Kommentar

kontertext: Staatsmedien – neuer Hit der Service-Public-Gegner

Linda Stibler © Claude Giger

Linda Stibler /  Radio bleibt ein wichtiges Informationsmedium, wird aber weniger durch vermehrte Digitalisierung als mit guten Inhalten gefördert.

Radiohören gehört für die meisten Menschen in unserem Land immer noch zum Alltag. Der Zugang ist unkompliziert und er ist – auch das immer noch – national geprägt. Ob ich mich jetzt zum «einfachen Volk» zähle und am frühen Morgen den ersten Sender höre oder als Kulturaffine den zweiten oder als moderner, junger Mensch den dritten, als eiliger Zeitgenosse gar den vierten – es sind meistens die SRF-Sender, die den Morgenkaffee begleiten. Natürlich nicht für alle Radiohörer; einige hören auch einen privaten Sender oder eine ausländische Station, oder sie sehen auch am Morgen fern, aber es sind Minderheiten. Das mag in andern Ländern genau so sein, zumindest in jenen, die über ein öffentlich-rechtliches Radio verfügen. Denn den RadiohörerInnen geht es vor allem um aktuelle Information und Unterhaltung und am besten um beides. Die Nachrichten sind ein wichtiger Teil davon. Und man hat sie gerne aus verlässlicher, vertrauenswürdiger Hand. Da sind die öffentlichen Sender die erste Adresse.
Radiohören ist auch eine praktische und unkomplizierte Angelegenheit. Man schaltet den Lieblingssender – oder einen der Lieblingssender – ein, nimmt im Augenblick das zur Kenntnis, was aktuell geboten wird, im Wissen darum, dass Radio eigentlich ein flüchtiges Medium ist. Radiohören geht prima neben anderen Tätigkeiten einher. Man kann voll konzentriert sein oder nur «mit halbem Ohr» hinhören. Der Mix aus Wort und Musik gehört dazu. Über Moderatorinnen oder Moderatoren kann man sich ärgern, aber auch dankbar dafür sein, dass sie ein Gefühl der Zuwendung vermitteln und Einsamkeit überbrücken. Letzteres ist vor allem für die vielen älteren ZuhörerInnen ein wichtiger Aspekt.

Sollen sie sich im Internet bedienen?

Nun sind aber keineswegs nur ältere Menschen regelmässige RadiohörerInnen, sondern auch die aktiv im Berufsleben stehende Bevölkerung hört regelmässig und täglich Radio – und zum grössten Teil die Sender von SRF. Da ist es beinahe befremdlich, wenn die HörerInnen ständig darauf hingewiesen werden, wie sie im Internet und digital noch zusätzliche Neuigkeiten und Informationen bekommen. Zum Beispiel bei einem besonderen Ereignis auf den Live-Ticker verwiesen werden oder dazu aufgefordert, eine Sendung als Podcast herunterzuladen oder die Bilder auf der Website zu konsumieren. Das geht für die meisten ZuhörerInnen an der Realität vorbei, denn keiner wird sich noch ausufernd im Internet tummeln wollen. Dafür fehlt schlicht die Zeit.
Nun ist nichts zu sagen gegen ein erweitertes digitales Angebot. Vor allem die zeitverschobenen Programme sind praktisch, weil man verpasste Sendungen nachhören kann.
Doch die Digitalisierung wird als das grosse Heilmittel für alle Probleme im Medienbereich und vor allem beim öffentlichen Rundfunk gepriesen. So sehen es jedenfalls die Führungsriegen der SRG. Nur mit einer digitalen Vernetzung könnten in Zukunft die Zuschauer und Zuhörerinnen bei der Stange behalten werden; vor allem die Jungen seien nur noch auf sozialen Medien erreichbar. Die Digitalisierung ist daher Anlass für grosse (und kostspielige) Umstrukturierungen, Medienschaffende aller Sendegefässe sollen näher zusammenrücken – nicht nur symbolisch, sondern auch real räumlich. Daher müssen die Studios radikal erneuert werden. Die Digitalisierung wird auch als Grund für die Zentralisierung der Standorte angegeben, so beharren die Verantwortlichen trotz aller Proteste auf die Überführung des grössten Teils von Studio Bern nach Zürich.
Man kann sich nun fragen, ob diese Digitalisierungsperspektive relevant ist für die Zukunft der Medien oder ob nicht umgekehrt eine Art Selbsterfüllung herbeigeredet werden soll. Ist es tatsächliche das Ziel, die Menschen ununterbrochen und rund um die Uhr an den Medienkonsum zu binden – egal in welcher Form? Oder geht es im Hintergrund nicht wieder um den sinnlosen Streit über Einschaltquoten und um Werbegelder (und wer davon profitiert)? Ist Qualität durch Klicks und Downloads zu berechnen? Und was ist im Kern die Aufgabe eines Service Public?

