Kommentar

Mit «Plan B» gegen den Bilateralismus?

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsDer Autor ist Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik und war 1993 - 98 EU-Korrespondent von ©

Markus Mugglin /  «Strategie Plan B» statt über das Institutionelle Abkommen den bilateralen Weg fortführen? Die Anzeichen dafür mehren sich.

Der Bundesrat wünscht noch Klärungen, bevor er das Rahmenabkommen mit der EU gutheissen will – Klärungen im Austausch mit der EU und auch im Inland. Hier setzt er auf die Gespräche der Sozialpartner und erwähnt auch die besonderen direktdemokratischen Eigenheiten des Landes. Das brauche viel Zeit, weil das Stimmvolk das letzte Wort habe, wirbt er gegenüber Brüssel um Verständnis.
Das tönt nicht nach Konfrontation, auch nicht das von Aussenminister Ignazio Cassis beschworene «Wunder», das allenfalls einen Abschluss noch vor Ende Oktober möglich machen könnte. Doch die besänftigenden Worte werden von den beiden SVP-Vertretern im Regierungsgremium übertönt. Bundespräsident Ueli Maurer und sein Parteikollege Guy Parmelin im Wirtschafts- und Forschungsdepartement sprechen Klartext. Der EU kann es recht sein. Denn die beiden öffnen ihr den Blick hinter die Kulissen und machen klar, was sich abzeichnet: Der bisherige Bilaterale Weg wird stückweise durch eine «Plan B-Strategie» bedrängt.
Maurers Fundamentalopposition
Bundespräsident Maurer spricht zwar nicht mehr von Nachverhandlungen, die er noch Anfang Jahr gefordert hatte. Er redet jetzt EU-kompatibel von Gesprächen. Seine Opposition ist trotzdem fundamental. Er hat sie im TV-Gespräch zum 1. August publik gemacht: Die Differenzen seien wesentlich grösser, als man es in der Öffentlichkeit wahrnehme und beschreibe. Sie beträfen nicht nur die flankierenden Massnahmen, staatlichen Beihilfen und die Unionsbürgerschaft, die der Bundesrat in seinem Schreiben an die EU erwähnt hatte. In Abweichung von der offiziellen Sprachregelung forderte der Bundespräsident im TV-Gespräch, dass auch über die «automatische Rechtsübernahme» geredet werde 1), wie er den Nachvollzug von EU-Recht im Stil eines strammen SVP-Parteisoldaten faktenwidrig bezeichnete. Es erstaunt deshalb nicht, dass der Bundespräsident an der jährlichen Botschafterkonferenz das Institutionelle Rahmenabkommen als gescheitert deklariert haben soll.
Auch SVP-Parteikollege Guy Parmelin geht offen auf Distanz und kündigte in einem Interview 2) eine lange Verzögerung der Gespräche mit der EU an. Frühestens im nächsten Jahr könne «ernsthaft» über ein Rahmenabkommen diskutiert werden. Zuerst werde über die Begrenzungsinitiative seiner Partei abgestimmt. Da die parlamentarische Debatte darüber erst noch zu führen ist, wird das frühestens im Mai 2020 der Fall sein. Es kann aber auch Herbst werden und würde das Rahmenabkommen über das nächste Jahr hinaus verzögern.
Die EU soll sich also gefälligst gedulden – obwohl mehr als zehn Jahre vergangen sind, seit sie erstmals Verhandlungen über das Rahmenabkommen gefordert hatte. Sollte sie kein Verständnis zeigen und die Schweiz beispielsweise bei der Forschungszusammenarbeit als Drittstaat einstufen oder das Abkommen über technische Handelshemmnisse nicht mehr aktualisieren, würde Wirtschafts- und Forschungsminister Parmelin mit Gegenmassnahmen kontern. Für diese Fälle lässt er an Plan B bzw. an gleich zwei B-Plänen arbeiten. Was Finanzminister Maurer als Antwort auf die von der EU verweigerte Börsenanerkennung vorgemacht hat, will er offenbar kopieren: «Wir werden gezwungen, nach Alternativen zu suchen» und «wir sind daran, einen Plan B zu erarbeiten».
B-Pläne häufen sich
Es sieht ganz danach aus, dass der bisherige bilaterale Weg schrittweise von einem «Plan B-Weg» verdrängt wird. Das Parlament hat mit der Hinauszögerung der Kohäsionszahlungen an die neuen EU-Mitgliedstaaten bereits seinen Beitrag zum Strategieschwenker geleistet. Beim Erasmus-Studentenaustausch-Programm hatte Parmelins-Vorgänger Johann Schneider-Ammann diesen Ansatz gewählt. Auch für das Media-Programm existiert ein Plan B. Zusammen ergibt das ein vielfältiges Paket als angebliche Alternative zum noch immer meist beschworenen «bilateralen Königsweg».
Die EU weiss dank den SVP-Bundesräten, worauf sie sich einzustellen hat. Im Unterschied zum Eklat von Ende 2017 hat sie jetzt ausreichend Zeit dafür. Damals reagierte sie kurzfristig und frustriert mit der nur provisorischen Anerkennung der Börsenäquivalenz auf ein Interview, in welchem sich Bundesrat Maurer öffentlich von der kurz zuvor getroffenen Übereinkunft zwischen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der damaligen Bundespräsidentin Doris Leuthard distanziert hatte.
Kommt es nun zur Eskalation, wie es der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann und zahlreiche Vertreter von Anrainerregionen in Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien gemäss einem Schreiben an die EU-Kommission befürchten? Die Anzeichen dafür häufen sich. Die Plan B-Strategen würde es bestimmt freuen.

