Kommentar
kontertext: Blick in den Bastelraum des BAK
Der Entwurf für die «Botschaft zur Förderung der Kultur 2021-2024» (Kulturbotschaft), den das Bundesamt für Kultur (BAK) kurz vor der Sommerpause zur Vernehmlassung ausgeliefert hat, setzt die Aushöhlung der Wertediskussion fort, die sich schon in der Botschaft zur vorangegangenen Periode abgezeichnet hat.
Wurde 2011 den Parlamentariern noch ausführlich dargelegt, auf Grund welcher Überlegungen und Wertvorstellungen ihnen der Bund sein Kulturförderprogramm zur Finanzierung vorschlägt, so sind die betreffenden vier Seiten Theoriebrevier – man hört: wegen verordneter Umfangsbeschränkung des Dokuments – zum dürren Verweis auf die Unesco-Kulturdefinition eingedampft worden. Um dieses Theorierelikt sogleich zu relativieren mit der unbeholfenen, aber treffenden Bemerkung: «Kultur lässt sich allerdings nicht als eigener Politikbereich fassen, wenn jedes menschliche Handeln als kulturell verstanden wird. In der Kulturförderungspraxis muss daher zwischen einem weiten soziologischen und einem engeren praktischen Kulturbegriff unterschieden werden.»
Fehlende Diagnose, fehlende Theorie
Dabei gälte es doch, wenigstens einmal alle vier Jahre eine gründliche und einleuchtende Analyse der – im 55-seitigen Bericht hochleistungssportlich 87 Mal so genannten – «Herausforderungen» vorzunehmen. Es gälte, die rapiden Veränderungen zu analysieren, denen das Kulturleben ausgesetzt ist: akut etwa die Krise des Medienschaffens mit dem Abbau der Kunst- und Musikkritik und des lokalen Kulturdiskurses oder die Verlagerung des Konsums von Werken von einheimischen Anbietern zu den schmarotzenden GAFA-Akteuren, um darauf basierend das Arbeitsprogramm zu begründen und das Parlament dafür zu begeistern.
Wir wissen: den Förderwilligen sitzen die wenig kunstinspirierte Finanzkontrolle oder ein «Bund der Steuerzahler» im Nacken, um nicht von Schlimmeren zu reden, und sie möchten sich daher rundum ans Zählbare halten. Doch vermissen wir seit langem das Bemühen, Qualitätsindikatoren zu entwickeln, um Methoden, Praxis und Erfolge des Förderns wissenschaftlich belegbar zu machen. Also weicht man der Wertediskussion aus und beschränkt die Kulturbotschaft auf eine reine Finanzierungsvorlage.
In solcher Theorielosigkeit und Verängstigung steckt man den Kopf in den Sand der Kulturvermittlerei – das geht, solange man uns Zeitgenossen noch etwas Vermittelnswertes produzieren lässt. So sind heute überall die unscharfen Begriffe «Vermittlung» und «Teilhabe» im Schwange.
Mit Teilhabe ist in der Schweiz nicht wie in Deutschland Rollstuhlgängigkeit von Konzertsälen oder Audiodeskription im Kino gemeint. Die Kulturbotschaft erklärt einleitend zum betreffenden Schwerpunktkapitel:
«Kulturelle Teilhabe meint die aktive und passive Teilnahme möglichst Vieler am Kulturleben und am kulturellen Erbe.» So weit so gut: doch Lust und Genuss dürfen nicht das Ziel, sondern müssen politisch nützlich sein: «Die Stärkung der Teilhabe am kulturellen Leben wirkt den Polaritäten in der Gesellschaft entgegen und ist damit eine zentrale Antwort auf die Herausforderungen der kulturell diversen Gesellschaft.»
Die erwähnten 87 Herausforderungen sind demnach nicht alle kultureller oder kunstpolitischer Natur. Immer häufiger werden aus politischem Opportunismus nicht genuin künstlerische Zwecke, sondern ökonomische und gesellschaftspolitische Nützlichkeiten angeführt, wenn die Förderung der Künste begründet werden soll.
Als es in Zürich vor Jahren darum ging, eine Stiftung zur Förderung des Films zu schaffen, hat man in der «professionell» gemachten Hochglanzbroschüre alle künstlerischen Aspekte des Filmschaffens ausgeblendet und die Politiker mit zusätzlichen Arbeitsplätzen, mehr Flughafen- und Hotelumsätzen und mit anderer «Umweg-Rentabilität» zu ködern versucht. Man sagte mir: die Politiker verstehen doch nur eines – Geld! Aber, einmal abgesehen davon, dass das zynische Argument falsch ist: Je verengter der Kulturdiskurs in der Politik wird, umso heisser müssten die engagierten Kulturakteure doch ihren Volksvertretern in Erinnerung rufen, was die künstlerische Produktion fürs heutige Gemeinwesen unverzichtbar macht – Kreation, Innovation, Bildung, Genuss, Gegenbild zum Komplex des bloss Nützlichen und Rentablen.
Opportunistisches Argumentieren
Es ist fatal, der Politik opportunistisch nebensächliche Argumente zu liefern, statt ihr, zumindest ihren respektierten opinion leaders, die wirklichen, nicht selten komplexen Zusammenhänge verständlich zu machen.
In der Kulturbotschaft für die Periode 2012-16 war noch der philosophische Kontext der Kulturförderung des Bundes skizziert, mit geradezu mutigen Sätzen wie «Die genuine Bedeutung der Künste liegt allerdings in ihrer Wirkung auf die Sinne.» Es gab dort eine Einbettung der Kulturförderung in die grösseren Zusammenhänge des Völkerrechts oder des Urheberrechts – notabene unter dem gern als Bürokrat apostrophierten BAK-Direktor Jean-Frédéric Jauslin, den damals ein Bundesrat Couchepin brutal an die Stelle des ihm zu sehr kunstliebenden David Streiff befördert hatte. Und die Botschaft nannte traditionelle Qualitäten der Schweizer Förderlandschaft: «Ein Markenzeichen der Kulturförderung in der Schweiz ist die Vielfalt der Förderstrukturen.»
