Kommentar
Israels Regierung ist ganz einfach schiesswütig
Am 18. August, nur wenige Tage vor einer für Israel wichtigen Abstimmung in der UNO in New York, haben bisher nicht identifizierte Terroristen nahe Eilat am Roten Meer einen Angriff auf militärische und zivile Busse unternommen. Wer immer auch hinter diesen Terrorakten steht: Solche Übergriffe mit Toten und Verletzten sind mit nichts zu rechtfertigen. Für Israel allerdings hätten sie eine willkommene Chance sein können: Israel hätte mit Bedacht reagieren können, der Weltöffentlichkeit wieder einmal zeigen können, wo die Vernunft und der Friedenswille zuhause ist. Nur ein Monat vor der Abstimmung in New York fast ein Geschenk des Himmels!
(Zu dieser Abstimmung und zur Haltung der Schweiz siehe den Link unten.)
Doch was hat Israel gemacht: Seine Soldaten haben aus allen Rohren geschossen. Die militärische Reaktion war wie eh und je: unverhältnismässig und – ohne genaueres Hinsehen – einfach gegen die Hamas in Gaza gerichtet. Mittlerweile weiss man es: Die – wohlverstanden: unsinnigen und meist kontraproduktiven – Provokationen von palästinensischer Seite werden so beantwortet, dass das Verhältnis der Toten in der Summe etwa 1:100 ist. Auf einen toten Israeli kommen hundert Tote auf palästinensischer Seite. Dass bei den jüngsten Schiessereien auch fünf ägyptische Grenzsoldaten erschossen wurden, was voraussehbar zu einer intensiven politischen Krise zwischen Ägypten und Israel geführt hat, sei nur nebenbei erwähnt.
Der Primat der Innenpolitik
Eine Erklärung für das unbedachte Vorgehen der israelischen Regierung liegt auf der Hand. Seit Wochen demonstrieren Hunderttausende von Israelis in den israelischen Städten gegen Missstände in Israel selbst, insbesondere (und wie überall auf der Welt im Jahr 2011) gegen die zunehmende Kluft zwischen der breiten Bevölkerung, dem Mittelstand, und den paar Superreichen, die die Welt nach ihrem Gusto dirigieren. Diese Demonstrationen sind in der Geschichte des Landes erst- und einmalig, haben aber ein für die gegenwärtige Regierung bedrohliches Ausmass angenommen.
Wie aber «löst» man innenpolitische Probleme? Man schafft sich oder erinnert intensiv an einen Feind von aussen – eine in der Geschichte sehr bekannte Methode politischer «Problemlösung», die allerdings auch total danebengehen kann, wie etwa der von Argentinien mit gleichen Absichten angezettelte Falkland-Krieg zeigte.
Wird es gelingen, durch eine Eskalation aussenpolitischer Probleme die innenpolitischen «in den Griff» zu bekommen? Wohl kaum. Allein die Tatsache, dass diese Frage öffentlich diskutiert wird, ist schon ein gutes Zeichen, dass die Methode ausgedient hat. Die israelische Zeitung Haaretz ist offen genug, das Ablenkungsmanöver der Regierung nicht einfach nachzuvollziehen (siehe unten den Link auf Haaretz und die sozialen Proteste).
Ceterum censeo
Der eskalierende Konflikt bewirkt natürlich auch hierzulande ein höheres Interesse an der Frage, ob die Schweiz die einseitige Unabhängigkeitserklärung Palästinas in den Grenzen von 1967 unterstützen soll oder nicht. Und in diesem Fall ist natürlich auch die neue Website www.audiatur-online.ch von Interesse. Doch ein Blick dahinein könnte schlaflose Nächte nach sich ziehen. Kein geringerer als Prof. Dr. Ekkehard W. Stegemann, Theologie-Professor an der Universität Basel und alleiniger Unterschriftsberechtigter der hinter dieser Website stehenden Stiftung, erklärt, dass sich der allgegenwärtige Antisemitismus in der Haltung gegenüber dem jüdischen Staat Israel kundtue, wie das aus BaZ, NZZ und Tagi fast täglich zu lesen sei. Merke: Wer etwa die Siedlungspolitik der israelischen Regierung kritisiert, tut dies, weil er ein Antisemit ist. So einfach ist die Welt!
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine