Leuthards Wohngemeinde: Dreckstrom-Import en masse
Die Schweizer Energieministerin Doris Leuthard, die früher im Sold der Atomlobby stand, warnt im ganzen Land vor dem Import von Kohle- und Atomstrom, falls die Atomausstiegs-Initiative angenommen werde. In der Aargauer Zeitung (AZ) vom 26. Oktober 2016 erklärte sie wörtlich: «Wenn wir im nächsten Jahr drei Kernkraftwerke abstellen, dann müssen wir über längere Zeit importieren: Kohlestrom aus Deutschland und Atomstrom aus Frankreich.»
95,9 Prozent importierter Dreckstrom
Auf dieses Schreckensszenario mit importiertem Kohle- und Atomstrom braucht die Aargauer Gemeinde Merenschwand nicht mehr zu warten. Die Wohngemeinde von Energieministerin Leuthard hat den Sprung vom einheimischen Atomstrom zum europäischen Dreckstrom schon im Jahr 2014 vollzogen: Im Jahr 2013 stammte noch 81 Prozent der Stromlieferung der Elektrizitäts-Genossenschaft Merenschwand (EGM) aus einheimischer Atomstrom-Produktion. 2014 erfolgte der Wechsel zum importierten Dreckstrom en masse.
Dies kann man der Internetseite www.stromkennzeichnung.ch entnehmen: 95,8 Prozent des Stroms, den die EGM 2014 an ihre Kunden lieferte, war importierter Strom aus sogenannten «nicht überprüfbaren Energieträgern», also genau solcher Dreckstrom, vor dem Bundesrätin Leuthard die Schweizer Bevölkerung so eindringlich warnt. Nur winzige 4,1 Prozent der EGM-Lieferungen kamen aus einheimischer Produktion, mehrheitlich unterstützt von den Öko-Subventionen der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV). Wenig Begeisterung zeigt Merenschwand auch für die einheimische Wasserkraft: Nur 1,1 Prozent beträgt deren Anteil.
Die Internetseite «Stromkennzeichnung» wird vom Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) und der Schweizer Netzgesellschaft Swissgrid geführt, und zwar gemäss den Vorschriften der Energieverordnung. Letztere schreibt zudem eine Begründung der Stromlieferanten vor, wenn der Anteil der «nicht überprüfbaren Energieträger» mehr als 20 Prozent beträgt. Die EGM begründet ihre «nicht überprüfbare» Stromlieferung mit der Beschaffung zu «Marktpreiskonditionen».
Dreckstrom-Importe gehörten zum Geschäftsmodell
Bundesrätin Leuthard stimmt mit ihren Warnungen in den heuchlerischen Chor der Strom- und Atomlobby und der bürgerlichen Parteien ein. Denn jahrelang gehörten Dreckstrom-Importe zum Geschäftsmodell der Strombranche, die mit der Veredelung des importierten Kohle- und Atomstroms mittels Wasserkraft Milliarden-Gewinne scheffelte. Stets mit dem Segen von Energieministerin Leuthard und des Gesamtbundesrats.
Besonders wild trieb es beispielsweise die Bündner «Repower AG», welche die Bündner StromkundInnen mit 98 Prozent dreckigem Kohle- und Atomstrom aus dem Ausland abspeiste, während die pfiffigen Repower-Manager einen grossen Anteil der Bündner Wasserkraft-Produktion als «PurePower St. Moritz und Graubünden» ins Ausland verkauften und mit diesem Weisswasch-Geschäft Millionen-Gewinne erzielten, die sie anschliessend im Ausland wieder verprassten.
Nur 23 Prozent einheimischer Atomstrom
Der Alarmismus der Atomstrom-FreundInnen geht ins Leere, denn die Ersatzmöglichkeiten für den Atomstrom sind gross: Erstens kann die Schweiz den Export von Wasserkraftstrom nach Italien reduzieren und zweitens die Solarstrom-Produktion und die Stromeffizienz forcieren.
Zudem geht aus der Statistik der Stromkennzeichnung erstaunlicherweise hervor, dass der an die StromkundInnen tatsächlich gelieferte Atomstrom bedeutend kleiner ist als die jährlich ausgewiesene AKW-Produktion. Letztere betrug im Jahr 2014 rund 38 Prozent. Mit dieser Zahl hausiert die Atomlobby. Doch laut www.stromkennzeichnung.ch stammten nur 23 Prozent des an die KundInnen gelieferten Stroms aus inländischer Atomstrom-Produktion.
Und sollte die Schweizer Stromproduktion dennoch nicht reichen, dann kann die Schweiz, insbesondere die industriellen Grossverbraucher, auf den Import von Kohle- und Atomstrom verzichten, wie Infosperber kürzlich gezeigt hat (Atomausstieg zwischen Grün- und Dreckstrom). Natürlich müsste auch die Gemeinde Merenschwand ihren Strom-Einkauf radikal ändern.
Fazit: Wenn die Gemeinde Merenschwand und die ganze Schweiz aus den Warnungen der Bundesrätin Leuthard die richtigen Schlüsse ziehen, ist der rasche Atomausstieg kein Problem.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Geschäftsleiter, Redaktor und Beirat der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)
Guten Tag Herr Marti,
verstehe nicht ganz, was die Diskussion um den Atomausstieg mit der Wohngemeinde von Frau Leuthard zu tun haben soll.
Ich beziehe etwas teureren Strom aus nachhaltigen Quellen über die örtliche Elektrizitätsgenossenschaft (ich wohne in Benzenschwil, in einem, aus meiner Sicht, kürzlich «annektierten» Teil von Merenschwand). Eigentlich kann ich ja direkt Einfluss nehmen, welchen Strom ich kaufen möchte. Wenn ich nun ihre Argumentation folge, muss ich daraus schliessen, dass wohl nur ein geringer Teil der Bevölkerung von Merenschwand (und auch gesamtschweizerisch) die Möglichkeiten nutzt „grüneren“ Strom einzukaufen. Was wiederum heissen würde, dass heute viele Befürworter des Atomausstieges eine ambivalentes Verhältnis zwischen Nachhaltigkeit und ihrem Geldbeutel haben. Ist dem so?
Ob und warum die Wohngemeinde von Frau Leuthard ihren Strom aus dem Ausland bezieht, ist nicht so wichtig. Interessant wird der Artikel im Abschnitt «Nur 23 Prozent einheimischer Atomstrom»: Frau Leuthard (und die Atomlobby) wollen uns ja bekanntlich weismachen, dass unsere Atomkraftwerke rund 40 Prozent des im Inland konsumierten Stroms produzieren. Damit der/die Wähler/in denkt, ein Ausstieg sei nicht oder noch nicht möglich.
@Guido Besmer
Ich kaufe Solarstrom mit einem frewilligen Aufpreis. Bewusst beziehe ich keinen atomaren oder fossilen Dreckstrom.
Klar, dass dies auf die Physis des Stroms aus meinen Steckdosen keinen Einfluss hat.
Leider auch nicht auf die Betroffenheit im Falle eines «kerntechnischen Gross-Schadens».
Wir zahlen also Zuschläge, ohne daraus einen Vorteil zu erhalten, es ist «nur» ein Zeichen und ein klein wenig Förderung.
Preisbewusste Konsumenten, profitieren vom Wettbewerbspreis. Wir wissen alle dass weder die Kosten des Atomstroms noch des Kohlestroms mit den Tarifen bezahlt werden.
Horrende Kosten sind nicht im Preis enthalten, sie werden der Allgemeinheit, dem Steuerzahler und insbesondere den künftigen Generationen aufgeladen.
Mit den billigen Tarifen wird bewusst der Dreckstrom gefördert, währed ganz klar der Anteil von uns Gutmenschen zwar mehr bezahlen darf, jedoch den Strommix damit nicht steuern kann.
