Interlakner Tell-Spiele verkauften sich für SVP-Wahlkampf
Am 31. Juli war die 45-minütige Kurzversion des Tell-Dramas von Friedrich Schiller kostenlos. Einzeltickets kosten sonst zwischen 48 und 68 Franken. Doch an diesem Tag bezahlte die Politorganisation «Pro Schweiz». Der Eintritt war frei, man musste sich nur früh genug anmelden. Dies ist Einladungen zu entnehmen, welche kantonale SVP-Parteien publizierten. «Pro Schweiz» setzt sich nach eigenen Angaben für eine selbstbestimmte Schweiz und eine weltoffene Wirtschaft, in der die Schweiz ihre Standortvorteile global ausspielt, ein.
Der Anlass war aber zweifellos eine Wahlkampfveranstaltung. Die Aufführung des Tell-Stücks war umrahmt von eindeutig politischen Auftritten. In einer Grussbotschaft vor voller Tribüne forderte «Pro Schweiz»-Präsident Stephan Rietiker: «Gehen wir aktiv an die Urne und wählen Volksvertreter, die unsere Interessen auch mutig verteidigen. Haben wir auch den Mut, Leute abzuwählen, die unser Land mutwillig verraten.» Ebenfalls vor der Vorführung traten Stephanie Gartenmann und Lukas Hüppin von der Jungen SVP auf. Und nach der Vorführung sprach alt Bundesrat Christoph Blocher für fast 40 Minuten. Insgesamt dauerte das politische Programm länger als das Theater.
Pascal Minder, Präsident des Vereins Tell-Freilichtspiele Interlaken, schrieb Infosperber auf Anfrage: «Die Tellspiele sind politisch und konfessionell neutral. Wir sind als Arealvermieter und Leistungserbringer in Erscheinung getreten.»
Die Tell-Spiele in Matten bei Interlaken sind ein Schweizer Kulturereignis. Seit 1912 wird im Rugenwald bei Interlaken Friedrich Schillers Drama auf einer Freilichtbühne aufgeführt. Auch heute noch geschieht dies mit grossem ehrenamtlichem Einsatz von Schauspielensemble und Helfenden. Getragen werden die Spiele von einem Verein.
Doch die Spiele kämpfen schon länger mit finanziellen Problemen. Bereits 2016 schrieben sie tiefrote Zahlen und erhielten eine Spende von Christoph Blocher. Seither geht der Verein neue Wege. Auf der Website schreibt er: «Der seit 2017 amtierende, neue Vorstand reorganisiert den Verein nun Schritt für Schritt und öffnet die Tellspiele, nicht zuletzt mit einer neuen Marketing-Strategie und mit dem ersten Partnerschafts-Konzept, aber auch mit einer aktiven Kommunikations-Strategie gegenüber interessierten Partnern aus Wirtschaft und Politik und strebt Partnerschaften mit klaren Win-win-Situationen an.»
Politische Gegner sind «innerlich verwahrloste Gestalten»
Dem Tages-Anzeiger sagte Minder 2017 noch: «Wir müssen keine SVP-Fähnchen oder Auns-Plakate aufhängen.» Heute erfolgt diese Abgrenzung nicht mehr. Die mit Herzblut betriebenen Tell-Spiele sind offen Wahlkampfvehikel für manipulative und bewusst polarisierende Polit-Botschaften. In seiner Rede bezeichnete der promovierte Rechtswissenschaftler Christoph Blocher politische Gegner als «die Gstudierten».
Die 94 Mitglieder des Nationalrats, welche für den 12. September als zweiten nationalen Feiertag stimmten, darunter auch der Nidwaldner SVP-Nationalrat Peter Keller, nannte er «innerlich verwahrloste Gestalten». Das Schweizer Fernsehen griff er ohne Beweise an: Mythen wie der Rütlischwur seien «wahrer als all die Tagesschauen, die Sie in den letzten Tagen gesehen haben».
Blochers Rede war im Kern ein mobilisierender Appell und damit purer Wahlkampf. Er behauptete eine Bedrohung des Schweizer Stimmvolks durch die eigene Regierung, obschon diese seit Jahren rechtsbürgerlich dominiert ist. Vor diesem Hintergrund forderte er wiederum Mut zum Widerstand gegen ebendiese Regierung. Damit zog er eine direkte Linie zwischen dem Tell-Spiel und den anstehenden Parlamentswahlen. Denn den Mut soll sich das bedrohte Stimmvolk eben aus Mythen wie der Tell-Sage oder dem Rütlischwur holen.
Tell-Spiele wollen verkaufen
Mut brauchen auch die Tellspiele. Denn die neue Strategie funktioniert nicht erfolgreich genug. Die letzte Saison sei zahlenmässig eine der schlechtesten der Geschichte gewesen, sagte Minder vor wenigen Monaten der Jungfrau-Zeitung. Nun soll die gesamte Infrastruktur an neue externe Eigentümer abgetreten werden. Die Gemeinden Interlaken, Matten, Unterseen, Bönigen, Wilderswil und Ringgenberg befinden derzeit zum zweiten Mal über ihre Unterstützung für die neue Eigentümerstrategie.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Da darf man sich nun fragen, für welche der beiden beteiligten Gruppen der Auftritt der jeweils anderen rufschädigender war.
Diese Tellspiele können alle mieten für eine Vorstellung – auch die Linken.
Und warum sollte eine politische Organisation nicht politisch sein? Ich denke jedem Teilnehmer war das bewusst. Dies ist Werbung was da Pro Schweiz gemacht hat und wenn da noch einige Vertreter sich Politisch äussern und alles im Gesetzlichen Rahmen abspielt ist da nichts entgegenzusetzen. Mindestens 100 mal besser als die vielen Plakate am Strassenrand die nur stören!
Ich bin nicht Mitglied dieser Partei. Ich habe die Tell-Festspiele am Sonntag, 6. August zum regulären Preis besucht. Die Veranstaltung am 31. Juli wurde durch die SVP gesponsert, es war eine Kurzversion der Tellspiele. Jede Partei kann eine Veranstaltung sponsern, da ist nichts falsch daran.
Es ist jedem Schweizer, jeder Schweizerinnen gleich welchem Couleur zu empfehlen eine dieser Veranstaltungen zu besuchen. Es finden noch 4 Veranstaltungen statt.
Und an die Adresse von Pascal Sigg: Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft wurde längst von der GLP und der sog. «Zivilgesellschaft» für ihre Zwecke gekapert.
Auch die lokale Gemeindepräsidentin, Lisa Randazzo-Anneler, durfte eine Rede halten; die hat mit der SVP nichts am Hut.
Pro Schweiz wollte seine Nationaltagsfeier ursprünglich auf dem Rütli abhalten; eine Reservation wurde vom Rütli-Trägerverein aber verwehrt.
Man musste sich zu dem Anlass nicht anmelden, es gab keine Eingangskontrolle
Die Tribüne war nicht voll, maximal zu 80% gefüllt.
Es war kein SVP-Wahlkampf, aber eine Werbung für Pro Schweiz, die für die mehrheitlich selben Ziele einsteht wie die SVP. Man wirft der Operation Libero ja auch nicht vor, GLP-Wahlkampf zu betreiben.