Sperberauge
Johann Schneider-Ammann auf SGB-Kurs
Ausgerechnet der freisinnige alt-Bundesrat Johann Schneider Ammann schwenkt im Streit um das Institutionelle Abkommen mit der EU auf Gewerkschaftskurs um. Vor gut zwei Jahren, als damaliger Wirtschaftsminister, hatte er sich über das Beharren der Gewerkschaften auf der sogenannten Acht-Tage-Voranmelderegelung mokiert. Im Zeitalter der Digitalisierung genügten eigentlich auch vier Sekunden, spottete er.1) Doch jetzt, am Wochenende in der NZZ (19. September 2020), forderte er «eine Art Opt-out-Regelung in sozialpolitisch besonders heiklen Bereichen». Als heikel erwähnte er insbesondere den «Schutz gegen allfälliges Lohndumping». Das ist nichts anderes, als was Pierre-Yves Maillard, der Chef des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB, längst mit dem Beharren auf einem «autonomen Lohnschutz» fordert.
Der Kurswechsel des freisinnigen alt-Magistraten ist deshalb besonders pikant, weil er es war, der im Sommer 2018 bei den Gewerkschaften «das Fass zum Überlaufen» brachte. An einer von seinem Generalsekretär einberufenen Sitzung sollten die Sozialpartner über Regelungen diskutieren, welche die bestehenden Lohnschutzmassnahmen massiv aufgeweicht hätten. Aus Protest verweigerten die Gewerkschaften ihre Teilnahme. Seither ist das Thema Lohnschutz innenpolitisch blockiert.
Der Sinneswandel von alt-Bundesrat Schneider Ammann beschränkt sich erstaunlicherweise nicht nur auf den Lohnschutz. Wie der SGB wendet er sich gegen die dem Europäischen Gerichtshof EuGH zugeschriebene Rolle im Institutionellen Abkommen. Auch er will ihn aus dem Spiel haben. Und noch in einem dritten Punkt wandelt der ehemalige FDP-Bundesrat neuerdings auf Maillards Spuren. Auch er möchte die EU mit «einem grosszügigen Beitrag zur Kohäsion» gnädig stimmen, was der SGB-Chef seit mehr als einem Jahr als alternativen Weg aus der Verhandlungsblockade propagiert.
Denkbar ist allerdings, dass sich alt-Bundesrat Schneider Ammann weniger von Pierre-Yves Maillard zu seinem spektakulären Schwenk auf Gewerkschaftskurs hat verführen lassen, als vielmehr vom ehemaligen Staatssekretär Michael Ambühl. Vieles im NZZ-Gastkommentar des freisinnigen alt-Bundesrats liest sich nämlich wie eine Kopie eines bereits Ende Juni in der NZZ publizierten Gastkommentars (29. Juni 2020), den der jetzige ETH-Professor als Co-Autor gezeichnet hatte.
1) Felix E. Müller, Kleine Geschichte des Rahmenabkommens, NZZ Libro 2020, S. 71
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Man könnte auch sagen: «Johann Schneider-Ammann auf SVP-Kurs», denn seine fundamentale Kritik am Rahmenabkommen ist deckungsgleich mit der SVP-Kritik, aber auch mit der Position des Gewerbeverbands, wie Hans-Ulrich Bigler gestern im Tagi bestätigte.
Schneider-Ammann war noch nie ‹Freisinnig› im eigentlichen Sinne, sondern schon immer stramm ‹Libertär› im Sinne der entsprechenden US-Blase.
Nichts Neues bei Infosperber! Alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann hat seinen Kurs nicht gewechselt, man müsste ihm nur genau zuhören.
An die Adresse der Gewerkschaften: es ist ganz einfach, beerdigen wir das Rahmen-abkommen (haben die Bilateralen I und II all den Lesern von Infosperber über die letzten 15 Jahre einen materiellen Vorteil gebracht?)! So bleibt die Schweiz beim Status Quo, ob es nun der EU passt oder nicht. «Take it or leave it», die Schweiz bleibt den Bilateralen I und II, die Schweiz braucht kein Rahmenabkommen.
Und Johann Schneider-Ammann liegt richtig: Wollen wir uns der EU völlig ausliefern, eine EU, welche bis zum heutigen Zeitpunkt kein ernsthaftes Problem gelöst hat? Schuldenkrise, Flüchtlinge und Einwanderung, Ökologie (CO2), europäische Sicherheitspolitik ohne den starken Mann der USA, Wirtschaftswachstum? Alles Fehlanzeige. Und diese EU soll uns befehlen, welchen Weg wir beschreiten sollen?
Bundesräte Cassis und Keller-Sutter müssen der EU ausrichten, wir sind schon seit Jahren EU-beitrittsfähig, aber wir wollen eurem «Verein» nicht beitreten, merkt euch das!"
Und noch was an die Adresse der Gewerkschaften: bliebt die Schweiz von der EU unabhängig und führt die Begrenzung der Einwanderung ein, so braucht es keine Lohnschtzmassnahmen mehr, die Schweiz bestimmt ihre Zukunft wieder selbst!