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Die Kernkraft ist umstritten. Wer Energie spart, kann helfen, den Bau neuer Produktionsanlagen zu vermeiden. © swisshippo/Depositphotos

Energieversorgung – die Verschwendung ist der wirkliche Ärger

Christof Leisinger /  In der Schweiz stören dabei betriebswirtschaftliche Interessen der Energiekonzerne – sie sind mehrheitlich in öffentlicher Hand.

Die günstigste Energie ist die, die nicht verbraucht wird. Sie belastet die Umwelt nicht und sie entlastet das Portemonnaie des Konsumenten unmittelbar. So gesehen scheint es vernünftig zu sein, wenn es im neuen Stromgesetz auch darum geht, die Effizienz der Energieversorgung zu verbessern.

Immerhin zeigt sich an Beispielen, was in diesem Rahmen möglich wäre. So haben die Industriellen Werke der Stadt Genf (SIG) vor knapp 20 Jahren Anreizsysteme aus den USA adaptiert, welche ihre Kunden finanziell dafür belohnen, wenn sie weniger Energie in Form von Strom verbrauchen. In diesem Rahmen konnten die an den Programmen teilnehmenden Haushalte den Elektrizitätskonsum in zehn Jahren um durchschnittlich fast 20 Prozent verringern.

verkehrt und private haushalte
Im Transportwesen und in den privaten Haushalten bietet das Energiesparen die grössten Potenziale. Denn sie verbrauchen viel. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.
private haushalte in genf
In Genf ist der Stromkonsum gesunken. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

Das ist enorm. Folglich kommt automatisch die Frage auf, ob das Stromgesetz nicht stärker auf solche Effekte setzen müsste, statt «eine sichere Stromversorgung» vor allem mit dem geförderten «Ausbau erneuerbarer Energien» zu erreichen. Die Schweiz müsse bis 2050 eine Stromlücke von mindestens 37 Terawattstunden (TWh) schliessen, mehr als die Hälfte davon im Winter, heisst es – und schon in zehn Jahren sollen die Erneuerbaren etwa genau diese Menge produzieren.

Abschaffung finanzieller Fehlanreize hilft Energiesparen

Dabei zeigt eine jüngst veröffentlichte Studie der Energiestiftung, dass die systematische Abschaffung finanzieller Fehlanreize zu einem Rückgang der Energienachfrage um bis zu zehn Terawattstunden jährlich führen würde. Mit positiven ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen, insbesondere durch Reduktion von Umweltimmissionen. Aber auch mit leicht bis deutlich negativen finanziellen Tendenzen, etwa in Form höherer Kosten für private Haushalte und Unternehmen oder des Vollzugsaufwands.

Tatsächlich geht es meist darum, bisher nicht internalisierte externe Effekte und entsprechende Preisverzerrungen zu beseitigen – und dafür fehlt offensichtlich der politische Wille. Und das lässt sich ganz einfach erklären: Mit der Axpo, der Alpiq, der BKW und mit Repower befinden sich die grössten Energieerzeuger der Schweiz mehrheitlich in öffentlicher Hand, insbesondere im Besitz der Kantone.

Sie sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht wohl eher an möglichst hohen Umsätzen und Gewinnen interessiert – und weniger daran, geringere Mengen und günstigere Energie zu verkaufen. Ob sie sich also wirklich für eine bessere Energieeffizienz einsetzen?

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Die Schweizer Stromerzeuger sind mehrheitlich öffentlich dominiert. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

Seltsame Eigeninteressen der Energiekonzerne und der öffentlichen Hand

So kommt es, dass sie im vergangenen Jahr in einem Umfeld mit hohen Energiepreisen auf dem Rücken der normalen Konsumenten und der kleineren Unternehmen zusammengenommen Milliardengewinne erzielen konnten, welche sie in Form enormer Boni an die Angestellten und in Form von Ausschüttungen an die Staatskassen abführen. Natürlich sind auch die Importeure von fossilen Energieträgern eher daran interessiert, ihre Erlöse und Erträge zu maximieren, statt sich freiwillig von alternativen Angeboten verdrängen zu lassen – zumal sie immer noch für zwei Drittel der in der Schweiz konsumierten Energie stehen und also mit beachtlichen Volumina hantieren.

Die grössten Fehlanreize der Schweizer Energiepolitik:

1. Pauschale Grundgebühren
Viele Stromtarife basieren auf einer pauschalen Grundgebühr. Das hat zur Konsequenz, dass der effektiv pro Kilowattstunde gezahlte Preis niedriger ist, je mehr Energie ein Konsument verbraucht. Die Abschaffung der Grundgebühr würde die Stromnachfrage senken, wenn auch wohl nur wenig.

2. Statische Stromtarife
Die heutigen Stromtarifstruktur orientiert sich nicht an den unterschiedlichen Erzeugungs- und Transportkosten für die Elektrizität. Sie bietet also bisher keinen Anreiz, die elektrische Energie dann zu nutzen, wenn sie günstig und in umfangreichen Mengen vorhanden ist. Flexiblere Tarife würden dazu beitragen, die Infrastruktur besser zu nutzen und weniger zu verbrauchen.

3. Fehlende CO2-Abgabe auf Treibstoffen im Strassenverkehr
Während auf Brennstoffen zum Heizen eine CO2-Abgabe erhoben wird, fehlt eine solche im Verkehr. Das bedeutet, dass die durch die Emissionen verursachten Lasten und Umweltschäden nicht bei der Berechnung des Treibstoffpreises an der Zapfsäule berücksichtigt werden. Autofahren ist entsprechend günstig, was aus Sicht der Energieeffizienz einen Fehlanreiz darstellt. Die Einführung einer CO2-Abgabe auf den Strassenverkehr analog zur Abgabe auf Brennstoffe könnte den Energieverbrauch bis im Jahr 2030 deutlich verringern, heisst es.

4. Befreiung leichter Nutzfahrzeuge von der LSVA
Nutzfahrzeuge unter 3.5 Tonnen Gewicht sind von der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) ausgenommen. Die von ihnen verursachten Umweltkosten werden also nicht internalisiert. Das hat zur Konsequenz, dass Transportunternehmen kaum einen Anreiz haben, auf grössere beziehungsweise modernere und entsprechend effizientere Nutzfahrzeuge zu setzen.

5. Zu wenig ambitionierte Zielvereinbarungen bei Unternehmen
Unternehmen, die von der CO2-Abgabe oder vom Netzzuschlag befreit werden möchten, können mit dem Bund eine Zielvereinbarung abschliessen, in der sie eine Erhöhung der Energieeffizienz bzw. Reduktion von CO2-Emissionen festlegen. Die Zielvereinbarungen sind aber eher schwach und mit ambitionierteren Vereinbarungen könnte mehr gespart werden.

6. Abzug Fahrkosten von der Einkommenssteuer
Privatpersonen können Fahrkosten zum Arbeitsplatz vom steuerbaren Einkommen abziehen. Deshalb nehmen viele grössere Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsort in Kauf. Sollte das nicht länger möglich sein, würden sich Pendler darauf einstellen und in diesem Rahmen deutlich weniger Energie verbrauchen.

7. Steuerbefreiter internationaler Flugverkehr
Internationale Flüge sind sowohl von der Mineralölsteuer als auch von der Mehrwertsteuer befreit. Das führt zu unnatürlich tiefen Preisen und steigert die Nachfrage. Sollte sich das ändern, würde die Branche deutlich weniger Energie verbrauchen.

Sollten diese sieben Fehlanreize beseitigt oder modifiziert werden, könnte der gesamte Energieverbrauch der Schweiz um etwa fünf Prozent gesenkt werden, heisst es in der Studie der Energiestiftung, die zudem weitere Einsparpotenziale andeutet. Stattdessen kurbelten viele Gesetzesbestimmungen den Energieverbrauch an, statt ihn zu senken.

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Der Strombedarf steigt. Aber Öl und Gas spielen bei der Energieversorgung immer noch eine wesentliche Rolle. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

Die Umweltschutzorganisation WWF hält es nicht nur für einen Skandal, dass die Schweiz fossile Energieträger und Strom immer noch im heute üblichen Ausmass erzeugt und verbraucht, sondern einen beachtlichen Teil davon sinnlos verschwendet. Selbst die Gewinnung von erneuerbaren Energien hinterlasse Spuren. Schliesslich greife man in die Umwelt ein, verbrauche Flächen und vor allem auch knappe Ressourcen in Form von Rohstoffen – etwa für die Entwicklung, den Bau und den Betrieb von Windrädern, Sonnenkollektoren oder Energiespeichern.

Jedes Kraftwerk, das nicht gebaut wird, ist ein Gewinn

Deshalb sei jedes Kraftwerk, das nicht gebaut werden müsse, weil man Energie und Strom spare, ein Gewinn für Umwelt und Biodiversität. Dazu könne jeder Einzelne beitragen, weil die privaten Haushalte im täglichen Leben für Heizung, Küchen- und sonstige Elektrogeräte oder auch die Beleuchtung oder im Strassenverkehr einen grossen Teil der Energie verbrauchten. Er hat sogar eine Liste mit konkreten Energiespar-Tipps zusammengestellt,  von A wie Aquarium optimieren bis Z wie Zugluft vermeiden.

Jeder Beitrag zur Steigerung der Energieeffizienz beziehungsweise zur Einsparung ist nötig, denn trotz des zunehmenden regulatorischen Drucks zur Dekarbonisierung nimmt die globale Nachfrage nach fossilen Brennstoffen vor allem in den Schwellenländern absolut betrachtet immer noch weiter zu. Um den globalen Energiebedarf zu sichern, werden auch im Jahr 2040 immer noch zwischen 25 und 40 Prozent der Energieinvestitionen in die Förderung fossiler Brennstoffe und in die konventionelle Stromerzeugung fliessen. Nur so lasse sich die Nachfrage decken, der Rückgang in bestehenden Produktionsfeldern ausgleichen und das Energiesystem stabil halten, argumentieren die Energieexperten der Unternehmensberatung McKinsey.

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Es dauert wohl noch lange, bis die fossilen Energieträger ersetzt werden können. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Stromleitungd

Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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7 Meinungen

  • am 8.06.2024 um 19:13 Uhr
    Permalink

    Grüezi Herr Leisinger
    Herlichen Dank für diesen Beitrag. Es ist etwas vom Besten, dass ich in letzter Zeit in der Schweizer Medienlandschaft gelesen habe.
    Lange hat es gedauert, bis Entschwenden im Infosperber thematisiert wird.
    Im Landkreis Mainz-Bingen (210’000 Einwohner) setzen wir ein Monsterprojekte um, dass wir Energiezelle nennen, eine sichere bezahlbare Energieversorgung.
    Rheinland-Pfalz unterstützt das Partnerwerk Energiezelle mit 3.1 Millionen €.
    Zur Zeit schaffen wir die Rahmenbedingungen, dass es sich lohnt 12 Milliarden zu investieren um jährlich 1 Milliarde Energiekosten zu entschwenden. Vielleicht interessiert Sie das Partnerwerk Energiezelle des Landkreises Mainz-Bingen.

    • am 9.06.2024 um 07:34 Uhr
      Permalink

      Um diese umwelt- und gesundheitsschädlichen Fehlanreize zu eliminieren, braucht es sofort einen DRINGLICHEN BUNDESBESCHLUSS. Denn das ist noch viel wichtiger als das, was mit dem SOLAREXPRESS angestossen wurde.

