Kanton Wallis: Neue Stauseen im Multi-Pack
Wie heikel das Dossier ist, zeigt die Antwort des Walliser Energieministers Roberto Schmidt und seines Wasserkraft-Chefs Joël Fournier. Auf die Frage von Infosperber, wo der Kanton Wallis den Bau neuer Staumauern beziehungsweise die Erhöhung bestehender Staumauern zur Stromproduktion vorschlägt, teilten die beiden mit, «dass wir im Moment noch keine zusätzliche Informationen geben werden. Es ist zuerst nötig, detaillierte Informationen mit den Gemeinden zu diskutieren».
Im Hauptfokus steht die Region Goms-Aletsch
Der Hintergrund: Ende Oktober veröffentlichte der Kanton Wallis eine Potential-Studie zur Frage, wo die Wasserkraft im Wallis ausgebaut werden könnte (siehe Kasten unten). Was auffällt: Im Hauptfokus steht die Region Goms-Aletsch, in der schon heute ein Grossteil der Wasserläufe zur Stromerzeugung genutzt wird. Gleich vier neue Stauseen und den Ausbau des Gries-Stausees führt die Studie auf.
Konkret: 1’000 Gigawattstunden (GWh) der insgesamt 2’250 GWh des von der Studie identifizierten Wasserkraft-Potentials im ganzen Wallis sollen im Goms-Aletsch-Gebiet erzeugt werden und dort grösstenteils in nationalen Schutzgebieten.
Verfasst hat die Studie die Walliser Elektrizitätsgesellschaft («Forces Motrices Valaisannes», FMV) im Auftrag der Walliser Regierung. Pikantes Detail: Von der Staumauer-Offensive in der Region Goms-Aletsch würde vor allem die Walliser Elektrizitätsgesellschaft profitieren. Sie könnte damit ihre bislang geringe Winterstromproduktion von heute rund 330 GWh auf 1330 GWh vervierfachen.
Da kann es nicht schaden, wenn die FMV einen direkten Draht in die Walliser Regierung hat. Denn Energie-Minister Roberto Schmidt sitzt auch im FMV-Verwaltungsrat und ist damit gleichzeitig Auftrageber und Auftragnehmer der Studie.
Heimlichtuerei der Walliser Regierung erstaunt
Doch wo sollen diese Staumauern im Goms-Aletsch-Gebiet gebaut werden? Die Heimlichtuerei des Walliser Energiedepartements erstaunt, denn die Standorte lassen sich aus einer Grafik der Studie ohne Weiteres herauslesen. Namentlich erwähnt werden die einzelnen Staumauer-Projekte allerdings auch in der Studie nicht.
Als «Standort mit Winterstrom-Potential» ist in der Grafik auch der Rhonegletscher eingezeichnet. An dessen Fuss ist in den letzten 12 Jahren ein landschaftlich und touristisch attraktiver Gletschersee entstanden. Das ganze Gebiet des Rhonegletschers mit dem Gletschersee und dem Gletschervorfeld liegt im Schutzgebiet «Rhonegletscher mit Vorgelände», das Teil des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) ist.
Eine ETH-Studie lässt die Katze aus dem Sack
Brisant ist dabei die Frage, ob die Speicher-Kapazität mit einer Staumauer erhöht werden soll. In der Walliser Studie ist nur allgemein von der Nutzung von «neuen natürlichen Seen» die Rede. In einer Grafik ist keine Mauer eingezeichnet.
Ein See ohne Staumauer? Das erstaunt. Damit könnte nur vergleichsweise wenig Wasser für die Stromproduktion im Winter genutzt werden. Lässt hier die Walliser Regierung die Katze also noch nicht aus dem Sack? Der Weg zur Beantwortung dieser Frage führt über einen Quellenverweis am Schluss der Walliser Potential-Studie auf einen Artikel im Magazin des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbandes und schlussendlich per Link auf die zugrundeliegende wissenschaftliche ETH-Studie.
Auf Seite 86 der ETH-Studie schliesslich wird man fündig. Dort ist für eine Speicherkapazität von 46 Millionen m3 (46 hm3) von einer 100 Meter hohen Staumauer am Fuss des Rhonegletschers die Rede. Falls die Produktion auf den Winter ausgerichtet wird, müsste die Speicherkapazität laut Studie sogar auf 52 Millionen m3 erhöht werden.
