Kommt der Gewerbeverband vom Regen in die Traufe?
Zwei Westschweizer wollen Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) werden: Der Freiburger SVP-Nationalrat Jean-François Rime und der Walliser CVP-Ständerat Jean-René Fournier. Der bisherige SGV-Präsident Bruno Zuppiger musste bekanntlich zurücktreten, weil gegen ihn im Kanton Zürich ein Strafverfahren wegen Veruntreuung und ungetreuer Geschäftsbesorgung läuft.
Während Nationalrat Rime in der Deutschschweiz gut bekannt ist, gilt Fournier noch weitgehend als unbeschriebenes Blatt, wenn man von seiner Verurteilung wegen eines illegalen Wolfabschusses absieht. Der SGV-Vorstand schlägt Rime und Fournier vor, die Gewerbekammer – das SGV-Parlament – hat sich gestern für Rime ausgesprochen. Gewählt wird der Präsident am 23. Mai anlässlich des Gewerbekongresses.
Finanzminister für Schönwetterlagen
Fournier sass von 1997 bis 2009 für die CVP im Walliser Staatsrat. In dieser 12-jährigen Amtszeit hat er nicht brilliert. Zwar legte er als Finanzminister zwischen 2005 und 2009 immer schwarze Zahlen vor. Doch das war kein Kunststück. Ein Jahr bevor er das Finanzdepartement übernahm, erhielt der Kanton Wallis ein 1,2 Milliarden-Geschenk aus dem Golderlös der Schweizerischen Nationalbank. Zudem fiel Fourniers Amtszeit als Finanzminister mit einer ausserordentlich günstigen Wirtschaftslage zusammen. Die Steuereinnahmen sprudelten. Fournier war ein Schönwetter-Finanzminister. In anderen Dossiers war die Wetterlage weniger günstig und dementsprechend auch Fourniers Leistung. Dazu fünf Beispiele:
Beispiel 1: Schwarzgeld-Affäre
Fournier ist seit 2009 Präsident des Walliser Gewerbeverbandes (WGV). Vizepräsident ist der Oberwalliser CVP-Grossrat Felix Ruppen, der auch Vizepräsident des Walliser Kantonsparlamentes ist. Ein Vorgänger von Fournier auf dem WGV-Präsidentenstuhl war der Oberwalliser Wirtschaftslobbyist Paul-Bernhard Bayard (1992 – 2001), welcher auch im Vorstand der SGV-Gewerbekammer sass. Sowohl Bayard wie auch Ruppen waren beide in die Schwarzgeld-Affäre «Conti Neri» verwickelt, welche vor zehn Jahren im Wallis viel Staub aufwirbelte.* Über das Schwarzgeld-Konto der Firma «Gertschen Möbel AG» waren insgesamt 1,5 Millionen Franken Schwarzgelder geflossen. Bayard war VR-Präsident der Firma und Ruppen Vizepräsident. Im Jahr 2006 wurde Bayard vom Walliser Kantonsgericht wegen Widerhandlung gegen die Sozialversicherungsgesetzgebung verurteilt.
Bayard war auch Betreibungs- und Konkursbeamter des Bezirkes Brig und folglich Staatsrat Fournier unterstellt. Trotz der jahrelangen Strafuntersuchung und der Verurteilung genoss Bayard während sieben Jahren den Schutz seines Parteifreundes Fournier. Im Stile einer Bananenrepublik. Auch nach seiner Verurteilung durfte Bayard das Betreibungsamt drei Jahre weiterführen, als wäre nichts gewesen. Schliesslich suspendierte ihn die Oberwalliser SP-Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten im Mai 2009, weil das kantonale Finanzinspektorat ihn wegen buchhalterischen Unregelmässigkeiten beim Untersuchungsrichter angezeigt hatte. Im vergangenen Februar wurde Bayard vom Bezirksgericht Brig wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung im Amt erstinstanzlich verurteilt. Gegen das Urteil hat Bayard Berufung eingereicht.