  • am 9.06.2024 um 08:29 Uhr
    Permalink

    Eine wirklich hoffnungslose Sache
    Erklären Sie doch bitte endlich einmal den Leuten, weswegen sie ständig mehr verzichten sollen. Das Schwadronieren von Fehlanreizen, denen man mit Lenkungsabgaben entgegentreten muss, hat jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Dieses Vorgehen bestraft all jene, die einfach nur ihr Leben leben wollen bzw. müssen, und das ohne immer mehr Unannehmlichkeiten und Verzicht.
    Hören Sie auf, der breiten Bevölkerung einzureden, sie lebe über ihre Verhältnisse! Das ist eine Verhöhnung all jener, die sich einfach nur mühen, anständige Menschen zu sein.
    Es sollte Ihnen bewusst sein, dass man heute seinen Arbeitsplatz nicht mehr nach Belieben aussuchen kann. Denken Sie wirklich, dass die Menschen so erpicht darauf sind, täglich Stunden mit der Anfahrt zum Arbeitsplatz zu verbringen, um ihre Lebenszeit im Auto oder im verstopften öV zu verbringen?
    Ihre Ansichten sind Elfenbeintumprobleme, entrückt von der brutalen Realität einer ständig grösserwerdenden Unterschicht.

    • Favorit Daumen X
      am 9.06.2024 um 10:21 Uhr
      Permalink

      Dass eine Lenkungsabgabe, deren Einnahmen zu 100 Prozent an die Bevölkerung zurückbezahlt wird, unsozial sei, ist ein leider immer wieder kolportiertes Märchen. Hanspeter Guggenbühl hatte dies am 8. April 2019 in seinem Artikel «Flugticket- und andere Umweltabgaben machen Arme reicher» einleuchtend dargestellt. Dass Lenkungsabgaben den Armen mehr weh tut als Reichen, ist eine Fehlinformation. Sie verhindert, dass das wirksamste und unbürokratischste Mittel zum Umwelt- und Klimaschutz nicht eingeführt wird. (Guggenbühls Artikel finden Sie leicht in unserem Archiv).

      • am 9.06.2024 um 11:47 Uhr
        Permalink

        Grüezi Herr Gasche
        Hanspeter Gugenbühl ist auf sehr tragische Art gestorben.
        Ich denke es wäre höhste Zeit, dass die Arbeit von Hanspeter Guggenbühl im Infosperber weiter zu führen.
        Christoph Leisinger hat endlich einen sehr guten Anfang gemacht.
        Dass wir eine Energie- besser eine Ressourcen-Lenkungsabgabe brauchen wissen wir.
        Ebenso brauchen wir eine Finanztransaktions-Lenkungsabgabe (keine Microsteuer). Die Ressourcen- und Finanztransaktions-Lenkungsabgabe sind letzlich siamesische Zwillinge.
        Solange darüber nicht geschrieben wird, wird sich auch nichts verändern.
        Auch im Infosperber werden viel zu oft Probleme beschrieben und zuwenig Lösungsvorschläge zur Diskussion gestellt.

    • am 9.06.2024 um 11:36 Uhr
      Permalink

      Grüezi Herr Spring
      Ich gebe Ihnen absolut recht, dass zuviel von sparen, einschränken usw. geschrieben wird auch hier im Infosperber.
      Bei der Umsetzung des Partnerwerks Energiezelle im Landkreis Mainz-Bingen (230 000 Einwohner) sprechen wir von Entschwendung, es ist unsere wichtigste Massnahme. Wir befähigen die Menschen sich zu entschwenden. Davon profitieren vorallem Menschen mit tiefem Einkommen.
      Ich muss aber auch Herrn Gasche recht geben, dass ständig das Märchen verbreitet wird, dass Lenkungsabgaben besonders Menschen mit tiefem Einkommen belastet werden. Das hängt primär davon ab, wie die Lenkungsabgabe zurück erstatet wird. Ideal ist z.B. wenn der AHV Fond mit einer Energlelenkungsabgabe finanziert wird. Davon ist bisher jedoch noch keine Rede. Dafür soll die für Menschen mit tiefem oder gar keinem Einkommen z.B. die Mehrwertsteuer erhöt werden. Auch die weitere Erhöhung von Lohnabgabe ist auch für Menschen mit tiefem Einkommen ein Problem.

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