Kommissiokratie im politischen Niemandsland
Mit der WEKO präsentiert heute eine Behörde ihren Jahresbericht den Medien, die im Kapitel «Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement» des Staatskalenders breit aufgeführt ist. Die WEKO kann Verfügungen erlassen, Hausdurchsuchungen vornehmen und Zeugen befragen. Sie kann auch Sanktionen ergreifen. Der Preisüberwacher ist ihr halbwegs angegliedert und nimmt jedenfalls an ihren Sitzungen «mit beratender Stimme» teil. Die WEKO hat eine offizielle Bundes-Webseite: www.weko.admin.ch/org
Weder exekutiv noch legislativ
Doch diese Kommission gehört nur scheinbar zum Departement des Schweizer Wirtschaftsministers, Bundesrat Johann Schneider-Ammann (FDP). Unterstellt ist sie ihm schon gar nicht. Sie hat auch nichts mit dem Parlament (Legislative) zu tun. Und sie ist kein Gericht (Judikative). Die 11 bis 15 Mitglieder der WEKO werden wohl vom Bundesrat eingesetzt. Die Mehrheit muss gemäss Wettbewerbsgesetz jedoch aus «unabhängigen Sachverständigen» bestehen. Und die Kommission soll unabhängig von staatlichen Instanzen darüber wachen, dass der Markt und der Wettbewerb in der Wirtschaft möglichst frei spielen. Konkret kontrolliert die WEKO derzeit gerade, was die Zürcher Elektrizitätswerke zusammen mit der Swisscom in punkto Glasfasernetz genau planen.
Der Markt als Wundermittel
Ähnlich organisiert und orientiert sind mehrere, weitere «Kommissionen»(siehe Kasten), die seit den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts entstanden sind. Die ComCom etwa kämpft im staatspolitschen Niemandsland zwischen Verwaltungen, Regierungen, Gerichten und demokratisch gewählten Parlamenten für mehr Markt im Bereich der Telekommunikation. Die PostReg möchte die Post möglichst marktwirtschaftlich organisiert sehen. Und die ElCom versucht die oftmals kantonal oder städtisch organisierte Stromversorgung im Land mit Markt und Konkurrenz neu aufzumischen.
Einzelne dieser Organisationen sind inzwischen zu wichtigen Machtfaktoren im Land herangewachsen. So hat etwa die Finma, die den Finanz- und Versicherungssektor in der Schweiz überwachen soll rund 400 Beschäftigte und verfügt über ein Jahresbudget von fast 100 Millionen Franken. Gemeinsam ist dieser um sich greifenden «Kommissiokratie (Herrschaft der Kommissionen) oder «Expertokratie (Herrschaft der Experten), dass sie sich mehr an den Wünschen der «Marktteilnehmer» und «Mitbewerber» orientieren, als an den Bedürfnissen der gesamten Volkswirtschaft. Ihr Wundermittel in allen Lagen heisst: Markt und Konkurrenz.
«Vertieft Untersuchen»
Das ist vorab historisch begründet: Diese Kommissionen entstanden während der Privatisierungs- und Deregulierungseuphorie vor der grossen, privaten Bankenkrise. Weil Konkurrenz damals auch gegenüber demokratisch kontrollierten Firmen im Staatsbesitz wichtig schien, wiesen die entsprechenden Gesetzesrevisionen nicht mehr staatlichen Stellen die Oberaufsicht zu, sondern unabhängigen Kommissionen. Das Problem dabei war dann aber, dass wirklich unabhängige Experten rar und teils auch wenig erwünscht waren – und damit neue Abhängigkeiten drohten.
«Es gibt sicher oft gute Gründe für die Auslagerung solcher Instanzen», stellt die bekannte Berner Professorin für öffentliches Recht, Regina Kiener heute fest, die selber Erfahrung als Mitglied solcher Kommissionen hat. Sie meint aber auch, es wäre gut, die Stellung dieser Organe im System der rechtsstaatlichen Gewaltentrennung vertieft wissenschaftlich zu untersuchen.
