Fiasko der Strombarone: Zwei Frauen räumen auf
Das goldene Zeitalter der Schweizer Strombarone geht brutal zu Ende. Begonnen hat die Strom-Party Anfang des Jahrtausends als sich die grossen Stromkonzerne ins Abenteuer des internationalen Stromhandels stürzten, und zwar auf der Basis des lukrativen Spitzenstroms aus der Wasserkraft. Der gesamte Reingewinn der Strombranche überstieg ab dem Jahr 2002 die Milliarden-Grenze, ab dem Jahr 2006 die 2 Milliarden-Grenze und im Jahr 2009 näherte er sich gar der 4 Milliarden-Grenze (siehe Grafik).
Abkassierer setzten Milliarden in den Sand
Im grenzenlosen Vertrauen in diesen Goldesel investierten die Vorgänger-Firmen der heutigen Stromkonzerne Axpo, Alpiq, BKW und Repower einen grossen Teil der erwirtschafteten Milliarden in fossile Kraftwerke in ganz Europa. Die Axpo und Alpiq verlochten zudem Milliarden in zwei gigantische Pumpspeicherwerke. Die BKW wurde dank dem hartnäckigen Widerstand der Umweltschützer vor einer Fehlinvestition ins geplante Pumpspeicherwerk auf der Grimsel bewahrt.
Im gigantischen Geldregen der Hunter-Strategie labten sich die Aktionärs- und Geschäftsstandort-Kantone in Form von üppigen Steuern und Dividenden. Die Gebirgskantone hingegen, denen die Wasserkraftwerke nur zu einem kleinen Teil gehören, hatten vor allem bei der Gewinnbesteuerung das Nachsehen. Bei den Wasserzinsen erreichten sie eine Erhöhung erst in letzter Minute als die Stromparty bereits zu Ende ging.
Auch die Strommanager und Verwaltungsräte kassierten schamlos ab. Selbst dann noch als sich der Niedergang längst anbahnte bis heute. Laut Alpiq-Geschäftsbericht kassierten im letzten Jahr 17 amtierende und frühere Verwaltungsräte insgesamt 3,1 Millionen Franken Vergütungen, Sitzungsgelder und Spesen. Darunter auch zwei Hauptverantwortliche des Alpiq-Fiaskos, nämlich der zurückgetretene Präsident Hans Schweickardt und der amtierende Vize-Präsident Christian Wanner.
Der 13-köpfige Verwaltungsrat der Alpiq
Im Gegensatz zu den meisten anderen Medien hat Infosperber schonungslos darüber berichtet, die Verantwortlichen immer beim Namen genannt und eine Untersuchung des Fiaskos verlangt. Das Geschäftsmodell der Stromkonzerne war simpel. Es basierte auf der üppigen Marge zwischen Billigstrom und lukrativem Spitzenstrom aus Wasserkraft.
Ursache und Auslöser der Krise nicht verwechseln
Bereits 2005 warnte das renommierte ETH-Institut «Centres for Energy Policy and Economics» (CEPE) die Strombranche vor einem Schmelzen der Marge. Der Schreibende hat wiederholt darüber berichtet. Doch die Strombarone träumten ihren Traum vom ewigen Goldregen und setzten die erwirtschafteten Milliarden in den Sand.
Darin liegt die wahre Ursache der Krise und nicht wie in den Medien dauernd kolportiert wird an der Subventionierung des Solarstroms in Deutschland. Letzteres war eine von mehreren Ursachen für den Zerfall des Strompreises. Mit den kopflosen Investitionen in ausländische Gaskraftwerke haben auch die Schweizer Stromkonzerne zum Stromüberschuss und Preiszerfall beigetragen.
Der Zerfall der Strompreise ist nicht die Ursache der Krise, sondern bloss der Auslöser. Die Grippeviren waren längst im Körper der Stromkonzerne. Als weiteres auslösendes Moment für das Ende des famosen Geschäftsmodells der Stromkonzerne kam die teilweise Marktöffnung im Jahr 2009 für grosse Stromkunden hinzu.
Staiblin und Thoma auf dem richtigen Weg
Zunächst verliessen die verantwortlichen CEOs der Alpiq, Axpo und BKW ihre sinkenden Schiffe. Ihre Namen sind: Giovanni Leonardi (Alpiq), Heinz Karrer (Axpo) und Kurt Rohrbach (BKW). Letzterer sitzt weiterhin im BKW-Verwaltungsrat und ist Präsident des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Ex-Axpo-Chef Karrer ist heute Präsident der Economiesuisse.
Heinz Karrer, Kurt Rohrbach und Giovanni Leonardi
Beim Axpo-Konzern folgte auf Karrer wieder ein Vertreter der alten Schule, nämlich Andrew Walo. Beim Alpiq-Konzern und der BKW folgten Jasmin Staiblin und Suzanne Thoma. Die beiden Frauen haben die Zeichen der Zeit erkannt und sind daran, den Pfad der alten Strom- und Atombarone zu verlassen. Ihre Strategie weist grundsätzlich in die richtige Richtung:
- Erstens setzen sie auf Energiedienstleistungen, Stromeffizienz und neue erneuerbare Energien. Ihre Vorgänger haben diese Entwicklung in ihrer Fokussierung auf den Goldesel Stromhandel völlig verschlafen.
- Zweitens rechnen sie mit dem baldigen Ende der Atomkraftwerke. Die BKW hat die Abschaltung des AKW Mühleberg auf 2019 beschlossen. Und auch die Alpiq ist sich des finanziellen Risikos der Atomkraftwerke bewusst, wenn sie neuerdings eine staatliche Auffanggesellschaft für die AKW in Betracht zieht.
Zwar gehören die Atomkraftwerke schon heute der öffentlichen Hand. Eine staatliche Auffanggesellschaft bringt aber mehr Transparenz über die finanziellen Verhältnisse und muss mit einer Befristung der Laufzeiten verknüpft werden. Das heisst nicht, dass allein der Bund zahlen muss. Zur Kasse müssen allen voran auch die Aktionärs-Kantone kommen, die bisher beide Augen vor den wahren Betriebs-, Entsorgungs- und Stilllegungskosten der Atomkraftwerke zugedrückt haben.
Auch die Stromkonsumenten, insbesondere die grossen, müssen ihren Beitrag leisten. Lange genug haben ihre Lobbyverbände die Atomkraft heiliggesprochen. Im Herbst kann das Volk über die Initiative der Grünen «Für einen geordneten Ausstieg aus der Atomenergie» abstimmen und mit einem Ja aktiv verhindern, dass die Atomkraftwerke unbefristet weiterlaufen.
Blocher und Ebner lassen grüssen
Wie ernst die finanzielle Lage der Alpiq ist, zeigt vor allem deren Ankündigung, 49 Prozent ihrer Wasserkraft-Anteile zu verkaufen. Dabei denkt die Alpiq beispielsweise an die Verteilwerke als Käufer, die den Strom an die Verbraucher verkaufen. Die Haushalte und KMUs sind dem Monopol dieser Verteilwerke ausgeliefert und werden gezwungen, statt Marktpreise kostendeckende Preise zu zahlen.
Diese Flucht ins Monopol entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn bisher haben die grossen Stromkonzerne zusammen mit den Wirtschaftsverbänden das Loblied auf die vollständige Strommarktöffnung gesungen. Der Schiffbruch der Alpiq ist gleichzeitig ein Schiffbruch der Strommarktöffnung, von der bisher nur die grossen Stromkunden, insbesondere die industriellen Kunden, profitiert haben.
Was den Ausverkauf der Wasserkraft betrifft, lauert die Gefahr ausländischer Käufer, die sich mittelfristig eine goldene Nase mit der Schweizer Wasserkraft verdienen. Erinnerungen an den Ausverkauf von zehn Prozent der Walliser Wasserkraft an die Deutschen und Franzosen werden wach, als im Jahr 2001 die Lonza unter Christoph Blocher und Martin Ebner die Wasserkraftwerke der Lonza für 450 Millionen Franken ins Ausland verschacherte, weil die Walliser nicht die nötigen finanziellen Mittel aufbringen konnten.
Ein Aderlass sondergleichen für das Oberwallis: Allein in den Jahren von 2009 bis 2014 wurden insgesamt 133 Millionen Franken aus der wirtschaftsschwachen Region in Form von Dividenden abgesogen. Davon zwei Drittel nach Baden-Württemberg. Und auch beim Alpiq-Konzern lauern bereits Profiteure des Ausverkaufs:
- Die französische EDF: Alpiq gehört schon heute zu 25 Prozent der Électricité de France (EDF).
- Martin Ebner und Kunden seiner BZ-Bank: Diese kauften letztes Jahr Alpiq-Aktien im Wert von rund 60 Millionen Franken.
Taskforce und Untersuchungskommission
Der Niedergang der grossen Stromkonzerne erinnert an das Swissair-Grounding. Ein Konkurs der Alpiq würde rund 8000 Arbeitsplätze gefährden und viel fachliches Knowhow zerstören. Dies gilt es unbedingt zu verhindern.
Was ist zu tun?
