AKW_Leibstadt

AKW Leibstadt: Und sie dampfen und dampfen und dampfen © Nawi112/wikimedia commons

Feilschen ums Verfalldatum der alten Atommeiler

Hanspeter Guggenbühl /  Trotz «Atomausstieg» dürfen die alten Atomkraftwerke weiter dampfen. Bis 2034 oder auf unbegrenzte Zeit?

Am Mittwoch entscheidet der Nationalrat darüber, wie lange die Schweizer Atomkraftwerke noch weiter produzieren dürfen. Und wie diese Entscheidung getroffen werden soll. Eine heisse Debatte und ein knapper Entscheid stehen bevor.

Bundesrat und Parlament beschlossen im Jahr 2011, die Bewilligung von neuen Atomkraftwerken (AKW) in der Schweiz zu verbieten. Sie reagierten damit auf die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima. Parteien und Medien nannten diesen Entscheid «Atomausstieg». Doch dieser Begriff ist unpräzis. Denn erstens muss das Parlament – und im Fall eines Referendums das Volk – das Neubauverbot im Kernenergiegesetz noch festschreiben. Zweitens dürfen die bestehenden Atommeiler gemäss bestehendem Gesetz so lange weiter betrieben werden, solange die Aufsichtsbehörde Ensi sie als sicher beurteilt, theoretisch also bis zum St. Nimmerleinstag.

Laufzeit von 45 oder 50 Jahren ……

Gegen diese unbegrenzte Laufzeit gibt es zwei Vorstösse:

o Die im Herbst 2012 eingereichte «Atomausstiegs-Initiative» der Grünen befristet die Laufzeit der AKW auf maximal 45 Jahre. Wenn das Volk ihr zustimmt, müssen die Reaktoren in Beznau und Mühleberg 2015 respektive 2016, das AKW Gösgen 2024 und jenes in Leibstadt im Jahr 2029 abgeschaltet werden.

o Eine Motion mit dem sperrigen Titel «Verständigungslösung für die Stilllegung der Schweizer Atomkraftwerke» verlangt eine Begrenzung der Laufzeit auf maximal 50 Jahre. Diese Motion, lanciert von der nationalrätlichen Energiekommission (UREK), soll der Bundesrat mit seiner Vorlage zur «Energiestrategie 2050» erfüllen. Sie dient damit als indirekten Gegenvorschlag zur grünen Ausstiegsinitiative. Über diese Motion wird der Nationalrat voraussichtlich am Mittwoch debattieren und entscheiden.

… oder unbegrenzte Laufzeit

Mit einer 50 Jahre langen Laufzeit rechnet auch der Bundesrat in seinen Energieszenarien bis zum Jahr 2050. Demnach würde die Schweiz gestaffelt bis spätestens im Jahr 2034 aus der Atomenergie aussteigen. Doch in seiner Vorlage zur «Energiestrategie 2050», die er im letzten Herbst in die Vernehmlassung schickte, verzichtet der Bundesrat darauf, die Laufzeit per Gesetz und damit verbindlich zu begrenzen. Aus diesem Grund beantragt er dem Nationalrat, die Motion seiner Energiekommission abzulehnen.

Mit diesem Antrag folgt der Bundesrat den Wünschen der Stromlobby. Denn seit Regierung und Parlament grundsätzlich beschlossen haben, dass sie keine neuen bauen dürfen, wollen sie ihre alten Atomreaktoren noch möglichst lange nutzen. Die Axpo zum Beispiel budgetiert für ihre AKW in Beznau und Leibstadt Laufzeiten von 60 oder mehr Jahren. Falls die AKW-Laufzeit verkürzt werde, so drohte kürzlich AKW-Chef Heinz Karrer in einem Interview mit der NZZ, werde die Axpo gegenüber dem Bund Schadenersatz in der Höhe von Hunderten von Millionen Franken einfordern. Gutachten in Deutschland und in der Schweiz lassen allerdings vermuten, dass solche Forderungen sich rechtlich kaum durchsetzen lassen.

Taktisches Kalkül spielt mit

Die Debatte über die Begrenzung der Laufzeit dürfte im Nationalrat hitzig ausfallen, und ein knapper Entscheid ist zu erwarten. Denn frühere Vorstösse für eine Befristung auf 40 oder 50 Jahre haben Bundesrat und Parlament stets abgelehnt, sofern diese nicht schon vorher zurück gezogen wurden. Ob der Druck der grünen Volksinitiative diese Position verändert, ist ungewiss. Der Motion, die eine Begrenzung auf 50 Jahre Laufzeit forderte, stimmte die Energiekommission mit 12 gegen 10 Stimmen bei einer Enthaltung zu. Dagegen – und mithin für eine unbefristete Laufzeit – votierten in der Kommission nur die Mitglieder der SVP und FDP. Inzwischen aber hat, offenbar beeinflusst von ihrer Bundesrätin Doris Leuthard, auch die CVP-Fraktion beschlossen, die Motion abzulehnen.

Beim Entscheid spielt auch Taktik mit: Lehnt der Nationalrat die Motion ab, riskiert er, dass das Volk der Initiative der Grünen zustimmt und damit einen früheren Atomausstieg erzwingt. Wenn hingegen National- und Ständerat die Laufzeit der alten AKW auf 50 Jahre befristen und das in der Vorlage zur Energiestrategie 2050 fest schreiben, so werden die Grünen Ihre Initiative wohl zurück ziehen. Denkbar sind aber auch irgendwelche Regelungen zwischen 50jähriger und unbegrenzter Laufzeit. Denn wenn es darum geht, den Kompromiss zwischen dem Kompromiss eines Kompromisses zu suchen, verfügt das Parlament jeweils über eine unbegrenzte Kreativität.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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