Unabhängige Medien gefährdet

Eines jedenfalls ist klar: Die Mediennutzer wollen mit möglichst unabhängiger Information bedient werden. Sie trauen dies den öffentlichen Medien am ehesten zu, obwohl auch hier bereits Abhängigkeiten von Werbung und Sponsoring bestehen. Besonders im Fernsehbereich wird das problematisch; als Beispiel sei die wechselseitige Abhängigkeit von Werbung und Sport erwähnt und die hohen Ausgaben für Senderechte, die vor allem zulasten des Radios gehen. Das ist sicher nicht der Sinn der Konvergenz.
Trotzdem ist der öffentliche Rundfunk verhältnismässig unabhängig, vor allem vom Staat, der eigentlich nur die Rahmenbedingungen setzt und keinen Einfluss auf die Inhalte nehmen darf. Das wissen die Mediennutzer sehr wohl. Und es war mit ein Grund, weshalb die No-Billag-Initiative mit eindrücklicher Mehrheit abgelehnt wurde.
In andern Ländern hat man mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass die Schweizer Stimmbevölkerung damit indirekt ihr Einverständnis mit einer doch beachtlichen finanziellen Abgabe bekundet hat. Das wurde auch kürzlich wieder an der «International Public Media Conference» in Bern von den ausländischen Teilnehmern betont. Warum dieses Erstaunen? Die Antwort ist relativ einfach (und im Grunde wissen das die meisten – entgegen der Behauptung, die Stimmbürger seien mit komplexen Problemen überfordert): Nur die grossen öffentlich-rechtlichen Sender garantieren eine gewisse Unabhängigkeit, gerade weil sie in erster Linie von den Mediennutzern gemeinsam finanziert werden, und das ermöglicht wiederum eine gewisse Grösse, die auch Qualität garantieren kann. Es ist ein Merkmal des Service Public, wie das auch bei der gemeinsamen Finanzierung der Wasserversorgung, der Elektrizität und anderer von allen beanspruchten öffentlichen Gütern der Fall ist. Information ist ebenfalls ein solches Gut und keine normale Ware.

«Staatsmedien» – ein verlogenes Spiel

Nun erstaunt es anderseits, dass diese Konferenz weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand; es waren keine Medienjournalisten eingeladen, und das Führungspersonal der einzelnen Sender und ihre Programmverantwortlichen diskutierten mehrheitlich unter sich. Einzig in einer Vorschau auf Radio DRS erfuhr man, dass in einzelnen Ländern dieses öffentlich-rechtliche System in Frage gestellt wird und zwar indem man ausgerechnet die ihm angehörenden Medien verstaatlichen will – nicht etwa, um sie aufzuwerten, sondern um sie zu zertrümmern. Derartige Bestrebungen sind in Österreich im Gang. Und in Dänemark wurden die öffentlich-rechtlichen Medien durch ein Staatsbudget bereits unter staatliche Kontrolle gestellt. Als Folge davon wurde dieses Budget massiv gekürzt und damit 400 Stellen gestrichen. Das ist jetzt die neue Taktik der Service-Public-Gegner, die noch vor kurzem die öffentlichen Sender fälschlicherweise als abhängige Staatssender beschimpft haben.
Doch an der Konferenz bekräftigte man einmal mehr den wichtigen Stellenwert, der den öffentlich-rechtlichen Medien für eine demokratische Gesellschaft zukommt, und den Willen zur Selbstbehauptung. Es gehe vor allem darum, das Publikum besser einzubeziehen und mit der Meinungsäusserungsfreiheit ernst zu machen. Nicht zuletzt müsste das Radio aufgewertet werden, betonten vor allem die Verantwortlichen der SRG. Doch das macht man nicht mit Digitalisierung und Konvergenz, sondern mit neuen Ideen für einen Publikumsbezug auf Augenhöhe. Wirklich spannend wäre eine vielschichtige Debatte, an der sich tatsächlich alle beteiligen können, die etwas zu sagen haben.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Die Journalistin und Autorin Linda Stibler war über 40 Jahre in verschiedenen Medien tätig, unter anderem in der damaligen National-Zeitung, in der Basler AZ und bei Radio DRS (heute SRF).

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.

Zum Infosperber-Dossier:

GegenStrom_2_ProDirectFinance_XX_heller

kontertext: Alle Beiträge

kontertext widerspricht Beiträgen anderer Medien aus politischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

Eine Meinung zu

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...