Knalliges Klima in der «Arena»
Jonas Projer mag es, wenn es «knallt» in der «Arena». So ähnlich hat er sich jedenfalls ausgedrückt in der Selbstdarstellungs-Sendung «Hallo SRF» im letzten Jahr. So kann es ihm manchmal nicht kontrovers genug, die Besetzung nicht explosiv genug sein. Und so hat er sich bei der Eröffnung der «Arena» zu Klimastreik und Klimawandel vom vergangenen Freitag fast überschlagen, als er die rund 20 jugendlichen Klimastreikenden ankündigte: «Sie treten an gegen vier ihrer schärfsten Gegner aus Wirtschaft und Politik.» Und dann ertönte die «Arena»-Fanfare, und im Signet zertrümmerte der Schriftzug «Jugend» den Schriftzug «Politik». Das ist eine klare Ansage: maximale Aggression.
Es geht um das absolute Pro und Kontra, um Sieg oder Niederlage, um Sein oder Nichtsein. Es geht auch in dieser «Arena», wie in manch anderer Folge der wichtigsten politischen Debatten-Sendung, nicht um gegenseitiges Verstehen oder sogar um eine Verständigung, sondern offenkundig darum, die eigenen Interessen durchzusetzen, zumindest von der einen Seite, und die neue Bewegung aufzufangen, zu bremsen, vielleicht sogar zu stoppen. Es geht von der ganzen Anlage her um die Inszenierung eines Machtkampfs. So versteht Jonas Projer offensichtlich Politik in seiner «Arena».
Wunsch nach Konfrontation
Projers Wunsch nach Konfrontation ist klar. Doch daran scheitert die vornehmste Aufgabe des Service public: verständliche, nachvollziehbare Information zu liefern. Die Sendung kann folgerichtig auch die Zusammenhänge des Lebens und der Politik nicht wirklich abbilden. Und irgendwann vermag der wiederkehrende verbale Schlagabtausch im Medienzentrum Leutschenbach niemanden mehr zu unterhalten ausser die Akteure in der «Arena», die sich dabei selber gefallen.
Nun meint aber die Forderung des SRG-Auftrags nach Information, Bildung, Unterhaltung, dass in der «Arena» zwischen den Parteien im Studio ein kreativer Austausch stattfinden sollte. Und dass daraus zwischen den Parteien im Studio und den Zuschauerinnen und Zuschauern eine Kommunikation entsteht, die allen etwas bringt und manche weiterbringt und vielleicht sogar eine Einsicht in mögliche Lösungen bietet. Die «Arena»-Sendung zur Klimabewegung ist an diesem Auftrag des Service public gescheitert. Erfolgreich ist sie nur darin gewesen, eine fernsehtaugliche Konfrontation zu inszenieren.
Doch Jonas Projer wollte das so. Sonst hätte er der Sendung nicht den Titel gegeben: «Grüne Träume». Träume platzen meistens. Und er hätte in der Ankündigung nicht gesagt, es träfen «die jungen Demonstranten auf ihre Gegner – und grüne Hoffnungen auf die Realität».
Die «Realität» verortet er offenbar bei den Interessenvertretern der Auto- und Metallindustrie und beim rechtsbürgerlich-neolibertären Flügel der Politik, und nicht aber bei den «jungen Demonstranten». Über die Wirklichkeit von Politik und Gesellschaft sagt er damit nicht viel, denn sie ist möglicherweise dabei, sich tiefgreifend zu verändern. Aber er sagt eine Menge über seine politische Wahrnehmung.
Die Kombattanten: Lobbying und Lebensinteressen
Da stehen also auf der einen Seite die «grünen Träumer» und die Klimademonstranten: eine junge Generation, die ihre Zukunft einfordert, aber noch keine öffentlich bekannten Namen trägt und noch keine politischen oder wirtschaftlichen Machtpositionen innehat. Aber so viel steht fest: Diese Generation vertritt sich selber und ihre noch sehr ursprünglichen Lebensinteressen.
