Energieverbrauch sank, bevor die neue Strategie wirkt, aber …
«Energiestrategie 2050 ist auf Kurs», schreibt das Bundesamt für Energie (BFE) als Titel über ihre Medienmitteilung. Dabei stützt sich das Amt auf den ersten «Monitoring-Bericht«, der gestern Dienstag veröffentlicht wurde. Dieses Monitoring soll fortan jedes Jahr wiederholt werden. Monitoring bedeutet, die Auswirkungen der Energiestrategie 2050, die das Schweizer Volk im Mai 2017 beschlossen hat, zu messen und zu beurteilen.
Die Resultate des Monitorings ….
Der gestern veröffentlichte Bericht zeigt zusammengefasst: Der gesamte Energieverbrauch pro Kopf lag in der Schweiz im Jahr 2017 um rund 16 Prozent unter dem Stand des Basisjahres 2000. Der inländische Konsum von Elektrizität allein sank von 2000 bis 2017 pro Kopf um 4,9 Prozent. Damit sind die für das Jahr 2020 gesetzten Reduktionsziele beim Energiekonsum pro Kopf schon drei Jahre vorher erreicht respektive beim Strom leicht unterschritten worden.
Die Produktion von Strom aus erneuerbaren Energieträgern exklusive Wasserkraft betrug im Jahr 2017 rund 3600 Millionen Kilowattstunden (kWh); das Ziel von 4400 Millionen kWh im Jahr 2020 scheint damit ebenfalls erreichbar. Damit wird das BFE auch nächstes Jahr nach dem zweiten Monitoring konstatieren können: «Energiestrategie auf Kurs.»
… haben mit der neuen Strategie nichts zu tun
Der erste, reich bebilderte Monotoring-Bericht hat nur eine Schwäche. Die darin veröffentlichten Resultate bis zum Jahresende 2017 haben mit der Energiestrategie 2050 nichts zu tun. Denn diese Strategie respektive das ihm zu Grunde liegende revidierte Energiegesetz trat erst am 1. Januar 2018 in Kraft. Die darin enthaltenen Gebote und Verbote, Vorschriften und Fördermassnahmen werden sich erst in einigen Jahren auswirken. Ob diese politischen Massnahmen genügen, um die fürs Jahr 2035 angepeilten und viel anspruchsvolleren Energieziele ebenfalls zu erreichen, ist ungewiss.
Damit bleibt die Frage, worauf die Trendwende im Energiekonsum und Energiemix innerhalb der Schweiz ab dem Jahr 2010 zurück zu führen ist. Eine eigene Analyse dazu hat Infosperber bereits im April 2018 veröffentlicht.
Aus aktuellem Anlass hängen wird den damaligen Artikel hier an:
Warum der Energiekonsum in der Schweiz seit 2010 sinkt
Hanspeter Guggenbühl / 20. Apr 2018 – Technik schlägt neuerdings die Menge. Doch diese Wende beim Energiekonsum gilt nur innerhalb der Schweizer Grenze. Eine Analyse.
Mehr Produktion und mehr Konsum von Gütern und Dienstleistungen überwiegen gegenüber dem technischen Effizienzgewinn. Diese Regel, bezogen auf den Verbrauch von Energie und andern Naturgütern, galt in der Schweiz während Jahrzehnten. Als Folge davon hat sich die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen seit dem Zweiten Weltkrieg vervielfacht. Das erleichterte es Skeptikern, den Wachstumswahn und Wachstumszwang von Wirtschaft und Gesellschaft zu kritisieren (sein jüngstes wachstumskritisches Buch veröffentlichte der Schreibende zusammen mit Urs P. Gasche 2010).
Energie- und Stromkonsum seit 2010 gesunken
Doch seit dem Jahr 2010 scheint der Trend zu kehren: Effizienzsteigernde Technik wirkte sich in den letzten Jahren stärker aus als die weiter zunehmende Menge an ressourcenverbrauchenden Tätigkeiten. Das jedenfalls zeigen die nationalen Statistiken zur Gesamtenergie, zur Elektrizität und zu den Treibhausgasen.
Konkret: Nach einem weiteren Zuwachs von 2000 bis 2010 sanken in den letzten sieben Jahren sowohl der Energie- als auch der Stromverbrauch in der Schweiz. Heute bewegt sich der inländische Konsum von Endenergie wieder auf dem Niveau der Jahrtausendwende, und pro Kopf der Bevölkerung liegt dieser Energiekonsum deutlich darunter.
