Kommentar
kontertext: ausgewogen zynisch
Radio SRF hat in der Sendung «Rendez-vous am Mittag» vom 23.08.2019 über die Debatten rund um die verheerenden Waldbrände in Brasiliens Amazonasgebiet berichtet. Dabei hat Auslandredaktorin Melanie Pfändler in einem ersten Teil der Meldung durchaus korrekt informiert, gelangte dann aber zu einer schockierenden Schlussfolgerung.
Mit gutem Journalismus ging’s also los. Berichtet wurde von Emanuel Macrons Stellungnahme, von der Politik des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro und vom Streit um die Fakten. Macron hatte daran erinnert, dass der Amazonaswald 20 Prozent des weltweiten Sauerstoffs produziere, und wenn der Amazonaswald brenne, dann sei das eine internationale Krise, die Gegenstand des G7-Treffens sein müsse. Bolsonaro hat die Budgets für die Bekämpfung des Klimawandels zusammengestrichen, während unter seiner Regierung die Waldbrände zugenommen haben: 70 000 seit Anfang Jahr. Ob allerdings das Ausmass der Zunahme von Waldbränden aussergewöhnlich sei oder nicht, das ist zwischen dem brasilianischen Institut für Weltraumforschung und der NASA umstritten.
So weit, so gut. Nun aber kommt’s. Im Originalton endet Pfändlers Beitrag so:
«Tatsache ist, dass alle Beteiligten versuchen, die Brände für sich zu nutzen. Präsident Jair Bolsonaro behauptet, dass die Brände höchstwahrscheinlich von Umweltschutzorganisationen gelegt worden seien. Diese wollten sich an ihm rächen, wegen der gekürzten Gelder. Emanuel Macron wiederum kann sich auf dem internationalen Parkett als Klimaschützer inszenieren. Und die Umweltschutzorganisationen? Der WWF hat auf seiner Webseite eine Liste mit fünf Tipps veröffentlicht, wie man persönlich dazu beitragen könne, den Regenwald zu schützen. Tipp Nummer fünf: Man könnte WWF-Mitglied werden. Während also alle versuchen, ihre Interessen durchzusetzen, brennt es in Brasilien weiter.»
Ausgewogenheit, Zurückhaltung, eine gewisse Neutralität sind für guten Journalismus unabdingbar. Und ob der WWF gut beraten war, als er Tipps veröffentlichte, wie man «persönlich» den Regenwald schützen könne, darf bezweifelt werden.
Wenn aber das Interesse, den Urwald abzufackeln, gleich gestellt und gleich bewertet wird wie das Interesse, ihn zu schützen, so sind wir endgültig bei der «Alles Scheisse!»-Haltung der Wutbürger angekommen.
Meine ich das nur, oder gab es in den letzten Monaten tatsächlich das eine oder andere Anzeichen dafür, dass auch das «Rendez-vous am Mittag» langsam Richtung Rechtspopulismus abzurutschen droht? Ich hoffe, ich täusche mich.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Felix Schneider, geboren 1948 in Basel. Studium Deutsch, Französisch, Geschichte. Von Beruf Lehrer im Zweiten Bildungsweg und Journalist, zuletzt Redaktor bei SRF 2 Kultur. Hat die längste Zeit in Frankfurt am Main gelebt, ist ein halber «Schwob».
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Robert Ruoff, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.
Lieber Herr Schneider. Könnte es sein, dass Sie in ihrem unbedingten Willen SRF2 kritisieren zu wollen, etwas übers Ziel hinausgeschossen sind? Der Beitrag von Frau Pfändler war – wie sie selbst erwähnen – ausgewogen und informativ und zu einer Schlussfolgerung bzw. Stellungnahme lässt Sie sich eben gerade nicht hinreissen. Das ist gut so, weil der aufmerksame Zuhörer nämlich selbst in der Lage ist, sich eine Meinung zu bilden. Wie man bei diesem Beitrag an Rechtspopulismus und Wutbürger denken kann, ist mir schleierhaft.
Ich pflichte fast allem bei. Aber dass es falsch sein soll, dass die Umweltorganisation WWF darauf hinweist, dass Spenden an sie der Umwelt zugute kommen, das müsste vielleicht noch erklärt werden.
ich finde die bedürfnisse der anderen noch interessant. lösungen sind nur gemeinsam möglich.
Zu Ihrem Abschnitt: „Wenn aber das Interesse, den Urwald abzufackeln, gleich gestellt und gleich bewertet wird wie das Interesse, ihn zu schützen, so sind wir endgültig bei der «Alles Scheisse!»-Haltung der Wutbürger angekommen.“
Nein, man kann durchaus das Interesse Land zu Gewinnen dem Interesse Urwald zu erhalten gegenüberstellen. Das war bei uns früher so und ist jetzt im Regenwald so, (nicht nur im Amazonas!).
Wer ist so überheblich sich hier als fremder Richter aufzuspielen ohne die lokalen Bauern auch nur anzuhören?
Da sind verschiedene Interessen die einen Kompromiss verlangen. Es geht einerseits um die Erhaltung der vielfältigen tropischen Natur und andrerseits um die Landnahme der Bevölkerung.
Mit dem Klima hat das nur bedingt zu tun. Wenn schon Klimaverbesserung müssten wir hier aufforsten, aber es ist natürlich einfacher den Anderen was zu verbieten, anstatt selber was zu tun.
Tief durchatmen und sich nochmals vergewissern worum es geht: hier das Interesse der derzeitigen und künftigen Generationen, einen bewohnbaren Planeten zu haben, dort eine zynisch-ignorante, verbrecherische Plünderung – auch aufkosten schweizerischer Profiteure ?? – der Ressourcen aufkosten der CO2billanz – und des Lebensraumes der indigenen Bevölkerung – zu letzterem ein aufschlussreicher Film heute abend in der Rundschau von SRF.