Und diese Lebensinteressen stossen nun also auf die «Realität» der Macht. Eine Macht, die in der «Arena» personifiziert wird durch den Nationalrat und Gewerbeverbands-Präsidenten Hans-Ulrich Bigler (FDP), der gleichzeitig als Vize-Präsident für die Energie-Agentur der Wirtschaft steht und für das Nuklearforum Schweiz lobbyiert. Bigler predigt genauso überzeugt für den heiligen Markt wie der ehemalige Klosterschüler Nationalrat Claudio Zanetti (SVP; Klosterschule Engelberg), der die Untersuchungen der Umweltwissenschaft zum Klimawandel gerne zur «Religion» erklärt. Zanetti pflegt als Vorstandsmitglied der Sektion Zürich des Automobilclubs (ACS) gewiss auch eine vertrauensvolle Beziehung zu Andreas Burgener, dem Direktor von Auto Schweiz, der in der «Arena» ebenfalls «die Realität» vertritt. Burgener hat auch schon laut über eine Kandidatur für den National- oder Ständerat nachgedacht hat (etwa auf der Liste der SVP).
Über diese Beziehungs-«Realität» hat das Schweizer Fernsehen in der «Arena» keine Transparenz hergestellt. Nationalrat Bigler hat in der Debatte immerhin so nebenbei seine energiepolitischen Verflechtungen erwähnt. Jean-Philippe Kohl, Vizedirektor des Maschinen-, Elektro- und Metallverbands (swissmem), hat seinerseits die Seite der «Realität» markant verstärkt. Sie alle, Bigler, Burgener, Kohl und Zanetti, haben selbstverständlich das politische Engagement der Jugend begrüsst und die Jugendlichen aufgefordert, sich einzubringen im politischen System, wenn auch Zanetti «Streik» eigentlich «unschweizerisch» fand. Bei diesen Streicheleinheiten ist den Vertretern von Politik und Interessenverbänden wahrscheinlich entgangen, dass die Klimabewegung ihre Unabhängigkeit von politischen Parteien sehr bewusst pflegt.
Aber das Loblied auf die politisch aktive Jugend stiess schnell an seine Grenzen. Es war, bei Licht besehen, nicht viel mehr als das Vorspiel zur Blockade. Hans-Ulrich Bigler deponierte gleich nach dem Lob sein «Nein zu Verboten und Auflagen», Andreas Burgener erklärte: «Was es braucht, ist Innovation», Jean-Philippe Kohl warnte: «Es macht für die Schweiz keinen Sinn, für die Welt den Musterknaben zu spielen», und Zanetti deklarierte voll auf der Linie der SVP: «Es besteht bezüglich Klima kein Grund zur Panik.» Denn, so bis heute die offizielle SVP-Position: Es gab ja immer schon Klimaschwankungen.
Jonas Projer hätte an dieser Stelle – nach etwa 15 Minuten – die Sendung beenden können, denn die Positionen waren bezogen. Die Forderungen der Klimabewegung wurden sämtliche abgeblockt. Das galt nicht nur für die «Erklärung des Klimanotstands», sondern auch für ein schärferes CO2-Gesetz oder eine beschleunigte Umsetzung der Zielsetzungen der Wissenschaft. «Eure Forderungen enden in Illusionen», sagte Andreas Burgener an die Adresse der Klimabewegung.
Die endlose Kreislauf-Debatte
So bewegte sich die Debatte in der fast schon «Arena»-typischen Form einer Springprozession – zwei Sprünge vorwärts, drei zurück. Der «Arena»-Leiter Jonas Projer war sich dabei nicht zu gut, ausführlich auf den Vorschlag von Claudio Zanetti einzugehen, man solle doch, wenn man wirklich etwas gegen den CO2-Ausstoss unternehmen wolle, den Verzicht auf die Kernenergie rückgängig machen, denn diese Lösung sei, im Unterschied zum Klimawandel, «nun wirklich wissenschaftlich begründet». Der Moderator liess sich auch vom Einwurf aus der Klimabewegung nicht bremsen: «Sie wollen also das eine Problem – die CO2-Produktion – durch ein anderes ersetzen: die Produktion und Lagerung von radioaktivem Material?»
Projer bestand darauf: Zanettis Idee sei ja ein ernsthafter Vorschlag, also solle man ihn bitte sehr auch diskutieren. Auch der Hinweis der Parteipräsidentin der Grünen, Regula Rytz, die Kernenergie sei «nicht nur ein alter Ladenhüter, sondern mittlerweile die teuerste Energieform überhaupt» – begleitet von Zanettis ständigen Zwischenrufen – vermochte den Moderator nicht zu stoppen. Er meinte, man könne ja den Verzicht auf die Kernenergie mit einer neuen Volksabstimmung rückgängig machen – für Rytz eine demokratische Selbstverständlichkeit, nur in diesem Fall völlig absurd –, aber es brauchte die Intervention von Hans-Ulrich Bigler, um Projer zur Räson zu bringen.
