Gerechtigkeit à la Zürcher Goldküste
Die Goldküstengemeinde Zumikon, einst grossherzige Bewahrerin von Friedensapostel Max Daetwyler vor der Bevormundung, zeigt sich immer kleinlicher. Schrittweise reduzierte das reiche Agglodorf die jährlichen Hilfsgelder, bis es just vor Weihnachten die Auslandhilfe vollständig getilgt hat.
Das Phänomen bei den etappenweisen Kürzungen der von der Gemeinde an die Hilfsorganisationen geleisteten Gelder ist der Erfolg einer Salamitaktik, die so gut funktionierte wie der stete Tropfen, der den Stein höhlt. Im Jahr 2011 wollte der Gemeinderat den Jahresbeitrag von 350‘000 Franken auf die Hälfte reduzieren, scheiterte jedoch an der Gemeindeversammlung. Aber die Exekutive blieb so hartnäckig wie schlau: Nur drei Jahre darauf, 2014, beantragte sie, die Hilfsgelder – einstweilen bloss für die Dauer von drei Jahren – auf 175‘000 Franken zu kürzen; diesmal verfing das Argument der begrenzten Laufzeit. Die Gemeindeversammlung stimmte zu. Weitere drei Jahre später, an der jüngsten Gemeindeversammlung vom 11. Dezember, nutzte der Gemeinderat die Stunde, nun endlich die gesamte Auslandhilfe zu streichen und die Inland- und Nothilfe massiv zu reduzieren. Die Gemeindeversammlung folgte ihm. So gelang es Zumikon in nur sechs Jahren, die Hilfsgelder auf einen Fünftel einzuschrumpfen. – Was ist passiert, dass die Gemeindeversammlung, die den Gemeinderat vor sechs Jahren in gleicher Sache desavouierte, ihm auf einmal mit grosser Mehrheit folgte. Dies, wie das Lokalblatt «Zolliker Zumiker Bote» (ZZB) vom 15. Dezember 2017 schrieb: «In beinahe besinnlicher Stimmung.»
Es waren wohl die Argumente, die verfingen. Man könne ja nicht überprüfen, ob die Gelder im Ausland «sinnvoll eingesetzt» werden, als ob man dies die Jahre zuvor besser hätte kontrollieren können. Es gebe «andere Organisationen auf Bundesebene», die «für solche Aufgaben eindeutig prädestinierter» seien, und es stehe ja jedem frei, «privat» zu spenden, meinte der freisinnige Gemeindepräsident Jürg Eberhard. Die Finanzvorsteherin Barbara Messmer (CVP), Inhaberin von wohnbedarf, des «progressiven» (Eigenwerbung) Möbelgeschäfts der Nobelklasse in Zürich mit Filialen in Basel und Frauenfeld, verkündete «die gute Nachricht», dass so der Steuerfuss bei 85 Prozent verbleibe, nicht ohne mit 88 Prozent für 2019 zu drohen.
Was wie ein Goldesel von der Goldküste klingt, der den Knüppel aus dem Sack nimmt, ist so wahr wie die Tatsache, dass der sparwütige Gemeinderat für sich selbst an der gleichen Versammlung die Erhöhung seiner Amtsentschädigung forderte, da der Gemeindepräsident von Zumikon dafür jährlich nur 45-50‘000 Franken bekomme, während im benachbarten Zollikon 55‘000 Franken zur Verfügung stünden. Dies sei der Grund, weshalb man die Behördenentschädigung (mit erhöhter Spesenvergütung) «anpassen» solle. Die Gemeindeversammlung stimmte wiederum «einstimmig» (ZZB) zu.
Die erwähnte Besinnlichkeit lullte die Anwesenden offenbar derart ein, dass sie die Wachsamkeit gegenüber einem billigen Trick trübte, nämlich die erhöhten Amtsentschädigungen als Spesen zu deklarieren, wodurch die Gemeinderäte für ihre Einkünfte weniger Sozialabgaben und Steuern bezahlen müssen; Steuereinnahmen, die die Gemeinde für die abgeschafften Hilfsgelder hätte brauchen können. Auch der Vergleich der Behördenentschädigungen zwischen Zollikon und Zumikon, mit dem man die Erhöhung rechtfertigte, hinkt bedenklich, denn Zumikon hat mit 5‘000 Einwohnern zweieinhalb Mal weniger als Zollikon. Würde man den entsprechenden Exekutivaufwand hochrechnen, hätte der Zumiker Gemeinderat seine Einkünfte senken müssen, statt sie zu erhöhen.