Der Konsum von Strom pro Kopf unterschreitet heute das Niveau des Jahres 2000 ebenfalls, während der Stromkonsum insgesamt zurzeit noch höher liegt. Die Ziele der nationalen Energiestrategie fürs Jahr 2020 (minus 16% Energie-, minus 3% Stromverbrauch gegenüber dem Jahr 2000), die pro Kopf der Bevölkerung festgelegt wurden, lassen sich damit wohl erfüllen. Das dokumentiert die folgende Grafik über die Entwicklung und Ziele des Schweizer Energiekonsums; der leichte Zuwachs des Stromverbrauchs um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr ist in der Grafik berücksichtigt.
Wie Menge, Effizienz und Verlagerung sich auswirken
Die Gründe für diese Wende beschrieb der Bundesrat jüngst in einem 24-seitigen Bericht mit vielen Tabellen, den er als Antwort auf ein Postulat von SP-Nationalrat Roger Nordmann veröffentlichte. Darin unterscheidet er ebenfalls zwischen dem Mengeneffekt, der den Energie- und Stromkonsum erhöht, und dem Einfluss von effizienterer Technik und Politik, der den Verbrauch senkt.
Zu den Mengeneffekten zählt der Bundesrat die Entwicklung von Bevölkerung und Wirtschaftsleistung, gemessen am Bruttoinlandprodukt, sowie Industrieproduktion, Wohnungs-, Fahrzeug-, Gerätebestand und Energiebezugsflächen. Dem Wachstum dieser Mengen stellt er den Effizienzgewinn gegenüber, den die technische Entwicklung ermöglicht und den die nationale Politik mit Verbrauchsvorschriften und Subventionen zusätzlich fördert. Dazu kommt die ebenfalls politisch geförderte Substitution, vor allem die Verlagerung von fossiler Energie, insbesondere Heizöl, zu Elektrizität und erneuerbaren Energieträgern. Schliesslich wirken sich ökonomische und klimatische Faktoren aus; dies besonders auf den periodisch schwankenden Tanktourismus und den Wärmebedarf.
Die Wirkung dieser gegenläufigen Entwicklungen fasst der Bundesrat wie folgt zusammen: «Seit knapp zehn Jahren überkompensieren diese Einsparungen, die sich aus dem technischen Fortschritt ergeben und durch politische Energieeffizienz-Massnahmen verstärkt werden, die Verbrauchszunahmen.» Die Substitution von Erdöl durch Elektrizität verstärkte diese Wirkung bei der fossilen Energie, verminderte sie aber beim Strom.
Treibhausgase seit 1990 ebenfalls gesunken
Ähnlich wie bei der Energie verhält es sich beim Ausstoss von CO2 und weiteren klimawirksamen Gasen: Im Jahr 2016 lag der Ausstoss aller Treibhausgase innerhalb der Schweiz um rund zehn Prozent unter dem – klimapolitisch massgebenden – Niveau im Jahr 1990. Das zeigt die jüngste, letzte Woche veröffentlichte Erhebung des Bundesamtes für Umwelt. Der kurzfristige Anstieg gegenüber dem – rekordwarmen – Jahr 2015 ist auf die kühlere Witterung (mehr Bedarf an Heizwärme) zurückzuführen. Die Entwicklung der Treibhausgase dokumentiert die folgende Grafik.
Im Jahr 2016 hat die Schweiz ihre klimapolitischen Ziele fürs Jahr 2020 (minus 20 %) also erst zur Hälfte erreicht. Denn im Unterschied zur Energiestrategie, welche die Energie- und Stromziele pro Kopf der Bevölkerung bemisst, gelten die Ziele für den Ausstoss der Treibhausgase absolut. Darum sind sie schwerer zu erreichen, wenn die Bevölkerung in der Schweiz ungebremst weiter wächst.
Grösster Einfluss: Die Verlagerung vom In- ins Ausland
Die wichtigste Ursache für die Wende, die den Konsum von Energie und den Ausstoss von Treibhausgasen innerhalb der Schweiz sinken lässt, klammern die nationalen Erhebungen aber aus. Es handelt sich dabei um die Verlagerung von energieintensiven Tätigkeiten vom In- ins Ausland.