Bigler erklärte trocken, man brauche über Kernkraft gegenwärtig wirklich nicht abzustimmen, denn: «Dafür braucht es zuerst einmal Investoren.» Und Investoren sind angesichts der enormen Kosten und der ungelösten Probleme weit und breit nicht zu sehen.
Der Einzige, der aus dieser unnützen Diskussionsschlaufe Gewinn ziehen konnte, war Claudio Zanetti: Es war ihm gelungen, eine sinnvolle Diskussion über die Klimaerwärmung, vielleicht sogar einen Ansatz zur Verständigung, erfolgreich zu verhindern. Bei einem Thema, bei dem es um die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen geht. Und bei dem diejenigen «Alarm!» rufen, die davon in allernächster Zukunft am meisten betroffen sind. Aber für eine solche Diskussion müsste bei den Verantwortlichen des Service public im Schweizer Fernsehen ein echtes Erkenntnisinteresse vorhanden sein.
Die Informationsverhinderung
Die «Arena» ist kein Gespräch. Die «Arena» ist kein Austausch, keine Debatte, kein Dialog. Sie sieht nur so aus. In Wirklichkeit ist sie eine Aneinanderreihung von Statements, bei denen man tunlichst nicht auf die Äusserungen der anderen eingeht, sondern nur die eigenen Gedanken, Meinungen und Interessen vertritt. Die «Arena» ist ein Schlagabtausch, in dem man sich in einem rhetorischen Machtkampf gegen die anderen durchsetzt. Die «Arena» ist ein Schauplatz, auf dem man Information möglichst verhindert, und zwar die missliebige Information der anderen.
Das gilt selbst dann, wenn es einmal vorkommt, dass eine Aussage Bezug nimmt auf die Aussage einer anderen Person. Und wenn phasenweise ein kurzer Disput zwischen zwei Diskutierenden entsteht. Das wird von der Moderation schnell beendet. In der «Arena» ist es nicht angezeigt, in Ruhe einen Gedanken zu entwickeln, ein Beispiel anzuführen oder eine (kurze) Geschichte zu erzählen. Und es ist in aller Regel schon gar nicht vorgesehen, einen anderen Teilnehmenden mit echtem Interesse zu fragen: «Wie meinen Sie das?» Vielleicht sogar in der Absicht, eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten.
Regula Rytz, die Parteipräsidentin der Grünen, hat in ihrem ersten Redebeitrag, nachdem sie am zweiten Teil der «Arena»-Diskussion teilnehmen durfte, ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Klimabewegung geäussert und den Wunsch, mit anderen politischen Parteien zur Lösung des Klimaproblems zusammenzuarbeiten. Mit Ausnahme von Stefan Müller-Altermatt (CVP), der noch etwas später in die Sendung integriert wurde, hat keiner der Parteipolitiker und Interessenvertreter aus der «Realitäts»-Fraktion auch nur andeutungsweise dieses Angebot aufgenommen.
Es ist in der «Arena» hingegen üblich, eine redende Person zu unterbrechen, sie rücksichtslos zu übertönen, und sei es nur, um zu verhindern, dass ihre Argumente vom Publikum verstanden werden. Es ist mehr als üblich; es ist Teil des Konzepts. So hat Jonas Projer die Jugendlichen in der Klima-«Arena» aufgefordert: «Seid laut! Nehmt euch das Wort!» – Sie haben das kaum getan, weil die Klimabewegung, wie schon «Occupy» und andere demokratische, aufklärerische Bewegungen, bewusst Kommunikationsformen entwickelt haben, die einen respektvollen, zielführenden Austausch auch in einer Gruppendiskussion ermöglichen.
Es geschieht in der «Arena» aber immer wieder, dass der Moderator noch vor dem Ende eines Statements sich von der sprechenden Person abwendet und das Gespräch mit anderen Diskussionsteilnehmenden aufnimmt. Das zeigt in aller Deutlichkeit das Desinteresse an der Information und insbesondere an den Aussagen einer Person. Es ist Vernichtung von Information und wirkt nach den Regeln mitteleuropäischer Höflichkeitsformen ganz einfach als Zeichen der Arroganz.