- Erstens muss die Energieministerin Doris Leuthard die Krise der Strombranche zur Chef-Sache erklären und eine Taskforce zur Bewältigung der Krise einsetzen.
- Zweitens braucht es eine unabhängige Kommission, welche die politischen und ökonomischen Verantwortlichkeiten des Debakels untersucht.
- Drittens gilt es als Sofortmassnahme den Ausverkauf der Wasserkraft in ausländische Hände zu verhindern, wenn nötig mit einer Notverordnung des Bundes.
Bundesrätin Doris Leuthard am Anfang dabei
Wenn Bundesrätin Leuthard in der Hauptausgabe der SRF-Tagesschau von gestern die Verantwortung auf die Kantone abschiebt, die hinter den Betreibern der Atomkraftwerken stehen, wird sie ihrer politischen Verantwortung nicht gerecht. Denn der Bund hat die Atomstrategie der Stromkonzerne immer gestützt. Pikanterweise steht auch Leuthard persönlich in der Verantwortung, denn als ehemalige Verwaltungsrätin der Strombranche war sie hautnah dabei als die Zocker-Party vor rund 15 Jahren begann.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Geschäftsleiter, Redaktor und Beirat der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)
Aber diefrage nach BR kommt doch aus der Strombranche und sowieso sind alle Verantwortlichen gut gegen liberalisierte Märkte abgesichert. Im Fall der Swissair hat gar ein Bezirksgericht den Antrag des Konkursverwalters auf Zugriff der Vermögen zu Gunsten der Swissair PK diverser VR abgelehnt. Diesen Raubzug bezahlen die Arbeiter der Fluglinie bis heute…
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So oder so finde ixh die Fragen bzw. Forderungen nach Wettbewerb, Subventionen, Preisen, Liberalisierungen, Monopolen etc, völlig unpassend.
Wir alle müssen zuerst entscheiden ob wir Strom als Service Public, Non Profit und Gemeinschaftseigentum wollen oder eben nicht. Wenn nicht mal Staaten oder Unternehmen mit liberalisierungen (Recht des Stärkeren) Umgehen können muss die Frage nach der Weisheit dieser Ideologie und deren Dogmen gestellt werden.
Ich will einfach Strommso wie das seit Jahren ist. Bezahlbar, Einheimische Produktion, Löhne, Sozialleistungen und bezahlbare für die Haushalte. Wettbewerb stört da nur… und Strom vermehrt als Energiedienstleistung zu vermarkten soll was genau für mich tun? Was habe ich von der Trennung der Produktion und dem Leitungsnetz ausser einer völlig unnötig umfangreichen Rechnung sonst noch?
Frage an Kurt Marti und die Reaktion
Ging in der Ueberschrift nicht das Fragezeichen vergessen?
mfg
Der Bund unterstützte die Strombranche auch bei der Hunterstrategie mit fossil-thermischen Kraftwerken im Ausland. Zwar behauptete der BR immer wieder, sich nicht in die Angelegenheiten der Stromkonzerne einzumischen — es nicht zu können —, jedoch stellte er fast systematisch Repower, Axpo und BKW Honorarkonsule zur Seite, um bei den zweifelhaften Geschäften nachzuhelfen. Bei mit Honorarkonsuln dotierten Projekten liessen sich sowohl die Axpo als auch die Repower mit der Mafia ein. Es handelte sich in beiden Fällen (Sparanise/Axpo, Saline Joniche/Repower) um Megaskandale, die von den Medien in der Schweiz totgeschwiegen wurden.
@Urs Schwab: Nein, das Fragezeichen in der Überschrift ging nicht vergessen.
@Kurt Marti: Wäre es wohl nicht an der Zeit über die Konsoldierung der völlig zersplitterten Stromindustrie in der Schweiz nachzudenken? Was können wir von State Grid in China und EDF in der EU lernen und was nicht?
Auch mal wieder eine gute Erinnerung an die Blocher’sche «Vaterlandsliebe"!
Danke für die gut dokumentierte Übersicht über die Entwicklung und Stand der Dinge.
Der Artikel gibt die nicht ideologiefreie Meinung der Verfassers wieder. eine derart besserwisserische Polimik (ich habe es ja immer gewusst.. wenn die Deppen mich gefragt hätten.. etc) ist nicht informativ. Fakt bleibt dass eher emotionale politische Entscheide zur Enegiewende im Strommarkt zu massiven Verzerrungen und Problemen geführt haben. M.E. ist es nicht besonders schlau zuerst alles kaputtzuschlagen und dann mit solchen Kommentaren schuldige zu suchen.
Benno Vogler, mir scheint, dass es viel eher ihr Kommentar ist, der sich durch Emotionalität und Polemik auszeichnet.