Journalismus-Club hängt am Tropf der Lobby
Angenommen, das Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) oder das Nuklearforum oder die AKW-Betreiber würden regelmässig Weiterbildungs-Seminare und sogar einen Recherche-Fonds der Onlineplattform Infosperber sponsern. Das würde doch zurecht grosse Zweifel an unserer Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit wecken, auch wenn wir behaupten würden, wir liessen uns dadurch überhaupt nicht beeinflussen.
Genau das ist das Problem des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus (SKWJ). Seit seiner Gründung im Jahr 1975 sponserte die Interpharma, der Lobby-Verband von 17 Pharma-Unternehmen, die Gesundheitsseminare des Klubs, dessen 370 Mitglieder eigentlich der Pharmabranche auf die Finger schauen sollten. Im November 2013 fand das Weiterbildungsseminar in Neuenburg statt, und zwar ausgerechnet zum Thema «Unheilige Allianz: Interessenkonflikte zwischen Ärzten und Pharmaindustrie». Als Diskussionsteilnehmer war selbstverständlich auch der grosszügige Sponsor und Interpharma-Generalsekretär Thomas Cueni dabei. Anmeldungen konnten direkt über eine Mail-Adresse der Interpharma vorgenommen werden.
Vom Alleinsponsor zu fünf Sponsoren
Erst nach einer 40-jährigen Zusammenarbeit mit der Interpharma regte sich im Klub für Wissenschaftsjournalismus die Kritik am Alleinsponsor, denn die unheilige Allianz von Ärzten und der Pharmaindustrie war durchaus vergleichbar mit der unheiligen Allianz des Klubs mit der Interpharma. Kurzum: Der Klub fürchtete zurecht um seine Glaubwürdigkeit und beschloss im Juni 2013, sich von seinem Alleinsponsor Interpharma abzunabeln und ihm ein Co-Sponsoring mit folgenden Partnern schmackhaft zu machen: Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz VIPS, Sandoz-Familienstiftung, Krankenversicherer Helsana und die Stiftung Krebsforschung Schweiz.
Dieser Schritt vom Alleinsponsor «macht insbesondere die Journalistinnen und Journalisten unter uns ein stückweit unabhängiger und vor allem weniger angreifbar», schrieb Felix Straumann, SKWJ-Vorstandsmitglied und Wissenschaftsredaktor des Tagesanzeigers, im Klub-Bulletin vom letzten November. Zum «Bedauern» des Klub-Vorstandes wollte sich die Interpharma nicht zum Teil-Sponsor degradieren lassen und verabschiedete sich als Seminar-Sponsor. Laut dem Klub-Vorstand wäre die Interpharma «natürlich jederzeit willkommen», sich am Seminar-Sponsoring zu beteiligen, das jährlich 27 000 Franken einbringt.
Interpharma mit eigenem Gesundheitsseminar
Dass die Initiative zur Trennung vom Alleinsponsor Interpharma vom Klub der Wissenschaftsjournalisten ausging, ist die offizielle Sicht, wie sie im Klub-Bulletin dargestellt wird. Laut gut informierten Quellen war es aber mindestens so sehr der Wille der Interpharma, das Sponsoring des Klubs aufzugeben, weil bei den letzten gesponserten Tagungen zu viele kritische Geister zu Wort gekommen seien.
Ganz vom Gesundheitsseminar trennen wollte sich die Interpharma dennoch nicht und lud im Juni 2014 zum ersten «Gesundheitsseminar für Wissenschaftsjournalisten» ohne den Klub der Wissenschaftsjournalisten ein. Weil die grafische Gestaltung und der Name stark an die bisherigen Gesundheitsseminare in Zusammenarbeit mit dem SKWJ erinnerten, sah sich der Klub-Präsident Olivier Dessibourg gezwungen, die Klub-Mitglieder zu informieren, dass «der SKWJ nicht an der Organisation des Seminars beteiligt gewesen» sei und dass die Einladung «ausschliesslich von Interpharma» ausgegangen sei. Unterdessen hat die Interpharma die Einladung für ein nächstes Seminar an Journalisten verschickt.
Wissenschaftsjournalisten machen grosse Freude
Neben dem Gesundheitsseminar-Sponsoring kennt der Klub der Wissenschaftsjournalisten zwei weitere Sponsoring-Varianten, nämlich den Recherchierfond und die Tombola. Letztere war «einer der Höhepunkte» der 40-Jahr-Feier von Ende August und wurde u. a. vom Teilchenforschungs-Zentrum Cern, von IBM, von der ABB und der ETH Zürich gesponsert. Beispielsweise das Cern hat allen Grund zur Dankbarkeit gegenüber dem Schweizer Wissenschaftsjournalismus: Die Entdeckung des Higgs-Teilchens und der nachfolgende Nobelpreis wurden in den Schweizer Medien ehrfürchtig und beinahe frei von Kritik gefeiert.
Die dritte ergiebige Sponsoring-Quelle des Klubs ist der Recherchierfond, der von rund 20 Firmen, Lobby-Verbänden und Institutionen mit einem jährlichen Mitgliederbeitrag von 500 Franken gespiesen wird. Dazu gehören die Lobby-Verbände Interpharma und Scienceindustries, die Konzerne Novartis, Roche und Nestlé, das Bundesamt für Energie (BFE), die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), das Paul Scherrer Institut (PSI), die fünf Universitäten Basel, Luzern, Lausanne, Genf und Neuenburg, die ETH Lausanne und die Akademien der Wissenschaften. Als letztere ihr atomenergiefreundliches Zukunftspapier veröffentlichten, rapportierten die Schweizer Medien brav und ohne geringste Misstöne.
Aus dem Recherchier-Fonds vergibt der Klub jedes Jahr einen Beitrag an ein wissenschaftsjournalistisches Projekt. Im letzten Jahr durfte sich der Wissenschaftsjournalist und langjährige Fernsehmoderator Beat Glogger über 4000 Franken freuen, die er für sein Roman-Projekt zur Gehirnforschung erhielt. Glogger ist Gründer und Chef der Scitec-Media, zu deren Auftraggebern im Jahr 2009 auch die Interpharma gehörte.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Vielen Dank für diese ausgezeichnete Recherche! Das sind sehr interessante Hintergründe zum sog. «Wissenschaftsjournalismus», der offenbar weder mit Wissenschaft noch mit (seriösem) Journalismus etwas zu tun hat.
Die wissenschaftskritischen Essays des Physikers Eduard Kaeser (Bern), die Jahr für Jahr erscheinen, wiegen mutmasslich das Gewicht eines jedweden Klüngels auf, undenkbar, dass einer von diesem Niveau dazu gehört. Nicht zu vergessen bleibt, dass auch staatliche Unterstützung Anpassungsleistungen zur Bedingung hat.
Es ist nicht zutreffend, dass Interpharma Mitglied der vips Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz ist.
Martin Rubeli, vips Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz
Unabhängige Wissenschaftsjournalisten haben eine sehr schwierige Aufgabe, sie sollen wohl «ausgehungert» werden.
Wie könnte die unabhängige Berichterstattung gestärkt oder gar gewährleistet werden? Gibt es überhaupt Möglichkeiten in unsrer Wohlstandsgesellschaft?
E steht Ihnen frei, die Fakten so darzustellen, Herr Marti. Wenn Sie meine Meinung zu Ihrem Artikel hören möchten: Ich finde es inakzeptabel und unjournalistisch, Berufskolleginnen und -kollegen anzuschwärzen, noch dazu, ohne mit den zitierten Personen direkt gesprochen zu haben (aber natürlich, Sie haben ja Ihre «gut unterrichteten Quellen»…). Übrigens: Auch ein Redaktionsmitglied von «Infosperber» ist SKWJ-Mitglied und nimmt regelmässig an den gesponserten Klub-Anlässen teil – so auch neulich in Thun, am Gesundheitsseminar zum Thema «Choosing wisely». Wie kommt es, dass Ihnen dieses Detail entgangen ist?