Dabei wäre es die Aufgabe eines Service-public-Senders, Information zu fördern, Erkenntnis zu vermitteln, gegenseitiges Zuhören und Kommunikation in Gang zu setzen, vielleicht sogar gegenseitiges Verstehen zu ermöglichen. Und in einer Zeit, in der die Herausforderungen für Staat und Gesellschaft dramatisch zunehmen, vielleicht die Möglichkeit, gemeinsame Lösungen auszuloten. Das ist auch ohne konfrontatives Setting schon schwer genug. Und es bleibt auch spannend, ohne dass es «knallt».
«Die Politik ist nicht bereit, über die eigenen, festgefahrenen Grundsätze nachzudenken und zu diskutieren.» Das war die Schlussfolgerung aus den Reihen der Klimabewegung am Ende der «Arena». Und das sei auch völlig verständlich, denn eine andere, dezentrale, demokratisierte Organisation der Energieproduktion würde die Macht einiger weniger Konzerne und ihres Managements ganz wesentlich abbauen. Das könne nicht im Interesse dieser Unternehmen sein und ihrer Stellvertreter in der «Arena».
Setting, Gäste, Moderation und Ziel
Es sieht tatsächlich so aus, dass die bald grauhaarige «goldene Generation» diesen Ausstieg aus der fossil getriebenen Wachstumsgesellschaft gar nicht denken mag. Aber vielleicht ist es nicht nur Unwille. Vielleicht ist es ganz einfach die schiere Unfähigkeit. Denn die Biglers, Burgeners, Kochs und Zanettis sind mit der Technologie des 20. Jahrhunderts aufgewachsen und sie profitieren davon auf ihrem Lebensweg bis zu ihrer gegenwärtigen Stellung. Es ist für sie der natürliche Lauf der Dinge. Fossile Brennstoffe, Verbrennungsmotor, Umwandlung von Wärme in Fortbewegung, weltumspannende Transportwege, und aus der Kombination all dieser Faktoren ein endloses, globales Wachstum: Das ist ihre Welt, in der sie sich komfortabel eingerichtet haben. Das sind grosse Hindernisse für ein neues Denken.
Aber es braucht dafür auch einen Rahmen, der offenes Denken überhaupt erlaubt. Die «Arena» ist das Gegenteil. «Arena» ist Action, ist Kampf, Aggression: der Ort, an dem die Gladiatoren die Schwerter ziehen und damit aufeinander losgehen. Wer steht, ist schnell zum Kampf bereit. Ein Blick auf andere Diskussionssendungen genügt: Ob der «Club» von SRF, das welsche «Arena»-Pendant «Infrarouge» von RTS, oder in Deutschland «Hart aber Fair», «Anne Will», «Maischberger» und wie sie alle heissen: Hier sitzen die Gesprächsgäste. Und wer miteinander sprechen will, sitzt einander zugewandt. Anders in der «Arena»: Hier stehen die Redepulte auf die Kameras ausgerichtet, Rednerpulte für die grosse Öffentlichkeit, das unsichtbare Publikum, und der Moderator tigert als Dompteur wachsam um die Kämpfenden herum. Nachdenken, sich selber und den anderen zuhören ist unter diesen Voraussetzungen nicht vorgesehen. Und die Kameraregie ist jederzeit bereit, sich abzuwenden, um irgendeine angeblich spannendere Reaktion oder einen Zwischenruf einzufangen.
Dabei sagt uns eine alte Weisheit, dass es nichts Interessanteres gibt, als einem Menschen beim Denken – oder beim denkend Reden – zuzusehen. Dazu braucht es aber eine Moderation, die selber bereit ist, zuzuhören und zuzusehen. Die den Gästen nicht die Worte und Gedanken in den Mund legt, ihnen nach 50 Sekunden mit Unterbrechung droht und ihnen das Wort abschneidet, bevor der Gedanke zu Ende geführt oder das Beispiel ausgebreitet ist. Eine Moderation, die Erkenntnisziele hat und transparent macht und die Gästen nicht das Wort abschneidet oder sie als Instrumente der Sendungsdramaturgie von Einspieler zu Einspieler treibt – immer in der Hoffnung, Action zu provozieren, bis es knallt.
Es braucht aber auch Gäste, die nicht aus einem Medientraining der üblen Sorte in die Sendung kommen und bewusst und gezielt dem Gegenüber schon nach einem halben Satz ins Wort fallen, damit sie nicht gehört und verstanden werden können. Oder wie Claudio Zanetti, der während des Statements eines anderen Gastes alle fünf bis zehn Sekunden «Panik!» schreit. Dagegen braucht es eine Moderation, die ihre Aufgabe wahrnimmt und eine Gesprächskultur durchsetzt, die auf gegenseitiger Aufmerksamkeit und auf Respekt basiert – falls erforderlich auch mit gelben und roten Karten, mit Verwarnung und Verzicht auf Einladung. Der Service public muss wieder klarmachen, dass er kein Ort ist für krakeelende politische Sektierer.
Wirkung aus der Konzentration
Langweilig? Wirkungslos? – Es gibt die anderen Beispiele, extreme Gegenbeispiele vielleicht, wie der Talk über «Fremdes Pack und Füdlibürger». Im Rahmen eines Themenabends «Migration» sprachen auf «SRF zwei» fünf Secondos und Secondas über ihre Identität und ihr Leben in der Schweiz, äusserst zurückhaltend und diskret moderiert von Radiofrau Nicoletta Cimmino. Und mit einer Kameraregie, die über lange Strecken das jeweils gleiche Gesicht zeigte, dasjenige einer redenden Person oder einer zuhörenden Person.
Oder – ein anderes Beispiel – es gab das interreligiöse Gespräch in den «Sternstunden», ebenfalls auf «SRF zwei», zwischen Christen, einer muslimischen Theologin und einem Buddhisten, zum Thema Abtreibung; ruhig, offen, informativ, ganz unaufgeregt, mit einem kurzen Video mit der Originalaussage von Papst Franziskus, der Abtreibung als Mord begreift. Es war in beiden Fällen Service public zu einer Randzeit. Spätnachts über die Migration, am Sonntagmorgen über die Abtreibung als Mord. Einige Wochen nach der Ausstrahlung der «Sternstunden» gaben prominente katholische Frauen bekannt, dass sie wegen dieser Aussage des Papstes aus der römisch-katholischen Kirche austreten. – Dieser Austritt muss nicht die Folge der «Sternstunden» gewesen sein. Aber sicher ist, dass die Wirkung einer Sendung nicht vom Spektakel abhängt, sondern von der sorgfältig vorbereiteten Vermittlung wichtiger und treffender Information: emotional und rational treffend.
Und das geht – auch beim Thema Klimawandel. Der «Club», die späte Diskussionssendung auf SRF 1, hat mit Politologe Claude Longchamp und dem Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP) zwei alte Kämpen mit vier politisch aktiven jungen Erwachsenen von SVP über SP und zur Klimabewegung zusammengebracht. Das Gespräch zeigt beispielhaft, wie ein Austausch zwischen den Generationen stattfinden kann. Und es gab in dieser Runde eine Passage, die bei mir persönliche Erinnerungen geweckt hat. «Warum die Angst, warum die Panik?», lautete die Frage. Und die Antwort ist sehr einfach: Der Klimawandel steht mindestens seit der Gründung des Internationalen Klimarats (PCC) 1988 offiziell auf der globalen Tagesordnung. Das heisst: Das Thema begleitet die heute 30-Jährigen durch ihre ganze Lebenszeit.
1992 hat in Rio de Janeiro die erste UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung stattgefunden. 2002 folgte in Johannesburg die zweite Konferenz zu diesem Thema. Ich habe zu diesem Jubiläum als Verantwortlicher für das Bildungsfernsehen bei SRF eine sechsteilige Serie zum Thema ausgestrahlt, mit einem Film über die Verflechtung von Politik und Erdölindustrie. Und mit einer Eigenproduktion unter dem Titel «Warnung aus den Alpen»: Er zeigte die Leiter hinauf zur Konkordiahütte, die gebaut werden musste, weil der Aletschgletscher schmilzt. Er zeigte die millionenteure Schutzmauer, die Pontresina Schutz bietet gegen den auftauenden Permafrost und die Überwachung des Rutschhangs, auf dem die Standseilbahn nach Mürren wegen der Trassenverschiebung stillgelegt werden musste. Undsoweiter. Und der letzte Film zeigte – 2002! – einen produktionsreifen BMW mit Wasserstoffantrieb – schon damals der Antrieb der Zukunft. – Das Thema ist seit über dreissig Jahren auf der Tagesordnung, und dabei hier und da sogar beim Schweizer Fernsehen.
