Kommentar

Immobilien-Boom: Wachsende Risiken für die Banken

Die Hypotheken-Blase könnte auch in der Schweiz platzen. Für jeden dritten Schuldner wäre ein Zinsanstieg auf 4% kaum tragbar. ©

Rudolf Strahm /  Die Hypotheken-Blase könnte auch in der Schweiz platzen. Für jeden dritten Schuldner wäre ein Zinsanstieg auf 4% kaum tragbar.

Momentan verdienen alle viel Geld in der Bauwirtschaft. Doch wie steht es mit den Finanzierungsrisiken? Finanzieren die Banken rund um den Zürich-, den Zuger- und den Genfersee oder in bestimmten Stadtquartieren bereits eine Liegenschaftsblase? Dazu gibt es gegenläufige Meinungen. Sogar die beiden zuständigen staatlichen Institutionen, die Schweizerische Nationalbank SNB und die Finanzmarktaufsicht Finma, schätzen das Risiko unterschiedlich ein. Nur die SNB warnt. Wir versuchen, die Wirrnis zu beleuchten.

Im Schlepptau der Bauwirtschaft floriert auch das Hypothekargeschäft der Banken. In der Schweiz sind letztes Jahr die Darlehen im Hypothekenbereich um 4,6% gewachsen, rund vier mal schneller als das Bruttoinlandprodukt BIP. Ende 2012 belief sich die Gesamtsumme der Hypotheken auf 834 Milliarden Franken, davon entfallen 710 Milliarden auf festverzinsliche Darlehen – das Risiko bei Zinsschwankungen liegt also bei den Banken. Diese Hypothekarschuld entspricht bereits dem 1,4-fachen des BIP. Noch nicht mitgerechnet sind die Darlehen von Versicherungen und Pensionskassen.

Hypotheken als Klumpenrisiko

Für Banken ist das Hypothekargeschäft nicht das grösste Risiko, Investment-Banking, Eigenhandel, Termingeschäfte sind viel risikoreicher. Aber für das gesamte schweizerische Bankensystem bildet der hohe Zuwachs bei den Hypothekardarlehen ein Klumpenrisiko.
Was würde passieren, wenn die Hypothekarzinsen rasch anstiegen? Bereits bei einer Anhebung auf 3% käme schätzungsweise ein Sechstel der Schuldner in finanzielle Not und die Rückzahlung der Hypotheken wäre nicht gesichert. Bei einem Anstieg auf 4% wären es sogar mehr als doppelt so viele.
Nach allen Erfahrungen sind nicht die Mietwohnungen bei Zinssprüngen risikobehaftet. Das bestehende Mietrecht stabilisiert den Markt, weil es Mietzinserhöhungen dämpft und Mietzinssenkung nicht sofort erzwingt. Krisenanfällig sind hingegen Segmente, wo der Marktpreis dominiert: neue oder neu erworbene Einfamilienhäuser, Villen, Eigentumswohnungen und vor allem Geschäftsliegenschaften. Hier könnten die Preise jederzeit einbrechen.
In und um Zürich sind schon heute zehntausende von Quadratmetern Geschäftsfläche in Büro- und Gewerbebauten nicht vermietet. Gefährdet sind deshalb auch Immobiliengesellschaften. Allerdings haben sich die meisten durch die Ausgabe von Aktien und Risikopapieren abgesichert. Es ist zu hoffen, dass Pensionskassen nicht in grossem Stil in solche Anlagen geflüchtet sind, sondern direkt in Wohnüberbauungen investiert haben.

