Klimawahl: «Keine Partei fordert Schrumpfung der Wirtschaft»
Red. Stets vor Wahlen analysieren die Umweltverbände das Abstimmungsverhalten der Parteien im nationalen Parlament. Zu den Resultaten dieses Umweltratings befragte Raphael Weber, Chefredaktor bei der Umweltorganisation Pro Natura, den Journalisten und Infosperber-Redaktor Hanspeter Guggenbühl.
Dieses Interview erschien Ende September 2019 in der jüngsten Ausgabe des «Pro Natura Magazins». Mit Einverständnis von Pro Natura übernimmt Infosperber dieses Vorwahl-Gespräch.
Pro Natura Magazin: Vor den Wahlen scheinen wir uns nicht mehr um die Zukunft unseres Planeten sorgen zu müssen, weil sich fast alle Parteien sehr umweltbewusst geben.
Hanspeter Guggenbühl: Offensichtlich gehen die meisten Parteien davon aus, dass die Umwelt respektive der Klimawandel im Zentrum der Wahlen steht. Eine Partei weicht davon ab, indem sie den Klimawandel in Frage stellt oder sagt, dass die Schweizer Politik keinen Einfluss darauf habe.
Sie sprechen von der SVP.
Genau. Ich schliesse nicht aus, dass man auch mit dieser Haltung Erfolg haben kann, indem man Leute abholt, die eine Politik gegen den Klimawandel ablehnen.
Den grössten Wandel bei der Klimadebatte hat die FDP vollzogen. Sie verfolgen die Umweltpolitik nun seit 40 Jahren. Ist diese Neupositionierung glaubwürdig?
Viele Kommentatoren haben von einer Kehrtwende gesprochen, aber in Programmpapieren hat sich die FDP schon immer mit Umweltpolitik beschäftigt und forderte zum Beispiel schon vor Jahrzehnten ökologische Lenkungsabgaben.
Zum Durchbruch verholfen hat sie diesen aber nie.
Nein, denn im konkreten Fall hat sie eben immer anders als in ihrem Parteiprogramm entschieden.
Sind Umweltthemen bei der FDP also nur eine Art «nice to have», das in einer Abwägung immer den Wirtschaftsinteressen unterliegt.
Im konkreten Fall hat die FDP den kurzfristigen Interessen der Wirtschaft stets Vorrang eingeräumt und ist den Parolen der grossen Wirtschaftsverbände gefolgt. Das Kurzfristige oder Kurzsichtige hat bei allen Parteien Vorrang, weil eine Legislatur nur vier Jahre dauert und Politiker in dieser Zeit «Erfolge» vorweisen müssen, um wiedergewählt zu werden.
Die FDP wollte nach Fukushima auch einmal für kurze Zeit aus der Atomkraft aussteigen …
… Ja, und hat danach die neue Energiestrategie bekämpft. Wer glaubt, «blau ist das bessere grün» und die blaue FDP sei darum eine Umweltpartei, muss selber etwas blau sein – im Sinne von blauäugig.
In der Mitte des Parteispektrums beklagt sich die CVP gerne, dass niemand mehr unaufgeregte und konsensfähige Mittepolitik unterstütze. Hat die CVP Ihrer Meinung nach in der Umweltpolitik diese Vermittlerfunktion zwischen dem rechtsbürgerlichen und linksgrünen Block?
Im Umweltrating sieht man, dass die CVP tatsächlich umweltfreundlicher stimmt als die FDP und selbstredend die SVP. Die CVP hat als Zünglein an der Waage auch schon linksgrünen Umweltanliegen zum Durchbruch verholfen, aber generell haben bei ihr Umweltanliegen keinen Vorrang.
Ist die CVP für Sie als langjähriger Beobachter berechenbar, und lässt sich anhand ihres Parteiprogramms klar abschätzen, wie sie sich bei anstehenden Umweltvorlagen positionieren wird?
Sie ist eine Wundertüte. Und sie stimmt weniger geschlossen als die Parteien links und rechts von ihr.
Makellose Umweltbilanzen haben im Umweltrating die Grünen und die SP. Sind sie Garanten für eine konsequente Umweltpolitik?
Über die vergangenen Jahrzehnte sind es tatsächlich nur die linksgrünen Parteien gewesen, die sich konsequent für Umweltanliegen eingesetzt haben. Doch das Umweltrating spiegelt bei weitem nicht alle relevanten Einflüsse auf unsere Umwelt. Weltweit, aber auch in der Schweiz, besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Wirtschaft und dem Zustand der Umwelt. Wächst die Wirtschaft, schrumpft die Natur, weil eine wachsende Wirtschaft tendenziell mehr natürliche Ressourcen verbraucht, mehr Emissionen wie CO2 ausstösst und mehr Abfall hinterlässt. Deshalb war das Rezessionsjahr 2009 seit der Jahrtausendwende das einzige Jahr, in dem der globale Ausstoss von Treibhausgasen rückläufig war.
Als Konsequenz hat aber keine Partei gefordert, weder global noch national, dass die Wirtschaft schrumpfen solle. Zugegeben, in den vergangenen Jahren hat sich der Ressourcenverbrauch ein bisschen vom Wirtschaftswachstum entkoppelt, doch absolut hat er weiter zugenommen.
Hier würde wohl die GLP anknüpfen und einwenden, mit technischer Innovation seien die grossen Umweltprobleme zu lösen.
Das mag die GLP sagen, und das sagen alle Umwelttechnokraten. Doch diese Hoffnung ist fünfzig Jahre alt und hat sich punkto Naturverdrängung, Ressourcenverbrauch und Klimawandel nicht erfüllt. Man kann hoffen, dass sich das jetzt alles ändern wird und die GLP wählen. Ich selber bin weniger technikgläubig. Dank technischem Fortschritt konnten zwar schädliche Auswirkungen verringert werden, etwa durch die Filterung von Schadstoffen, letztlich ist das aber nur Symptombekämpfung.
Kurzum: Sie sagen, dass die Politik an den grossen Problemen vorbeischrammt.
Das ist so. Die zentrale Frage für unsere Menschheit müsste lauten, wie eine Welt ohne Wirtschaftswachstum funktionieren kann. Doch die Zwänge des Wirtschaftssystems sind viel stärker als die Einflüsse der Politik.
Die Politik definiert die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Ja, aber es gab noch nie einen politischen Vorstoss, der die Schrumpfung des Bruttoinlandprodukts gefordert hat.
Auf linksgrüner Seite sind Aspekte wie Ressourcenverbrauch durchaus Schlüsselthemen. Sie waren auch der zentrale Aspekt der Volksinitiative der Grünen Partei «für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft». Doch die klar verlorene Abstimmung hat gezeigt, dass solche Forderungen nicht mehrheitsfähig sind.
Das zeigt das Dilemma der Politikerinnen und Politiker auf: Wenn jemand zu wirtschaftlichem Rückschritt und weniger Wohlstand aufruft, ist die Gefahr gross, dass er nicht wiedergewählt wird.
Das klingt nach einem ernüchternden Votum, dass es egal ist, wen man wählt, oder dass man gar nicht wählen soll.
Der Einfluss der Politik ist in einer globalisierten Welt mit vielen wirtschaftlichen Sachzwängen tatsächlich begrenzt. Doch innerhalb dieser Grenzen soll man trotzdem eine engagierte Politik betreiben und erreichen, was möglich ist. Irgend jemand sagte einmal: Auch wenn die Welt morgen untergeht, lohnt es sich, heute noch ein Apfelbäumchen zu pflanzen.
Interview: RAPHAEL WEBER, Chefredaktor «Pro Natura Magazin»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Raphael Weber ist Chefredaktor des Pro Natura Magazins, welche die Schweizer Umweltorganisation Pro Natura herausgibt.
