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Zerstörung nach der Binz-Demonstration in Zürich © PD

Medien, Gewalt, Gesellschaft (1): offene Debatte

Robert Ruoff /  «Weltwoche» gegen Strehle, «schwarzer Block» gegen Emanzipation. Gewalt steht wieder auf der Agenda. Als Fortsetzungsgeschichte.

Jean-Martin Büttner hat, einmal mehr, einen starken Satz geschrieben: «Nur wer die Gewalt bei sich versteht, kann sie bei andern bekämpfen.»

Der Satz soll als selbstkritisches Motto über diesem Text stehen und über den Texten, die sich daran anschliessen sollen. Denn keiner, der sich für Freiheit von Gewalt einsetzt, kann für sich in Anspruch nehmen, ganz und gar vor gewaltförmigen Reaktionen gefeit zu sein, ob er nun politisch handelt oder publizistisch schreibt oder auf einem anderen Feld tätig ist. «Ein hinaus geschleudertes Wort kann sein wie ein Stein», hat der mongolische Schamane Galsang Tschinang in einer Fernsehdokumentation über seine Arbeit gesagt.

Büttners Satz stand in einer Kolumne im «Tages-Anzeiger». Der «Tages-Anzeiger» ist ein guter Platz für diese Botschaft. Sein Chefredaktor Andreas Strehle stand im Zentrum der Gewaltattacke der «Weltwoche». «Die ‚Weltwoche’ versuchte, Strehle als Terrorismus-Sympathisanten darzustellen», schreibt die «NZZ am Sonntag». «Die Texte operierten teilweise mit sinnentstellenden Zitaten. Strehle reichte Beschwerde beim Presserat ein.»

Das ist die knappste Zusammenfassung.

Nachhaltige Lebensformen

Die Gewaltdebatte ist damit nicht erledigt. Im Gegenteil: Sie hat noch gar nicht begonnen. Die Frage der Gewalt muss eine Antwort finden, damit wieder Freiraum für die kreativen Debatten entsteht.

Die «NZZ am Sonntag» (24. März 2013) leistet unter dem Titel «Achtziger greifen nach der Macht» einen sehr kenntnisreichen, vielleicht richtungweisenden und sicher verdienstvollen Beitrag zur Wiederherstellung der inhaltlichen Information und Diskussion über kulturelle Freiräume. Der Blick in die jüngste Geschichte gehört in diesen Zusammenhang.

Lesenswert ist die Doppelseite der «NZZ am Sonntag», weil sie zeigt, wie in der emanzipatorischen Bewegung der achtziger Jahre das Projekt einer «ökologischen Gesellschaft» entstand, mit Ideen der Selbstversorgung – heute nennt man das «urban farming» -, mit einem System von «Naturalientausch, alternativen Energien, Fussgänger- und Veloverkehr statt Autos» und einen gesellschaftlichen Gefüge, in dem solidarische Zusammenarbeit, Gleichberechtigung und kreative Eigenverantwortung eine dynamische Verbindung eingehen.

Schöpferische Freiheit

Vielleicht richtungweisend sind diese NZZ-Artikel, weil sie auf die freiheitlichen Züge der achtziger Bewegung hinweisen. Die gemeinsame freiheitliche Basis gesellschaftlich-politischer Organisationen über die gängigen Grenzen von Links und Rechts hinweg ist eine entscheidende Grundlage für den Erfolg einer offenen Debatte über die künftige Gestaltung unserer Gesellschaft, lokal, regional, global. Voraussetzung einer solchen Debatte ist die Offenheit für ökologisch nachhaltige Veränderungen und der gegenseitige Respekt, insbesondere der Verzicht auf Gewaltandrohung und Gewalt.

