ihn nicht ausreisen, so wie China Liu Xiaobo nicht zur Entgegennahme des Friedensnobelpreises nach Oslo ausreisen liess. Doch im Gegensatz zum Entscheid aus China störte das Nein aus Israel kaum jemanden. In Deutschland ist Kritik an Israel immer noch tabu – und in der Schweiz ist es nicht viel anders. Man folgt gehorsam der von Israel propagierten Formel «Kritik an Israel = Antisemitismus», ohne das zu hinterfragen.
Mordechai Vanunu will sich ausbürgern lassen
Das Leben in Israel ist für Mordecahi Vanunu zur Hölle geworden. 18 Jahre Gefängnis und seither sieben Jahre ein Leben unter unmenschlichen Auflagen, das ist zu viel. Da Vanunu 1986 auch dem Judentum abgeschworen hatte und der Anglikanischen Kirche beigetreten war, hat auch seine Familie ihn fallen lassen. Der heute 57jährige hat in Israel wahrhaft keine lebenswürdige Zukunft mehr. Er hat deshalb im Mai Premierminister Netanyahu einen Brief geschrieben: er möchte in Israel ausgebürgert werden. Naturgemäss wäre damit auch eine Ausreisebewilligung verbunden. Eine Antwort allerdings steht aus.
Ein gute Gelegenheit für die Schweiz
Die Schweiz ist nach der Minarettverbots- und der Ausschaffungs-Initiative daran, ihren international guten Ruf als Land mit einer grossen humanitären Tradition zu verlieren. Zu Recht, trotz Internationalem Rotem Kreuz mit Sitz in Genf. Es wäre deshalb eine gute Gelegenheit, wiedereinmal einen Kontrapunkt zu setzen und Mordechai Vanunu von der Schweiz aus politisches Asyl anzubieten. Die Schweiz hat den Atomwaffen-Nonproliferationsvertrag unterzeichnet. Mehr noch, es gehört zum erklärten Programm des EDA, aktiv zur Nonproliferation von Massenvernichtungsmittel beizutragen. Es kann deshalb nach Schweizer Recht kein Verbrechen sein, die heimliche Entwicklung von Atomwaffen auszuplaudern. Im Gegenteil, Menschen wie Mordechai Vanunu müssten ausgezeichnet werden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine