Klaus Rózsa, Fotograf: Budapest – Zürich retour
In Winterthur beginnt eine mir unvertraute Welt. Fast steige ich, Hauptsache ostwärts, in den Zug nach Romanshorn. Überall Grüppchen von Männern und Frauen in Kleidern, die der Fremdenführer chinesischen Touristinnen begeistert als typisch einheimische Trachten – es soll in der Schweiz rund 700 verschiedene davon geben – schildern würde. Sie sind auf dem Heimweg vom Eidgenössischen Jodlerfest, dieses Jahr in Brig-Glis. Schliesslich sitze ich doch noch in einem Wagen nach St. Gallen, wo eines dieser Trachtengrüppchen mit mir im Bus nach Heiden Platz nimmt. Zum Glück sind sie zu müde für einen eidgenössischen Abgesang.
Prügelnde Polizisten und Steinewerfer in Heiden
Als ich in Heiden, gegenüber der Kirche mit der Türinschrift «Zur Ehre Gottes» aussteige, sitzen schon keine Männer mit roten Chutteli, weissen Hemden, schwarzen Hosen und weissen Wollsöckli mit luftigen Löchern, keine Frauen mit weissen Puffärmeln, blaugrünen Röcken und schwarzen Spitzenhäubchen mehr im Bus. Sie wollen den Film nicht sehen, den der stellvertretende Landammann Matthias Weishaupt, der rote Direktor des Departementes Gesundheit und Soziales mit Appenzeller Ohrringli, ins Kino Rosental geholt hat.
Der Film «Staatenlos – Klaus Rózsa, Fotograf» von Erich Schmid ist demnächst zu sehen in:
21. Juli 2017, 21.00h, Kino Koch, Kochareal, Zürich
24. August 2017, Museum Strauhof (mit Diskussion)
Die DVD erscheint im Herbst 2017.
An diesem warmen Juni-Abend des Jahres 2017 flimmern Bilder von prügelnden Polizisten und Steine Werfenden aus dem fernen Zürich der Achtzigerjahre über die Leinwand des 1935, «mitten in der Wirtschaftskrise und gegen den Widerstand der Gemeindeverantwortlichen» (Website Kino Rosental) eröffneten «Lichtspieltheaters». Die im Saal anwesenden Heidenerinnen und Heidener werden sich kaum an das Geschwisterpaar erinnern, das zu Beginn des Films «Staatenlos – Klaus Rózsa, Fotograf» von russischen Soldaten in einen Budapester Luftschutzkeller hinuntergetragen wird. Das war 1956, dem Jahr des ungarischen Aufstands und dessen Niederschlagung durch sowjetische Truppen.
«Das war für die Eltern eine schreckliche Situation, weil sie als Juden schon den 2. Weltkrieg erlebt haben», erzählt Olga Majumder-Rózsa, die ältere Schwester von Klaus Rózsa, in Erich Schmids Film, den die Weltwoche «ein brennendes Zeitdokument» nennt. «Vor allem für uns Kinder wollten sie nicht, dass wir nochmals etwas Ähnliches erleben, wie sie es erlebt haben. Da beschlossen sie, das Land zu verlassen.» Flüchteten in die Schweiz, wo der zweijährige Klaus und die vierjährige Olga «für längere Zeit in ein jüdisches Kinderheim» kamen, das Kinderheim Wartheim in Heiden, im Film fälschlicherweise Waldheim genannt. Darauf weist Regisseur Erich Schmid selber hin, bevor der Projektor die Bilder der Familie Rózsa an die Wand wirft, die in der Schweiz – obwohl, Kalter Krieg, in der richtigen Richtung geflohen – nicht überall willkommen war.
Olga und Klaus Rózsa 2013 am Gedenkmarsch für den Schweizer Konsul Carl Lutz, der im 2. Weltkrieg 62’000 Juden mit fingierten Schutzbriefen das Leben rettete («Staatenlos», Erich Schmid)
Die laute, die aggressive, die verzweifelte Stimme
Klaus Rózsa – das ist für mich vor allem die Erinnerung an eine Stimme, eine laute und aggressive Stimme. Die einem Mann mit einem Fotoapparat gehörte, der sich häufig zuvorderst, in diesem «Niemandsland» zwischen den als «Chaoten» Diffamierten und den als «Bullen» Beschimpften, bewegte. Vor allem in den Jahren der «Bewegig», die 1980/81 mit ihren Slogans «Freie Sicht aufs Mittelmeer» und «Keine Macht für niemand» sowie durch die mehrmals in Scherben gelegte Zürcher Bahnhofstrasse europaweit bekannt wurde.
Der Film von Erich Schmid – den ich erstmals im Kino Uto in Zürich sehe – verändert, erweitert mein Bild von diesem Mann, in dessen Biografie sich ein Stück Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spiegelt, die in den Dreissigerjahren und deren Folgen wurzelt. «1956 aus Ungarn geflüchtet, war Klaus Rózsa 40 Jahre lang aus politischen Gründen staatenlos. Die Polizei verfolgte ihn als Gewerkschafter, Ausländer, linken Journalisten und verdeckt auch als Juden. Ein Biopic zur Pressefreiheit im Zusammenhang mit den politischen Bewegungen der letzten Jahrzehnte in der Schweiz.» Schreibt der Regisseur über seinen Hauptdarsteller, der mit einem Vater aufgewachsen ist, der aus Auschwitz zurückkam, der als Kleinkind durch Europa in die Schweiz flüchtete, dessen Mutter früh starb, der auf Zürichs Strassen immer wieder von der Polizei verprügelt wurde, der nach drei abgewiesenen Einbürgerungsgesuchen den roten Pass erst durch Heirat mit einer Schweizerin bekam.
Nachdem ich das «Lehrstück über die Tragfähigkeit, Fehlbarkeit und Belastbarkeit des Rechtsstaates» (Björn Hayer in der Neuen Zürcher Zeitung) gesehen habe, höre ich in dieser Stimme auch so etwas wie Verzweiflung. «Durchaus», sagt der Mann mit der Stimme, die auch anders kann, «Verzweiflung darüber, dass mich schon wieder ein Polizist ‹anhaut› und sagt, ich solle ‹verreise›. Dann rufe ich aus: Ich ‹verreise› nicht, ich bleibe da, ich habe das Recht! Meine laute Stimme ist die einzige Waffe, die ich habe.» Nach dem Besuch des Films «Staatenlos», sagt der Stadtrat und Sicherheitsvorsteher Richard Wolff – den ich fälschlicherweise als Polizeichef bezeichnen will –, habe er gedacht: «Krass, was Klaus Rózsa in seinem Leben alles passiert ist. Beeindruckend, dass er sich nie hat einschüchtern lassen.»
Das Opfer, das keines sein will und Kuchen isst
«Ich fühle mich nicht als Opfer», betont Klaus Rózsa, als ich ihn im Café Motta, das einst das Gran Café war, am Limmatquai treffe. In der Nähe der Grossmünsterterrasse, wo Polizisten damals auch mich, trotz Presseausweis, wegwiesen, «wir kennen Sie, Meier!» brüllten und Gewehrläufe auf mich richteten, weil ihre Kollegen unten vor dem Helmhaus einen jungen Mann unsanft übers Tramgeleise schleiften. Ich verzog mich Richtung Hirschenplatz, Gummigeschosse prallten an meinem Rücken ab. Eines dieser schwarzen, rund drei Zentimeter langen, sechskantigen Dinger – die heute als Schrot bezeichnet werden – stand noch jahrelang in meinem Büchergestell. Er wolle nicht als Opfer dargestellt werden. Auch wenn alles, was der Film zeige, passiert sei, und noch viel mehr – «ich bin ja nicht ausgeflippt oder in der Droge gelandet wie viele». Er habe immer auch Solidarität gespürt, sei von seinem (politischen) Umfeld getragen worden, er selbst sei «relativ gut damit umgegangen», findet er und beisst genussvoll in den Apfelstrudel, den er sich bestellt hat. «Ich bin ein Lebemann, du siehst, ich esse Kuchen und trinke; hätte ich keinen Kuchen, ich hätte einen Aperol Spritz genommen oder ein Glas Sekt.»
Klaus Rózsa, 2017 (Selfie)
Klaus Rózsa bekam nicht nur Schläge, er hatte auch Erfolg. «Als Präsident der Schweizer Journalisten-Gewerkschaft, als Mitglied des Schweizer Presserats und Präsident des Zürcher Gewerkschaftsbundes», heisst es im Film, habe er «jahrelang dafür gekämpft, dass Fotografen bei Polizeieinsätzen nicht mehr behindert werden» dürfen, sondern das Recht haben, die Polizei bei der Arbeit zu fotografieren und zu filmen. «Das hat Klaus durchgesetzt.» Anerkennt der ehemalige Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Stadt Zürich Koni Loepfe. Heute dürfte unser Plakat für das sogenannte Zürcher Tribunal 1981 nicht mehr verboten werden. Text: «Bewegung ist gesund, aber wer gesund lebt, lebt gefährlich.» Das Bild zeige, so die Stadtpolizei Zürich damals in ihrer Ablehnungsbegründung, «eine Verhaftszene anlässlich eines ordnungsdienstlichen Einsatzes von Polizeikräften», das heisst fünf Polizisten, die einen Demonstranten packen und wegschleppen. «Gemäss Hinweis im ‹Eisbrecher› vom 17. Januar 1981», schrieb die Stadtpolizei weiter, «soll in diesem ‹Tribunal› u.a. öffentlich die ‹Gewalt der Polizei› und ‹die Justizrepression› dokumentiert werden. Auf Grund der Erfahrungen mit Veranstaltungen im Zusammenhang mit der sogenannten Zürcher Bewegung besteht jedoch die Gefahr, dass an diesen Veranstaltungen die Besucher in unsachlicher Art und Weise emotional aufgeladen werden und sich im Anschluss daran unbewilligte Demonstrationszüge durch die Stadt mit entsprechenden Sachbeschädigungen ereignen können.»
Bei der Polizei werden sie keine Freude am Bundesgericht gehabt haben, das Klaus Rózsa mehrmals recht gibt. Sichtwechsel. Aus einem alten Schulungsfilm der Stadtpolizei Zürich, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig: «Rücksichtslose Fotografen strapazierten die angespannten Nerven der eingesetzten Beamten zusätzlich, indem sie mit Nahaufnahmen förmlich ihre Gedanken zu ergründen versuchten und ihnen mit Mikrophonen vor dem Gesicht herumfuchtelten. Die Beamten liessen sich aber keineswegs aus der Ruhe bringen.» Das wird nicht nur Klaus Rózsa anders erlebt haben. Seine Hartnäckigkeit und Sturheit auf der Strasse sowie vor Gericht mögen Gründe für die Attacken aus Polizeikreisen sein, die nicht anders als gezielt genannt werden können. «Klaus war der Unerschrockenste und hat ununterbrochen Übergriffe der Polizei fotografiert», gibt sein Anwalt, der ehemalige SP-Kantonsrat Franz Schumacher, im Film zu Protokoll, «deshalb versuchte man ihn auszuschalten. Das geschah mit Prügeln, mit Treten, mit wüsten Beschimpfungen, Drohungen usw.»
Zum Beispiel an einem Abend im März 1982. Hinter dem Hauptbahnhof, da, wo heute ein Carparkplatz für Reisen in alle Welt ist, waren tagsüber Bagger aufgefahren und hatten auf Anordnung des Stadtrats das Autonome Jugendzentrum dem Erdboden gleich gemacht. Vor dem damaligen Warenhaus Ober wurde das Auto von Rózsa und seinem Kollegen gestoppt. Der Taxifahrer Bruno Schöffel beobachtete, wie zehn bis zwölf Beamte in Kampfmontur ausstiegen, Rózsa aus dem Wagen rissen. «Der Fahrer stieg aus, rannte vorwärts und trat mit dem Stiefel Klaus Rózsa an den Kopf. Ich schlief schlecht in jener Nacht … Ich wusste nicht, was ich machen soll … In der Zeitung hiess es, es gäbe keine Zeugen. Daraufhin entschloss ich mich auszusagen» (aus Film).
Drei Stadtpolizisten wurden verurteilt. Zu einer bedingten Gefängnisstrafe. Rózsa selbst weiss nicht mehr, was vor dem Modehaus passierte. Er hatte keine Zeit, Angst zu bekommen, fiel schnell in schützende Ohnmacht und, so gibt er 2017 an, erwachte erst in einer Zelle im Kripogebäude wieder. «Als ich dort abgeholt wurde», setzt die Erinnerung wieder ein, «kamen mir zwei Polizisten entgegen. Der eine sagte zu mir: ‹Das nächste Mal gebe ich Gas und überfahre dich!› – Dann sagte der andere Polizist zu ihm: ‹Du kannst ihm doch gleich die Kugel geben. Es wäre nicht schade um ihn!›» Späte Erinnerungen, für die es keine Zeugen, nur Befangene gibt.
80er Unruhen («Staatenlos», Erich Schmid)
«Das waren raue Zeiten»
Das waren andere Zeiten, erinnert sich Richard Wolff von der Alternativen Liste bei meinem Besuch im Amtshaus 1. «Raue Zeiten», sagt er im Juni 2017. Und meint die Zeiten in den Achtzigerjahren. Für Klaus Rózsa wird es am 4. Juli 2008, da war Wolff noch nicht Stadtrat, noch einmal rau. «Die Polizei löste damals eine Besetzung des alten, ungenutzten Stadions Hardturm in Zürich auf. Rózsa fotografierte und wurde von zwei Polizisten unsanft festgenommen.» Schreibt die Neue Zürcher Zeitung am 26. August 2013. Er empfindet die Polizisten als besonders aggressiv. «Ich habe noch nie in meinem Leben, weder vorher noch nachher, das Gefühl gehabt, ich sterbe», erzählt Klaus Rózsa 2017 bei Apfelstrudel und Mineral. «Die Polizisten sind rennend hergekommen, zwei davon haben Gummigeschosse herumgeschossen, die anderen beiden haben sofort auf die Leute eingeschlagen. Ich habe aus relativ grosser Distanz angefangen zu fotografieren.» Beschreibt er die Situation in «Staatenlos». «Die Jungen haben versucht, das Gittertor zuzumachen, und die Polizisten haben versucht, das zu verhindern. Einer rannte auf mich zu und sagte: ‹Rózsa, du Arschloch, da wird nicht fotografiert!›, griff an meine Kamera und versuchte, sie zu Boden zu schlagen. Ich zog mich zurück. Unmittelbar vor dem Auto wurde ich von hinten zu Boden gerissen. Ich konnte die Kamera, während ich fiel, gerade noch Susann übergeben.» Susann Wach Rózsa fotografierte, während die Polizisten weitermachten und er sie anschrie, mit Worten, die vermutlich nicht im Duden stehen. «Ein Beamter würgte ihn mit dem Ellbogen», berichtet seine Frau. «Sie machten ihm die ‹Brennnessel›, und ich schrie: ‹Lasst ihn los, er kommt in den Spital!›»
Zürich-Hardturm, 4. Juli 2008 (Klaus Rózsa)
Rózsa klagt gegen die Polizisten – wegen Körperverletzung. Die Polizisten gegen ihn – wegen Ehrverletzung. Die Gerichtsverfahren, vom Bezirksgericht übers Obergericht zum Bundesgericht und zurück, dauern acht Jahre. Am Ende wird Klaus Rózsa wegen übler Nachrede und Polizistenbeschimpfung verurteilt, die Polizisten werden, wie meistens, freigesprochen. Amtsmissbrauch und Körperverletzung sind danach definitiv verjährt. Bemerkenswert, wie unterschiedlich die verschiedenen Gerichtsinstanzen das Geschehen beurteilen. 2013 schätzt das Zürcher Obergericht die Festnahme Rózsas als nicht gerechtfertigt ein. «Ein gewisser Widerstand in der damaligen Situation könne dem Fotografen nicht zur Last gelegt werden. Polizisten müssten sich gefallen lassen, dass ihre Arbeit gefilmt und fotografiert werde.» Protokolliert die NZZ am 26.8.2013. Rózsa, fasst der Tagesanzeiger die Argumentation des Obergerichts zusammen, habe «niemanden behindert», vielmehr in dieser Situation sogar «ein ‹Widerstandsrecht› gehabt». Das kümmert das Bezirksgericht 2015 nicht: «Es gehe nicht darum», so der Tagesanzeiger, «was ein Gericht nachträglich feststelle, sondern wie die Beamten vor Ort die Lage einschätzten.» Eine bemerkenswerte Aussage in einem Rechtsstaat – polizeiliches Ermessen vor rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren.
Zürich-Hardturm, 4. Juli 2008 (Susann Wach)
Wenn alle Regeln nicht mehr gelten
«Man hat Klaus Rózsa als Augenzeugen von unverhältnismässiger Polizeigewalt kriminalisiert. Sollte sich dieser Trend zuspitzen, geht unsere Gesellschaft in diesem Bereich wieder in Richtung Polizeistaat, wie er während der Jugendunruhen der 80er Jahre existierte.» Kommentiert Erich Schmid am 11. Juni 2012 auf Infosperber. Franz Schumacher fühlt sich im Film an eben jene Achtzigerjahre erinnert, wenn er erfahre, «wie eine Diktatur errichtet wird oder zu Fall kommt, in Griechenland oder in Chile oder wo auch immer… Dann verstehe ich auch, dass solche Dinge geschehen. Wie dies funktioniert. Wie plötzlich alle Regeln nicht mehr gelten. Das heisst für mich, dass die Menschen offenbar so funktionieren, dass ein grosser Teil sich sofort damit abfindet. Und so funktionieren totalitäre Staaten. Wir sind das ja nicht. Aber in solchen Situationen bekommt man den Geschmack, das Gefühl, den Geruch, was es bedeutet, in einem totalitären Staat zu leben.»
Nach jenem 4. Juli 2008 hat Rózsa Angst, was er früher so nicht kannte. «Ich konnte nicht mehr in Zürich bleiben. Es war unmöglich, mich in Zürich zu bewegen. Ich bekam Schweissausbrüche, Angstzustände, wenn ich einen Zürcher Polizisten bloss von Weitem sah.» Der Sohn von Ungarnflüchtlingen war mit seiner Frau schon vorher nach Budapest geflohen. Die Szene neben dem Hardturmstadion war gewissermassen das erste, was sie, neuerdings als Tourist_innen, in Zürich erlebten. «Wenn du hier auf der Strasse gehst», in Budapest meint der Zürich-Geschädigte, «siehst du in einem Tag nicht so viele Polizisten wie in Zürich in einer Viertelstunde.» Fast will ich patriotisch werden, Zürich gegen Orbáns Ungarn verteidigen. Was Schumacher über das Zürich der Achtzigerjahre sagt, gilt nicht für das Zürich 2017. Aber ich war noch nie in Budapest, was könnte ich dem ungarisch-schweizerischen Doppelbürger Rózsa, der inzwischen wieder häufiger in der Schweiz ist als im ungarischen Exil, auch wegen des Films, was könnte ich ihm entgegenhalten? Zum Glück lässt Erich Schmid, als Kontrapunkt zum fast schon begeisterten Ungaren Rózsa, die Garde der rechtsradikalen Jobbik, der drittstärksten Partei im Parlament, durchs Bild marschieren, dass es einem unheimlich wird.
Traumatische Zeiten
In Budapest diagnostiziert eine Notfallpsychiaterin eine «post-traumatische Störung» und will gar nicht glauben, dass die Fotos vom Hardturm, die ihr Klaus Rózsa zeigt, Zürcher Realität abbilden. «So etwas gibt es in Zürich nicht.» Ist die Frau überzeugt, die bis dahin nur das «Reiseland Schweiz» gekannt haben wird. In einem Trauma sieht auch Filmer Erich Schmid Gründe für die vielen Konfrontationen Rózsas mit der Staatsgewalt. «Die Psychologie spricht bei traumatisierten Menschen vom sogenannten Wiederholungszwang», schreibt er im Pressedossier zum Film. «Erlebtes Unrecht wird immer wieder neu erlebt, um es zu korrigieren. Bei Klaus ist die Rede vom erlebten Unrecht der ganzen Familie, das er von den Eltern mitbekommen hatte, und dem selbst erlebten in früher Kindheit.»
Franz Schumacher denkt nach einer Begegnung mit Rózsas Vater, dem Überlebenden von Auschwitz – «ein kleiner gebeugter Mann, wahnsinnig ängstlich wirkte er» –, «dass sich Klaus anstelle seines Vaters gegen die Willkür besonders engagiert. Der totalitäre Teil des Staates, den jeder Staat ein Stück weit in sich hat – der machte ihn rasend. Das hat damit zu tun, dass er gezeichnet war durch das Schicksal eines jüdischen Menschen im deutschen Konzentrationslager» (Zitat aus Film). Das heisst, das durch das Trauma des Vaters mitgeprägte Kind, kämpft, erwachsen geworden, den Kampf, den der Vater nicht gekämpft hat – bei jeder Gelegenheit.
Klaus Rózsa mit seinem Vater Egon Rózsa, in den Sechzigerjahren, in Zürich («Staatenlos», Erich Schmid)
Was hätte dein Vater gemacht, wenn er beim Hardturm im Auto gesessen hätte? Will ich wissen. «Nichts wie weg!» Rózsa antwortet ohne zu zögern. Bestätigt, der Vater sei «das Gegenteil von mir. Meine Mutter war wie ich. Dieses Aufbrausende, das Vehemente, vielleicht auch Rechthaberische – das habe ich von meiner Mutter, die aber sehr früh gestorben ist. Mein Vater war der harmoniebedürftigste, netteste, freundlichste, humorvollste Mensch, den man sich vorstellen kann. Nu nie Lämpe ha. Mit niemandem.» Klaus Rózsa ist anders als sein Vater. Das «Rózsa! Uswiis!» – das Thierry Frochaux über seine Filmbesprechung im P.S. setzt und auch Koni Loepfe im Kopf hängen geblieben ist – reizt ihn, polizeilichen Wegweisungen widersetzt er sich chronisch. «Ich bleibe stehen», imitiert er grinsend die Stimme eines trotzigen Kindes. «Es ist mein gutes Recht, da zu stehen.» Und verweist auf die erstrittenen Bundesgerichtsurteile.
«Diese Unrechtserfahrungen führten sozusagen seine Kamera immer wieder ganz nah an die Polizeiübergriffe heran, näher als andere Fotografen, die sich, etwa bei Krawallen, jeweils soweit wie möglich von Klaus entfernten, weil, wie ein Berufskollege es einmal ausdrückte, ‹die Gummigeschosse und das Tränengas immer dorthin flogen, wo Klaus stand›.» Schreibt Erich Schmid, der Klaus Rózsa einen Freund, seinen Film einen subjektiven Autorenfilm nennt. «Damit ist deklariert, dass die Wahrheit des Films meine Wahrheit ist, dass die Person, deren Geschichte ich darstelle, die Person ist, wie ich sie sehe und dass die Gesellschaft, die sich darin reflektiert, jene gesellschaftlichen Aspekte berühren, die mich beschäftigen.» Das hat auch der Journalist Björn Hayer von der NZZ – deren Lokalteil noch nie durch besonders polizeikritische Einlassungen aufgefallen ist – bemerkt. Der Filmer, schreibt er, ergreife «in seiner Schilderung eindeutig Partei für den umstrittenen Aktivisten», um dann – für das von uns damals als «alte Tante» verspottete Blatt überraschend – festzustellen: «Allerdings scheint dessen Causa auch derart skandalös, dass eine Ehrenrettung des Fotografen wohl als längst überfällig bezeichnet werden muss.» Eine offizielle Antwort auf Erich Schmids Forderung nach «Wiedergutmachung für die Nichteinbürgerung von Klaus Rózsa» steht noch aus.