Aber nach der «Arena» vom vergangenen Freitag drängt sich die Frage auf, ob es in der wichtigsten politischen Debatten-Sendung des Schweizer Fernsehens gestattet ist, so zu tun, als ob wir noch am Anfang einer Diskussion stünden, bei der es um Lebensfragen der Gesellschaft geht und nach aller wissenschaftlichen Erkenntnis um eine Überlebensfrage unseres Planeten.
Auf dem Weg zu einer anderen Öffentlichkeit
Wir stehen vor Grundfragen unserer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Organisation. Das ist ein weites Feld. Und solche Ideen müssen zurzeit noch in eher marginalisierten Produkten einer «Nischen»-Publizistik verbreitet werden, wie etwa jüngst vom Wirtschaftspublizisten Werner Vontobel auf Infosperber: «Sparen reicht nicht: Plädoyer für eine Ökonomie der kurzen Wege».
Der Service public von Schweizer Radio und Fernsehen SRF stellt sich den Anforderungen dieser Themen insbesondere in seinem prominenten Fernsehangebot nicht. Er hat sich in wichtigen Teilen den Gesetzen des Spektakels unterworfen. Und weil die Klimabewegung ihre wesentlichen Ideen in der SRF-«Arena» nicht hat darstellen können, hat sie ihrerseits am Ende der «Arena» angekündigt, dass sie am kommenden Freitag im Kulturhaus Kosmos in Zürich ihre eigene «Klimaarena» durchführen und diese Veranstaltung über Social Media verbreiten wird. Die Klimabewegung wird auch das publizistische Klima verändern.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter von SRG/SRF. Er ist Mitglied der Grünen Partei der Schweiz.
Eigentlich ist die Arena eine sehr wichtige Sendung. Aber Jonas Projer steuert die Diskussion nicht richtig. Immer wieder unterbricht er interessante Aussagen von Teilnehmern oder er lässt zu, dass andere Teilnehmer dreinreden. Vielleicht würde es die Sendung beruhigen, wenn die Teilnehmer sitzen. Ich schalte fast regelmässig die Arena ein, stelle aber oftmals nach 20-30 Minuten ab. weil mich das Kampfgeschrei nervt.
Vielen Dank für den Artikel, bin völlig einverstanden. Der Name «Arena» ist ja Programm, suggeriert blutrünstige Unterhaltung. Ich habe das früher schrecklich gefunden, als immer wieder Leute wie NR Giezendanner eingeladen wurden, die so gekonnt Schwächere «fertig machten». Ich habe dann aufgehört, die Sendung zu schauen, da sie mich nur noch aufregte. Ich muss zugeben, dass ich mich freute, wenn mal «meine Seite gewann», z.B. gelang es Rudolf Rechsteiner den Max Binder so sehr aus der Fassung zu bringen, dass es vielleicht zu einem Sieg beim Atommoratoriung half (so weit ich mich erinnere).
Allerdings nützen rein informative Sendungen wohl wenig, wenn sie nicht auch Emotionen wecken, denn Menschen entscheiden kaum nach Vernunft oder Logik, sondern nach Gefühl, das ist gerade bei der Klimaerwärmung offensichtlich. Deshalb sind kontroverse Debatten schon wichtig, aber sie sollten fair und unparteiisch konzipiert und moderiert werden, was der «Arena» offenbar immer noch nicht gelingt.
Die ARENA ist schon lange Aggression pur und einer demokratischen Debatte nicht zuträglich. Ich tue mir das schon länger nicht mehr an.
Eine Alternative für wichtige Fakten zur Klimaproblematik und über die riesige Gefahr, in der sich unsere Ozeane befinden, finden Sie z.B. auf KenFM
https://kenfm.de/howard-dryden/
oder beim Ze!tpunkt: http://zeitpunkt.ch/die-retter-des-klimas
Danke Herr Ruoff für diese klaren Worte.
Es ist zu hoffen, dass mit dem Weggang von Jonas Projer von SRF die ARENA grundsätzlich verändert wird, im Sinne Ihrer konstruktiven Voten.
Die Vereinbarungen und Deklarationen von Paris werden bis jetzt kaum verstanden, ausser nun von der «Klimajugend», die merkt, dass die Klimauhr schon auf 5 nach zwölf steht. Und dass vor allem sie es sein werden, die die existentiellen Gefahren von uns erben.
Das maximal 1,5 Grad globale Erwärmungs-Ziel heisst konkret, dass «nach Paris» nur noch 600 Milliarden Tonnen CO2 (GtCO2) ausgestossen werden dürfen, die nicht durch zusätzliche Absorbtion (z.B. Humusaufbau und Aufforstung) kompensiert werden. Bei gleichmässiger Verteilung dieses Rest-Budgets CO2 auf alle Menschen (heute 7,7 Mia.) ergibt dies pro Person noch höchstens 78 Tonnen CO2 bis ein stabiles Gleichgewicht erreicht sein müsste. Bei durchschnittlich 5t inländischem CO2-Produktion pro CH-EinwohnerIn und 10t durch importierte Güter, reicht das Rest-Budget (vollständig gerechnet) nur noch einige Jahre!
Die Klimastreiks und -Demos sind ein dringender Not- und Hilferuf. Wer jetzt nicht mit Handeln beginnt, v.a. in der Mobilität und der sparsamen Energienutzung, nimmt mutwillig in Kauf, das Leben in Zukunft schwer zu belasten.
Hat SRF da nicht eine wichtige und zentrale Informations- und Aufklärungsaufgabe?
Da kann ich mich nur anschliessen. Ich (Jahrgang 1952) habe Ende 60er Jahre erstmals vom Treibhauseffekt des CO2 gelesen, welche 1972 oder 73 im bekannten Buch «Grenzen des Wachstums» mit ersten Prognosen für das Klima konkretisiert wurden. Danach gab es auch schon Radio- und Fernsehdiskussionen zwischen angeblichen Fantasten und angeblichen Realisten. Es war (und ist) für mich erschütternd, wie sich diese Diskussionen immer wieder wiederholen, ohne dass die angeblichen Realisten auch nur ein bisschen dazu lernen.
In den Anfängen der Arena habe ich diese Sendung des öftern verfolgt. Seit dann Filippo Leutenegger die Sendung zu einer Schrei- und Brüllshow verkommen liess (dies wenigstens mein Eindruck), tue ich mir dies nur noch ganz selten an. Dass Jonas Projer dieses Spiel offenbar noch weiter treibt, ist umso trauriger und bedürfte eigentlich einer Reaktion der Fernsehaufsicht.
Christoph Rüegg
Ihre Analyse der «Arena» ist zumeist sehr trefflich.
Dennoch:
Die meisten Klima-Aktivisten wissen leider noch viel zu wenig oder gar nichts über die Faktenlage zur Klima-Erdgeschichte.
Zum Beispiel ist sich kaum jemand darüber bewusst, dass…
– wir uns gegenwärtig immer noch (seit rund 2,7 Millionen Jahren) in einem Eiszeitalter befinden,
– die Daten aus Eiskernbohrungen nur knappe 650‘000 Jahre zurückreichen,
– wir heute fast ausschliesslich diese Eiszeit-Daten analysieren, bewerten und daraus Schlussfolgerungen ziehen.
Noch weniger wissen, dass die Geschichte der Erde zu 80-90% von Warmzeiten beherrscht wurde (also kein Eis an beiden Polen und Durchschnittstemperaturen von 20° bis 25°C). Fakten, die man sogar immer noch ganz leicht auf Wikipedia finden könnte (wer nicht suchen mag, findet die Links in meinem Blog und noch viel mehr).
Auch Patrick Moore, der co-founder von Greenpeace, kommt gleich zu Anfang in einem kurzen Film zu Wort.
https://gaurahariswiss.wordpress.com/2018/08/30/gedanken-zum-klimawandel/
Ausnahmsweise habe ich diese Arena-Sendung angeschaut, aber es hat sich seit Jahren nichts verändert. Der Rechtsverdreher der SVP war im Getue und fern jeden Anstands dem Trump keinesfalls unterlegen…
Man muss festhalten, die SVP lernt schnell.
Respekt Herr Ruoff. Ihr Kommentar zur Arena – Klimawandel – ist grandios. Ja, es ist höchste Zeit, dass Projer das Feld räumt. Nur stellt sich die Frage: wer kommt nach ihm? Die auserkorene Person tut gut daran, ihren Artikel zu lesen, um zu erkennen, wie er oder sie es nicht machen soll und darf. Ich jedenfalls werde nach der letzten Arena-Sendung aufatmen und auf den Weggang von Projer anstossen, in der Hoffnung, dass man sich die Arena wieder zu Gemüte führen kann. Dann kann man nur hoffen, dass die Verantwortlichen von SRF bei der Wahl ein gute Händchen haben werden. Wir brauchen keine Moderatoren, welche eine solche Plattform in dieser Art und Weise zur Selbstdarstellung missbrauchen.