Quellen:
1) SRF-Gespräch mit Bundespräsident Ueli Maurer zum 1. August, 31. Juli 2019, (ab Minute 19)
2) Interview mit Wirtschaftsminister Guy Parmelin in der «Berner Zeitung» , 1. September 2019, (kostenpflichtiger Artikel)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik und war 1993 - 98 EU-Korrespondent von Radio SRF.

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3 Meinungen

  • am 11.09.2019 um 12:13 Uhr
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    Danke für den Beitrag, der mich aber weiter ratlos lässt. Der Autor geht von Positionen Vorwissen und Bezügen zu bereits getätigten Aussagen und Schachzügen aus, die ich als Leser nicht nachvollziehen kann. Was ist jetzt Sache? Was ist Plan-B (resp. Pläne-B) und was Bilateralismus in dem Zusammenhang. Was heisst Eskalation und wo sind die anderen 5 Bundesräte dabei (haben wir nicht ein «Konsenssystem"?). Wie auch immer, vielleicht müsste Infosperber hier noch etwas mehr mit direkten Links zu den entsprechenden Infos arbeiten….

  • am 11.09.2019 um 12:29 Uhr
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    Das Lavieren zweier Behinderter scheint eine Runde weitergehen zu wollen, wie uns Markus Mugglin (SPA-ASPE) mitzuteilen versucht.
    Der erste Behinderte ist die schwer angeschlagene EU, die seit Jahren mühsam versucht, sich zu einem «Europa» zu entwickeln, demokratisch, wie dessen künftige Bürger meinen. Aber die EU ist eben nicht ein demokratisches Europa, wie die jüngste Wahl der neuen Kommissionspräsidentin demonstriert hat. An den Rechten eines Schweizerbürgers für EU-Bürger ist die EU nicht interessiert. Direktes Mitreden der Bürger, ein Horror für die EU.
    Der zweite Behinderte ist die Schweiz, die ihr Verhältnis zum Vertragspartner EU nicht zu regeln vermag. Beitreten mag sie nicht, aber dabei sein und profitieren will sie, wie ihr die EU unterstellt. Zu einer Haltung über Parteiengezänke hinaus scheinen unsere heutigen Volksvertreter nicht zu kommen.
    "Plan B» kann doch nur heissen: Die EU und die Schweiz sind und bleiben zwei Vertragsparteien mit gegenseitig kündbaren Verträgen, bis die EU beschliesst, eine Europäische Demokratie werden zu wollen. Eine Demokratie, die auch Schweizerbürgern erlaubt, überzeugte Europäer zu werden. Nicht vor 2045 meint etwa die Europa-Visionärin Ulrike Guérot.

  • am 11.09.2019 um 12:31 Uhr
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    Markus Mugglin, sie schreiben, dass Bundesrat Ueli Maurer „in Abweichung von der offiziellen Sprachregelung fordert, dass auch über die «automatische Rechtsübernahme» geredet werde“. Damit sprechen Sie den Kern der Argumentation der Gegner des Rahmenabkommens an (Komitee Nein zum schleichenden EU-Beitritt). Es geht letztlich darum, ob die Schweiz den EU-Gerichtshof (EuGH) als letzte, unanfechtbare Gerichtsinstanz zu Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung bilateraler Verträge zwischen Bern und Brüssel akzeptieren soll.
    Bisher nahm ich an, dass Brüssel dem Bundesrat den EuGH „aufgezwungen“ habe. In der Tagesanzeiger-Kolumne des ehemaligen SP-Nationalrates Rudolf Strahm „Warum alle zu Europa schweigen“ steht eine andere Geschichte. „Staatssekretär Yves Rossier schlug 2013 vor, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) als Schiedsinstanz einzusetzen. Die EU hatte zuvor auch den Efta-Gerichtshof als Variante ins Spiel gebracht. Doch Rossiers versteckte Agenda war auf den EU-Beitritt fixiert.“ Bemerkenswert ist die Beurteilung der heutigen Situation durch Rudolf Strahm: „die Führungspassivität der Regierung hat uns dieses Verhandlungsdesaster beschert“.
    Es scheint sinnvoll, dass sich der Bundesrat aus seiner Führungspassivität löst und auch über einen Plan B nachdenkt.

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