Zwei weitere Staumauern im BLN-Schutzgebiet
Neben dem Stausee am Rhonegletscher träumt die Walliser Regierung von zwei weiteren Staumauern im BLN-Schutzgebiet «Berner Hochalpen und Aletsch-Bietschhorn», nämlich am Fusse des Oberaletschgletschers, einem nördlichen Seitengletscher des Grossen Aletschgletschers, und am Fusse des Fieschergletschers bei Fiesch/Fieschertal. (Bilder: Google Earth)
Eine Staumauer im Landschaftspark Binntal
Zudem propagiert die Walliser Regierung eine weitere Staumauer im Chummibort, das im Perimeter des Landschaftsparks Binntal liegt, einem regionalen Naturpark von nationaler Bedeutung, dessen Ziel unter anderem «die Erhaltung und Aufwertung der Qualität von Natur und Landschaft» ist.
Der Widerstand ist vorprogrammiert
Alle diese Projekte werden auf harten Widerstand von ökologischer und touristischer Seite stossen. Die Weigerung der Walliser Regierung, die potentiellen Standorte zu nennen, ist der Beweis dafür, dass sie selber nicht an diese Luftschlösser glaubt.
Das Wallis hat bereits genügend Stauseen, um den Solarstrom zu speichern, wenn die Sonne endlich auch über der Walliser Elektrizitätsgesellschaft aufginge. Statt einer Stausee-Offensive mit grossen finanziellen Risiken braucht es eine zukunftsgerichtete Solar-Offensive.
Wasserkraft-Offensive des Kantons Wallis und des Bundes
(ktm) Mit seiner Stausee-Offensive möchte der Walliser Staatsrat zusammen mit der Walliser Elektrizitätsgesellschaft, die den Gemeinden und dem Kanton gehört, insgesamt eine zusätzliche Winterstrommenge von 2’250 GWh produzieren, was einer Erhöhung der Walliser Winterstrom-Produktion um 50 Prozent entspräche (von 4500 auf 6750 GWh). Zum Vergleich: Im Durchschnitt beträgt die jährliche Winterstrom-Produktion der Schweizer Wasserkraft rund 15’000 GWh.
Laut der Potential-Studie soll der Grossteil (85 Prozent oder 1’900 GWh) des Winterstrom-Potentials durch den Bau neuer Stauseen erfolgen, vor allem in den Regionen Aletsch/Goms (5 Standorte, 1’000 GWh), Grande Dixence (3 Standorte, 600 GWh) und Mauvoisin (4 Standorte, 300 GWh). Insgesamt propagiert die Walliser Regierung 19 neue beziehungsweise ausgebaute Staussee-Projekte (blaue Punkte in der folgenden Grafik). 80 Prozent der propagierten Projekte liegen laut der Studie in Schutzgebieten.
Auch die vom Bund kürzlich publizierten Energieperspektiven rechnen mit einer massiven Steigerung der Stromproduktion aus Wasserkraft auf 45’000 GWh im Jahr 2050. In der Energiestrategie 2050 ging der Bund noch von einem Zielwert von 38’600 GWh aus.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES).
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES).
Die Natur wäre am besten geschützt, wenn man neue Atomkraftwerke bauen würde.
Nun, man ist entweder für Ökologische und unabhängige Stromgewinnung, oder man bietet den Touristen halt kalte Zimmer an. Mal sehen, was mehr stören würde. Ob dort nun ein AKW entstehen müsste, um Schneekanonen und Skilifte betreiben zu können, oder ein Stausee für zukünftige «Touristenattraktionen» bereitsteht,"Schön und Malerisch» wird man beides nicht bezeichnen. Die Staumauer könnte man aber wenigstens bemalen,und sie so selber zu einer Touristenattraktion machen. Idee?
Na ja, wie haben eine Klimakrise. Ein Weg um aus dieser Krise zu kommen ist, dass wir uns den erneuerbaren Energien zuwenden, die kaum CO2-Emmissionen verursachen. Eine dieser Energien ist die Wasserkraft. Deshalb müsste sich eigentlich das Links-Grüne Lager mit aller Kraft für den Ausbau der Wasserkraft einsetzten. Das ist genau die Energie, die sich in der Schweiz anbietet. Leider kommt der Widerstand gegen solche Projekte immer von Links-Grün, ohne dass sie in der Lage wären, Alternativen aufzuzeigen. Wir müssen unbedingt einen ideologisch neutralen Weg finden, um unsere Ressourcen so gut wie möglich zu nutzen. Und da kommen die Projekte aus dem Wallis im Sinne einer zielgerichteten und sinnvolle Klimapolitik genau recht.
Vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel.
Grundsätzlich möchte ich Roberto Schmid und Joël Fournier zuerst etwas in Schutz nehmen. Es handelt sich hier um eine Studie, und es wäre in deren Positionen völlig verantwortungslos, über das Thema der Wasserkraftnutzung und deren Potential keine Machbarkeitsstudie zu erstellen.
Auf lange Sicht gesehen wird als Energieträger der Zukunft nur die Sonnenenergie in ihren diversen Erscheinungsformen übrigbleiben. Es wird daher auch notwendig sein, eine Zwischenspeichertechnologie zu entwickeln, mit der sonnenlose Zeiten überbrückt werden können. Wasser hochzupumpen und bei Bedarf wieder runterzulassen ist eine, gerade im Wallis naheliegende Möglichkeit. Und da beginnt das Dilemma. Wieviel Naturschutz, wieviel Energiezukunft, wo liegt das
vernünftige Mittelmass oder der gutschweizerische Kompromiss ?
Auf alle Fälle ist es wichtig, mal zu wissen, was denn überhaupt möglich wäre, und dafür ist eine Studie perfekt.
Und jetzt kann nach Alternativen gesucht werden oder das kleinere Übel favorisiert werden. Die klimatischen Veränderungen der Zukunft werden zudem alle Argumente für die Speicherung von Trinkwasser in den Bergen liefern, ob dann daraus
nebenbei noch Strom erzeugt wird, wird in Zukunft vermutlich nebensächlich sein.
Die Projekte sind viel zu wenig konsequent liebe Walliser. Aktualisiert doch das Projekt (oder war es ein April-Scherz?) aus dem letzten Jahrhundert: Eine hohe Staumauer bei Martigny und dann das ganze Unterwallis fluten. Der Nutzen wäre ein doppelter: Viel Ökostrom für die Nation und weniger Gstürm für die Üsserschwizer
Weshalb wird hier mit keiner Silbe erwähnt, dass Stauseen unter den sterbenden Gletschern absolut nötig sind? Nur mit Stauseen kann das Wasser gespeichert werden wenn die Gletscher geschmolzen sind.
Man könnte doch den Stausee auf dem dann «ehemaligen» Gebiet der LONZA stauen. damit man sich dort nicht mit Reinigungsarbeiten in die roten Zahlen wirtschaftet. Das bisschen Quecksilber im Wasser hält doch jeder Säugling aus., und wenn nicht, profitieren die Krankenkassen, Pharma, Spitäler und Versicherungen daran. Win-Win nennt man solche Fantastereien in der Wirtschaft. Zumal Problembewirtschaftung das lukrativste aller «Nachhaltigen» Wirtschaftssysteme ist.Wie könnte man da nur dagegen sein? (Ja, ich habe meine Ironie für heute verbraucht. Ich bin ein Verschwender, ich weiss.)
Danke für die Recherche! Wasserkraft ist die «erneuerbare» Energie mit den höchsten Kosten, was Zerstörung von Natur und Lebensqualität angeht. Nun hat das Oberwallis gerade mal eine neue Leitung zum Teil unter Niederlegung des (ohnehin schon grossräumig sterbenden) Bannwalds installiert, damit die bereits jetzt produzierte Wasserkraft auch dahin abgeführt werden kann, wo sie gebraucht wird, das war ja bisher gar nicht durchgehend möglich. Von der Nutzung von Solarenergie auf den Sonnenterassen oder auf den Dächern der Lonza und SBB oder an den Lawinenverbauungen ist noch keine Spur zu sehen. Auch der zuverlässig fast täglich wehende thermisch bedingte Talwind wird nirgends genutzt, dazu müsste man noch nicht mal die Berglandschaften mit Riesenwindrädern verunstalten. Es wäre offensichtlich intelligenter, damit mal anzufangen und die bestehenden Wasserreservoire für die Speicherung dieser Energien zu nutzen, bevor man wieder Grossprojekte anvisiert, die so viel kaputt machen. Die verschiedenen Optionen und Entwicklungspfade und wer woran verdient gehören auf den Tisch!
Einmal mehr ein fundierter, faktenbelegter Beitrag eines hartnäckigen Journalisten. Danke Kurt Marti.
Und einmal mehr die unsäglichen Reaktionen gewisser ‹Üsserschwizer›. Wo leben wir eigentlich?