Unmut im Lokalblatt: Zumikon first…
Nun regt sich jedoch Protest im Lokalblättchen: Hansruedi Widler schreibt auf der Seite «Meinungen» zur gestrichenen Auslandhilfe: «Früher war das möglich. Jetzt sollen es die Einwohner privat tun. Doch viele tun es schon. (…) Flüchtlinge sind unerwünscht. Aber mithelfen, dass es nicht dazukommt, will man nicht. Wir müssen sparen! Vor zweieinhalb Monaten wollte der Gemeinderat 2.89 Millionen Franken für ein Projekt ausgeben, das abgelehnt wurde. Geld ist offensichtlich vorhanden. Die Frage ist nur wofür?» – Der Gemeinderat wollte für die 2.89 Millionen das Lehrschwimmbecken «Juch» in einen «neuen multifunktionalen Raum» für 300 Personen umbauen, während das einen Steinwurf entfernte Gemeindezentrum zwei grosse Säle hat, die keineswegs übernutzt sind.
Von einem «schönen Weihnachtsgeschenk – fragt sich nur für wen?» schreibt auch der Zumiker Meinungsäusserer Ferdinand Stemmer («Ich schäme mich zu tiefst für den Gemeinderat») und antwortet gleich selbst: «Sicher für die betuchten Zumiker Einwohner, deren Bankkonti geschont werden. (…) Zumikon first – wir kennen den Wahlspruch von anderer Seite.» Stemmer hofft, dass man auf die Tilgung der Auslandhilfe zurückkommt, wenn 2019 der Steuerfuss angehoben wird.
Rüschlikon hat’s mit Glencore vorgemacht
Der Fall Zumikon erinnert an Rüschlikon, wo im Jahr 2010 eine Einwohnergruppe der Gemeinde vorgeschlagen hatte, den kleinen Bruchteil einer Promille der 55 von Ivan Glasenberg (Glencore) eingenommenen Steuermillionen als Kompensation den von den angerichteten Schäden der Rohstoffausbeutung Betroffenen in Afrika zurückzuzahlen. Weltweit auf 80 TV-Kanälen wurden die Zuschauer der Sendereihe «Why Poverty?» Augenzeugen, wie die grosse Mehrheit der Rüschliker damals die Hände reckten, um das zum Teil entsetzlich verdiente Steuergeld ganz allein für sich zu behalten, ähnlich wie am 11. Dezember in Zumikon. Bloss war diesmal weder ein ausländischer noch ein einheimischer Sender dabei, der die Streichung der Auslandhilfe in Zumikon hätte filmen können. Das Schweizer Fernsehen, bis zur Unerträglichkeit mit dem Volkstümlichen verbunden, ist nie oder nur ganz selten dabei, wenn es um solche Phänomene geht, obschon dies durchaus auch zum Service public gehörte. Es geht noch weiter: «Why poverty?» wurde damals von SRF nicht einmal ausgestrahlt. Man hatte die reckenden Hände von Rüschlikon auf «arte» anschauen müssen, was damals schon darauf hindeutete, dass die No-Billag-gefährdete TV-Station es vergeblich jenen Kreisen recht zu machen versucht, die sie nun abschaffen möchten.
Diese Kritik, das erklärte Gegenteil einer Unterstützung der unsäglichen Initiative, ist kein übertriebener Zorn aus Liebe zur SRG/SRF, sondern ein mahnender Hinweis, dass es schon früher Kreise gab, die die Demokratie benutzen wollten, um sie abzuschaffen (was in der Geschichte andernorts auch schon verhängnisvoll gelungen ist). Im März geht es um ein gutes Stück davon, von dem man sich wünscht, dass es auch danach weiterexistiert – und besser wird!
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Christina Schaub, vielen Dank für den aufschlussreichen Bericht. Sie erwähnen das Schweizer Fernsehen, das nicht darüber berichtet hatte. Haben Sie am 24.12.17 die 19:30 Tagesschau gesehen und danach die Nachrichten des ARD um 20:00 Uhr? Während das ARD über Tafelrunden für Arme berichtete, von freiwilligen Zuwendungen, dass es Armen auch einmal ermöglicht wird, festlich zu essen, berichtet das Schweizer Fernsehen aus einem Einkaufszentrum unter dem Titel «Shopping an Heiligabend», der Kundenansturm sei gross gewesen.