Fehlende Eigenmittel bei Grossbanken

Das grösste Klumpenrisiko tragen Grossbanken mit wenig Eigenkapital. Im Falle eines massiven Preissturzes im Liegenschaftenmarkt vermöchte der vom Bundesrat zusätzlich vorgeschriebene Kapitalpuffer von bloss einem Prozent nicht viel aufzufangen. Es besteht die reale Gefahr von massiven Verlusten bei Hypothekardarlehen, falls die Zinsen steigen und die Liegenschaftspreise sinken sollten.
Einheimische Kreditbanken verfügen in der Regel über einen recht soliden Puffer an Eigenmitteln. Anders die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse. Sie sind mit einer absoluten Eigenkapitalquote von bloss je 2,3% ihrer Bilanzsummen schlecht abgesichert. Die Eigenkapitalunterlegung ist «mit 2,3% tatsächlich noch unverschämt tief», schrieb der sonst bankenfreundliche Martin Lanz in der NZZ.

Banken tricksen bei der Eigenkapitalquote

Die Bankenaufsicht ist bezüglich der Systemrisiken ungenügend, und die Banken betreiben mit der Eigenkapitalquote regelrechte Spiegelfechterei. Die UBS rühmt sich, im zweiten Quartal 2013 eine «BIZ-harte Kernkapitalquote gemäss Basel III» von 11,2 Prozent aufzuweisen. Doch man muss wissen: Es handelt sich um Eigenmittel von 11,2% der so genannt «risikogewichteten» Aktiven.
Das muss man erklären: Die Bankdarlehen werden nach Risikobewertung gewichtet. Gemäss Eigenmittelverordnung müssen zum Beispiel 100 Franken Hypothekardarlehen für Wohnbauten nur mit 35 Franken in die Berechnung der Eigenkapitalquote eingesetzt werden. Die Grossbanken dürfen gemäss Finma sogar ein eigenes Risikomodell anwenden und noch viel tiefer gehen. Die Risikogewichtung ist eine Ermessensfrage und somit gleichzeitig eine Manipulationsgrösse: Grossbanken können mit der risikogewichteten Eigenkapitalquote bluffen, indem sie die Aktiven sicherer bewerten.

Vor dieser Manipulation warnen heute internationale Finanzexperten. Doch die Finanzmarktaufsicht beschwichtigt in einem Brief vom 8. August 2013 mit dem Satz: «Die Finma hat diese Differenzen erkannt und entsprechende Gegenmassnahmen eingeleitet.» Einmal mehr zeigt sich: Die Finanzmarktaufsicht reagiert nur dann, wenn Druck von den Medien kommt.
Im Gegensatz zur Finma warnt die Schweizerische Nationalbank seit langem vor einer Preisblase bei Liegenschaften und vor Bankverlusten. Das liegt in ihrem eigenen Interesse: Sie möchte sich den Spielraum für spätere Zinserhöhungen und für eine «Normalisierung» des Zinsniveaus bewahren, ohne massive Verluste bei den Kreditinstituten zu provozieren.

Nochmals über die Bücher

Zwei Jahre nach der Inkraftsetzung der «Too big to fail»-Vorlage, die mehr Eigenmittel und mehr Stabilität im Bankensystem bringen sollte, stehen wir vor einem erneuten Revisionsbedarf: Die systemischen Risiken der Grossbanken sind zu gross, die Eigenmittelvorschriften zu large und zu manipulationsanfällig, das System ist nicht stabil. In allen Staaten mit gewichtigen Finanzplätzen – USA, Grossbritannien, Japan, Euro-Zone – überwachen die Notenbanken als Währungsbehörden das gesamte Finanzsystem und die Eigenmittel der Banken. Einzig in der Schweiz bleibt die entscheidungsschwache und bankenhörige Finma mit ihrem Miliz-Verwaltungsrat dafür zuständig.
Der damalige Präsident der Vorbereitungsgruppe der «Too big to fail»-Vorlage, Peter Siegenthaler, sieht jetzt die Mängel «seines» Projekts. Er gestand kürzlich: «Wenn man das nackte Verhältnis zwischen Eigenmitteln und Bilanzsumme anschaut, stehen andere Banken besser da als UBS und CS. Wir müssen nochmals über die Bücher.»

Dieser Artikel erschien in der Unternehmer-Zeitung UZ, Ausgabe 9/2013


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.