Verdienstvoll ist der differenzierte Beitrag der «NZZaS» gerade auch deshalb, weil er die Aufmerksamkeit von Medien, Politik und Öffentlichkeit abzieht von der Gewalt einer fundamentalistischen Minderheit, wie sie beim «Binz-Krawall» wieder tätig geworden ist. Verdienstvoll ist, dass die Texte den Blick wieder auf die schöpferischen Möglichkeiten einer emanzipatorischen Bewegung lenken, die sich nicht vom absoluten Egoismus kapitalistischer Profitmaximierung vereinnahmen lässt, wie ihn FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher sehr prägnant diagnostiziert. (In: EGO. Das Spiel des Lebens. Karl Blessing Verlag, München 2013)

Zerstörte Botschaft

Der «schwarze Block» hatte mit seiner realen Gewalt nicht nur die Coop-Filiale an Zürichs Badenerstrasse ausgeraubt und demoliert (unter den Augen der offenkundig wieder überforderten Zürcher Polizei). Die gesichtslosen Provokateure der Gewalt hatten damit auch die wochenlangen, kunstvollen Vorbereitungsarbeiten der kreativen, gewaltfreien Mitglieder der Familie Schoch ihrer Wirkung beraubt, die zusammen mit einigen tausend friedlichen Sympathisanten, von Gymnasiasten bis zu sehr arrivierten Kunst- und Kulturschaffenden, mit einer kreativen Tanzparty auf Zürichs Strassen Aufmerksamkeit für autonomes Kulturschaffen im Freiraum der Industriebrache Binz schaffen wollten.

So läuft das: Gewalt wird unverzüglich zum grossen und einzigen Thema der Medien und der Öffentlichkeit, auch wenn sie offenkundig mit dem Kern des Anliegens und der Mehrheit seiner Verfechter nichts zu tun hat. Gewalt vernichtet enorme Mengen kreativ befreiender Energie einer emanzipatorischen Bewegung und führt zu ihrer Spaltung oder gar zur Selbstzerstörung.

Gewalt oder Emanzipation

Gewalttaten werden auf der anderen Seite sofort politisch genutzt von denen, die nichts ändern wollen. Also von jenen Herrschenden, die eine emanzipatorische Bewegung schwächen oder sogar dadurch zerstören wollen, dass sie Gewalt in diese Bewegung hineintragen. Es gibt tragische Beispiele dieser Vergewaltigung emanzipatorischer Bewegungen.

Diese Beispiele auch aus der jüngeren Geschichte zeigen: Freiheit von Gewalt ist eine wesentliche Bedingung der freien Debatte und damit von Befreiung überhaupt. Die Drohung oder gar die Anwendung von Gewalt bedroht zuerst die Gegner und dann die Andersdenkenden und nach aller Erfahrung auch die früheren politischen Freunde mit Versehrung oder sogar Vernichtung. Gewalt beendet die Debatte. Auch wenn sie angeblich im Interesse der Befreiung stattfindet.

Gewaltfreier Widerstand

Aber Gewaltfreiheit heisst nicht: passiv bleiben: Empörung, Widerstand und Engagement sind notwendig, oder, wie Stéphane Hessel im Interview wenige Monate vor seinem Tod noch einmal sagte: «Es reicht nicht, sich zu empören. Man muss etwas tun – aber friedlich.» (Interview mit Heinz-Norbert Jocks, in Lettre International 100, Frühjahr 2013)

Hessel spricht von einer absoluten und masslosen Konsumgesellschaft, in der sich die Frage der Gerechtigkeit massiv stellt, ebenso wie die Gefährdung der Natur. «Deshalb ist die Empörung der Jugend das Natürliche… Wir leben nicht länger in einer unwidersprochenen, akzeptierten Gesellschaft, sondern in einer bekämpften.»

Damit sagt er Entscheidendes in knappster Form. Widerstand ist berechtigt und Widerstand ist am Platz. Aber ohne Gewalt. Das aber bedeutet: Widerstand verlangt Kreativität. Gewalt hingegen verlangt in unserem kleinen Land nur Wut und eine Wollmütze zur Vermummung.

(Fortsetzung folgt: Die «Weltwoche»: Einäugiger Journalismus)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor hat 1968 ff. in Berlin (West) die Studentenbewegung mitgelebt.

Zum Infosperber-Dossier:

Gewalt_linksfraktion

Gewalt

«Nur wer die Gewalt bei sich versteht, kann sie bei andern bekämpfen.» Jean-Martin Büttner

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