Kommentar
kontertext: Wo Kampagnen-Journalismus Grenzen hat
Man findet kaum Vergleichbares: Dreieinhalb Jahre lang drosch das Gratisblatt Obersee-Nachrichten auf die Kesb Linth – Rapperswil-Jona und seinen Leiter, Walter Grob, ein. Die Attacken erfolgten meistens im Wochentakt. Oft erschienen auf der Titelseite grobe Schlagzeilen, die jeden Anstand vermissen liessen und gar persönlichkeitsverletzend waren.
Zur Illustration einige Beispiele aus der Vielzahl der beanstandeten Passagen, die zum Thema in den Obersee-Nachrichten erschienen und die vom Gericht in zahlreichen Fällen als persönlichkeitsverletztend eingestuft wurden: «Nie wieder Kesb – nie wieder Terror». Und an die Adresse des Kesb-Leiters: «Tyrann», «inkompetent und bösartig»*.
In den redaktionellen Kommentaren (verfasst vom Chefredaktor Bruno Hug oder seinem Stellvertreter Mario Aldrovandi) ging es im selben Stil weiter – häufig an oder über der Grenze des Legalen.
Die Leser wurden ihrerseits aufgefordert, Stellung zu beziehen. Sie taten es erwartungsgemäss emotional und zum Teil ebenfalls persönlichkeitsverletzend. Die Redaktion setzte offenbar keine Schranken, was in ihrer Verantwortung gestanden hätte. Beispiele: «Grob hinterlässt eine Spur des Grauens», «Schreckensherrschaft der Kesb»*.
In den Meinungsäusserungen auf dem Facebook-Account der Zeitung wurde es noch drastischer: «Greuelverein», «Schwerverbrecher», «Kesb-Mafia» usw. Die Obersee-Nachrichten haben solche Einträge nicht gelöscht.
Begonnen hat diese Beschimpfungs-Kampagne im Jahre 2013, also gleich nach dem Amtsbeginn der neuen Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb und deren ersten Leiter im Bezirk Rapperswil-Jona, Walter Grob. Zum Einstieg wurde der Fall eines damals 14-Jährigen ausgebreitet, dessen Mutter behauptet hatte, die Kesb hätte ihr ihren Sohn weggenommen und entführt. Brisant an der Geschichte war, dass der Junge in eine kostspielige Therapie geschickt wurde. Die Kritiker waren sich zu Beginn nicht sicher, ob sie die Kosten beanstanden wollten und die Kesb für Geldverschwendung anprangern sollten oder für den Entscheid, dass diese Therapie auf einem Schiff stattfand, der Junge also von seiner Mutter getrennt wurde. Die Frau hatte übrigens nie von der ihr zustehenden Beschwerdemöglichkeit gegen die von der Kesb auferlegten Massnahmen Gebrauch gemacht.
Beinahe ein Jahr lang haben die Obersee-Nachrichten immer neue Vorwürfe erhoben, ohne sie aber belegen zu können und ohne von der Richtigstellung der Kesb Kenntnis zu nehmen. Als dieses Thema erschöpft war, wandte sich die Zeitung neuen «Kesb-Fällen» zu, unter anderem Massnahmen zur Sicherung der Vermögenswerte von bevormundeten Personen, die aber von Angehörigen bestritten und von der Zeitung sofort als Konfiskation und Raub bezeichnet wurden. Diese Behauptungen widersprachen offensichtlich den Tatsachen, denn die Vermögenswerte blieben im Besitz der bevormundeten Personen, auch wenn die zuständigen Beistandspersonen über deren Verfügung Kontrolle ausüben konnte. Auch hier wurden keine Beschwerden erhoben, die zur Feststellung einer unrechtmässigen Handlung der Kesb geführt hätten.
