Glosse
Für eine Woche ohne Ausländer…
Wie so oft an Ostern, auch diesmal gingen nicht nur etliche Eier zu Brüche, bei uns Erwachsenen wurden auch ein paar Flaschen entkorkt. Und weil’s diesmal nicht nur sonnig war, blieb unerwartet Zeit zum Quatschen und Diskutieren.
Unsere Gäste am Ostermontag waren Freunde aus Augsburg. Augsburg, das ist, nach München und Nürnberg, die drittgrösste Stadt Bayerns. Dort wurde im Jahr 1555 anlässlich des sogenannten Augsburger Religionsfriedens vereinbart, dass jeweils der Fürst eines Landes bestimmen durfte, ob seine Untertanen nun der Katholischen oder der Lutherischen Kirche zugehörig sein sollten. Und wer sich nicht fügen wollte, hatte das Recht, auszuwandern. CUIUS REGIO, EIUS RELIGIO, nannte man dieses System damals: in welcher Region man wohnte, in deren Religion hatte man zu sein. Und IUS EMIGRANDI, das Recht, auszuwandern…
In Augsburg lebten auch die Fugger, jene Familie, die sich schon im 15. Jahrhundert mit Geldausleihen im grossen Stil ein Milliardenvermögen zusammenscharrte: die mittelalterlichen Vorläufer der heutigen Grossbanken.
Aber in Augsburg werden auch heute noch gute Ideen geboren. Seit kurzem gibt es dort ein Hotel, das ausschliesslich von Asylbewerbern betrieben und betreut wird und in dem die Gäste den Zimmerpreis selber bestimmen können. Im Grandhotel Cosmopolis gibt es 27 Flüchtlingszimmer, 18 Zimmer für normale Hotelgäste, 10 Ateliers für verschiedene Künstler, einen Seminarraum, ein Café und natürlich ein Restaurant. Und der Betrieb funktioniert! Im Bundeswettbewerb «Deutschland – Land der Ideen» hat das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg eben den ersten Preis abgeholt!
Doch unsere Freunde aus eben diesem Bayerischen Augsburg wollten uns nicht die Idee des Grandhotels Cosmopolis andrehen. Auf das Thema «Ausländer» allerdings kam man sehr wohl zu sprechen. Spätestens seit dem 9. Februar ist dieses Thema ja regelmässig auf dem Tisch, wo Deutsche und Schweizer bei einem Glas Roten zusammentreffen.
«Hand aufs Herz! Stören Euch die Ausländer, zum Beispiel wir Deutschen, wirklich so schrecklich?», lautete eine der unvermeidlichen Fragen unserer Freunde. «Und», meinte die Frau, «wie wäre denn euer Leben, wenn es bei euch keine Ausländer mehr gäbe? Vielleicht könnte man ja mal eine ‚ausländerfreie Woche’ organisieren, in der alle Ausländer einfach mal nicht da sind.»
Ich war wie elektrisiert: Das ist die Idee, dachte ich. Genau, diese ausländerfreie Woche müsste man organisieren!
Wie sähe das in meiner Umgebung aus?
Und schon waren wir am Diskutieren. Was wäre in dieser Woche anders? Vor allem einmal: Wir müssten uns grosszügigst mit Lebensmitteln eindecken, denn der nahe Coop bliebe sicher geschlossen. An der Kasse sind, schon die Namensschilder verraten es, alles Ausländerinnen. Ins Restaurant Rössli zumindest könnten wir auch nicht ausweichen, dort sind sowohl der Wirt selber als auch das Servicepersonal alles Italiener. Vielleicht im «Bahnhöfli»? Eher auch nicht, dort ist die Serviertochter auch Ausländerin, aus Litauen.
Ob wenigstens der Tankstellen-Shop offen blieb? Auch dort sind die freundlichen Frauen hinter der Bezahl-Theke, Rita und Pina, Ausländerinnen. Eine Panne mit dem Wagen dürften wir uns schon gar nicht leisten. Garagist Meier ist zwar ein eingeborener Schweizer, aber Renato, der normalerweise den Service macht, ist auch Ausländer.
Im Büro wär’s wohl, oberflächlich gesehen, nicht viel anders als sonst. Oberflächlich gesehen? Gerade auch die Oberfläche: Geputzt würde sicher nicht. Beide Reinigungsfrauen, immer fleissig und trotzdem fröhlich, stammen aus Albanien.
Und was wäre mit dem Zahnarzt-Termin nächste Woche? Ob der Zahnarzt ohne seine Gehilfin arbeiten würde?