Provokationen und Prügel
Klaus Rózsa lässt sich provozieren und provoziert. Immer wieder bin ich beim Schreiben dieses Textes mit Hinweisen auf seinen Anteil am Erlittenen, auf Ausfälligkeiten von seiner Seite konfrontiert. Zum Beispiel, wenn er irgendwo Antisemitismus wittert. Seit seiner ersten Reise nach Israel ist der «überzeugte Atheist» ein «knallharter Verteidiger Israels» (Rózsa über Rózsa). «Täglich verbringe ich rund zwei Stunden auf Facebook. Wenn ich Einträge von linken Antisemiten und Palästina-Verherrlichern entdecke, dann reagiere ich sofort.» Und das nicht immer freundlich, sondern einigermassen gnadenlos – auch gegenüber Befreundeten oder politisch durchaus Gleichgesinnten. «Ja, ja, ich bin ein impulsiver Mensch. Manchmal entschuldige ich mich im Nachhinein, wenn ich jemanden zu sehr heruntergeputzt habe.» Erzählt er im Magazin vom 17. September 2016 in der Rubrik Ein Tag im Leben von. «Natürlich gibt es Dinge, die man an Israel kritisieren kann. Allerdings nicht so viele wie an der Schweiz! Ich bekomme jedes Mal Lämpe, wenn ich sage, die Schweiz sei kein Rechtsstaat.» Wahrscheinlich, sicher würde auch ich mit ihm streiten – aus inhaltlichen Gründen, wegen seines teilweise aggressiven Gestus. Trotzdem irritieren mich die Verweise auf seine «Art», die Mitschuld an dem, was ihm zugestossen, suggerieren. Zwar wird die Legitimation polizeilicher Prügel umgehend dementiert, aber der Verweis wird in diesem Kontext gemacht. Muss ein aufbrausender, ein ausfälliger Mensch mit staatlichen Prügeln rechnen? Ist die Vorstellung entlastend, der Verprügelte habe die Prügel provoziert, hätte sie, alles in eigener Hand, auch verhindern können?
Perspektivenwechsel. Ich melde mich am Empfang des Amtshauses 1, zu einem vereinbarten Gespräch mit Stadtrat Richard Wolff, den ich seit jenen Achtzigerjahren nicht mehr gesehen, aber natürlich gewählt hätte und wieder wählen würde, wenn ich in der Stadt Zürich stimmberechtigt wäre. Für das von ihm mit-herausgegebene Buch «Zürich ohne Grenzen» habe ich damals einen Beitrag mit dem Titel «Alternativen in den goldenen Klauen der Institutionen» geschrieben. Der persönliche Mitarbeiter des Vorstehers des Sicherheitsdepartementes holt mich ab. Macht mich auf die kürzlich restaurierten Fresken von Augusto Giacometti in der Eingangshalle aufmerksam. Kunst am Bau. Als wir im Lift sind, poltert eine Gruppe von Uniformierten die Treppe hinunter. In Vollmontur. Nicht in der vertrauten Demo-Ausrüstung, sondern mit kugelsicheren Westen und Maschinenpistolen, soweit ich das in der Kürze richtig sehe. Erinnerungen an Sondertruppen, Spezialeinheiten in Krimis. Der Mitarbeiter murmelt, da müsse etwas Grösseres los sein, das sähen auch sie nicht alle Tage. Zeiten des Terrors. Geht es mir reflexartig durch den Kopf. Ein bewaffneter Raubüberfall im Niederdorf. Werde ich später belehrt. Die Vorwürfe an die Polizei, denke ich, wären heute andere als damals. Nicht zu viel, sondern zu wenig polizeiliche Präsenz und Härte, würden sie parteiübergreifend, fast unisono kritisieren. «Wenn etwas passiert», bestätigt mir der Stadtrat diese Vermutung, «heisst es schnell einmal, wir hätten alles falsch gemacht.»
Richard Wolff, Stadtrat «Alternative Liste» und Sicherheitsvorsteher der Stadt Zürich
Der Sicherheitsvorstand und der Polizistenschreck
Seit 2013 gehört Richard Wolff zu diesem «Wir», wir von der Polizei. Damals ist der Gemeinderat der Alternativen Liste in den Zürcher Stadtrat gewählt worden. Er ist für keinen der polizeilichen Übergriffe gegenüber Klaus Rózsa verantwortlich, mit dem er in Achtzigerjahren noch nach Wien fuhr, um im Café Schwarzenberg die österreichischen Medien über das Projekt Kanzlei und dessen Gefährdung zu informieren. Und er weiss: «Der Klaus ist halt immer mit dem Fotoapparat zuvorderst gewesen und hat Dinge dokumentiert, die die Polizei nicht dokumentiert haben wollte. Dadurch ist er automatisch ein Feindbild der Polizei gewesen.» Darf man die Arbeit der Polizei dokumentieren, auch wenn sie dabei ist, Leute zusammenzuschlagen? «Grundsätzlich ja, das ist Pressefreiheit.» Hält er fest, um dann zu betonen, dass auch der Polizist «Persönlichkeits- und Schutzrechte» habe. Der Polizist, der natürlich auch eine Polizistin sein kann, dürfe auf Fotos nicht erkennbar sein. Und Rózsa sei ihnen «sehr, sehr nahe gekommen». Nun können ja Polizistinnen und Polizisten ganz generell mit Leuten zu tun haben, die sie – was ich Klaus Rózsa nicht unterstellen möchte – massiv provozieren, sie beschimpfen oder gar bedrohen, trotzdem – müssten sie aufgrund ihrer professionellen Ausbildung nicht in der Lage sein, so eine Situation zu beruhigen, ohne diese Leute zusammenzuschlagen? «Auf jeden Fall. Das muss so sein. Das ist heute auch so. Das lernen die Polizisten, und das können sie auch.»
