Fiktive Pillen-Preise sollen das Ausland täuschen
Die einen nennen es eine «Irreführung ausländischer Behörden auf dem Buckel von Prämienzahlern», andere eine «kreative industriepolitische Massnahme»: Das Bundesamt für Gesundheit BAG setzt für ein Medikament einen hohen Preis fest, den die Kassen jedoch gar nicht zahlen müssen. Den fiktiven Schweizer Preis kann die Pharmaindustrie dann im Ausland als Referenzpreis angeben.
Denn auch im Ausland spielen Auslandpreisvergleiche bei der Preisfestsetzung eine Rolle. Macht die Schweiz als erstes Land ein Medikament kassenpflichtig, dient dessen Preis für einige Drittländer als Referenzpreis. Der Schweizer Preis hat «für gewisse Drittländer eine Leitfunktion», erklärt Hanspeter Kuhn vom FMH-Generalsekretariat.
MS-Medikament für rund 2400 Franken pro Monat
Konkret geht es um das neue Medikament Gilenya von Novartis, das bei schubförmiger MS eingesetzt wird. Eine Packung mit 28 Kapseln kostet laut BAG 2317 Franken, eine solche mit 98 Kapseln 7623 Franken. Bei der empfohlenen Dosis von einer Kapsel täglich käme eine Therapie auf rund 2400 Franken pro Monat zu stehen.
Doch diese offiziellen Preise muss keine Kasse zahlen. Denn im Kleingedruckten heisst es unter «Limitatio»: «Die Firma Novartis vergütet für jede bezogene Packung den Betrag von 236 Franken pro 28er Packung und 827 Franken pro 98er Packung» an die Kassen zurück. Das entspricht einer Korrektur von rund zehn Prozent.
Von einem «neuen Präzedenzfall», reden die Kassen Helsana und Visana. Als «einmalig» bezeichnet Santésuisse das Vorgehen des BAG. Der Krankenkassenverband habe statt dieser Rückvergütungen einen tieferen Preis verlangt, erklärt Sprecherin Silvia Schütz. Doch gegen den Entscheid des BAG habe Santésuisse «leider kein Beschwerderecht».
Die Kasse Visana hat von der Rückvergütung lange nichts gewusst. Erst Rückfragen beim BAG hätten ergeben, dass das Bundesamt vergessen habe, diese «Limitatio» im BAG-Bullletin zu publizieren, erklärte Abteilungsleiterin Raffaella D’Amore dem Tages-Anzeiger/Bund. Weitere Auskünfte habe die Visana keine erhalten, weder über die Hintergründe dieser Rückvergütungen noch weshalb diese nur bis Ende Juni 2013 gewährt werden sollen.
Novartis will dazu nichts sagen, denn die «Konditionen» seien «Sache des BAG». Das Bundesamt wiederum verweigert trotz dreimaliger Anfrage jegliche Auskunft.
Licht ins Dunkel
Etwas Licht ins Dunkel bringt die Kasse Helsana: Die Rückvergütungen könne man als «kreative, industriepolitische Massnahme» betrachten, meint Sprecherin Claudia Wyss. Im Klartext heisst dies laut einem Kassen-Insider, dass man das Ausland «an der Nase herumführen» will: Dank dem hohen Schweizer Referenzpreis könne Novartis im Ausland einen höheren Preis aushandeln – in der Zuversicht, dass die dortigen Behörden das Kleingedruckte des BAG nicht lesen. Das sei eine «Irreführung ausländischer Behörden auf dem Buckel von Prämienzahlern», meint SKS-Geschäftsleiterin Sara Stalder. Auf Basis welches Gesetzesparagraphen das BAG diese beiden «industriepolitischen» Schaufensterpreise erlassen hat, wissen Santésuisse, Helsana und Visana nach eigenen Angaben nicht, und das BAG gibt darüber keine Auskunft.
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Siehe «Preis-Deal mit Roche ist gesetzwidrig» vom 3.9.2013 über Preis-Rückerstattungen für das Roche-Medikament Perjeta.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor vertritt Patienten und Konsumentinnen in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission.
Nachhaken, beim BAG und dranbleiben! Das wäre hier wohl angezeigt.Es kann doch nicht sein, dass dieses Amt zu einer derart auftragsfremden Massnahme schlicht keine Stellung nimmt. – Ausser das BAG betrachtet die Unterstützung des Pharmamarketings als Teil seiner Aufgabe. Was dann ein Skandal wäre.
Mein Gott ich dachte bis jetzt ich lebe in der Schweiz, das hier aber riecht nach Koruptistan…