Hierfür bräuchte es Stromrebellen oder Selbstversorger.
Die Liberalisierung belohnt leider nur die Grossbezüger und insbesondere jene, welche den billigsten Strom kaufen.
Eben hier beginnt sich das Blatt zu wenden, weil auf dem Spotmarkt Windstrom oft zu den günstigsten Tarifen zu haben ist – ohne den Idealismus von uns Gutmenschen…
Lieber Herr Lachenmeier,
bin ja mit Ihnen einverstanden, Atomstrom ist eigentlich teurer, da bei weitem nicht alle „sozialen“ Kosten mit eingerechnet werden. Aber: warum kaufen nicht mehr Leute den etwas teureren Strom aus erneuerbaren Quellen? Das würde ja u.a. auch die Wasserkraft wieder rentabler machen. Die Konsumenten hätten schon Möglichkeiten und nutzen sie aber nicht –ausser eben, die „Gutmenschen“- wie Sie sie nennen. Im Zusammenhang mit Frau Leuthard und Merenschwand würde mich natürlich schon interessieren, welchen Sorte Strom unsere Energieministerin bezieht, dann würde der Aufhänger des Artikels Sinn machen.
@Guido Besmer,
Ich kann mir gut vorstellen, dass Frau Leuthart «grünen Strom» bezieht. Diese Frage scheint mir nicht sehr relevant, schon eher die Frage, inwiefern BR Leuthart an der tariflichen Förderung von Atom- und Kohlestrom beteiligt ist.
Bei einem guten Budget ist es doch einfach, sauberen Strom und eine weisse Weste zu kaufen, damit auch den steuerbefreiten Tesla zu fahren…
Dann gibt es noch die ganz wichtige Frage der Menge.
Frau Leuthart hatte am Beispiel Belgien ein unredliches Angstszenario mit Stromrationierung verwendet. Was Frau Leuthart leider tendenziös und falsch dargelegt hatte. Für den Fall einer echten Versorgungslücke müsste es ja ein Szenarium des sinnvollen Einsatzes der verfügbaren Energie geben.
Dabei würden ganz klar zuerst die erfassbaren Stromverschwendungen abgestellt.
Bekanntlich gibt es kein Recht auf überbordenden Energiebezug, dieser wird aber tariflich gefördert. Anreize zur effizienten Anwendung gibt es leider nicht, was aber im Falle von Knappheit endlich eingeführt werden muss (lieber sofort).
Bei einer Rationierung müsste das verfügbare Gut, wie im Krieg gerecht an die Menschen verteilt werden. Sparsame Leute haben dann Bezugsmarken, welche sie an Stromsüchtige verkaufen könnten. Das wäre so etwas wie der freie Handel der unteren Kaste…. was leider nicht im Interesse der politischen Klasse sein wird.
Viele der Menschen, die sich mindestens die Mühe machen, an die Wahlurne zu gehen oder brieflich abzustimmen, sind ausserordentlich träge, wenn es darum geht mit bewusstem Konsum «abzustimmen». In vielen Gemeinden können die KonsumentInnen sehr einfach ihren Strom auswählen, meistens erneuerbaren Strom zu einem sehr geringen oder gar Oekostrom zu einem etwas grösseren Aufpreis, oder eben etwas billiger den ausländlischen Dreckstrom.
Die allermeisten tun weder das eine noch das andere und nehmen einfach was geliefert wird, genau wie meine Oekokollegen, die an einem Essen gestern stilles Flaschenwasser aus der Toscana akzeptierten, statt Leitungswasser oder mindestens regionales Mineralwasser. Das ist einfach menschliche Natur.
Deshalb gibt es weder eine Stromlücke noch einen zwangsläufigen Dreckstromkonsum: die Stromversorgungsunternehmen, die meistens der öffentlichen Hand gehören, haben es weitgehend in der Hand, welche Art Strom in der Schweiz konsumiert wird.