Lobbying: «Nicht alle haben die gleiche Stimme»
Die allermeisten Schweizerinnen und Schweizer schätzen die direkte Demokratie und engagieren sich politisch. Das Vertrauen ins Parlament hingegen ist tief. Mehr als die Hälfte der 10’000 Personen, welche das Meinungsforschungsinstitut gfs kürzlich im Auftrag der SRG zu politischen Themen befragt hat, vertraut gewählten Politikerinnen und Politikern nicht. 81 Prozent von ihnen finden gar, Lobbys hätten zu viel Einfluss.
Auch der kürzlich publizierte dreiteilige Podcast «Lobbyland» des SRF-Gefässes «News Plus» beschäftigt sich kritisch mit der Einflussnahme von Lobbys in Bern. Darin recherchierten die SRF-Moderatorin Isabelle Maissen und SRF-Bundeshauskorrespondent Curdin Vincenz auch aufwändig einzelne Beispiele.
Direkter Draht in den Bundesrat – für die einen
In Folge 1 zeigt der E-Mail-Verkehr der Bundesverwaltung zur Konzernverantwortungsinitiative, dass Wirtschaftsverbände wie Swiss Holdings mehrmals Gelegenheit hatten, sich direkt mit Bundesrätin Karin Keller-Suter zu treffen. Dem Initiativkomitee hingegen blieb dies verwehrt.
Grosse Wirtschaftsverbände erhalten grossen Vorsprung
Folge 2 widmet sich der politischen Lösung des im Sommer 2022 drohenden Strommangels. Maissen und Vincenz können zeigen, wie dabei die grössten Wirtschaftsverbände vom zuständigen Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung bevorzugt wurden. Sie konnten sich schon lange vor der öffentlichen Vernehmlassung zu allfälligen Massnahmen äussern, während die Privathaushalte in Form des Mieterinnen- und Mieterverbands oder der Konsumentenschutz nicht eingeladen waren. So wurde entschieden, dass sich Privathaushalte im Fall eines Stromengpasses früh einschränken müssten. Die Wellnessbereiche in Hotels dagegen würden auch auf höchster Eskalationsstufe zu eingeschränkten Zeiten offen bleiben.
Kapitalinteressen im Parlament übervertreten
Folge 3 geht den Interessenvertretungen im Parlament nach. Es wird erklärt, wie besonders neugewählte Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit Mandaten von Interessengruppen gelockt werden. Und Maissen zeigt Resultate ihrer eigenen Statistik der deklarierten Interessenbindungen aller Parlamentsmitglieder. Dazu sagt Vincenz: «Das Parlament ist klar kein Abbild der Bevölkerung.» Dazu zwei Beispiele aus Maissens Statistik:
1. Wohnen
27 Parlamentsmitglieder sind mit einem Mieterinnen- und Mieterverband verbunden,
94 hingegen mit einem Hauseigentümerverband.
Wobei über 60 Prozent der Schweizer Haushalte eingemietet sind.
2. Arbeit
54 Parlamentsmitglieder sind mit einem Arbeitnehmerverband verbunden,
100 hingegen mit einem Arbeitgeberverband.
Wobei die Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung in einem Angestelltenverhältnis arbeiten.
Transparency International fordert Regeln
Maissens Fazit lautet auch deshalb: «Nicht alle haben in der Politik die gleiche Stimme, auch wenn bei den Wahlen alle Wahlberechtigten ein Couvert bekommen.»
Die Wählerinnen und Wähler wollten Transparenz, sagt Ex-Migros-Lobbyist Martin Schläpfer. Doch dies sei bei den Politikerinnen und Politikern nicht durchgedrungen. Martin Hilti, Geschäftsführer von Transparency International Schweiz, fordert deshalb Regeln, die gewährleisten, dass Lobbying demokratisch und transparent erfolgt: «Chancengleicher Zugang zur Politik muss gewährleistet werden.» Griffigere Transparenzregeln könnte sich das Parlament selber geben. Zuletzt lehnte allerdings im Nationalrat eine bürgerliche Mehrheit aus FDP, Mitte und SVP eine Parlamentsinitiative der SP-Fraktion ab. Diese hatte gefordert, dass ParlamentarierInnen alle Geldflüsse für ihre Tätigkeiten ab 12’000 Franken offenlegen müssen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor ist Mitglied des Vereins Lobbywatch
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Sehr geehrter Herr Sigg
Was Sie beschreiben ist leider politischer Alltag.
Ich glaube nicht daran, dass sich das Problem, nur durch mehr Transparenz, wer für was lobbyiert zu lösen ist.
Es wird ohne mehr Sachverstand bei den Bürgern kaum gehen. Dies setzt voraus das Medienschaffende sich mit der Sache vertieft auseinandersetzten und nicht selbst zu Wasserträgern von Lobbyisten werden.
Hier einige Besipiele:
Immer wieder wird geschrieben, der Stromverbrauch werde steigen. Fakt ist, dass er Stromverbrauch in der Schweiz seit 2010 sinkt (Elektrizitätsstatistik 2022 S. 24).
Der Stromverbrauch pro Kopf in den meisten europäischern Ländern sinkt seit 2010 (Elektrizitätsstatistik 2022 S. 27).
Im Sommer können wir unseren Strombedarf auch ohne Atomkraftwerke zu 100% Tag und Nacht decken. Photovoltaikanlagen in der Schweiz generieren nur Überschüsse im Sommer, die letztlich unsere eigene Wasserkraft konkurrenzieren.
Die eigentlichen Lobbyisten sind Medienschaffende.
urs.loepfe@noblackout.eu