Würdest du sagen, so etwas wie beim Hardturm 2008 könnte nicht mehr passieren? «Nie mehr? Das wäre eine gewagte Behauptung. Aber man muss schon das Klima sehen, das damals geherrscht hat und das heute nicht herrscht. Aber sicher sein, dass nie ein Fehler passiert, kann ich nicht. Fehler passieren immer wieder – die Frage ist, wie man damit umgeht.» Es werde viel Schulung betrieben, viel Psychologie. Im Rahmen des Programms «Einsatzkompetenz» würden Polizist_innen in gestellten Situationen mit Schauspieler_innen trainieren, Situationen, «in denen du bis aufs Blut gereizt wirst. Damit lernen sie umzugehen, und das funktioniert auch in 99% der Fälle. Dann, glaube ich, bleibt ein Rest, da wird man auf das Urmenschliche zurückgeworfen, da wirst du so aufs Blut geärgert, dass du wirklich wütend wirst – wie der Zidane. [Der französische Starspieler Zinédine Zidane musste im WM-Final 2006 in Berlin, in seinem letzten Spiel als Profifussballer, den Platz vorzeitig verlassen, nachdem er den Italiener Marco Materazzi mit einer Kopfattacke zu Boden geworfen hatte.] Aber auch in einer solchen Situation wird sich ein Polizist nicht provozieren lassen.» Weiss der Vorsteher des Sicherheitsdepartementes.
Die beiden, Wolff und Rózsa, sind nach teilweise gemeinsamer Vergangenheit ungleiche Wege gegangen. Der eine wird als «Polizistenschreck» (Thierry Frochaux) mehrfach verprügelt und verletzt, bleibt wegen drei Mal verweigerter Einbürgerung während Jahrzehnten staatenlos, verlässt schliesslich, zumindest vorübergehend, das Land, in dem seine Familie Zuflucht gesucht, in dem er aufgewachsen ist und sich in verschiedenster Form politisch engagiert hat. Der andere wird nach Tätigkeiten bei verschiedenen NGO-Organisationen als Stadtentwicklungsforscher und –berater Sicherheitsvorsteher der grössten Stadt der Schweiz.
Der eine, Wolff, weiss – die Polizei von 2017 ist nicht die Polizei von 1980 (oder 2008?), das Image der Polizei, die damals von der «Bewegung» als «Trachtengruppe Urania» apostrophiert wurde, ist besser geworden. «Wenn du die Bevölkerungsbefragungen anschaust – unglaublich. 35 Jahre haben wir gebraucht, um alles, was in den Achtzigerjahren schief gelaufen ist, wieder gerade zu biegen. Die Leute, die jetzt an der Macht sind, an den Schalthebeln, die erfahrenen grauhaarigen Männer und die paar Frauen, die sind ja mit einer Art Grundmisstrauen sozialisiert worden. Damals hat es einen mainstream gegeben, der sehr kritisch gegenüber der Polizei gewesen ist. Ich glaube, in den Achtzigerjahren hat man viele Fehler gemacht, nicht einmal in erster Linie die Polizei, sondern die Politik. Die Polizei musste den Kopf hinhalten für die Politik, die nicht immer gut agiert hat. Das Grundmalaise war ein politisches, nicht ein polizeiliches.» Sozialarbeiterinnen und Jugendarbeiter, Frauenhäuser und Männerberatungsstellen haben heute kaum mehr Berührungsängste und arbeiten einigermassen einvernehmlich mit der Polizei zusammen. Ein gutes Zeichen? Ist die Polizei unter meist linksgrüner «Führung» eine andere oder sind die anderen unkritischer gegenüber der Staatsgewalt geworden? Weil sie sich in Zeiten des Terrors nach mehr Sicherheit sehnen, auch um den Preis von mehr Repression und Überwachung?
Der andere, Rózsa, hält die Polizei noch immer für eine «potenziell gewalttätige Vereinigung». «Warum sage ich das so absolut – erstens aufgrund dieser jahrzehntelangen Erfahrungen; zweitens weil es überhaupt keine Rolle spielt, wer Polizeichef ist.» Der eine, Wolff, glaubt an den Rechtsstaat. Sonst könnte er das nicht machen. «Ich glaube, wir haben einen guten Staat, aber natürlich macht auch der Fehler.» Der andere, Rózsa, hat den traumatisierten Blick des Geschlagenen und Bedrohten. Der eine, Wolff, stellt sich, wie jeder gute Chef, vor seine Mitarbeitenden und würde sie höchstens intern kritisieren.
Wer wäre ich mit der Geschichte des einen oder des anderen geworden? Wie würde ich heute in der Rolle des einen beziehungsweise des anderen reden und handeln?