Heikle Mission der Kebs
In diesem Zusammenhang sind einige Eckdaten zur neuen Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde in Erinnerung zu rufen: Mit ihr sollte die unterschiedliche Praxis der fürsorgerischen Massnahmen im ehemaligen Vormundschaftsrecht in den Kantonen und vor allem in den Gemeinden vereinheitlicht und besser abgesichert werden, nicht zuletzt auch im Interesse der Unterstützten. Unter anderem sollten genau jene Grauzonen, die zu willkürlichen Amsthandlungen führen konnten (z.B. beim Verdingkinder-Skandal der Vergangenheit), verunmöglicht und eine gesicherte Rechtsgrundlage geschaffen werden.
Der Schutz von Kindern gegen Missbrauch oder Vernachlässigung führt nicht selten zu Problemen und zum Widerstand in den betroffenen Familien. Dasselbe gilt beim Schutz von hilflos gewordenen Erwachsenen. Das liegt in der Sache selbst begründet, deren Ursachen oft in Familienkonflikten oder im Fehlen von Verantwortung der Angehörigen zu suchen sind. Rechtlich müssen Entscheide der Behörden in jedem Falle durch lückenlose Beschwerdemöglichkeiten abgesichert werden. Selbst Kinder und Jugendliche sollen davon nach ihrem altersmässigen Urteilsvermögen Gebrauch machen können.
Und wie immer in der Sozialfürsorge geht es auch ums Geld: Wenn Betroffene nicht in der Lage sind, die Kosten einer fürsorgerischen Massnahme zu tragen, muss die Sozialhilfe – also im Normalfall die Gemeinden – bezahlen. Folgerichtig geht es auch darum, dass Leute, die von der Sozialhilfe unterstützt werden, ihr eigenes Vermögen – falls vorhanden – nicht verschenken oder verstecken dürfen, um der Kostenbeteiligung zu entgehen. Hier gibt es Konfliktpotential zwischen den Erwachsenenschutzbehörden und den Gemeinden, aber auch mit den Betreuten selbst.
Es ist also nicht verwunderlich, dass beispielsweise über sehr kostspielige Therapien – wie etwa im Falle von «Carlos» – in der Öffentlichkeit heftig diskutiert wurde. Und es ist nichts dagegen einzuwenden, dass das auch in den Medien thematisiert wird. Was aber die betreuten Personen betrifft, gibt es enge Grenzen. Denn die Kesb selbst ist zum Persönlichkeitsschutz verpflichtet und darf keine personenbezogenen Informationen weitergeben.
Verantwortung der Medien
Die Medien haben das zu respektieren, wenn sie über derartige Fälle berichten. Das braucht aber nicht zu heissen, dass Journalisten nicht über strittige Massnahmen oder gar Fehlgriffe der Behörden – auch der Kesb – berichten dürfen. Die Kontrollfunktion der Medien muss auch hier funktionieren und allenfalls zur rechtlichen Überprüfung führen oder gar zum Eingreifen der politischen Behörden. Das ist jedoch kein Freipass weder für einzelne Journalisten noch für eine Redaktion noch für den Besitzer eines Mediums (in diesem Falle ist es beschämenderweise der bekannte Grossverleger und ehemalige Präsident des Verbandes Schweizer Medien, Hanspeter Lebrument, dem unzählige Lokalblätter gehören). Es gibt einen klaren Verhaltenskodex, an den sich alle professionellen Journalisten halten müssen. Ausserdem müssen auch sie die Rechtsordnung – insbesondere den Persönlichkeitsschutz – beachten. In keinem Falle dürfen Medienschaffende bewusst Halbwahrheiten oder gar Lügen verbreiten oder dargestellte Personen persönlich verunglimpfen und beschimpfen, wie es im Falle der Obersee-Nachrichten passiert ist: In einer beispiellosen Kampagne zielte das Lokalblatt darauf ab, die Kesb als Institution schlecht zu reden. Als Mittel zu diesem Zweck dienten ihr die andauernden persönlichen Angriffe und Beleidigungen gegen den Leiter der Kesb Linth, wohl in der Hoffnung, dass er entlassen oder selbst aus Zermürbung seinen Rücktritt geben würde.
Allzu langes Zusehen
Man wundert sich darüber, wie lange es dauerte, bis diesem Spuk ein Ende bereitet wurde. Nach zahlreichen Versuchen von Walter Grob, die Richtigstellung der verbreiteten tatsachenwidrigen Behauptungen zu erwirken, nahm sich die ebenfalls betroffene Stadt Rapperswil-Jona der Sache an und reichte zusammen mit Walter Grob gegen den Chefredaktor der Obersee-Nachrichten und gegen seinen Stellvertreter Klage ein. Nach einem längeren Verfahren kam es dann zum Prozess vor dem Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland. In seiner über 215 Seiten starken Urteilsbegründung kam das Gericht zum Schluss, dass in der grossen Mehrzahl der beanstandeten Zeitungsartikel, Leserbriefe und Facebook-Einträge der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz der Stadt Rapperswil-Jona und von Walter Grob verletzt wurde.
Auch wenn der Fokus der Untersuchung vor allem auf diesem Tatbestand lag, ist aus der Urteilsbegründung unschwer zu erfahren, dass es bei den Zeitungsberichten nicht um belegbare Tatsachen ging, sondern dass sie auf Halbwahrheiten und gar auf falschen Behauptungen beruhten und dass vor allem die Sorgfaltspflicht bei der Recherchenarbeit vernachlässigt wurde. Es ist also nicht verwunderlich, dass das Gericht den Klägern weitgehend folgte und die Löschung der inkriminierten Passagen verodnete. Darüber hinaus wurde den beiden Beklagten der grösste Teil der Verfahrenskosten (160‘000 Franken) aufgebürdet. Daraus ist zu erkennen, wie aufwendig das Verfahren war. Die Schadenersatzforderungen wurden übrigens auf eine spätere Beurteilung verschoben. In dieser Situation reagierte auch Somedia, der Lokalzeitungsverbund, dem auch die Obersee-Nachrichten angehören und die zum kleinen Imperium von Lebrument gehören. Mario Aldrovandi und Bruno Hug wurden per Ende 2017 entlassen. (Beide haben Berufung gegen das Urteil eingelegt).
Zunehmend aggressiver Ton
Ende gut alles gut? Es bleiben allerdings einige Feststellungen zur veränderten Mediensituation übrig. Noch vor vierzig Jahren war es undenkbar, dass ein Medium in derart unflätiger Weise über dargestellte Personen berichtet hätte oder wiederholt unwahre Behauptungen aufstellen konnte. Da waren nicht nur die finanziellen Konsequenzen ein Hindernisgrund, sondern vermehrt noch die Rufschädigung, die ein Medium in der Öffentlichkeit unglaubwürdig machte. Mit der Zunahme von Gratismedien, die nicht von einer bezahlenden Leserschaft abhängig sind, sondern vor allem von Inserenten, die an einer möglichst hohen Aufmerksamkeit des Publikums interessiert sind, stieg die Verführung zur Sensationshascherei um jeden Preis. Etwas später veränderte sich auch das soziale Verhalten des Publikums, das seinerseits in digitalen Medien sich ohne Rücksicht auf Wahrheit und Anstand äussern konnte. Ein ganz neuer Ton war plötzlich in der Kommunikation zu vernehmen. Das hatte seinerseits wiederum Einfluss auf die Medien, die oft diesen Tonfall, diese groben Anwürfe und Äusserungen, aufnahmen im Kampf um die Leserzahlen und Einschaltquoten und um populär zu erscheinen. Heute sind wir bei den rüden medialen Umgangsformen und bei Fake News angelangt. Einem breiten Publikum – und selbst einigen Medienschaffenden – erscheint das als Normalität. Das ist möglicherweise eine Erklärung dafür, dass diese unglaubliche Mobbinggeschichte gegen die Kesb Linth solche Dimensionen annehmen konnte.
Mehr und mehr sind aber einzelne Personen in ihrem privaten Leben oder in ihrem Beruf von solchen ungerechtfertigten medialen Fehlleistungen betroffen. Und es ist nicht einfach, sich dagegen zu wehren. Seit gut zwei Jahren gibt es den gemeinnützigen Verein «Fairmedia» in Basel, an den sich Opfer solcher medialen Übergriffe wenden können und hier Beratung erhalten. «Fairmedia» hat auch Walter Grob und die Gemeinde Rapperswil-Jona beraten. Aus ihrem jüngsten Jahresbericht geht hervor, dass ihr die Arbeit nicht ausgeht und sie in vielen Fällen erfolgreich Hilfe leisten konnte.
