Lärm-Freaks dürfen noch lange in den Alpen röhren
Wie jedes Jahr erreicht der Ansturm der Motorräder auf die Alpenpässe in den Sommer-Monaten Juli und August seinen lautstarken Höhepunkt. Dessen können sich alle versichern, die sich an schönen Sonntagen auf dem Grimsel-, Furka- und Nufenenpass zu Fuss bewegen oder es gar wagen, in einem der Dörfer im Obergoms einzukehren. Dort nahm das Röhren der Höllenmaschinen schon vor 25 Jahren* beträchtliche Ausmasse an und zeigte seither überhaupt keine Ermüdungserscheinungen. Ganz im Gegenteil!
Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens hat die Zahl der Motorräder in den letzten Jahrzehnten massiv zugenommen: Im Jahr 1980 waren es in der Schweiz gesamthaft noch rund 137‘000, im Jahr 1990 fast 300‘000 und letztes Jahr rund 710‘000. Die Zahl der Motorräder hat sich also von 1980 bis heute verfünffacht und seit 1990 mehr als verdoppelt.
Tricksen wie die VW-Ingenieure, aber völlig legal
Zweitens tricksten sich die Töff-Fabrikanten an den Lärmvorschriften vorbei beziehungsweise der Gesetzgeber liess sich bereitwillig von den Herstellern austricksen. Was nämlich die VW-Ingenieure jahrelang illegal betrieben, tun die Motorrad-Hersteller seit 2009 ganz legal: Sie frisieren die Auspuffrohre für die vorgeschriebene Lärm-Prüfung. Dazu bauen die Töff-Hersteller eine Klappe (siehe Grafik unten) in den Auspuff ein.
Im Prüfbetrieb bleibt die Klappe geschlossen und die Abgase gehen nur durch das dünnere Rohr. «Ansonsten ist die Klappe meist offen und deshalb das Motorrad auf der Strasse lauter», hielt die Rundschau von SRF in einem Beitrag vor zwei Jahren fest. Mit diesem Trick werden die Lärmvorschriften im Prüfbetrieb eingehalten, obwohl viele Motorräder auf der Strasse viel zu laut sind.
Die Auspuffklappe (blau) ist im Prüfbetrieb geschlossen. (Quelle: srf/rundschau)
Töfflobby verhinderte den Ausbau der Trick-Klappen
Die EU wollte dieser Trickserei der Töffhersteller nicht mehr länger zuschauen und hat den Einbau der Auspuffklappen verboten. Auch in der Schweiz ist die Einfuhr von Motorrädern mit Auspuffklappen ab Anfang 2017 verboten.
Doch bis der Töfflärm wesentlich abnimmt, wird es noch Jahrzehnte dauern. Denn der Nationalrat hat im Mai 2014 mit einer Nein-Mehrheit von 97 zu 79 Stimmen entschieden, dass die Auspuffklappen in den Motorrädern, die bereits in Betrieb sind, nicht ausgebaut werden müssen, wie dies die Umweltkommission des Nationalrats (Urek) in einer Motion vom Oktober 2013 verlangt hatte.
Einen Gehörschutz für jene, die sich am Lärm stören
Die Töfflobby ist im eidgenössischen Parlament mit einer Parlamentariergruppe vertreten, der die Nationalräte Dominique de Buman (FR, CVP), Hugues Hiltpold (FDP-GE), Jürg Stahl (SVP-ZH), Christian Wasserfallen (FDP-BE), Walter Wobmann (SVP-SO) und der Aargauer FDP-Ständerat Philipp Müller angehören. Zusammengeschlossen sind die Töfffahrer in der IG Motorrad.
Die ignorante Haltung der Lärm-Freaks brachte Roland Müntener, Präsident der Vereinigung von schweizerischen Fabrikanten, Grossisten und Importeuren von Motorrädern «Motosuisse», im oben erwähnten «Rundschau»-Beitrag auf den Punkt: «Wir müssen irgendwo aufeinander zugehen und einen goldenen Mittelweg finden. Da sind wir ja in der Schweiz berühmt dafür.» Auf die Frage der «Rundschau», was denn so ein «goldener Mittelweg» sein könnte, antwortete Müntener: «Dass man jenen, die sich daran stören, einen Pamir (Gehörschutz der Schweizer Armee, Anm. d. Red.) schenkt.»
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* Pamphlet gegen den Töff-Lärm vor 25 Jahren
Vor 25 Jahren habe ich mit einem Pamphlet in der «Weltwoche» gegen den Töff-Lärm auf den Pässen im Goms protestiert:
Weltwoche vom 5. September 1991 (ganzer Artikel anzeigen)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Dabei wäre die Lösung so einfach: http://www.zeromotorcycles.com/
Für mich ist das ein Skandal. Die Alpenpässe usw. sind schon lange im Sommer ungeniessbar, aber die schweren Motorräder fahren ja auch im Siedlungsgebiet herum. Die meisten meiner Nachbaren fahren betont langsam und sicher ohne irgendwelche Klappen zu öffnen. Trotzdem sind diese Maschinen sehr laut, für die Fahrer selbst wohl Musik.