Heiden ist nicht Zürich ist überall
«Wo sind all die anständigen Polizisten», will der andere, Rózsa, wissen, «wenn sie immer von den paar wenigen schwarzen Schafen reden – wieso wird dann nie einer von denen entlassen.» Einer von denen, die an Übergriffen beteiligt sind. «Es gibt kein Beispiel dafür, dass ein Polizist einen anderen bremst und sagt: ‹Geht’s noch! Hör‘ auf!›» Auch vor Gericht würden sie sich gegenseitig decken. Immer. Kameradschaftsgeist? Korpsgeist? Wer müsste heute eher eine neue Stelle suchen – der Polizist, der die Kollegin kritisiert, vielleicht sogar bei vorgesetzter Stelle meldet, oder jener, der kräftig zugegriffen hat?
Was würde er, wäre er der für die Polizei zuständige Stadtrat, was er nie sein wird, was würde er tun, frage ich Klaus Rózsa. «Du kannst die Polizei nicht von einem Tag auf den anderen abrüsten in Zürich, das würde wahrscheinlich eine Katastrophe werden. Man sollte es langsam versuchen. Zum Beispiel keine Polizisten in Vollmontur bei (Nach-)Demonstrationen am 1. Mai. Polizisten in normaler Uniform, ohne Helm, ohne Kampfausrüstung, keine Gummigeschosse. Viel, viel mehr Zurückhaltung, aber das braucht 10, 20 Jahre in Zürich, weil die sich daran gewöhnt haben, dass sie immer grad einfahren, als sei die Demokratie in Gefahr, als gäbe es grad eine Revolution, wenn sie jetzt nicht kommen würden. Weg von diesem martialischen Auftreten, die Relationen wahren und anerkennen, dass Demonstrationen Platz haben müssen. Das ist das Recht auf Meinungsäusserung, kein Recht auf Sachbeschädigung, und das gehört in die Demokratie.» Sagt der Fotograf und Aktivist. Und will es als gut gemeinte Tipps für den Stadtrat, für den Richi, verstanden wissen. Der hält zum Stichwort Gummigeschosse fest: «Gummigeschosse gibt es bei uns nicht. Das ist Gummischrot. Es ist bei Ausschreitungen, also im sogenannt unfriedlichen Ordnungsdienst, eben wichtig, Distanz zum Gegenüber zu halten. Damit es nicht zum Nahkampf kommt mit Schlagstöcken, sprich ‹Mann gegen Mann›. Für die Sicherheit der Polizisten ist das wichtig. Gummischrot ist das letzte Mittel, und es muss mit einer Mindestdistanz eingesetzt werden, der Einsatz muss verhältnismässig sein.» Hält der Stadtrat von der Alternativen Liste fest. Jene, die, damals, ein Auge verloren haben, wird es nicht trösten.
Sehen die Besucherinnen und Besucher des Kinos Rosental im Film «Staatenlos – Klaus Rózsa, Fotograf» ein längst vergangenes oder ein jederzeit mögliches Zürich? «Bei uns hätte es das nicht gegeben.» Sagt eine Frau im Publikum, sagt es bestimmt. Was meint sie damit? Dass Fotografinnen Polizisten so nahe kommen, dass die nervös werden? Dass Polizistinnen Pressefotografen spitalreif schlagen? Dass Gerichte polizeiliche Übergriffe nicht verurteilen? Dass Polizistinnen Kollegen decken, die geprügelt haben? Das erfahre ich nicht mehr. Der Bus, der mich westwärts und noch rechtzeitig nach Zürich zurück bringt, fährt, bevor die Diskussion in Heiden so richtig beginnt. Das gäbe es bei uns nicht. Ist Zürich doch nicht überall, wie ein Freund und ich damals als Titel über ein Buch zu den Zürcher Unruhen schrieben: «Paranoia-City oder Zürich ist überall»?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Jürgmeier war in den Achtzigerjahren u.a. Sekretär des Vereins Pro AJZ.
Folgende Aussage des Sicherheitsirektors Richard Wolff ist problematisch: „Der Polizist dürfe auf Fotos nicht erkennbar sein. Und Rózsa sei ihnen «sehr, sehr nahe gekommen».“ Denn: Wenn man Polizisten beim Einsatz fotografieren darf, was laut Gesetz möglich ist, dann ist es unmöglich so zu fotografieren, dass Polizisten nicht erkennbar sein dürfen. Die Forderung nach Anonymität von Polizisten ist gefährlich. Wie man in meinem Film sieht, war es die Anonymität, die es den Polizisten erlaubte, engagierte junge Leute mit anonymen Telefonaten aus der Hauptwache mitten in der Nacht zu wecken und mit Morddrohungen zu belästigen. Hundertfach, mehrhundertfach. Und Polizeispitzel, die zu Brandanschlägen aufriefen, in die Szene einzuschleusen, um das Kanzleizentrum in Verruf zu bringen, welches dann prompt geschlossen wurde. – Das ist das Eine zu Wolffs Aussage. Das andere wurde auch immer wieder behauptet, obschon es nicht wahr ist: Klaus Rózsa hat nicht „sehr nahe“ Porträts von Polizisten geschossen, um sie in linken Publikationen zu denunzieren. Das ist eine uralte Behauptung, mit der die Polizei immer wieder die Schläge rechtfertigte, die Klaus einstecken musste.