Das Lob solcher Vielfalt wäre derzeit, wo manche in verantwortliche Kulturposten Aufgestiegene mangels Fachwissen und kultureller Teilhabe ihre Karriereausweise nur mit betriebswirtlichen Erfolgen (etwa dem Beseitigen unverstandener «Doppelspurigkeiten» und anderen sachfremden Sparübungen) zu würzen wissen, natürlich ein Ärgernis. Yvette Jaggi war als Präsidentin der Pro Helvetia stolz darauf, mit dem Kappen von Aktivitäten (zum Beispiel der Verlagsabteilung für die von ausländischen Kuratoren geschätzten Dokumentationshefte in vielen Sprachen) einige Prozente «Unkosten» eingespart zu haben, und sie hat Ruth Dreifuss geholfen, die Stiftung zu jenem Apparat zu entwickeln, der sich dann auch protestlos, an den Kulturschaffenden vorbei, per Kulturfördergesetz in die Bundesbürokratie eingliedern liess.
Solcherlei Management schuldet die Schweizer Kulturszene auch die Liquidation des 1900 gegründeten Schweizerischen Tonkünstlervereins, dieses bedeutenden Verbands der Sparten Komposition, Interpretation und Musikwissenschaft, der unser Musikleben im 20. Jahrhunderts wesentlich mitgestaltet hat – nicht zuletzt mit der europaweit bald einzigen, nun eingestellten analytischen Musikzeitschrift «dissonance» in zwei Sprachen und mit dem jährlichen Tonkünstlerfest, das die Musikwelt an der Arbeit unserer Komponistinnen und Komponisten teilhaben liess.
Dass im vorliegenden Vernehmlassungstext der Kulturbotschaft die vom Amt für Kultur per Streichung der Förderbeiträge erpresste Fusion des Tonkünstlervereins mit Verbänden der Viervierteltaktmusik beschönigt wird, ist widerlich:
«Die Bedingungen für die Unterstützung wurden in der Förderperiode 2016–2020 überarbeitet und neu ausgerichtet. Die Unterstützung konzentriert sich seither auf Organisationen von nationaler Bedeutung, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder einsetzen. Organisationen aus der gleichen Sparte wurden ermutigt, sich insbesondere durch Fusionen anzunähern, um ihre Repräsentativität auf nationaler Ebene zu erhöhen. Durch die umgesetzten Fusionen reduzierten sich die 18 in der vorausgegangenen Förderperiode unterstützten Verbände auf 11 unterstützte Organisationen in der Periode 2016–2020. Diese sind in ihrer Funktion legitimiert und stellen eine stärkere Kohäsion zwischen den professionellen Schweizer Kulturschaffenden sicher.» (Seite 17)
Unbestritten ist es – vor jeder Förderung des Einzelwerks – die Aufgabe des Gemeinwesens, dem Kunstschaffen günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. Diese sind aber von Sparte zu Sparte ganz verschieden; die Bedürfnisse können sich rasch wandeln und die Methoden können nicht über einen Kamm geschert werden. Die Künstlerinnen und Künstler müssen daher selber bestimmen, was es fürs Wohlergehen ihrer Verbände und den beruflichen und ästhetischen Diskurs ihrer Sparte braucht, und sie brauchen dazu Rat von keinem Amt.
Teilhabe setzt Bildung und Erfahrung voraus
Die oben zitierte bundesamtliche Definition von Teilhabe greift in artibus zu kurz. Voraussetzung für allen Kunstgenuss ist Wissen, Erfahrung, Bildung. Für Wissen und Bildung sind zunächst die Schule, politisch also das kantonale Bildungswesen zuständig, das die «musische» Bildung zu entwickeln hätte. Praktisch jedoch reproduzieren sich diese Vitamine des Kulturlebens im gelebten Alltag: dank der Buchhandlung oder dem kreativ programmierten Kino, im Konzertsaal, Theater oder Opernhaus – sofern der Eintritt erschwinglich wäre und die Veranstaltung nicht elitär (weil von den sich auf den besten Plätzen feiernden Wohlhabenden ausverkauft) ist.
Hoffen wir also auf vermehrte kulturelle Teilhabe bei den Kulturförderern – nicht nur anlässlich von Reden zu Preisverleihungen oder bei einem Empfang in Locarno, wo die Nomenklatura nach den Ansprachen bisweilen ins noble Grotto abgeführt wird, sondern unter uns: dort wo Kunst sich ereignet, wo der ästhetische Schock die Augen und Ohren zu öffnen pflegt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Mathias Knauer ist Musikwissenschafter, Publizist und Filmemacher. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er war Mitbegründer der Filmcooperative und des Filmkollektivs Zürich. Als Mitglied des Verbands Filmregie und Drehbuch Schweiz war er an der Ausarbeitung des «Pacte de l'audiovisuel» und anderer filmpolitischer Instrumente beteiligt. Er ist Vizepräsident von Suisseculture und Mitbegründer der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt, in deren Vorständen er u.a. das Dossier Medienpolitik betreut.
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Robert Ruoff, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.
So wie die philosophie ihre deutungshoheit an die wissenschaft abgeben musste, so hat auch die kunst ihre freistellungsmerkmale verloren. Innovation, kreativität, bildung, genuss: sie sind heute schwergewichtig in anderen lebensbereichen zuhause. Die kulturförderung ist antiquiert, muss grundsätzlich in frage gestellt werden.