Noch schlimmer sind allerdings die zahlreicheren leichten Motorräder mit Zweitakt-Motoren und die Töffli. Sie machen ein noch viel unangenehmeren Lärm und stinken dazu bestialisch. Hier wäre die Abhilfe so einfach: es gibt ganz leise Modelle mit Viertakt- oder Elektromotoren. Selber fahre ich seit Jahren einen Elektroroller und hauptsächlich ein Elektrovelo, und bin damit lokall viel schneller von Tür zu Tür als mit jeder anderen Fortbewegungsart, bei minimalen Auswirkungen für andere und trotzdem mit grossem Spassfaktor.
Schlimm finde ich nicht, dass es Leute gibt, die am Lärm Freude haben, sondern dass die Verwaltungen, Parlamente und Regierungen es nach wie vor erlauben, dass sogar die schlimmsten Fahrzeuge nach wie vor herumfahren dürfen, sogar ohne ihre externen Lärmkosten zu bezahlen. Sie sind also subventioniert mindestens im Masse, wie sie bei der Bevölkerung lärmbedingte Krankheitskosten verursachen.
Argumentiert wurde im Parlament, ich erinnere mich, damit, die Kosten für einen Ausbau wären zu unverhältnismässig hoch. Billig, nenne ich diese Ausrede, würde es doch nichts kosten, wenigstens die Klappe geschlossen zu halten rsp. das Öffnen zu verbieten. Man könnte auch über eine Plombierung nachdenken, wenn man denn wöllte (offenbar will man nicht). Das mit dem Pamir ist eine Frechheit, die kaum zu überbieten ist, aber darüber ärgern wir uns ja nicht, denn man gewöhnt sich daran, dass gewisse Politiker keinen Anstand haben. Es erlaubt mir jedenfalls, meinerseits zu kontern und einen Kompromiss anzubieten: Kauft euch doch einen iPod und einen Kopfhörer und lasst euch den Sound als mp3 direkt ins Hirn blasen. Schöner Echohall wie in den Alpen ist auf diese Weise garantiert auch möglich.
Es kann doch nicht sein, dass ein paar Leute, um Spass zu haben, Hunderte, wenn nicht Tausende andere Menschen durch ihren – übrigens gesetzwidrigen was die Dezibels betrifft .. – Lärm schwerstens belasten ! Haben bei uns nur noch die einzelnen Lobbys was zu sagen ?!
Herr Marti, die Schweiz hat schon längstens EU-Normen übernommen. Bei den lauten Motorrädern handelt es vorwiegend um solche der Marke Harley-Davidson, die man an den seitlich angebrachten Kontrollschildern und den überbreiten Reifen erkennt. Bei den Fans dieser Marke gehören die Klappe und der damit zusätzlich erzeugbare Lärm zum Kult der Marke. Zeit, dass das aufhört. Diese Fahrer sind eine Spezies für sich und werden von den Fahrern anderer Marken eher belächelt. Meine BMW ist so leise wie ein VW Golf. Also bitte keinen Rundumschlag gegen das Motorradfahren. Es gibt übrigens auch Sportwagen, die mindestens so viel Lärm verursachen, nur so nebenbei. Vom ökologischen Standpunkt her macht Motorradfahren übrigens durchaus Sinn, geringer Benzinverbrauch, Katalysator, kein Stau, sehr geringer Parkplatzbedarf (5x weniger als bei Autos). Das Motorrad ist das effizienteste, schnellste und billigste Verkehrsmittel, wenn man alle Faktoren berücksichtigt. Weder ÖV und schon gar nicht das Auto können da mithalten. Leider hat man das bei ASTRA noch nicht erkannt. In London aber schon, da gilt in der Innenstadt Road Pricing für Autos, nicht aber für Motorräder. In Baden auch, da sind Busspuren seit vielen Jahren für Motorradfahrer geöffnet, mit gutem Resultat, leider noch nicht imitiert, doch Genf folgt bald.
Herr Amrein hat recht, dass die Harleys und auch manche Autos besonders laut sind und dass es auch leise Motorräder gibt, aber die Mehrzahl der Motorräder gehört weder zur ersten noch zur zweiten Gruppe und sie sind mehrheitlich laut. Schon beim langsamen, rücksichtsvollen Fahren sind sie laut, und beim Beschleunigen extrem laut, ob mit oder ohne Klappen.
Der Skandal ist weniger, dass es Leute gibt, welche diese Maschinen kaufen und benutzen, sondern dass Verwaltung und Politik diesen völlig unnötigen, destruktiven Lärm zulassen, wegen zu hoher Grenzwerte und fehlgeleiteten Messmethoden, sowie einer falschen Auslegung des liberalen Prinzips.