Krankenversicherungen als Selbstbedienungsläden
Für die Versicherten allerdings sind die Genossenschaften und Vereine nachweislich besser.
Vorbemerkung:
Dieser Artikel wurde von infosperber bereits Mitte Mai 2011 online gestellt. Der aktuelle Fall KPT/Bosch/Liechti zeigt erneut, wie unsinnig es ist, dass Versicherungen privatwirtschaftlich bzw. in der gewinnorientierten Form einer AG auf dem Markt sind. Walter Bosch verdiente als VRP der Krankenkasse KPT CHF 350’000 pro Jahr und ähnlich hohe Beträge für zusätzliche «Beratungsdienstleistungen». Das sei eher zu wenig, wenn man an den «Mehrwert» (der Firma) denke, den er geschaffen habe, meint er (AZ vom 12.01.2012). Frage: Was haben die Versicherten davon? (Headline und Vorspann des Artikels wurden geändert.)
Hier der Artikel:
Von der «Überwindung des Kapitalismus» war die Rede, als die SP im Sommer 2010 den Entwurf für ein neues Parteiprogramm veröffentlichte. Unzählige Kommentatoren griffen in die Tasten, und viele von ihnen hatten nicht viel mehr als Spott für diese Idee übrig. Denn seit 1989 «weiss» man ja, so argumentierten sie, dass der Kommunismus als Wirtschaftsform nicht funktioniert und dass der Kapitalismus deshalb die einzige und also auch die einzig richtige Wirtschaftsform ist. Aber gibt es denn wirklich nur Kommunismus oder Kapitalismus? Und definitiv keinen «dritten Weg»? Robert Ruoff hat sich zu dieser Frage ausführliche Gedanken gemacht – siehe Link.
Die Aktiengesellschaft sucht den Profit
Wer sich im konkreten Leben die Frage stellt, wo zum Beispiel andere Gesellschaftsformen als die gewinnorientierte Aktiengesellschaft möglich oder gar geeigneter sind, stösst unweigerlich auf das Thema Versicherungen. Die Versicherungen sind «erfunden» worden, um zwischen glücklichen und weniger glücklichen Menschen einen Ausgleich zu schaffen. Sie waren deshalb – und sie sind zum Teil noch immer – als Genossenschaften oder als Vereine organisiert. Erst in neuerer Zeit wurde die Versicherung auch als Geschäft mit dem Ziel des Profits entdeckt. Wobei der innere Widerspruch schnell erkennbar ist: Wie kann eine als AG formierte Versicherung für ihre Kunden – sprich: für die Versicherten – gut sein, wenn ihr Ziel der Profit der Aktionäre ist?
Eine Studie der Swiss Re kommt zu bemerkenswerten Resultaten
Eine international angelegte Studie der Swiss Re zum Thema der Gesellschaftsform der Versicherungen kam entgegen den Erwartungen vieler Business-Leute zum Schluss, dass im Versicherungswesen die Genossenschaft und der Verein als Gesellschaftsform sehr wohl Vorteile hat. Zum Thema des Interessenkonflikts etwa zwischen Eigentümern einer Versicherungsgesellschaft und Kundenfreundlichkeit sagt die Studie diplomatisch, die Genossenschaft habe «die Fähigkeit, potenzielle Konflikte zwischen Kunden und Eigentümern eines Versicherers abzuschwächen».
Die Quintessenz der Studie ist – hier stark vereinfacht ausgedrückt – ganz klar: Wenn eine Versicherung die Gesellschaftsform der Genossenschaft oder des Vereins hat, ist es gut für die Versicherten. Wenn sie die Form einer Aktiengesellschaft hat, ist es gut für die Aktionäre. In der Schweiz ist beispielsweise «Die Mobiliar» (immer noch) eine Genossenschaft. Der Gewinn der Gesellschaft kommt deshalb den Genossenschaftern – konkret also den Versicherten – zugute, indem diese auf der vertraglich festgelegten Versicherungsprämie einen Rabatt zugesprochen erhalten und so deutlich weniger Prämien zahlen müssen.
Die Genossenschaft ist kein Auslaufmodell
Auch wenn im Zeitalter des Neoliberalismus immer wieder Genossenschaften und Vereine in Aktiengesellschaften umgewandelt werden – der Fachmann spricht da von Demutualisierung – , international hatten in der Versicherungsbranche im Jahr 1999 die Genossenschaften und Vereine immer noch einen Marktanteil von etwa 40 Prozent, Tendez leicht fallend. Aus der zunehmenden Demutualisierung von Versicherungen darf allerdings «nicht geschlossen werden, dass die AG generell die bessere Rechtsform darstellt», stand sogar in der NZZ zu lesen (NZZ vom 1.9.1999, Besprechung der Swiss Re Sigma-Studie).
Die Wissenschaft ist gefordert
Spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 ist die Schlussfolgerung, mit dem Untergang des Kommunismus im Jahr 1989 sei es klar geworden, dass nur der Kapitalismus funktioniere, nicht mehr gegeben. Denn dass der Kommunismus nicht funktioniert, ist noch kein Beweis dafür, dass der (reine) Kapitalismus funktioniert. Die Wirtschaftswissenschaft hat sich allerdings kaum darum bemüht, mögliche andere Modelle näher anzuschauen oder gar zu entwickeln. Es wäre deshalb angezeigt, dass sich auch die Universitäten – ideologiefrei! – dem Thema annehmen würden: Warum sind ausgerechnet die beiden erfolgreichsten Ladenketten der Schweiz, Coop und Migros, ebenfalls Genossenschaften? Wie sähen sie heute aus, wenn sie sich in Aktiengesellschaften verwandelt hätten? Wer wären die Profiteure? Die Kunden? Oder: Wie sähe die SwissLife (die ehemalige Schweizerische Rentenanstalt) heute aus, wenn sie sich nicht von der Genossenschaft in eine AG umgewandelt hätte? Wer hat von dieser Umwandlung seither profitiert? Etwa die Versicherten? Wie viel Gewinn haben seither die Aktionäre abgeschöpft?
Welche Zeitung hat den Mut, sich dem Thema gründlich anzunehmen?
(Die Sigma-Studie der Swiss Re von 1999 umfasst 41 Seiten und ist bei der Swiss Re erhältlich. Die ersten sieben Seiten mit der Zusammenfassung und dem Inhaltsverzeichnis sind unten als Attachment beigefügt.)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Danke, dass Sie diesen informativen Artikel neu verlinkt haben!
Es ist ja eigentlich logisch, dass gemeinsames Eigentum besser ist als privates, das den privaten Profit sucht (privare lat. berauben). Nur ist halt die Organisation etwas schwerfälliger, aber das lässt sich lösen.
Bei den Versicherungen ist ausser der Mobiliar auch die Emmentaler Versicherung genossenschaftlich organisiert. Sie hat auch Niederlassungen in andern Kantonen, v.a. auf dem Land.