So importieren die Menschen in der Schweiz mit mehr Gütern auch mehr graue Energie und mehr Material. Dabei handelt es sich um Energie, die im Ausland eingesetzt wird, um in der Schweiz genutzte Rohstoffe, Halbfabrikate und Güter zu erzeugen; das Spektrum reicht von der Öl- und Rohstoffförderung über die Auslagerung von Produktionsstätten bis hin zum Import von Fertigwaren wie Autos, Computer etc.; mengenmässig sind diese Importe viel umfangreicher als die Exporte. Gleichzeitig verbrauchen Leute aus der Schweiz bei ihren Reisen im Ausland mehr Transportenergie.
Mit alledem verursachen die Menschen in der Schweiz ausserhalb ihrer Landesgrenze auch mehr Treibhausgase. So ergab eine Erhebung über den «Treibhausgas-Fussabdruck» der Schweiz, den das Bundesamt für Statistik im Februar 2018 publizierte: Im Jahr 2015 waren die grauen Treibhausgas-Emissionen, welche Bevölkerung und Wirtschaft der Schweiz im Ausland verursachen, bereits anderthalb Mal so gross (!) wie die direkten Emissionen im Inland.
Im Unterschied zum Verbrauch und zu den Emissionen innerhalb der Schweiz wachsen also der Energieverbrauch und Ausstoss von Treibhausgasen, den Schweizerinnen und Schweizer im Ausland verursachen. Mit andern Worten: Während die Energie- und Klimawende im Inland zaghaft begonnen hat, lässt die Wende bei den Inländerinnen und Inländern weiterhin auf sich warten. Diesen Sachverhalt hat Infosperber schon in früheren Beiträgen thematisiert (siehe Links unter «Weiterführende Informationen»).
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Im letzten Teil vom zweiten Bericht (Warum der Energiekonsum in der Schweiz seit 2010 sinkt) spricht Herr Guggenbühl einen wichtigen und wahren Grund an. Eigentlich sollten wir vor allem die graue Energie unseres Gesamtkonsums messen. Solch eine Statistik ist nachvollziehbar sehr schwierig zu erheben, da sie Kennzahlen von Produktionen aus verschiedenen Ländern und Industrien benötigt (Kennt jemand eine gute Statistik diesbezüglich?).
Das Problem ist halt einfach, dass die Statistik Energiekonsum rein gar nichts darüber aussagt, ob die Schweiz 2017 im Vergleich zu 2010 auch wirklich weniger Energie konsumierte. Es ist sehr gut möglich, und meiner Meinung nach sehr wahrscheinlich, dass die Kurve von der Statistik Energiekonsum sinkt, während gleichzeitig der Konsum an grauer Energie steigt. Je mehr sich die Schweiz zum Dienstleistungsland entwickelt und gleichzeitig das BIP steigt, um so wahrscheinlicher ist ein auseinander driften von unserer Erhebung und der Wahrheit.
Die Energiestrategie 2050 ist nicht völlig neu und vorher gab es erhebliche Anstrengungen, den Energiebedarf und was noch viel wichtiger ist, den CO2 Ausstoss zu reduzieren mit dem Ziel einer schwarzen Null weit vor 2050. Eine schwarze Null beim Energiebedarf ist ja nicht das Ziel. Aber vielleicht eine Reduktion der eklatanten energetischen Auslandsabhängigkeit. Insofern überrascht es nicht, das auch die Massnahmen vor der Annahme der Energiestrategie 2050 greifen. Dazu passt auch diese Meldung von heute:
BFE – Elektrogeräte verbrauchen immer weniger Strom
http://www.bfe.admin.ch/energie/00588/00589/00644/index.html?lang=de&msg-id=73114
Bern, 28.11.2018 – Obwohl der Bestand an Elektrogeräten in der Schweiz in den letzten fünfzehn Jahren gesamthaft um fast 40% zugenommen hat, reduzierte sich deren Stromverbrauch im gleichen Zeitraum um 716 Millionen Kilowattstunden pro Jahr (- 9,3%). Dies dank Technologiesprüngen, die zu wesentlich energieeffizienteren Geräten geführt haben. Dies zeigt eine im Auftrag des Bundesamts für Energie durchgeführte Analyse der verkauften Elektrogeräte in der Schweiz.
Bundesamt für Energie
Dies zeigt, dass auch andere Mitspieler einen Einfluss haben – hier namentlich auch die EU die in vielen Bereichen aktiv voran schreitet.
Soll dieser Beitrag suggerieren, dass a) die Energiestrategie 2050 (noch) nicht wirksam ist und b) vielleicht überflüssig?
Das würde mich jetzt aber arg wundern.
Die Energiestrategie ist ein Puzzle das es zu lösen gilt.