Besten Dank für Ihren Hinweis, Herr Rubeli. Interpharma figuriert zwar auf der VIPS-Internetseite unter «Partner & Links/Verbände und Organisationen», aber nicht unter den Mitgliedern. Ich habe den entsprechenden Satz korrigiert.
Frau Dietschi, das von Ihnen erwähnte «Detail» ist mir keineswegs entgangen.
Schade wenn konstruktive Kritik in Destruktivismus ausartet. Sponsoren des SKWJs tragen dazu bei, dass sich Wissenschaftsjournalisten regelmässig treffen und austauschen können – eine Bereicherung vor allem für Freischaffende, die ihren Beruf ohne viel Austausch mit Berufskollegen ausüben müssen. Die Wahl der Themen und Formulierungen von Berichterstattungen bleibt jedoch jederzeit jedem SKWJ-Mitglied frei. Ob seine Artikel den SKWJ-Sponsoren nun gefallen oder nicht, bezahlen diese seine Texte nicht. Anders scheinbar die Infosperber-Lobbyisten – „ähnliche Artikel dank Ihrer Spende“ ;-).
Ach wirklich, Herr Marti? Dann frage ich mich wirklich, von welchem Kleingeist Sie sich haben instrumentalisieren lassen.
Herr Marti, da sind Sie offenbar jemandem kräftig auf die Füsse getreten. Lassen Sie sich nicht bereindrucken: Das Verhalten von Interpharma illustriert die Berechtigung ihrer Kritik aufs beste.
Olivier Dessibourg, Präsident Schweizer Klub für W-Journalismus SKWJ:
Outre le ton, qui veut faire croire le contraire de ce que vous écrivez, votre texte souligne en effet à quel point, malgré le financement de notre «séminaire-santé» par Interpharma, le SKWJ était totalement libre d’en choisir les thèmes et participants. Au point, comme vous le dites, d’avoir eu des débats avec des voies très critiques contre la pharma. Les inviter n’était-il pas le rôle des journalistes?
Nous avions décidé en 2012 déjà de ne plus dépendre d’un seul sponsor, mais d’en avoir cinq, pour assurer la survie du séminaire si l’un nous quittaient.
Cette situation a conduit Interpharma à lancer son propre séminaire. Or elle a réalisé son invitation selon le même format graphique que jadis avec nous, ce qui a induit en erreur nos membres. Je regrette que, si vous le saviez, vous n’ayiez pas officiellement demandé à Interpharma pourquoi.
Je regrette aussi que, pour un article entier pointant notre association, vous n’ayez pas tenter de nous contacter, selon les règles de base du journalisme. Je vous aurais expliqué que la Tombola n’est pas du sponsoring, mais fut une façon d’égayer la soirée de 40 ans. Les entreprises citées ont donné qui UN livre (le CERN), qui DEUX T-shirts (IBM), qui CINQ tourne-vis (METAS), etc… Dire que le CERN est reconnaissant envers les bienveillants journalistes n’est-il pas exagéré? Ou plutôt une manière de faire reparler de votre article polémique sur la question?
Der Nebensatz «weil bei den letzten gesponserten Tagungen zu viele kritische Geister zu Wort gekommen seien» zeigt doch wie unabhängig der Klub, trotz der Abhängigkeit von Sponsoren agiert. Ich verstehe aufgeregten Unterton des Artikels deshalb nicht.
Es wäre interessant zu sehen, ob die Klubmitglieder/Seminarteilnehmer/Beitragsempfänger tatsächlich unkritischer berichten als die Nichtmitglieder. Ich vermute eher das Gegenteil, aber als Klubmitglied/Seminarteilnehmer/Beitragsempfänger bin ich da natürlich befangen und Belegen kann ich das natürlich ebensowenig wie der Autor des Artikels.
Man müsste auch bei Infosperber einmal schauen, wieviel die Schreibenden selber «spenden». Irgendwoher muss ja Geld kommen und wenn man jede Finanzierungsquelle genügend durchleuchtet, findet man immer irgend etwas, das als krumm ausgelegt werden kann. Im hier beschriebenne Fall scheint der Club jedenfalls von sich aus tätig geworden zu sein und darüber könnte man eigentlich auch einen positiven Bericht schreiben.