Oft sind deren Kompetenzen und Verantwortlichkeiten effektiv nicht klar abgegrenzt: So ist etwa die ComCom dem Bundesamt für Kommunikation (Bakom) gegenüber weisungsberechtigt. Doch dieses Amt ist ein Teil der Exekutive im Departement von Bundesrätin Doris Leuthard. Führende Rechtsgelehrte fragen sich, wer denn bei dieser Kommissiokratie «die Kontrolleure kontrolliere». Sie sehen in ComCom, ElCom und Kompanie «eine Arte Modeerscheinung».
Deregulierung hat wenig Rückhalt
Und diese «Mode», die nirgends in der Bundesverfassung verankert ist und darum auch nie Gegenstand von Volksabstimmungen war, scheint schon wieder etwas abzuflauen: Wo das Volk über Deregulierung und Privatisierungen etwa städtischer Elektrizitätswerke abstimmen kann, sagt es neuerdings fast immer Nein. Die Leute haben gelernt, dass ihnen etwa bei den Krankenversicherungen Markt und Konkurrenz nichts bringt. Und dass umgekehrt Monopole wie jenes der Suva oder der Berner Gebäudeversicherung für ihre Kundschaft und die Volkswirtschaft oft grosse Vorteile haben.
Solide SBB gegen Markt «absichern»
Das sieht auch Matthias Fringer, Professor für Netzwerkindustrie an der ETH Lausanne: Er fordert in einem Interview mit der NZZ zwar auch für die SBB eine Art «RailCom». Doch wünscht er nicht blind mehr Markt, sondern «dass die sehr gute Versorgung der Schweiz mit Eisenbahn-Dienstleistungen sowie die hohe Qualität (Taktfahrplan, Pünktlichkeit) dieser Leistung zu einem vernünftigen Preis institutionell abgesichert werden.» Wettbewerb dürfe nicht «Selbstzweck» sein, warnt dieser Fachmann.
KASTEN
Die Hochburgen der Expertokratie
Das sind die wichtigsten Regulierungskommissionen, die sich in den letzten Jahren in der Schweiz etabliert haben:
• Die ComCom
Die «Eidgenössische Kommunikationskommission» wurde 1997 geschaffen. Sie bezeichnet sich selber als «unabhängige Konzessions- und Regulierungsbehörde im Fernmeldebereich». Sie vergibt Konzessionen für Funkfrequenzen, legt Zugangsbediungen zu Festnetzten. Präsidiert wird die ComCom von Marc Furrer.
• Die PostReg
Die «Postregulationsbehörde» stellt «einen fairen und funktionierenden Wettbewerb im sich öffnenden Postmarkt sicher», wie sie selber schreibt. Ihr Leiter ist der selbe Marc Furrer.
• Die ElCom
Die «Eidgenössische Elektrizitätskommission» hat seit 2008 «die Aufgabe, die Liberalisierung des schweizerischen Strommarktes zu überwachen». Sie hat «weitreichende richterliche Kompetenzen» und kann Verfügungen erlassen. Ihr Präsident ist der frühere CVP-Ständerat Carlo Schmid-Sutter.
• Die WEKO
Aufgabe der «Wettbewerbskommission» ist der «Schutz des Wettbewerbs». Ihr Instrument dazu ist das Kartellgesetz. Sie bekämpft nach eigenen Angaben «schädliche Kartelle», beaufsichtigt «marktbeherrschende Unternehmen» und Fusionen. Präsidiert wird sie von Vincent Martenet.
• Die Finma
Die «Eidgenössische Finanzmarktaufsicht» soll gleichzeitig Gläubiger, Bankkunden und Versicherte schützen und «zur Stärkung des Ansehens und der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz» beitragen. Finma-Präsidentin ist Anne Héritier-Lachat. N.R.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine