Kommentar

Micheline Calmy-Reys vergiftetes Geschenk

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autorskeine ©

Jürg Lehmann /  Die Ex-Aussenministerin unterstützt die SVP-Initiative für die «Volkswahl des Bundesrates». Aber die Partei jubelt nicht. Warum?

Hat es der SVP die Sprache verschlagen? Da erhält sie von der Ex-Magistratin und SP-Politikerin Micheline Calmy-Rey prominente Unterstützung für ihre Initiative «Volkswahl des Bundesrates», über die wir am 9. Juni abstimmen – und was macht die Partei? Statt euphorisch darauf zu reagieren, gibt sie sich schmallippig. Generalsekretär Martin Baltisser nickt den Support auf der Website der Partei kurz und bündig ab: «Frau Calmy-Rey geht es (…) um die Sache, die sie aus Prinzip befürwortet.» Das ist alles.

Befremden und Irritation

Fünf Wochen vor der Abstimmung mochte das Interview Calmy-Reys in der «Schweiz am Sonntag» etwa so befremden wie es die Reihe ehemaliger Bundesräte im gegnerischen Komitee tut. Warum um alles in der Welt müssen sich Magistratspersonen im Ruhestand rückblickend quasi noch in «eigener Sache» zu Wort melden anstatt einfach in Ruhe und Gelassenheit dem Entscheid an der Urne entgegen zu sehen?

Aber vielleicht steckt hinter Calmy-Reys Äusserung gar nicht die Absicht, der SVP-Initiative einen Schub zu verleihen, sondern das Gegenteil davon: sie zu bremsen und die SVP-Anhängerschaft (die Delegierten sagten mit 370 Ja zu 8 Nein Ja zur Initiative) nachhaltig zu irritieren. Das wäre dann in der Tat ein vergiftetes Geschenk.

Blenden wir zurück. In ihrer Zeit im Bundesrat (2003-2011) war die Aussenministerin für die SVP die Reizfigur schlechthin. Mit ihrer umtriebigen Neutralitätspolitik, ihrer Eigenwilligkeit und ihren pointierten Kommentaren zu SVP-Anliegen löste sie bei den Patrioten manche Hasstirade aus. Im August 2006 forderte der damalige Nationalrat und SVP-Präsident Ueli Maurer den Bundesrat auf, Calmy-Rey zu entmachten. Man müsse ihr das Dossier Aussenpolitik entziehen, die Entwicklungshilfe könne sie behalten.

Volk unterstützt womöglich offene Aussenpolitik

Calmy-Rey sagte jetzt im Interview: «Das Parlament hat gegenüber der Regierung zu viel Gewicht. Ein bisschen mehr Führungsstärke würde dem Bundesrat aber guttun.» Und vor allem weiss sie: Populär bis weit in die Deutschschweiz hinein, hätte ein Alphatier vom Schlage Calmy-Reys aus der Westschweiz bei einer Volkswahl ihren Sitz praktisch auf sicher, denn die Initiative garantiert ja der lateinischen Schweiz zwei Sessel im Bundesrat. Das Volk könnte eine welsche Aussenministerin ihres Kalibers und damit auch ihren Öffnungskurs geradezu locker legitimieren. Möchte die SVP das?

Für 2011 machte das Parlament Calmy-Rey mit dem schlechtesten Ergebnis aller Zeiten (106 Stimmen von 246 möglichen) zur Bundespräsidentin. Solche «Denkzettel» wären nach der Annahme der Initiative nicht mehr möglich, denn – das wird jetzt gerne übersehen – nicht mehr das Parlament, sondern der Bundesrat selber würde den Präsidenten oder die Präsidentin für ein Jahr bestimmen. Es ist denkbar, dass populäre Bundesräte häufiger Präsidentin würden als heute – und im Falle einer Aussenministerin wie Calmy-Rey vielleicht sogar nützlich (Bundespräsident Ueli Maurer im Niemandsland).

Diese Option könnte das Land unter Umständen in eine ungeahnte aussenpolitische Dynamik führen. Wie immer: (Partei)taktischen und strategischen Überlegungen rund um das Präsidium wären jedenfalls Tür und Tor geöffnet. Möchte die SVP das? – nachdem sie «unwürdige Ränkespiele und Intrigen» (Parteipräsident Toni Brunner) im Parlament bei Bundesratswahlen ausdrücklich als Argument für ihre Volkswahl-Initiative benutzt?

Reaktion lieber auf Sparflamme

Die SP-Frau und die SVP. Das passte nicht. Und so wenig passt ihr Initiativen-Sukkurs zur Partei. Das weiss die SVP. Ihre knappe Reaktion auf die Unterstützung von Calmy-Rey ist die Einsicht, das man zwar vom «Prinzip» der Übereinstimmung reden kann, aber Inhalte und ihre möglichen Auswirkungen mit Calmy-Rey lieber nicht thematisiert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Nationalratssaal_Bundeshaus

Parteien und Politiker

Parteien und Politiker drängen in die Öffentlichkeit. Aber sie tun nicht immer, was sie sagen und versprechen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.