Es war richtig gehend beschämend. Hier in der Schweiz zählt «I first» «ich zuerst», da hat auch das Schweizer Fernsehen nicht hintenan zu stehen. Hier der Fokus auf Konsum, dort die Sicht auf die Armen unserer Gesellschaft.
Weiter so, Zumikon! Ich spende auch schon lange nichts mehr, denn damit verlängert man nur das Leiden der Bedürftigen!
@Paul Jud: Verstehen wir Sie richtig: Nach Ihrer Meinung sollten wir die Menschen in den Entwicklungsländern einfach alle sterben lassen? Da gäbe es noch eine konsequentere «Lösung»: Wir machen einen interkontinentalen Atomkrieg, dann gibt es anschliessend gar keine Probleme mehr. Wäre auch diese «Lösung» in Ihrem Sinn? (Red./ cm)
@Red./cm: Ihre Anmerkung ist jetzt weit mehr als nur polemisch, unfair, einseitig und ganz sicher nicht im Sinne der freien Meinungsäusserung! Was nicht der im Artikel vertretenen Meinung entspricht, wird schlecht gemacht. Das geht für mich in Richtung Zensur – und das ausgerechnet vom Infosperber, den ich sonst für die Offenheit schätze.
Der Entscheid von Zumikon kam demokratisch zu Stande. Wer das nicht akzeptiert hat vermutlich nicht ganz begriffen, was demokratische Prozesse sind. Man kann zu Recht verschiedene Ansichten über den Entscheid vertreten. Ich betrachte es nicht als legitim, den Stimmbürgern von Zumikon Egoismus vorzuwerfen. Die Ansicht, dass es kompetentere Organisationen für diese Aufgaben gäbe, betrachte ich als absolut korrekt, was aber nicht heisst, dass man nicht solche Institutionen unterstützen kann/sollte.
Frau Schaub: weshalb massen sie sich an, darüber bestimmen zu wollen, wie die Gemeinde Zumikon ihre Ausgaben zu tätigen hat? Geld ausgeben ja – so lange es nicht das Eigene ist. Schon eine etwas merkwürdige Gesinnung….
Roland Hausin. Habe den Artikel nun noch einmal durchgelesen. Es ist eine einfache Berichterstattung ohne eine einzige Wertung. Ich sehe auch keine Einseitigkeit und schon gar keine Zensur. Auch steht nirgends, dass die Autorin den Stimmbürgern von Zumikon Egoismus vorwirft, das Wort kommt nur in Ihrem eigenen Beitrag vor, sonst nicht. Und es steht schon gar nirgends, dass die Autorin irgend jemandem vorschreiben möchte, wie die Finanzen zu regeln wären.
Was sollen also Ihr Vorwürfe, Ihre Verurteilungen und Ihre nicht korrekte Wiedergabe? Sie unterstellen massive Anschuldigungen um diese dann anzuprangern. Alle Ihre Worte fallen nur auf Sie selber zurück.
Stört es Sie, dass jemand die Vorgänge in dieser Zürcher Goldküstengemeinde öffentlich macht? Dass dort jemand sich selber beschenkt und zum «Ausgleich» Hilfsgelder streicht?
Es ist unbedingt nötig, dass über solches geschrieben wird. Im Kanton Bern wird durch einen evangelikalen Sektierer mit Unterstützung des bürgerlich dominierten Grossrates massivst bei Sozialhilfebezügern, bei der Spitex, bei Hilsfbedürftigen gespart, damit man den Reichen weiter die Steuern senken kann. – Es ist unglaublich und entsetzlich, was zur Zeit auf der Welt vorgeht. In einem (1!) Jahr (2017) haben die Reichsten der Welt ihr Vermögen um 23% steigern können und dieser Halunke im US-Präsidentenamt mit seinen Vasallen senkt die Steuern weiter für sie.
Hallo Redaktion, ich mag eure Arbeit. Aber bitte auf dem Boden bleiben! I c h soll die Menschen in den «Entwicklungsländern» sterben lassen wollen?? Das tun doch die Oligarchen dieser Welt und ihre Handlanger schon längst! Und die Gefahr eines Atomkriegs geht auch nicht von mir aus. – So viel ich weiss.
Bevor wir dieses unsägliche, kümmerliche Spendengetue weiterführen, sollten wir viel eher für faire Handelsbeziehung mit den ausgebeuteten Ländern des Südens kämpfen! Aber solange die Schätze dieser Welt von den Oligarchen in die privaten Taschen gesteckt werden können, ist auch das vergebliche Liebesmühe.