Ich fordere eine massive Reduktion des Konsums – und das bedeutet schliesslich eine Schrumpfung der Wirtschaft, wenn wir ehrlich sind. Warum denn keine Schrumpfung? Mehr Qualität als Quantität ist das Motto. Und es gibt eine Partei, die hinter einem echten Wandel steht – von Gesellschaft und Wirtschaft: die «Integrale Politik» ip, aktuell in den Kantonen ZH, BS und LU an den Parlamentswahlen beteiligt. Markus Scheuring, ip NR-Kandidat ZH
Langfristig wäre eine Schrumpfung nötig. Mittelfristig eine Konsolidierung und weg von immer noch mehrheitlich quantitativem (Beispiele Detailhandel, Bauwirtschaft) zu wirklich nur noch qualitativem Wachstum. Einmal mehr bleibt der Elefant im Raum: das Bevölkerungswachstum. Entgegen der Meinung der Mehrheit spielt es für die lokale Umwelt (Biodiversität, unberührte Natur etc.) tatsächlich eine Rolle, wieviele Menschen auf wieviel Raum leben. Doch schon nur eine Stabilisierung der Bevölkerung in der CH steht in keinem Parteiprogramm. Gar nicht wählen gehen? Sich gegenseitig neutralisierende KandidatInnen auf den Wahlzettel schreiben?(ich nenn das Gleichgewicht des Schreckens ;—) . Schwierige, nein, unmögliche Wahl für Wachstumskritiker….Wir SchaffhauserInnen haben immerhin noch einen unabhängigen Parteilosen in Bern, den Einzigen.
Es immer leicht mit dem Finger auf andere zu zeigen. Ich kenne von ProNatura keine konsequent Strategie der Ressourcenentschwendung. Sie schliesst sich den anderen Umweltorgansiationen an und fordert genau so den Ausbau der erneuerbaren Energien, obwohl die Schweiz schon 60% erneuerbaren Strom hat. Ich habe noch nie gehört, dass sich pro Natura konsequent für Energieentschwendung einsetzt oder gar Musterfirmen in diese Richtung unterstützt. Pro Natura hat sich genauso wenig für eine Energie-Lenkungsabgabe mit Rückerstattung pro Kopf eingesetzt wie alle anderen. Es ist schlicht, die fehlenden Strategie bei Pro Natura und nicht die anderen. Als ehemaliger Präsident der Konferenz Aargauer Natur- und Umweltschutzorganisationen glaube ich zu wissen wovon ich spreche. Die grossen Veänderungen haben wir immer nur mit der Beteiligung aller Parteien und NGO´s erreicht, aber niemals durch suchen von Schudigen. Das suchen von Schuldige lenkt nur ab von der eigenen Verantwortung. Urs Anton Löpfe
„Professor Gottfried Bombach beklagt «die Kühnheit und Leichtfertigkeit beim Umgang mit dynamischen Modellen» und stellte schon vor fast 50 Jahren die Frage: «Kann es legitim sein, dass der Wissenschaftler vor gefährlichen Entwicklungen warnt, und zwar betont als Wissenschaftler unter Berufung auf wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse, auch wenn diese sichere Basis noch gar nicht vorhanden ist?» Bombach kritisiert den Wissenschaftler, der versuche, «mit seinen Erkenntnisse auf propagandistische Wirkung abzuzielen, die Massen zu mobilisieren, und zwar selbst dann, wenn er sich der Fundamente noch nicht vollkommen sicher ist». Wer heute so denkt, ist ein «Klimaleugner».“ (Silvio Borner emeritierter Professor für Volkswirtschaft an der Uni Basel in der BaZ vom 8.10.19)
Sehr gutes Interview, welches das Dilemma, in dem unsere Industrie- und Konsum-Zivilisation steckt, «schön» aufdeckt: entweder wir retten die Natur – und langfristig uns selber – und erleiden eine aber für viele Leute untragbare Senkung des Lebens-Standards. Oder um diesen Standard zu halten und vielleicht noch zu erhöhen, pfeifen wir auf die Natur, um unser Leben jetzt noch zu geniessen – wissend, dass unsere Nachfahren die schreckliche Rechnung zu bezahlen haben : die Natur wird sie im Stiche lassen …. Dieses Dilemma erzeugt immer grösser werdende politische Spannungen, die jetzt schon spürbar sind und in Zukunft sogar zu Unruhen führen könnten .
Es ist zu präzisieren, dass keine Grosspartei die Schrumpfung der Wirtschaft fordert. Die Integrale Politik, welche in Basel-Stadt, Luzern und Zürich für den Nationalrat kandidiert, plädiert eindeutig dafür.