Aber um Gottes Willen! Onkel Ferdinand im Alters- und Pflegeheim! Den müssten wir für eine volle Woche nach Hause nehmen! Alle Pflegerinnen und Pfleger dort sind Ausländer!
Überhaupt: Nur kein Unfall! Und kein Herzinfarkt! Spitalverwalter Brunner hat erst kürzlich wieder in einem Interview gesagt, ohne ausländisches Personal müsste er sein Haus dicht machen. Und ich erinnere mich: Bei der kürzlichen Darmspiegelung war auch der Arzt ein Deutscher. Er erklärte mir freundlich, wie das jetzt geht, und ich konnte auf dem Bildschirm meine Darm-Innenwand mitanschauen.
Immer mehr Ausländer kamen zum Vorschein
«Hast du nicht gesagt, als du kürzlich bei der Swisscom wegen einem anderen Handy-Tarif telefoniertest, der Berater sei ein Deutscher gewesen», fragte meine Frau. Richtig, so war es. Und je länger wir diskutierten, umso mehr Ausländer kamen zum Vorschein. Immer mehr von dem, was wir im Alltag so tun, würde dann nicht mehr funktionieren. Nicht zu denken etwa an unsere Nachbarn, bei denen gerade eine Geburt auf dem Programm steht!
Und was wäre mit dem Fussball? Ganz einfach: Sämtliche Spiele würden ausfallen!
Es war wie ein Gesellschaftsspiel. Und wir lachten ausgiebig. Bis ich auf den Tisch klopfte. «Hei», sagte ich, «wir sollten hier nicht nur lachen, wir müssen das konkret organisieren. Wir starten eine Kampagne! Zum Beispiel Kalenderwoche 39, vom 22. bis 28. September 2014. Alle Ausländer in der Schweiz verreisen für eine Woche nach Hause oder in die Ferien ausser Landes. Alle! Ohne Ausnahme! Bis und mit Brady Dougan von der Credit Suisse! Und kein Grenzgänger kommt in dieser Woche in die Schweiz zur Arbeit! Keiner! Mal sehen, welcher Laden dann noch offen hat. Und welches Restaurant. Und welches Hotel. Und welche Tankstelle. Und welches Altersheim. Und welches Krankenhaus. Und welche Fabrik. Und wo noch ein Fussballmatch stattfindet.
«Du spinnst», sagte meine Frau. «Da kannst du auch gradsogut einen Generalstreik ausrufen. Willst du wirklich einfach so aus Spass eine landesweite Krise inszenieren?»
Jetzt lachten unsere Freunde aus Augsburg. «Für den Fall, dass ihr das wirklich macht: Wir halten unser Gästezimmer für die Kalenderwoche 39 vorsorglich schon mal frei», sagten sie. «Denn am besten wird sein, auch ihr meidet dann die Schweiz, wo dann eh nichts mehr geht. Kommt dann lieber gleich freiwillig nach Augsburg, bevor ihr im Chaos – oder in der Totenstille – untergeht…»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Überfällige Aktion!! Ich habe diesen Vorschlag in meinem Bekann- tenkreis schon öfters gemacht; manchmal aus Spass oder vorallem aus Wut über dumme und ignorante Schweizer, z.B. in Altersheimen, die häufig die Partei des grossen Vorsitzenden wählen und über Ausländer schimpfen, die sie täglich waschen, pflegen, füttern usw. Wahrscheinlich würde als Anfang ein Tag ohne Ausländer genügen, um uns allen zu zeigen, was das heisst. Die Fugger haben übrigens nicht nur masslos Geld gescheffelt, sondern das Fuggerdorf gebaut, wo heute noch bedürftige Leute wohnen können; für 1 Euro pro Monat und 3 Gebeten täglich für die Fugger. Eine sehenswerte Einrichtung mitten in der Stadt.
Eine solche Aktion könnte vielleicht unseren völlig verstellten Kompass wieder justieren, sodass wir lernen, Menschen als Mitmenschen zu betrachten, auch die ohne dubiose Milliarden.
Xaver Schmidlin, Birsfelden
Auch eine Woche ohne Atomstrom oder eine Woche ohne Auto wäre nicht leicht zu bestehen. Am spannendsten wäre das Experiment «Eine Woche ohne Frauen".
Diese Idee hatte ich schon im zarten teenage-alter um die Schwarzenbachzeit herum. Heute bin ich drastischer und wuenschte einen Monat ohne Auslaender und namentlich Grenzgaenger! Ich lebe und arbeite im Tessin und weiss wovon ich rede.
Man stelle sich vor, wie gut die Schweizer verdienen würden, wenn sonst keine anderen Arbeitskräfte gefunden werden würden…