Beispiel 2: Strafvollzug
Staatsrat Fournier war von 1997 bis 2009 auch für den Strafvollzug zuständig. Die unhaltbaren Zustände in den Walliser Gefängnissen wurden von drei Expertenberichten (Scherz 1992; Magnin 1998; Brägger 2011), zwei Berichten des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter (CPT: 1996 und 2007) und von der Justizkommission des Grossen Rates immer wieder kritisiert. Geändert hat sich wenig bis nichts. Im Jahr 2008 schlug die Justizkommission Alarm: «Die Situation ist katastrophal» und im Jahr 2010 die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF). Dann gab Staatsrätin Waeber-Kalbermatten einen weiteren Expertenbericht in Auftrag. Im September 2011 präsentierten die Experten die Resultate, welche für Fourniers Amtszeit vernichtend ausfielen. Die Experten verlangten eine grundlegende Reform des hoffnungslos veralteten Walliser Strafvollzugs.
Beispiel 3: Fremdenpolizei
Im Departement von Staatsrat Fournier war auch die damalige Dienststelle für Fremdenkontrolle angesiedelt. Françoise Gianadda, die Chefin der Fremdenkontrolle, hatte die Dienststelle nicht im Griff und Fournier schaute ihrem Treiben jahrelang zu, obwohl die grossrätliche Geschäftsprüfungskommission und die Justizkommission jedes Jahr Alarmzeichen von sich gaben: Die Einbürgerungsdossiers stappelten sich immer höher. Viele Dossiers wurden weder sach- noch fristgerecht geführt. Auch das Finanzinspektorat stelllte fest, dass die Verwaltung im Bereich Fremdenpolizei «ungenügend und durch eine mangelhafte administrative und finanzielle Kontrolle gekennzeichnet ist.» Gianadda trat sogar medienwirksam mit dem damaligen Bundesrat Christoph Blocher in Bern auf und feilte an ihrem Profil als asylpolitische Hardlinerin, während in ihrer Dienststelle das Chaos herrschte.
Beispiel 4: Kantonalbank
Fournier aspirierte vergeblich auf das lukrative Amt (210 000 Franken) des VR-Präsidenten der Walliser Kantonalbank (WKB). Seine entsprechende Zurückhaltung gegenüber der WKB kostete und kostet die Walliser Staatskasse pro Jahr mindestens 15 Millionen Franken. Denn Fournier hatte als Finanzminister versäumt, Massnahmen zu ergreifen, um den Dividendensatz für die Aktien des Kantons anzuheben, wie dies die Geschäftsprüfungskommission und das Finanzinspektorat jahrelang forderten. Auch gegen die viel zu hohen Gesamt-Entschädigungen des Verwaltungsrates und der Generaldirektion unternahm er wohlweislich nichts.
Beispiel 5: Raumplanung
Fournier war von 1997 bis 2005 zuständig für die Walliser Raumplanung und ist folglich für das aktuelle Zweitwohnungs-Schlammassel mitverantwortlich. Die Walliser Raumplanung war unter Fournier praktisch inexistent. Deshalb hat das Wallis die grössten Bauzonen in der Schweiz. Auch die Zunahme des Siedlungsgebietes und der Zweitwohnungsanteil ist überdurchschnittlich. Zudem blieben die raumplanerischen Instrumente weitgehend wirkungslos. Der kantonale Richtplan ist veraltet und eine blosse Pflichtübung. Dieses beschämende Urteil geht ausgerechnet aus einer Studie der neoliberalen Denkfabrik Avenir Suisse hervor.
Fazit: Bruno Zuppiger glänzte als Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes gegen aussen. Hinter den Kulissen sah es etwas anders aus. Auch Jean-René Fournier ist ein begnadeter Selbstdarsteller, dessen Leistungsausweis eher bescheiden ist. Es ist also gut möglich, dass der Gewerbeverband mit Fournier vom Regen in die Traufe käme, wenn er am 23. Mai gewählt würde.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
* Kurt Marti war von 2000 bis 2010 Redaktor der «Roten Anneliese» und brachte die Affäre «Conti Neri» mit einer Strafanzeige ins Rollen.