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*Nachträgliche Textänderung vom 20. Oktober 2018
In der ersten Textfassung wurden diese in den Obersee-Nachrichten publizierten Aussagen fälschlicherweise direkt dem Chefredaktor oder seinem Stellvertreter zugeschrieben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Die Journalistin und Autorin Linda Stibler war über 40 Jahre in verschiedenen Medien tätig, unter anderem in der damaligen National-Zeitung, in der Basler AZ und bei Radio DRS (heute SRF).
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion und Koordination), Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.
Wir erlebten in Facebook ähnliche Zustände wie oben geschildert, wehrten uns aber Erfolg-reich mit einer sogenannten ‹Netiquette›.
– Im Fall unserer Bürgerrechtsbewegung waren es Vertreter bürgerlicher + sozialistischer politischer Parteien, welchen es nicht gefiel, dass sich ausserhalb ihrer Strukturen neue Kräfte konstituierten, und Vertreter einer Splitter-Partei, welche die Bürgerrechtsbewegung für eigene politische Zwecke übernehmen wollten.
– In der ‹Netiquette› legten wir die Grundregeln fest, nach welchen wir debattieren wollten.
— Wer sich daran hielt, genoss Meinungsfreiheit.
— Wer sich darüber hinwegsetzte, flog raus.
Es brauchte ein gewisses Durchhaltevermögen, bis sich die gut 900 Mitglieder daran hielten. Heute erleben wir faktisch keine solche Leute wie damals mehr, welche ‹auf den Mann spielten›, sprich mit ihren Voten Andersdenkende fertigzumachen versuchten.
Wer sich interessiert, dem stelle ich jene ‹Netiquette› gern als Facebook-Link per EMAIL zu.
Liebe Ex-Kollegin
Ihren Artikel habe ich erst jetzt entdeckt und schreibe Ihnen dabei als darin angeschossene aber von Ihnen nie kontaktierte Person. (Journalistenregel: Befrage immer die Beteiligten.).
Am Anfang ihres Artikels beziehen Sie sich auf angebliche «grobe Schlagzeilen auf der Titelseite» in den Obersee Nachrichten» und nennen dieses Beispiel: «Nie wieder Kesb – nie wieder Terror». Mit Verlaub: Eine solche Schlagzeile hat es nie gegeben, weder auf der Titelseite noch sonst in den Obersee Nachrichten.
Auch stimmt ihre Zusammenfassung des erstinstanzlichen und bestrittenen Urteils nicht. Die eingeklagten Persönlichkeitsverletzungen wurden nicht gutgeheissen, sondern das Gericht sprach von einer persönlichkeitsverletzenden Kampagne ohne auf einzelne Punkte einzugehen. Der Wahrheitsgehalt der Artikel wurde nicht widerlegt.
Die Auflistung weiterer Fehler in ihrem Artikel – und davon hat es noch einige – erlaubt die beschränkte Anzahl an Zeichen in den Kommentaren nicht.
Es ist schade, dass Sie sich, offenbar ohne näheren Kenntnisse des Falles so weit aus dem Fenster lehnen.
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STELLUNGNAHME DER AUTORIN LINDA STIBLER:
Aldrovandi ist ein Mitangeklagter und Mitverurteilter im Prozess gegen die Obersee-Nachrichten. Meine Informationen basieren auf der über 200-seitigen Urteilsbegründung und den darin angeführten inkriminierten Stellen in den Obersee-Nachrichten. Das Gericht verfügte die nachträgliche Löschung dieser eindeutig ehrverletzenden Stellen. Die Behauptung, diese Tatsachen seien nicht wahr, stimmt nicht, denn meine Darstellungen basieren auf Gerichtsakten des Kreisgerichts Werdenberg/Sarganserland, die öffentlich zugänglich sind.