Selbst im Falle, dass die Klima-Skeptiker Recht haben sollten, müssen wir die Erd-Erwärmung ja nicht mit Vollgas bzw. CO2 fördern.
@ Herr Ruoff: Danke für diese Kritik der Arena-Sendung. Ihrer Analyse ist nichts beizufügen.
@ Herr Kaderli: Bitte reden SIE nicht von «Faktenlage zur Erdgeschichte». Da sind Sie mit dem amerikanischen Präsidenten und ein paar anderen «Unentwegten» ganz einfach auf einem anderen Planeten. Ihr Argument, die Klimaaktivisten «wüssten zuwenig», ist extrem durchschaubar: Sie möchten doch ganz einfach, dass sich bezüglich menschgemachter CO2-Emission weiterhin nichts verändert, dass die Nutzung fossiler Enerfgien so weitergeht wie bisher. Dann sagen Sie das doch einfach klar und deutlich! Dann ist Ihre Position klar.
Ich habe mir nur den Anfang der Sendung angesehen. Als ich feststellte, dass die sogenannten Realisten alles Ideologen der Betonierungs- und Autolobby-Truppe waren, habe ich mir den Rest gespart. Projer hat mit der Zusammensetzung der Hauptredner die Richtung schon vorgegeben.
Seit Jahren versuche ich mit Hinweisen, Beanstandungen und Beschwerden SRF darauf aufmerksam zu machen, dass so aufgebauschte Sendungen nicht sachgerecht sein können. Sie sind deshalb auch nicht geeignet zur fundierten Meinungsbildung. Dies ohne Erfolg, es wird immer schlimmer. Mit dieser Art «Politisieren» erfüllt die SRG ihren Auftrag zur Meinungsbildung nicht und fördert bei den Politikern geradezu ein Verhalten, das einer Konsensfindung in politischen Fragen nicht förderlich ist. Wenn es so weitergeht haben wir in ein paar Jahren Verhältnisse wie in vielen vom Populismus geprägten Staaten. Martha Beéry
Wenn die Jugend darüber nachdenken will, wie das Weiterleben der Menschheit auf dem Planeten möglich ist und wie nicht, ist jede Verständigung mit den etablierten Politikern unmöglich. Herr Ruoff hat die Vermutung geäussert: sie sind dazu nicht fähig und nicht willens. Sie schreien: Kein Grund Panik! (SVP), keine Verbote! (Bigler), Innovation! (Burgener), u.s.w. Meine Empfehlung an die Jungen: gebt dem Selbstdarsteller Projer einen Korb und lasst euch nicht vorführen! Wenn ihr mitten im Satz unterbrochen werdet, steht auf und verlasst dieses SRF-Theater.
Ich kann nur voll beipflichten, dem was Robert Ruoff über die jetzige Arena schreibt. Der Skandal ist umso grösser, da es sich bei dieser Arena um ein WIRKLICH lebenswichtiges, ja: überlebens -wichtiges «Thema» handelt: es geht ganz schlicht darum, ob die moderne Gesellschaft und ihr Haupt-Dogma eines immerwährenden wirtschaftlichen Wachstums nicht so stark alle – nicht nur das «Klima» – Ökosysteme der Luft, der Gewässer und auf dem Festland dermassen bedroht, dass das die Grundlagen des menschlichen Lebens in Zukunft auf der Erde tatsächlich bedroht wird. Aus dieser Fragestellung einen unterhaltsamen «Gladiatoren-Kampf» zu machen, ist ein echter Skandal, und die Verantwortlichen dafür – nicht nur der sensationsgeile Moderator – sollten zum Rücktritt gezwungen werden. Diese Frage wie ein Politikum unter anderen zu inszenieren zeigt, dass diese Leute den Ernst der Lage (noch ?) nicht WIRKLICH erfasst haben. Wir haben nicht mehr viel Zeit, dieses Thema endlos «in Ruhe» weiter zu diskutieren: jetzt muss POLITISCH gehandelt werden mit Massnahmen, die rasch WIRKUNG zeigen – auch wenn zB viele Garagisten – nicht alle, ihnen sei gedankt ! – mental noch im Benzin – Zeitalter stehen bleiben – oder die Flughafen AG und ihr Direktor einen «Horizont» anstreben von einer Verdoppelung der Flüge in naher Zukunft … Es gab immer, in jedem Wandel, Leute die mental stehen bleiben.