Ja_zum_Schutz_vor_Sexualisierung

Die sexualfeindliche Volksinitiative hat vor allem Zulauf in Sitten, Fribourg und Basel © -

Konservative Kreise missionieren gegen Sexualkunde

Susan Vogel-Misicka /  Konservative Kreise wollen den Sexualunterricht für Kinder unter 9 Jahren verbieten. Experten fordern ein nationales Pflichtfach.

Das Schulwesen in der Schweiz liegt in der Kompetenz der Kantone, nationale Direktiven gibt es nicht, auch nicht bezüglich Sexualkunde. Gemäss der regierungsunabhängigen Organisation «Sexuelle Gesundheit Schweiz» ist es problematisch, dass es keine eidgenössischen Richtlinien zu den Themen gibt, die behandelt werden müssen und in welchem Alter dies geschehen soll. «Es liegt an den Schulen zu entscheiden, was sie machen wollen.

Pflicht zur umfassenden Sexualerziehung

Kinder im Alter von etwa 12 Jahren haben oder hatten bereits eine Art Sexualunterricht», sagt Rainer Kamber von «Sexuelle Gesundheit Schweiz» und ergänzt, dass die Schweizer Schulen im Grossen und Ganzen «wirklich gute Arbeit» leisteten. Das genüge aber nicht. Eine umfassende Sexualerziehung für alle Kinder und Jugendlichen müsse in der Schweiz Pflicht sein. Laut Kamber gibt es grosse Unterschiede, wie das Thema in den Schulen und in den Kantonen angegangen wird. Besonders gross seien die Unterschiede zwischen der französisch- und der deutschsprachigen Schweiz. So sei der Sexualunterricht in der Romandie formalisiert und beginne früher.

In der Westschweiz lernen bereits Kindergärtler im Alter zwischen 4 und 6, woher die Babies kommen und welches die wichtigsten Unterschiede zwischen Mädchen und Knaben sind. Thematisiert wird auch, wie man mit unerwünschten Berührungen umgehen soll. «Im Prinzip befürworten wir obligatorischen Sexualunterricht. Die Frage, wann damit begonnen werden soll, müssen jedoch Experten beantworten und nicht die NGO», betont Kamber.

Konservative Kreise erzwangen die Schliessung

Zuständig für solche und ähnliche Fragen ist das «Nationale Kompetenzzentrum Sexualpädagogik und Schule», das Ende Juni 2013 geschlossen wird. Das Kompetenzzentrum, das 2006 vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) eröffnet wurde, erstellt Grundlagen zu schulischer Sexualerziehung und Sexualpädagogik in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen und stellt altersgerechtes Lehrmaterial zur Verfügung. Es gehört zur Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz (PHZ) in Luzern.

Heftige Kritik aus konservativen Kreisen führt nun zur Schliessung des Zentrums. Das BAG zieht sein Mandat und seine finanzielle Unterstützung zurück – mit der Begründung, Sexualerziehung falle unter die Kompetenz der Kantone und nicht des Bundes. Das BAG betonte aber auch, das Zentrum habe gute Arbeit geleistet – eine Meinung, die auch von Cécile Notter und Rainer Kamber geteilt wird.

Titus Bürgisser, Leiter des Zentrums und des Departements für Gesundheitsförderung an der PHZ, ist sich bewusst, dass Sexualerziehung ein heikles Thema ist und die Meinungen, wie diese aussehen soll, weit auseinander gehen. Er kann jedoch nicht verstehen, dass es Leute gibt, die den Sexualunterricht völlig verbieten wollen. «Sie wollen das Thema tabuisieren, was weder im Interesse der Kinder liegt, noch für ihren Schutz förderlich ist. Sexualerziehung zu verbieten, ist die schlechteste Art, mit dieser Sache umzugehen», ist Bürgisser überzeugt.

Volksinitiative «Schutz vor Sexualisierung»

«Die Schliessung des Zentrums ist ein Erfolg für uns», erklärt Dominik Müggler, Vater von fünf Kindern und Mitglied einer Interessengruppe, die sich gegen den obligatorischen Sexualkunde-Unterricht im Kindergarten und in der Primarschule richtet. Die Volksinitiative «Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primarschule» will den Sexualunterricht für Kinder unter 9 Jahren verbieten und für 9- bis 12-Jährige als freiwillig erklären. Die Initiative fordert zudem den obligatorischen Biologieunterricht ab 12 Jahren, mit einem Schwerpunkt auf menschliche Fortpflanzung und Entwicklung.

«Wir sind nicht gegen Sexualkunde, aber wir sind dagegen, dass sie für 4-jährige Kinder obligatorisch ist. Niemand sollte gegen seinen Willen mit Themen konfrontiert werden, die mit Sex im Zusammenhang stehen – jedenfalls nicht in diesem Alter», sagt Müggler. «Wir befürworten erzieherische Massnahmen, die Kindsmissbrauch verhindern helfen, aber ohne sexuelle Inhalte und ohne Ideologie.» Die Gruppe begann im Juni 2012 mit dem Sammeln von Unterschriften und hat bis Juni 2013 bereits 70 000 zusammen. Die grösste Unterstützung erhielten die Initianten in den Städten Freiburg, Basel und Sion. Bis Ende Dezember 2013 haben sie noch Zeit, die nötigen 100 000 Unterschriften zu sammeln, damit die Vorlage landesweit zur Abstimmung kommt.

Erziehungsdirektoren geben keine Empfehlung ab

Laut Notter von der AIDS-Hilfe Basel braucht es den Sexualkunde-Unterricht in der Schule vor allem dann, wenn das Thema zu Hause nicht diskutiert wird. «Sexualerziehung sollte ein Teil der Schule sein, weil die Kinder das Recht auf Chancengleichheit und altersgerechte Information haben – auch wenn die Eltern das Thema zu Hause besprechen wollen», so Notter.

Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren gibt keine Empfehlungen ab, wie die Schulen das Thema angehen sollen. Während die französischsprachigen Kantone bereits einen Lehrplan haben, sind die deutschsprachigen daran, einen solchen auszuarbeiten. Ein erster Entwurf wurde am 28. Juni präsentiert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Susan Vogel-Misicka schreibt als Journalistin für das Portal swissinfo.ch, wo dieser leicht gekürzte Text zuerst erschienen ist. Übersetzung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein

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