Kunstobjekt Hafenkran mit Holocaust verknüpft
Ist das Kunst oder Schrott? Schön oder hässlich? Symbol für ein weltoffenes Zürich oder Illusion einer schiffbaren Stadt? Oder einfach eine Verschleuderung von Steuergeld? Um diese Fragen kreiste die intensive Kontroverse um den Hafenkran, der als Kunstobjekt neun Monate lang das Zürcher Limmatquai zierte. Das Projekt wurde 2009 von einer Gruppe namens «zürich-transit-maritim» initiiert, von einer Jury als bestes von 57 Projekten prämiert und von der Stadt sowie einem Beitrag des ehemaligen Stadtrats Martin Waser finanziert. Ab nächstem Montag wird der Kran wieder demontiert, was den Kunst- zum Schrottwert wandelt und den Traum von der maritimen Stadt beendet.
Einige Promotoren ordneten das Kunst-Event auch historisch ein: «Der Hafenkran hat gefehlt. Ein Stück Zürcher Geschichte hat gefehlt», fabulierte etwa der Kolumnist Frank A. Meyer, der damit eine Verbindung zum einst industrialisierten Zürich zog. Und Alt Stadtrat Martin Waser, der sich nach eigenem Bekunden sechs Jahre lang mit dem Projekt Hafenkran beschäftigte, sagte in einem SRF-Interview: «Viele begriffen gar nicht, dass nicht einfach ein Kran das Kunstwerk ist, sondern die ganze Geschichte dahinter: mit den Pollern, dem Kran, dem Schiffshorn. Dann geht der Kran weg und das Horn klingt noch nach.»
Historisch etwas tiefer bohrte der Luzerner Journalist und Buchautor Urs Thaler. Er reiste nach Eberswalde nordöstlich von Berlin. Dort recherchierte er über die Firma, die den in Zürich vor sich hin rostenden Kran vor Jahrzehnten gebaut hatte. Daraus entstand nicht eine poetische, sondern die politische Geschichte, die hinter der Herkunft des prämierten Krans steht. Diese Geschichte klingt ebenfalls nach, aber etwas weniger schön als Wasers Schiffshorn. Das Resultat seiner Erkundungen beschrieb und veröffentlichte Thaler am 12. Januar in seinem Magazin «Polarstern»*. Nachstehend eine Zusammenfassung:
Kranbauer waren Hitlers Waffenschmiede
1902 gründete der Ingenieur Robert Ardelt in der brandenburgischen Stadt Eberswalde einen kleinen technischen Betrieb, der Maschinen und Krananlagen baute. Noch vor dem ersten Weltkrieg traten seine vier Söhne in das Familienunternehmen ein. Sie erweiterten den Kranbau-Betrieb zur Waffenschmiede: Im ersten Weltkrieg beteiligten sich die Ardeltwerke unter anderem an der Produktion der berüchtigten Giftgasgranaten; in Spitzenzeiten produzierten sie über 40 000 Stück pro Monat. Auch das übrige Rüstungsgeschäft florierte, und das Unternehmen expandierte: Laut Firmengeschichte hat sich der Personalbestand der Ardeltwerke von 1912 bis 1918 mehr als verzehnfacht auf über 2300 Angestellte. «Deutschland hat den Ersten Weltkrieg verloren, aber die Ardelt-Brüder haben ihn gewonnen», kommentiert Urs Thaler in seinem Magazin lakonisch.
Nach der Machtergreifung von Hitlers Nationalsozialistischer Partei (NSDAP) in Deutschland, der alle Ardelt-Brüder beitraten, erlebten die Kranbauer von Eberswalde einen neuen Aufschwung. Die Ardeltwerke entwickelten sich zur «Waffenschmiede für den Führer», schreibt Thaler. Der Anteil der Rüstungsproduktion stieg auf 80 Prozent des Umsatzes. Der Personalbestand stieg bis Kriegsende auf rund 11 000 Beschäftigte.
Tausende von Zwangsarbeitern ausgebeutet
Zusätzlich zu den bezahlten Angestellten beuteten die Ardelt-Werke im Zweiten Weltkrieg 3000 bis 4000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus. Dabei handelte es sich vorwiegend um Leute aus Polen, Russland und der Ukraine, aber auch aus Westeuropa, welche die deutschen Machthaber in mehreren Lagern im Raum Eberswalde gefangen hielten. Ein Teil der jüdischen Zwangsarbeiter wurde 1943 laut Thaler in die Gaskammern des Vernichtungslagers Ausschwitz transportiert.
Um Hintergründe über die Herkunft ihres dominanten «Kunstwerks» zu erfahren, hätten die Zürcher Hafenkran-Freunde nicht auf die jetzt veröffentlichte Dokumentation warten müssen. Ein kurzer Besuch bei den Herstellern hätte genügt. Denn am Haupteingang des Kranbaubetriebs an der Heegermühlerstrasse in Eberswalde, der heute Kirow Ardelt heisst, hängt unübersehbar eine Gedenktafel. Darauf steht: «Von 1939 bis 1945 mussten Tausende von Zwangsarbeitern bei den früheren Ardeltwerken unter schwersten Bedingungen in der Rüstungsproduktion arbeiten. Das Konzentrationslager Ravensbrück unterhielt
am Bahnhof Eisenspalterei von September 1944 bis April 1945 ein Aussenlager. Junge Frauen aus der Sowjetunion, Polen und vielen andern Ländern Europas wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen zur Zwangsarbeit gepresst. Im Gedenken an die Toten und als Aufruf an die Lebenden, die Würde der Menschen zu achten und sich für Freiheit und Demokratie einzusetzen. Eberswalde, im April 2010. ARDELT.»
Was kann der Hafenkran dafür?
Bleibt die Frage, wie relevant die Vergangenheit der Hersteller ist, deren Produkt, der Hafenkran, zur Kunst erklärt und als Ausstellungsprojekt ausgewählt wird. Wo liegt die Grenze zwischen Event-Kultur und Geschichte? Muss Kunst oder das, was sich als solche ausgibt, immer auch beurteilt werden aufgrund der Verhältnisse, die ihr voran gingen?
Der neue Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP) verneint die Frage: «Eine moralische Verantwortung des Krans» sehe er nicht, sagte Leutenegger, nachdem er und alle andern Stadt- und Gemeinderats-Mitglieder Thalers Dokumentation erhalten hatten. Man könne einen Kran doch nicht moralisch beurteilen, hatte sein Vorgänger Martin Waser (SP) gesagt, als schon früher bekannt wurde, dass der Zürcher Hafenkran in Rostock DDR-Waffen für den Export auf die Schiffe verlud. Auch der Zürcher Tages-Anzeiger und die NZZ, die mit dem Thema Hafenkran und den Reaktionen darüber viele Zeitungsseiten füllten, entsorgten Thalers Dokumentation mit einer kurzen Randnotiz.
Kann man also die Vergangenheit getrost ausblenden, wenn man ein Kunstwerk als Symbol von Weltoffenheit und maritimer Leichtigkeit des Seins der breiten Öffentlichkeit präsentiert? Nein, meint Autor Thaler und schreibt: «Mit diesem Hafenkran geht es nicht. Denn dieser Kran und seine Erbauer stehen in einem verbrecherischen Kontext. Zürich hat diesen historischen Kontext verdrängt und ausgeblendet. (…) Zwei Weltkriege, zwei Diktaturen, ein Holocaust. Davon erzählt dieser Hafenkran, wenn man ihm denn endlich einmal zuhören wollte.»
* * * * * * * *
* Das 16seitige Magazin «Polarstern», das die Geschichte der Hafenkran-Bauer unter dem Titel «Hafenkran, Auschwitz und der Tod» dokumentiert, ist erhältlich bei der Zürcher Buchhandlung im Volkshaus (info@volkshausbuch.ch) oder direkt beim Autor urs.thaler@bluewin.ch. Preis: Fr. 18.-
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Als Kunst hab ich den nach Zürich verpflanzten norddeutschen Hafenkran nie verstanden; als Bereicherung schon, nicht nur optisch, sondern auch gedanklich: als Sichtbarmachung der früheren Wartenhandelslbedeutung der einst kleinen Stadt am Ausgang des Sees in die Limmat.
Wenn der Kran nun demnächst abmontiert und verschrottet sein wird, werde ich ihn vermissen, jetzt erst recht. Stünde er noch als Ärgernis, als Stein des Anstosses, müssten sich die Menschen seiner Geschichte stellen: ihrer eigenen Geschichte der wenn auch nur molekularen und unbewussten Mitverantwortung für eine erstickt schreiende Ungerechtigkeit, dank der man sein eigenes Leben etwas bequemlicher eingerichtet hat.
«Warenhandelsbedeutung» müsste das oben heissen, pardon!
Der Duft der grossen weiten Welt. Als ob Zürich solchen Hafenkäse bräuchte um sich als «jemand» in der Welt zu fühlen. Aber solche Missverständnisse sind in der Gegend wohl schon fast Tradition. Bei «Unique» Airport wusste man ja auch nicht ob etwas einmaliges oder ein Eunuchen-Airport gemeint war. Das hing wohl von der jeweiligen Aussprache ab.
Hochgeschätzter Hanspeter Guggenbühl. Der unselige Zürcher Hafenkran wurde anfangs der Sechzigerjahre gebaut. Das hättest du auch schreiben sollen. Darf die damalige Geschäftsleitung für die Zwangsarbeit während dem Krieg deswegen haftbar gemacht werden? Mein Grossvater wurde am Landesstreik 1918 als Bauer u Kavallerist gegen die streikenden Arbeiter eingesetzt. Bin ich deswegen nun auch ein Lumpenseckel, der die Werktätigen verraten hat?
Oh, schön! «2010 ARDELT» (s. Gedenktafel) Fällt niemandem etwas auf? Was bedeutet da «anfangs der Sechzigerjahre"? Allenfalls sehr
viel – wohl nicht sehr Angenehmes. In der DDR war/wurde die Tafel nicht angebracht…
Übrigens: die Aesthetik des Krans nahm mich weit weniger gefangen
als das Pressegetue darum herum, allerdings auf sehr unsympathische Weise, da wohl ein als doof eingestuftets Publikum gefangen genommen und manipuliert werden sollte. Für die, bei denen das verfing: Gute Nacht!